Reportajes internacionales
Präsidentschaftswahlen in Slowenien
Die Präsidentschaftswahlen finden unter der im Juni dieses Jahres ins Amt gekommenen Golob-Regierungskoalition statt, die sich aus der Freiheitsbewegung Gibanje Svoboda (GS), den Linken (Levica) und den Sozialdemokraten (SD) zusammensetzt. Am 23. Oktober waren 1.696.893 wahlberechtigte Sloweninnen und Slowenen dazu aufgerufen, in direkter Wahl ihr neues Staatsoberhaupt zu bestimmen. Die Amtszeit beträgt fünf Jahre, eine Wiederwahl ist nur einmalig erlaubt. Kann beim ersten Wahlgang keiner der Kandidierenden eine Mehrheit der Stimmen auf sich vereinen, muss innerhalb von 21 Tagen - hier am 13. November 2022 - im zweiten Wahlgang eine Stichwahl zwischen den beiden Bestplatzierten entscheiden.
Um sich für das Amt des Präsidenten zu bewerben, müssen Kandidierende nach dem slowenischen Wahlgesetz eines von drei Kriterien erfüllen: Sie verfügen über die Unterstützung von mindestens zehn Mitgliedern der Nationalversammlung; sie können Unterschriften von mindestens 5.000 Wählerinnen und Wählern vorweisen; sie werden durch eine (oder mehrere) Parteien unterstützt zuzüglich der Unterstützung von mindestens drei Mitgliedern der Nationalversammlung oder der Vorlage von 3.000 Unterschriften. Jede politische Partei kann ihren Zuspruch jedoch nur einem Kandidierenden aussprechen. Dennoch wird erwartet, dass das Staatsoberhaupt über jeglicher Parteipolitik steht.
Obgleich Repräsentant des Landes in Innen- und Außenbeziehungen als auch Oberbefehlshaber der slowenischen Streitkräfte, ist die Stellung des Präsidenten hauptsächlich repräsentativer Natur und verfügt über keine Exekutivgewalt. Dennoch schlägt er u. a. Ministerpräsidenten, Mitglieder des Verfassungsgerichtshofes sowie des Justizrats vor, verfügt über ein Begnadigungsrecht und kann Wahlen zur Staatsversammlung ausrufen. Interessanterweise und gegenteilig zu den meisten anderen Staatsoberhäuptern der Welt verfügt der slowenische Präsident nicht über politische Immunität.
Sieben Kandidierende befanden sich im Rennen um das Amt des fünften demokratisch gewählten Staatspräsidenten des Landes seit seiner Unabhängigkeit 1991, darunter zwei Frauen und fünf Männer. Vorgänger des amtierenden Präsidenten Pahor (zwei Amtszeiten) waren Milan Kučan (ebenso zwei Amtszeiten), Janez Drnovšek sowie Danilo Türk.
Das (fehlende) politische Vermächtnis des Borut Pahor
Borut Pahor, der amtierende Staatspräsident, ging aus den Wahlen 2017 im zweiten Wahlgang mit 51,1% der Stimmen als Sieger hervor. Die Wahlbeteiligung von 42,1% markierte den niedrigsten Partizipationswert in der kurzen Geschichte der slowenischen Demokratie. Bereits zwischen 2008 und 2012 bekleidete Pahor das Amt des Ministerpräsidenten. Im Dezember 2012 wurde er dann als Staatspräsident vereidigt. Aufgrund der Amtszeitbeschränkung ist es ihm nicht möglich, erneut zu kandidieren.
Doch es ist der erste Staatspräsident des Landes, Milan Kučan, der den Menschen in Erinnerung geblieben ist und bis heute als Vorbild für seine Nachfolger gilt. Pahor hingegen hinterlässt kein einschneidendes politisches Erbe. Vielmehr nahm er zumeist die passive Rolle des Beobachters ein und mischte sich im Wesentlichen nicht in wichtige Angelegenheiten ein - auch wenn der Staatspräsident als moralische Instanz fungieren sollte. Zum Unmut des slowenischen Volkes verkündete Borut Pahor, dass er sich eben nicht als solche Instanz der Moral wahrnehme. Auch wird vom Präsidenten erwartet, dass er mit gutem Beispiel vorangeht, Grundfreiheiten und Menschenrechte als integrale Bestandteile des Rechtsstaates schützt und als Hüter der verfassungsmäßigen Ordnung agiert - der Bevölkerung nach hätte Pahor dem besser nachkommen müssen.
Die Bedeutung der Wahl zwischen Theorie und Praxis
Eine im Oktober 2022 vom KAS-Länderbüro in Auftrag gegebene Studie des Marktforschungsinstituts Episcenter in Ljubljana mit 1250 Teilnehmenden kam zu dem Ergebnis, dass lediglich 13% der Befragten die Präsidentschaftswahlen für am wichtigsten halten. Dagegen empfinden 71% dies für die Parlamentswahlen. Obschon es dabei um das höchste politische Amt des Landes geht, das fähige und zukunftsweisende Politikerinnen und Politiker erfordert, reflektieren diese Zahlen das mangelnde Interesse der Bevölkerung an den Präsidentschaftswahlen. Seit Beginn des Wahlkampfs am 22. September 2022 hat dieser weder in der slowenischen Öffentlichkeit noch auf internationaler Ebene große Aufmerksamkeit erregt.
Ein Duell um das Amt
Nach der Deadline am 28. September 2022 gingen sieben Kandidatinnen und Kandidaten am Sonntag in das Rennen um das höchste Amt des Landes. Im ersten Wahlgang traten Milan Brglez (SD), Anže Logar (SDS), Janez Cigler Kralj (NSi), Miha Kordiš (Levica), Nataša Pirc Musar (unabhängig), Vladimir Prebilič (unabhängig) und Sabina Senčar (Resni.ca) an. Als Favoriten in der öffentlichen Aufmerksamkeit zeichneten sich zunächst Logar, Brglez und Pirc Musar ab.
Nach dem ersten Wahlgang am vergangenen Sonntag mit einer Wahlbeteiligung von 51.27% konnte Milan Brglez (55), selbst Sozialdemokrat, nur knapp 15% der Stimmen auf sich vereinen. Er wurde von der Regierungskoalition des Ministerpräsidenten - der Freiheitsbewegung (GS) und seiner Partei (SD) -unterstützt. Seine Zielgruppe waren Wählerinnen und Wähler der Mitte und Mitte-links.[1]
Als Sieger der ersten Runde geht Anže Logar (46) mit rund 34% hervor. Er gehört der Slowenischen Demokratischen Partei (SDS) an und war von 2014 bis 2020 Mitglied der Nationalversammlung, anschließend bekleidete er das Amt des Außenministers von 2020 bis 2022. Logar ist promovierter Soziologe und reichte seine Kandidatur mit der Unterstützung von 13.000 Unterschriften ein, 5.000 sind für eine Bewerbung nötig. Somit gilt er trotz der Unterstützung der Partei des ehemaligen Ministerpräsidenten Janša als unabhängiger Kandidat. Logar will sich u. a. für die Wirtschaft, Partizipation junger Menschen und eine grüne Transformation einsetzen. Er zielt auf die Wählerschaft der rechten Mitte ab. Eine Aufspaltung des Mitte-Rechts-Lagers durch die Kandidatur des NSi-Kandidaten Janez Cigler Kralj fand anders als von vielen Beobachtern erwartet, nicht wirklich statt. Sein Ergebnis fiel mit 4,35% der abgegebenen Stimmen dafür zu niedrig aus.
Nataša Pirc Musar (54) ist promovierte Juristin und gilt durch die Unterstützung von 14 Mitgliedern der Nationalversammlung als unabhängige Kandidatin, darunter finden sich auch die Unterschriften der zwei ehemaligen Präsidenten Milan Kučan und Danilo Türk. Pirc Musar erhielt knapp 27% der Stimmen und trifft somit in der Stichwahl am 13. November auf Anže Logar. Sie machte sich bereits in der Vergangenheit für den Kampf gegen Armut, Menschenrechte und Chancen für junge sowie alte Menschen stark. Da sie nicht zu den etablierten parteipolitischen Strukturen gehört, kann sie das gesamte Wählerspektrum ansprechen und könnte die erste weibliche Staatspräsidentin in der Geschichte Sloweniens werden.
Der bereits erwähnten Umfrage des Instituts Episcenter zufolge (Datenerhebung im Zeitraum vom 6. bis 10. Oktober 2022) halten die Sloweninnen und Slowenen Anže Logar mit 28% der Stimmen für den am besten geeigneten Kandidaten. Nataša Pirc Musar folgt mit rund 19%. Miha Kordiš (Levica) trat auch zur Wahl an, ihm hingegen wurde das Amt des Staatspräsidenten am wenigsten zugetraut. Mit weniger als drei Prozent der Stimmen spiegelt sich dies auch in den Wahlergebnissen der ersten Runde wider. Die meisten Befragten der Studie halten es für besonders wichtig, dass der Staatspräsident Sloweniens über Schlüsseleigenschaften wie Fairness (93%), Kompetenz (84%) und Aufrichtigkeit (75%) verfügt, gefolgt von Umsichtigkeit und Kooperation.
Die Studie rechnet bei dem jetzt feststehenden Kandidaten mit einem knappen Ausgang der Wahl: Bei 521 Befragten würden sich 43% erstmalig für eine weibliche Staatspräsidentin entscheiden, 42% der Wählenden würden ihre Stimme Logar geben und 15% sind noch unentschlossen. Somit bleibt die Stichwahl in drei Wochen spannend.
Mit Logar erhält die Slowenische Demokratische Partei (SDS) erstmals die Chance, das Staatsoberhaupt zu stellen. Als sozialistisches Erbe nehmen linksorientierte Wählerinnen und Wähler das Amt tendenziell ernst und infolgedessen auch die Wahl, was bisher dazu führte, dass fast alle Präsidenten Sloweniens seit der Unabhängigkeit aus dem Mitte-links-Lager stammten. Mit Logar, Mitglied von Janšas rechtskonservativer SDS, könnte sich das in der diesjährigen Wahl erstmals ändern.
Die Lage im Land
Die Situation in Slowenien ist angespannt: insbesondere nach der Covid-19-Pandemie, dem Krieg in der Ukraine, Korruption, Rezession in der Welt und steigender Inflation. Das Land kämpft mit der ehemals durchgeführten Privatisierung staatlichen Eigentums und auch die dringend benötigten Reformen bleiben eine Herausforderung für den slowenischen Staat. Dieser muss Anreize für ausländische Investoren und ein lohnendes Geschäftsumfeld schaffen, um die Wirtschaft im Land anzukurbeln und so vor allem auch der jungen Generation, bei der bereits ein Abwanderungstrend zu beobachten ist, eine sichere Zukunftsperspektive zu bieten.
Neue Dynamik durch neues Staatsoberhaupt?
Um seine Entwicklung weiter anzukurbeln, muss Slowenien innere Spannungen abbauen, seine Position in internationalen Organisationen und der EU stärken sowie neue Märkte erschließen bzw. bestehende ausbauen. Vom neuen Staatsoberhaupt Sloweniens wird daher erwartet, das Land auf regionaler und internationaler Ebene voranzubringen und bei der Schaffung einer besseren politischen und gesellschaftlichen Atmosphäre beizutragen. Es benötigt neue Impulse in der politischen Arena Sloweniens, politische Führung und neue Ziele für die Zukunft des Landes. Dennoch ist das Amt des Staatspräsidenten vorwiegend repräsentativer Natur mit wenig wirklicher Entscheidungsgewalt. Mit moralisch-politischer Legitimation ausgestattet, könnte die nächste Amtsinhaberin oder Amtsinhaber allerdings die richtigen Impulse an der richtigen Stelle setzen, um die nötige Dynamik anzukurbeln.
Ausblick
Die slowenischen Wählerinnen und Wähler werden im nächsten Monat noch drei Mal zur Wahl gebeten: Da beim ersten Wahlgang niemand eine Mehrheit auf sich vereinen konnte, findet am 13. November die zweite Runde der Präsidentschaftswahl statt. Darauf folgen die Lokal- und Bürgermeisterwahlen am 20. November. Den Abschluss des Superwahljahres bildet das noch zu terminierende Referendum-Trio, in dem über Änderungen des Rundfunkgesetzes, des Regierungsgesetzes sowie des Gesetzes über Langzeitpflege abgestimmt werden soll sowie die Wahlen zum Nationalrat.
In den ersten Bewertungen insbesondere der internationalen Medien wird die Präsidentschaftswahl als Richtungswahl dargestellt: Werden sich die Slowenen für einen Kurs der tieferen europäischen Integration und eine liberale Politik entscheiden (Pirc Musar) oder für eine euroskeptische, konservative und migrationsfeindliche Ausrichtung?
Dies greift in seiner holschnittartigen Bewertung zu kurz. Slowenien und seine Bürgerinnen und Bürger sind proeuropäisch. Des Weiteren hat sich an dieser Einstellung auch während der EU-Ratspräsidentschaft in der Regierungszeit Janša und unter Beteiligung des damaligen Außenministers Logar nichts geändert. Im Gegenteil: Die Präsidentschaft stand weitestgehend in der Tradition der vorhergehenden Präsidentschaften (unter anderem der deutschen). Schließlich ist das Amt des Präsidenten, wie bereits erwähnt, zeremoniell. Sein Einfluss auf die Tagespolitik ist sehr gering. Insofern kommt dem Ministerpräsidenten und seiner Regierungskoalition eine weitaus größere Rolle für die politische Ausrichtung des Landes zu. Sollte es zu einem Wahlsieg von Anže Logar kommen, so hätte das vermutlich eher mit seiner Persönlichkeit und seinem Angebot, als Präsident über Parteiinteressen stehen zu wollen, zu tun, sowie der Neigung der slowenischen Wählerschaft, in den verschiedenen Staatsämtern einen parteipolitischen Ausgleich herstellen zu wollen.
[1] vollständiges Ergebnis auf Englisch unter https://volitve.dvk-rs.si/vp2022/en/#/rezultati
Proporcionado por
Political Academy in Sidirokastro, Serres
Temas
Sobre esta serie
La Fundación Konrad Adenauer está representada con oficina propia en unos 70 países en cinco continentes . Los empleados del extranjero pueden informar in situ de primera mano sobre acontecimientos actuales y desarrollos a largo plazo en su país de emplazamiento. En los "informes de países", ellos ofrecen de forma exclusiva a los usuarios de la página web de la fundación Konrad Adenauer análisis, informaciones de trasfondo y evaluaciones.