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Familien und Sozialpolitik in Lateinamerika

de Jana Rauch, Catherin Tiefenbach, Benedict Weiß
Von Montag, dem 27. bis Mittwoch, dem 29. Juli fand in der Universidad de Costa Rica (UCR) das erste interdisziplinäre Forschungssymposium über Familien und Sozialpolitik statt, welches von der UCR organisiert wurde. Finanziell unterstützt wurde die Veranstaltung unter anderem von der Konrad Adenauer Stiftung und verschiedenen costaricanischen Organisationen.

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Die Ziele dieses Simposiums waren:

  • Die Förderung der interdisziplinären Debatte über die qualitative Verschlechterung der Sozialpolitik unter Berücksichtigung der soziohistorischen Hintergründe der Familien in Lateinamerika.
  • Die Definition der wichtigsten Herausforderungen an die interdisziplinäre Familienforschung, um die lateinamerikanischen Familien im aktuellen Kontext einzuordnen.
  • Die Debatte über die Fortschritte in der Forschung über Familie, Arbeit, Sozialpolitik und soziale Dienstleistungen im Rahmen der gesellschaftlichen Veränderungen im aktuellen Lateinamerika.
Es referierten Dozenten verschiedener costaricanischer Universitäten, ein brasilianischer Soziologe der Universidade de Campinas sowie eine Funktionärin des staatlichen Sozialhilfeinstitutes IMAS.

Die Politologin Isabel Brenes referierte über Wirkung staatlicher Sozialpolitik für Familien und die Herausforderungen denen diese gegenüber steht.

Seit 1999 ist der 15. Mai Internationaler Familientag. Laut Brenes wisse das kaum jemand. In Costa Rica wird er nicht gefeiert und das, obwohl Familien unersetzbare Grundfunktionen leisten, die keine andere Institution übernehmen kann. Hierbei handele es sich um:

  • Reproduktion
  • Sozialisierung
  • Vermittlung kultureller Werte
  • Vermittlung politischer Werte (in diesem Fall Demokratie)
  • Wirtschaftliche Funktion (unbezahlte Arbeit im Haushalt subventioniert geringe Entlohnung der anderen Familienmitglieder; Vermittlung des Wertes “Arbeit”)

Artikel 51 und 52 der costaricanischen Verfassung besagen, dass die Familie die Basis der Gesellschaft ist, und als Gruppe eigene Rechte besitzt, welche vom Staat geschützt werden müssen. Familien handeln im Spannungsfeld von Politik und Gesetzen; Armut und sozioökonomischer Ungleichheit; Migration und Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt; sowie von Globalisierung und aktueller Wirtschaftskrise.

Durch Fortschritte im Bereich Gesundheit - Costa Rica hat die zweitgeringste Säuglingssterblichkeit weltweit, die durchschnittliche Lebenserwartung liegt bei 79 Jahren - sind die Familien multigenerational und grösser geworden. Außerdem heiraten weniger Paare und von diesen mittlerweile 75% nur standesamtlich, die Beziehungsform eingetragene Partnerschaft nimmt zu, sowie auch Trennungen und Scheidungen. Heute sei es unter Kindern nicht mehr außergewöhnlich, getrennte Eltern, sondern zusammenlebende Eltern zu haben.

Die wirtschaftliche Abhängigkeit der Frauen von ihren Partnern geht zurück, da aktuell bereits 40% der costaricanischen Frauen arbeiten (70% der Männer). Damit ändern sich auch traditionelle Rollenmuster und Aufgabenverteilungen innerhalb der Familien. Von alleinstehenden Frauen geführte Haushalte sind häufig ärmer als die von Paaren oder alleinstehenden Männern. Im Jahr 2008 lebten 157.235 Familien in Armut.

Staatliche Sozialpolitik im Allgemeinen und Familienpolitik im Speziellen sollten, so Brenes,

“ein Ensemble von Direktiven, Kriterien und Leitlinien sein, das auf den Erhalt und die Erhöhung des gesellschaftlichen Wohlbefindens und der menschlichen Entwicklung hinwirkt”.

In der Realität sei der besagte Politikbereich jedoch fragmentiert, assistenzialistisch, temporär, und individualisiert, sprich auf Einzelpersonen anstatt auf Familien ausgerichtet.

Sozialpolitik müsse auf Familien abzielen, denn die Unterstützung von Jugendlichen zum Besuch einer weiterführenden Schule oder von Frauen zur Weiterzubildung funktioniere nur dann, wenn die Familie einverstanden sei und “mitmache”.

Bedauerlicherweise bekämpfe die Regierung häufig die Konsequenzen sozialer Probleme (wie bspw. Drogenhandel), anstatt die Ursachen anzugehen. Das ist nicht nur nicht besonders sinnvoll, sondern auch noch teurer. Der Staat sollte das Positive fördern und in das Sozialkapital der Familien investieren.

Die grössten Herausforderungen an die costaricanische Familienpolitik seien die Umwandlung des individualistischen in einen familienbezogenen Ansatz, der Ersatz der Rectoria del Sector Social durch ein Ministerio de Desarrollo Social, die Koordination der Sozialpolitik/en, sowie langfristig gesehen die Reduzierung der sozioökonomischen Ungleichheit im Land.

Zur Erarbeitung guter, sprich effektiver und effizienter, Familienpolitik sei folgendes notwendig:

  • Interdisziplinäre Arbeitsgruppen
  • Umfassende und partizipative Studien, um nicht die Modelle anderer Staaten zu kopieren, sondern sie den eigenen Besonderheiten/ dem Kontext anzupassen
  • Ziel der Politik muss die Schaffung von Kompetenzen der Menschen bzw. Familien sein
  • Beachtung der eingeschränkten Mittel (Costaricaner bezahlen ca. 13% Steuern, Deutsche 40%)
  • Anwendung des Prinzips der Subsidiarität
  • Effektiver und effizienter Mitteleinsatz

Juliana Martinez Franzoni, Soziologin des Instituts für Gesellschaftsforschung der UCR, sprach über wohlfahrtsstaatliche Formen in Lateinamerika und ihren Einfluss auf die Familie.

Sie begann mit einer Ausführung zu dem Modell des Wohlfahrtsstaates, welchen sie v.a. durch die drei Institutionen Familie, Markt und Staat beeinflusst sieht. Wenn von Familie gesprochen werde, müsse insbesondere auf die Frauen eingegangen werden. Da es verschiedene Ausformungen von Wohlfahrtssystemen gäbe, müsse man von „Wohlfahrtswelten“ sprechen. Die Wohlfahrtssysteme in Lateinamerika seien unterschiedlich ausgerichtet, zum einen finde man eine universale Struktur (Uruguay, Costa Rica), zum anderen duale (Mexiko, Brasilien), sowie ein ausschließende Systeme (El Salvador, Nicaragua). All diese Wohlfahrtssysteme würden durch die neoliberale Wende - und nun auch durch die Weltwirtschaftskrise – unter Druck gebracht und zunehmend liberalisiert. Dies sorge für eine Zunahme der sozioökonomischen Ungleichheit. Dieses Staats- und Marktversagen müssten nun die Familie auffangen, welche sich wiederum in Lateinamerika auf einen besonderen lateinamerikanischen „Familiarismus“ stützten, durch den die Familie als Produktionseinheit, soziales Schutznetzwerk und als privater Raum dient. All dies basiere hauptsächlich auf weiblicher Arbeit. An Hand einer Statistik zeigte sie auf, dass 21 % der Familien in Costa Rica „klassisch“ (Mann mit entgeltlicher Arbeit und die Frau im Haushalt) seien. In 28 % der Familien arbeiten beide Elternteile, 10,5 % sind alleinerziehend, wobei die Tendenz zu alleinerziehenden Frauen steigend sei, was die Arbeitsmöglichkeiten der Frauen erschwere. Auffällig sei, dass Paare immer weniger und immer später Kinder bekommen. Dies stelle den Staat vor neue Herausforderungen.

Der Soziologe Dr. Ricardo Atunes von der Universidade de Campinas (Brasilien) referierte über den Wandel in der Arbeitswelt und die Auswirkungen auf die Selbstwahrnehmung und soziale Kompetenz mit besonderem Blick auf die „Feminisierung der Arbeit“ .

Er gab zuerst einen historischen Überblick zum Konzept „Arbeit“ und ihrer gesellschaftlichen Bedeutung, dabei kritisierte er im Besonderen die in den neunziger Jahren von einigen Intelektuellen propagierte Meinung eines „Endes der Arbeit“. Diese Mode verwische die existenzielle Bedeutung der Arbeit für die Menschen und sei zudem eine eurozentristische Sichtweise, da die arbeitsintensiven Industrien in den „Süden“ abwanderten.

Das heutige Hauptproblem sei die weltweite Arbeitslosigkeit, Unterbeschäftigung und informelle Beschäftigung, was eine Prekarisierung vorantreibe. Der Wohlfartsstaat sei in der „1.Welt“ quasi nicht mehr vorhanden und in der „dritten Welt“ hätte es ihn nie wirklich gegeben.

Atunes führte aus, die Arbeit habe eine neue Morphologie, es gäbe sie nicht „nicht mehr“, sondern ihre Form und Ausprägung habe sich verändert:

Die Privatisierungen und die Flexibilisierung der Arbeit hätten sich allgemein negativ auf die Arbeitswelt ausgewirkt und neue Arbeitsformen sind entstanden, wie bspw. Telemarketing in Indien. Diese „Cyberarbeit“ seien Dienstleistungen, welche zwar vor dem Computer stattfänden, aber trotzdem eine besondere Art von Ausbeutungsverhältnis darstellten.

Ein weiteres Hauptproblem seien die Umweltbelastungen, welche Unternehmen und Industrien auslösen.

Nach diesen Ausführungen ging Atunes genauer auf die „Femininisierung der Arbeit“ ein. Seiner Meinung nach, werden Frauen inzwischen auf dreifache Weise ausgebeutet: Zuerst durch die Arbeit, dann durch die Hausarbeit und zuletzt als interfamiliäre Pflegekraft. Hinzu komme nicht nur die geringschätzige Anerkennung der Hausarbeit, sondern auch die durchschnittlich geringere Bezahlung gegenüber Männern. In Brasilien sei zusätzlich noch ein rassistisches Phänomen zu beobachten: Je dunkler die Hautfarbe, desto geringer der Lohn. Als Afrobrasilianer verdiene man ein Drittel weniger als Brasilianer ohne afrikanische Wurzeln.

Der Ökonom Dr. Luis Paulino der staatlichen Fernuniversität UNED, sprach über den Wandel des Staates und die damit verbundenen Auswirkungen auf die lateinamerikanischen Familien.

Im Rahmen der aktuellen internationalen Wirtschafts- und Finanzkrise sei Costa Rica die am zweitstärksten von der Krise betroffene Wirtschaft Lateinamerikas. Dies sorge zu Verstärkung der sozioökonomischen Ungleichheit, welche seit 1986 beständig gestiegen sei. Desweiteren ging auch er genauer auf die Situation der Frauen ein und hier im speziellen auf die Situation alleinerziehender Mütter. Deren Anzahl nehme zu und zwar insbesondere im ländlichen Raum. Diese prekäre Lage werde sich durch die Wirtschaftskrise wohl weiter verschlechtern, da das BIP dieses Jahr ein Defizit von 4 % aufweise. Um die negativen Folgen der Krise einzuschränken hat die Regierung den so genannten Plan Escudo entworfen, welcher unter anderem Einsparungen im öffentlichen Bereich vorsehe, d.h. auch im Budget von Sozialinstitutionen.

Der Demograph und Direktor des Zentralmerikanischen Zentrums für Bevölkerung der UCR Dr. Arodys Robles hielt seinen Vortrag über intergenerationale Transferenzen und familiäre Unterstützungsnetzwerke von Senioren.

Hierbei erklärte er zunächst die aktuellen demographischen Tendenzen Costa Ricas, welche denen Deutschlands ähneln. So hat die geschätze Bevölkerungspyramide Costa Ricas für 2040 fast die gleiche Form, wie die deutsche. Als Konsequenzen einer rückläufigen Geburtenrate und den steigenden Lebenserwartungen ist eine Zunahme der Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter zu erwarten. Ausserdem verfügen kleinere Haushalte im allgemeinen über höhere Mittel pro Person. Auch stelle sich die Frage, ob der demographische Wandel das Bildungsniveau beeinflusse, ob die geburtenschwachen Jahrgänge im Durchschnitt geringer oder besser gebildet sein werden.

Entgegen der allgemeinen Annahme fielen in Costa Rica die meisten Senioren ihren Familien jedoch nicht zur Last, sondern trügen ganz im Gegenteil sowohl materiell (durch ihre Ersparnisse, kleine „Nebengeschäfte“, den Anbau von Nahrungsmitteln), als auch logistisch und sozial zum Bestand der Familien bei (Hüten und Erziehung der Enkelkinder).

Der pensionierte Dozent des Institutes für Sozialarbeit der UCR Gerardo Casas gab einen guten historischen Überblick über die costaricanische Familienforschung. Er stellte die angewandten Paradigmen und Methoden, sowie die behandelten Themen von Ende des 19ten Jahrhunderts bis heute vor. In den Arbeiten costaricanischer Familienforscher dominierten traditionell die Systemtheorien. Dem zu Trotz fiele der Grossteil der Studien eher deskriptiv aus und stütze sich vor allem auf quantitavive Daten. Als interessante zukünftige Forschungsthemen schlug Casas die neuen Familienformen, Prozesse der sozialen Konstruktion von Familie, die Wechselwirkungen zwischen Familien und staatlichem Gesundheitssystem sowie zwischen Familien und Arbeitsmarkt vor.

Insgesamt war die Konferenz und ihre Themen sehr umfassend. Neben Studenten der UCR und ULICORI nahmen auch Interessierte aus Politik und Wirtschaft teil. Das Symposium konnte zur nationalen Diskussion über den Wert der Familie und die Ausrichtung der Sozialpolitik beitragen. Abzuwarten bleibt, wie sich dies bei anstehenden Sozialreformen auswirken wird.

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