Keine Provokation gegenüber Russland
Generalleutnant Martin Schelleis lieferte in einer Keynote grundlegende Fakten. Als Inspekteur der Streitkräftebasis ist er maßgeblich an der Durchführung des deutschen Beitrags beteiligt. DEFENDER-Europe 20 sei die größte militärische Übung in Europa seit 25 Jahren. Mit insgesamt 37.000 Soldatinnen und Soldaten aus 19 Nationen, davon 20.000 US-Amerikaner, liegt sie dennoch zahlenmäßig weit unter den Ausmaßen der großen REFORGER-Übungen des Kalten Krieges mit 125.000 Soldaten.
Nach dem Ende des Ost-West-Konflikts hätten Deutschland und seine Verbündeten die Landesverteidigung aus dem Blick verloren. Seit der Ukraine-Krise und der Annexion der Krim 2014 rücke sie jedoch wieder in den Vordergrund. Mit dem Ziel der Stärkung kollektiver Verteidigung gehe eine verstärkte Übungstätigkeit und die Einrichtung der von Deutschland geführten „Very High Readiness Joint Task Force“ (VJTF) in Brigadestärke einher. Dennoch solle man die Übung nicht als Provokation in Richtung Russland verstehen, sie gehöre vielmehr zur militärischen Normalität. Russland könne dies schon lange und übe regelmäßig Westverlegungen seiner Truppen. Deutschland, so General Schelleis, trage hier nicht zuletzt aufgrund seiner geopolitischen Lage in der Mitte Europas eine besondere Verantwortung. Es würde im Ernstfall als Transitraum, Aufmarschgebiet und rückwärtiges Einsatzgebiet fungieren. Ohne die „mindestens wohlwollende Unterstützung“ der Bevölkerung würde eine solche Verlegung im Ernstfall jedoch nicht gelingen - und leider fände der nötige öffentliche Diskurs trotzdem nicht statt.
Die USA ziehen sich nicht aus Europa zurück
Professor Varwick widersprach vehement der aktuell landläufigen Meinung, die USA würden sich sicherheitspolitisch aus Europa zurückziehen. DEFENDER-Europe 20 sei das beste Beispiel, dass die Amerikaner immer noch sehr viel politisches Kapital in die Verteidigung Europas stecken würden. Die aktuelle Vertrauenskrise sei vielmehr auch ein Kommunikationsproblem. Die Übung sei keine Provokation, so Varwick. Die Strategie der NATO sei ausgewogen und man halte sich an die NATO-Russland-Grundakte, also auch an den Verzicht auf größere Truppenstationierungen im ehemaligen Ostblock. Die Einrichtung der NATO-Battlegroups im Baltikum, an der sich zahlreiche NATO-Mitglieder beteiligten, sei ein „multinationaler Stolperdraht“ gegenüber einer möglichen russischen Aggression, der den Verteidigungswillen der NATO ausdrücke ohne seinerseits eine Aggression darzustellen.
Mehr in Verteidigung investieren
Der Verteidigungspolitiker und Bundestagsabgeordnete Johann Wadephul betonte seinerseits ausdrücklich die reale Gefahr einer russischen Aggression vor allem für das Baltikum – die nicht erst seit 2014 bestehe: Russland unter Präsident Putin versuche stetig seinen vormaligen Einflussbereich wiederherzustellen. Der Syrienkonflikt zeige, dass Russland aktiv versuche, militärische Kapazitäten der NATO zu binden. Weiterhin sei sich Putin bewusst, dass jeder Flüchtling, der nach Europa käme, die politische Lage in der EU destabilisiere. „Russland ist bereit und in der Lage, dazu seinen Einflussbereich auszudehnen“, so Wadephul. Leider fehle es aber oft am politischen Willen in der EU und der NATO, dem die nötigen Maßnahmen entgegenzusetzen. Deswegen sei es dringend geboten, die Investitionen in die Verteidigung zu erhöhen. Dies habe mindestens den Stellenwert der Grundrente, würde vom Finanzminister jedoch leider nicht ausreichend gewürdigt. Deutschland müsse dringend wieder mehr Infrastrukturprojekte auch in Hinsicht auf militärische Nutzung planen.
Woran hapert es?
Für General Schelleis ist es in erster Linie der Unwille der deutschen Bevölkerung und Politik, sich mit vermeintlich unangenehmen Themen auseinanderzusetzen. Deutschland würde viel zu langsam auf Herausforderungen reagieren. Würde man zum Beispiel über die Wiedereinführung der Wehrpflicht nachdenken, könne man froh sein, das innerhalb eines Jahrzehnts noch umsetzen zu können. Aber die Bundeswehr müsse sich auch nicht verzwergen, sie sei immerhin der zweitgrößte Truppensteller der NATO und 2023 werde Deutschland erneut die Führung der VJTF übernehmen. Sehr gut würde bei der aktuellen Übung die Zusammenarbeit der Bundeswehr mit Bundespolizei, Landespolizei, Ämtern und Unternehmen funktionieren.
Varwick sah neben der Bundeswehr, die auf den Konfliktfall nicht vorbereitet sei, fundamentale Fehlentwicklungen auf europäischer Ebene. So wurden die bisher vorgesehenen EU-Haushaltsmittel von 6,5 Milliarden Euro für „military mobility“ nach derzeitigen Planungen einfach gestrichen. Das zentrale Problem sei, dass sich die Politik nicht traue solche Themen der Bevölkerung zu vermitteln. Bedauerlich sei auch, dass DEFENDER-Europe 20 keine NATO-Übung sei. Die Europäer sollten sich stärker engagieren, was auch die Amerikaner zu Recht fordern würden. Dem zustimmend merkte Wadephul an, dass die Amerikaner und Japaner berechtigterweise fragen würden, warum kein deutsches Schiff im Ostchinesischen Meer sei. DEFENDER-Europe 20 sei auch als ein Angebot an Russland zu verstehen wieder „ins Geschäft zu kommen“: Indem man militärische Stärke zeige und gleichzeitig politisch die Hand reiche, um das Land aus der „politischen Schmuddelecke“ herauszuholen.
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