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Ein „zutiefst europäisches Land“ vor Herausforderungen

Europaforum zur Geschichte und Zukunft der ukrainisch-deutschen Beziehungen

Die jüngsten Zwischenfälle in der Straße von Kertsch verdeutlichen die angespannte geopolitische Lage, in der sich die Ukraine derzeit befindet. Zwischen Annäherung an die EU, Konflikt in der Ostukraine und Annexion der Krim ergeben sich eine Reihe von Herausforderungen aber auch Chancen für die Zukunft der ukrainisch-deutschen Beziehungen. In Rückblick auf die 100. Jährung der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der Ukraine und Deutschland diskutierten darüber am 13. Dezember auf Einladung von Dr. Hans-Gert Pöttering Vertreter aus Wissenschaft und Politik mit dem Botschafter der Ukraine, Dr. Andrij Melnyk.

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In seiner Begrüßung eröffnete Dr. Hans-Gert Pöttering, Präsident des Europäischen Parlamentes a.D. und Beauftragter für Europäische Angelegenheiten der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) das Forum mit dem Hinweis, dass die Ukraine und Deutschland bereits eine tausendjährige Geschichte verbindet. Er verdeutlichte die Sicht der KAS und Deutschlands, die Ukraine sei ein „zutiefst europäisches Land“, befinde sich gleichwohl aber in einer kriegsähnlichen Situation in der Ostukraine. Damit verbunden äußerte er die Hoffnung, dass die Ukraine zukünftig nicht nur ein freies aber auch ein friedliches Land sein werde.

Mit dem Blick auf die angespannte geopolitische Lage leitete Dr. Pöttering das bestimmende Thema des Europaforums ein – die jüngste Eskalation zwischen Russland und der Ukraine im Asowschen Meer und der Straße von Kertsch, bei der die russische Küstenwache Ende November drei ukrainische Marineschiffe beschoss, gerammt und schließlich aufgebracht hatte und 24 ukrainische Matrosen festnahm. Daraufhin verhängte die Ukraine das Kriegsrecht für 30 Tage in Teilen des Landes (siehe auch KAS-Länderbericht zum Thema).

Unter der Moderation von Dr. Richard Herzinger, Korrespondent für Politik und Gesellschaft bei „Die Welt“ diskutierten über diese Ereignisse und den deutschen Umgang damit Dr. Andrij Melnyk, LL.M., Botschafter der Ukraine in Deutschland, sowie die Obmänner im Auswärtigen Ausschuss Roderich Kiesewetter, MdB (CDU), Omid Nouripour, MdB (Bündnis 90/ Grüne) und Dr. Nils Schmid, MdB (SPD). Ergänzt wurde deren politische Sicht durch die geschichtswissenschaftliche Perspektive von Prof. Dr. Martin Schulze-Wessel von der Ludwig-Maximilians-Universität München, dem Vorsitzenden der Deutsch-Ukrainischen Historikerkommission.

Deeskalation der Lage

Einig waren sich alle Redner darin, dass das oberste Gebot der Stunde in der Deeskalation der gegenwärtigen Situation im Asowschen Meer liegt. Botschafter Melnyk erklärte, die Ukraine sei sich einig mit Deutschland, dass es keine militärische Antwort auf die Eskalation gebe, äußerte jedoch den Wunsch, auch in Europa zu überlegen, welche wirtschaftlichen Hebel sich einsetzen ließen, um dem russischen Vorgehen Einhalt zu gebieten. Dass die Ukraine zur Deeskalation beigetragen habe, bekräftigte auch Kiesewetter und verwies dabei auf die moderate Rolle des ukrainischen Parlamentes, der Werchowna Rada, die für eine abgeschwächte Verhängung des Kriegsrechts votiert hatte. Dr. Schmid betonte ebenfalls „wir wollen keine weitere Eskalation im Russland-Ukraine Konflikt“.

Gleichwohl bestanden Differenzen zwischen den Abgeordneten was die Frage neuer Sanktionen betrifft – etwas, dem sich der zeitgleich zum Europaforum tagende EU-Gipfel verweigert hatte. Dr. Schmid sprach sich dafür aus, vor der Verhängung neuer Sanktionen, zunächst die Chance für Deeskalation zu nutzen. Kiesewetter entgegnete dem, die Aufgabe der gewählten Volksvertreter sei auch, „deutlich zu machen, dass wir noch schärfer reagieren können und zwar nicht auf der militärischen Ebene, sondern dort, wo es Russland weh tut: auf der ökonomischen Ebene“. Er brachte darüber hinaus in Spiel, Deutschland solle seine Mitgliedschaft im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen im Jahr 2019 nutzen, um dieses Thema auf die Tagesordnung zu setzten. Auch regte er ein internationales „Sea Policing“ der Durchfahrt im Asowschen Meer an. Dies ergänzte Botschafter Melnyk, der eine Ausweitung der OSZE-Beobachtermission auf das Asowsche Meer zur Debatte stellte. Dieser Vorstoß wird bislang jedoch von Russland abgelehnt.

Mehr strategischer Mut

Kontrovers wurde auch das Projekt Nord Stream 2 diskutiert, bei dem sich alle Redner einig waren, dass es wichtig sei, die politische Dimension des Energieprojektes zu benennen, anstatt auf dessen wirtschaftlicher Natur zu beharren. Nouripour forderte sogar eine vollumfängliche Aufgabe von Nord Stream 2. Kiesewetter gab dabei zu bedenken, dass die Pipeline von privaten Firmen gehandhabt wird. Da die Bundesrepublik eine Haftung eingegangen sei, müssen auch die Kosten, die mit einem Ausstieg verbunden seien, kommuniziert werden. Trotzdem solle geprüft werden, „ob wir es uns leisten können einige Zeit darauf zu verzichten“.

Zuletzt unterstrich Botschafter Melnyk die Wichtigkeit von mehr strategischem Mut in Berlin und Brüssel, um die Ukraine-Politik in einem positiven Sinne zu gestalten. Derzeit werde in der Öffentlichkeit in erster Linie Krieg und Krise wahrgenommen. Jedoch solle es Anspruch und Aufgabe der Ukraine und Deutschlands sein, „dass die Ukraine eben aus diesem Schatten heraustritt“ und zu zeigen, welche Potenziale die Ukraine für Europa hat. In diesem Sinne hob Nouripour die Transformation des Landes positiv hervor, die es trotz des gewaltigen Druckes weiter absolviere und nannte die Ukraine „das europafreundlichste Land in Europa“. Kiesewetter äußerte die Hoffnung, dass die Leuchtkraft Europas für die regelbasierte Ordnung über die anstehenden Europawahlen hinaus andauere und solche Kräfte unterstütze, die den ukrainischen Staat stärken und eine Annäherung an die Europäische Union vorantreiben.

Geschichtliche Parallelen zur Gegenwart

Der Kreis der anwesenden Historiker hob auch die Geschichte und deren nicht zu unterschätzende Relevanz für die Gegenwart des ukrainisch-deutschen Verhältnisses hervor. So räumte Schulze-Wessel mit vereinfachten geschichtlichen Gegensätzen, wie dem der „russischen Befreier“ und der „ukrainischen Kollaborateure“ im zweiten Weltkrieg, aber auch der historischen Frage ob die Ukraine überhaupt eine Nation sei auf.

Im Rahmen des Europaforums wurden zudem zwei historische Projekte vorgestellt. Die ukrainischen Historiker Prof. Dr. Iryna Matiash und Prof. Dr. Ihor Zhaloba präsentierten eine von der Hans-Seidel-Stiftung mitgeförderte Ausstellung zur Geschichte der deutsch-ukrainischen Beziehungen. Zudem stellten Enrico Seewald und Matthias Dornfeldt ihre Studie „Deutschland – Ukraine: Hundert Jahre diplomatische Beziehungen“ vor, welche unveröffentlichtes Aktenmaterial von der ersten völkerrechtlichen Anerkennung der Ukraine durch Deutschland bis hin zur Wiederherstellung der diplomatischen Beziehungen nach dem Zerfall der Sowjetunion zusammenstellt. Enrico Seewald hob vor allem die geschichtlichen Parallelen zur Gegenwart als interessant hervor und unterstrich, wie die Ereignisse von vor hundert Jahren auch ein Stück weit die heutige Sicht auf Deutschland in der Bevölkerung der Ukraine erklären.

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Philipp Dienstbier

Philipp Dienstbier

Leiter des Regionalprogramms Golf-Staaten

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