Die Spaltung der Demokratischen Partei
Nach der Niederlage bei den Parlamentswahlen im Juni 2020 musste der damalige Vorsitzende der Demokratischen Partei (DP), S. Erdene, gemäß der Parteisatzung zurücktreten. Sein Stellvertreter und ehemaliger Generalsekretär Ts. Tuvaan erklärte sich zur kommissarischen Führung der Partei bereit. Zusammen mit dem aufstrebenden Jungpolitiker P. Nurzed plante er eine Reform der Satzung und die Wahl einer neuen Führung. Aufgrund der kurz darauf folgenden Kommunalwahlen und des Ausbruchs des COVID-19-Virus in der Mongolei konnte jedoch erst im Dezember auf einem digitalen Parteitag die neue Satzung verabschiedet werden.[i] Etwa zu dieser Zeit begann Erdene wieder häufiger öffentlich aufzutreten. Inhalt seiner Äußerungen war häufig die Kritik an der neuen Führung und ein angeblich zu großer parteiinterner Einfluss durch den Staatspräsidenten Kh. Battulga. Zweifellos macht Erdene Battulga persönlich für die verlorenen Parlamentswahlen und seinen anschließenden Sturz verantwortlich. Seine öffentliche Kritik nach monatelangem Schweigen überraschte dennoch viele innerhalb der DP, nachdem er zunächst angekündigt hatte, sich nicht in den Wiederaufbau der Partei einzumischen. Nachdem es Erdene am 25. Dezember 2020 in einer Nacht-und-Nebel-Aktion gelungen war, sich durch die mongolische Registrationsbehörde einen neuen Parteistempel ausstellen zu lassen, beanspruchte er erneut öffentlich die Führung der Partei für sich.[ii]
Warum die zentrale Registrierungsbehörde ihm einen neuen Stempel ausstellte und damit Tuvaans juristische Legitimität untergrub, ist bis heute ungeklärt. Vorsichtige Beobachter vermuten, dass Erdene den Verlust des Parteistempels vorgab und so eine Neuausstellung erzwang. Nicht wenigen in der Partei erscheint der 25. Dezember jedoch als Ausgangspunkt für ein Komplott, um die größte Oppositionspartei des Landes vor den anstehenden Präsidentschaftswahlen zu spalten. Denn es bleibt schwer zu erklären, wie Erdene die Behördenmitarbeiter vom Verlust eines Stempels überzeugen konnte, den er offiziell seit Monaten nicht mehr besaß. Im Januar weigerte sich das Oberste Gericht zwar, Erdene als Vorsitzenden der Partei registrieren.[iii] Jedoch lehnte das Gericht es ebenfalls ab, Tuvaans kommissarischen Parteivorsitz sowie die auf dem digitalen Parteitag beschlossene Satzung zu bestätigen. Der juristische Versuch einer Klärung des Streits zieht sich damit seit Monaten hin. Trotzdem riefen beide Lager simultan am 28. März die knapp 200.000 DP-Mitglieder zur Abstimmung über ihren jeweiligen Parteivorsitz auf. Seitdem gibt es zwei gewählte Parteivorsitzende der DP: den 42-jährigen M. Tulgat in Erdenes Lager und den neugewählten Abgeordneten aus Uws, Ts. Tsogtgerel.
Zwei Kandidaten, eine Partei?
Der alten Parteisatzung folgend musste die DP einen Kandidaten für die Präsidentschaftswahlen am 9. Juni 2020 in einer parteiinternen Abstimmung wählen. Das mongolische Wahlgesetz besagt jedoch, dass jede im Parlament vertretene Partei nur einen Kandidaten für die Präsidentschaftswahlen nominieren darf. Ein Kandidat, der nicht von einer Partei nominiert wird, die mindestens einen Sitz im Parlament hat, ist von der Kandidatur ausgeschlossen. Sowohl die DP um Tsogtgerel als auch Erdene hatten jedoch eine solche Kandidatenwahl angekündigt und nahmen dabei in Anspruch, die DP zu vertreten. Der amtierende Präsident Battulga durfte erst gar nicht auf den Wahlzetteln erscheinen, da das Oberste Gericht ihn am 16. April 2021in einer umstrittenen Entscheidung von einer zweiten Amtszeit ausgeschlossen hat.[iv] Am 1. Mai gab Tuvaan schließlich bekannt, dass N. Altankhuyag die interne Wahl gewonnen hatte. Der ehemalige DP-Premierminister und einzige derzeitige Abgeordnete, der als Unabhängiger ins Parlament gewählt wurde, setzt sich seit Jahren für eine gleichmäßige und gerechte Verteilung der natürlichen Ressourcen der Mongolei ein. Gleichzeitig wurde Erdene als Überraschungssieger seiner eigenen Wahlen bekannt gegeben. Ein Ergebnis, das zu einer sofortigen schriftlichen Distanzierung aller anderen innerparteilichen Kandidatinnen und Kandidaten, aller DP-Abgeordneten sowie aller DP-Provinzverbände des Landes von ihm führte. Die Reaktion fiel auch deshalb so deutlich aus, da es vielen als unrealistisch galt. So belegte er in seinem eigenen Wahlkreis bei den letzten Parlamentswahlen weit abgeschlagen den sechsten Platz.
In Schlafsäcken vor dem Parlament
Trotz dieser eindeutigen Positionierung der Partei reichte Erdene am 5. Mai 2021 fristgerecht seine Unterlagen zur Registrierung als DP-Präsidentschaftskandidat bei der Nationalen Wahlkommission ein. Laut mongolischem Wahlgesetz muss jede im Parlament vertretende Partei zunächst ihren Kandidaten bei der Kommission registrieren lassen. Der Wahlleiter wird von der Regierung ernannt. Zurzeit ist dies P. Delgernaran, ein enger politischer Weggefährte des ehemaligen Premierministers und Präsidentschaftskandidaten der Mongolischen Volkspartei (MVP), U. Khurelsukh. Nachdem Altankhuyag ebenfalls seine Unterlagen als Kandidat der DP bei der Wahlkommission einreichte, forderte diese die Partei auf, sich bis 00:00 Uhr auf einen Kandidaten zu einigen. Noch am Abend kündigte die DP-Fraktion im Parlament einen Hungerstreik auf dem zentralen Sukhbaatar-Platz für den Fall an, dass tatsächlich Erdene als Kandidat registriert werden sollte. Nach Mitternacht verkündete die Wahlkommission schließlich, nur Erdenes Unterlagen zu akzeptieren.[v] Die Begründung versetzte Abgeordnete und Partei in Unglauben: Durch die andauernden juristischen Streitigkeiten sähe sich die Kommission nicht in der Lage, den rechtlichen Vertreter der DP zu bestimmen. Der letzte unumstrittene Führungswechsel sei Erdenes Wahl zum Parteivorsitzenden im Jahr 2017 gewesen.
Seitdem harren die Parlamentarier Tag und Nacht in Schlafsäcken auf dem Platz vor dem Parlament aus. In den ersten Tagen des Hungerstreiks versuchte die Polizei, den Platz großräumig abzuriegeln, Journalisten wurde teilweise der Zugang untersagt. Doch endete am dritten Tag des Hungerstreiks der COVID-bedingte nationale Lockdown und damit die vordergründige Rechtfertigung für die Absperrung. Noch am gleichen Tag kam es zu unschönen Szenen für die Partei, als der alternde ehemalige Bürgermeister Ulan Bators, E. Bat-Uul, zusammen mit Tulgat, dem Vorsitzenden der Erdene-Partei, den Platz betrat. Bat-Uul genießt zwar den Status eines gealterten Vorkämpfers der demokratischen Revolution, gehört aber neben dem umstrittenen Ex-Präsidenten Ts. Elbegdorj zu den wenigen verbleibenden Verbündeten Erdenes. In der Menge kam es zu wütenden Diskussionen zwischen den anwesenden Unterstützern der Hungerstreikenden und den beiden Politikern. Diese gipfelten in einem Handgemenge, in dem Bat-Uul vor laufenden Kameras die Mütze vom Kopf gerissen wurde. Der regierenden MVP kommen solche Bilder gelegen, versucht sie doch, den Konflikt als rein DP-interne Angelegenheit darzustellen. Als theatralisches i-Tüpfelchen bedauerte der zur MVP gehörende Parlamentssprecher G. Zandanshatar die Uneinigkeit der DP und forderte sie auf, den Streit doch abseits der Öffentlichkeit innerhalb der Partei zu lösen.[vi]
Nur ein parteiinternes Problem?
Noch mag es der MVP gelingen, diese Entwicklungen als interne Probleme der notorisch zerstrittenen DP darzustellen. Dennoch werfen die Verstrickungen wesentlich grundsätzlichere Fragen hinsichtlich der Gefährdungen der mongolischen Demokratie auf. Da die ursprüngliche Neuvergabe des Parteistempels an Erdene durch die zentrale Registrierungsbehörde anscheinend unrechtmäßig war, gab es für die DP kaum eine Möglichkeit, die jetzige Situation zu vermeiden. Zuerst wurde dem amtierenden Präsidenten durch eine umstrittene Gerichtsentscheidung ein erneutes Antreten verwehrt. Dann wurde die DP nach einer scheinbar fehlerhaften Entscheidung der zentralen Registrierungsbehörde endlosen Gerichtsprozessen ausgesetzt, die mit einer Nicht-Zulassung Althankhuyags endeten. Auch wenn in einem noch laufenden Gerichtsverfahren nächste Woche die „Stempelfrage“ gegen Erdene entschieden werden sollte, folgt der Weg durch die Instanzen. Eine abschließende Entscheidung des Obersten Gerichts ist nicht bis nach den Wahlen am 9. Juni zu erwarten. Sollte das Oberste Gericht dann Erdenes Gang zur zentralen Registrationsbehörde endgültig für unrechtmäßig erklären, käme dies für die DP zu spät.
Ein Wahlkampf mit ausgewählten Gegnern
Zeitgleich mit dem sich zuspitzenden Konflikt in der Opposition kündigte die Mongolische Revolutionäre Volkspartei (MRVP) vor wenigen Wochen an, mit der regierenden MVP zu fusionieren. In einem Interview bekannte der ehemalige Staatspräsident und Vorsitzende der Partei N. Enchbajar, dass dafür seinen Gefolgsleuten die Leitung dreier Ministerien in Aussicht gestellt wurde.[vii] Der einzige Abgeordnete und potenzielle Präsidentschaftskandidat der Partei S. Ganbaatar blieb bei dem Deal außen vor. Nun gezwungenermaßen parteilos, trat er der DP bei und schloss sich dem Hungerstreik vor dem Parlament an. Damit verbleibt neben der DP nur noch die HUN-Partei in der Opposition. Ob es ihrem Kandidaten D. Enkhbat gelingen kann, die Anti-MVP-Stimmen zu sammeln, bleibt nach einer Reihe an Konflikten zwischen der DP und der HUN-Partei zumindest fraglich. Auch wenn Erdene bei den Präsidentschaftswahlen kaum über den dritten Platz hinauskommen wird, so werden seine Stimmen Enkhbat fehlen. So ist es nicht unwahrscheinlich, dass Khurelsukh die Abstimmungen bereits im ersten Wahlgang für sich entscheiden kann.
Keine Frage: Fehler können in jeder Bürokratie passieren. Doch scheint in der Mongolei am Ende stets Khurelsukh von diesen zu profitieren. Besonders gelegen kommt dies dem ehemaligen Premierminister und MVP-Präsidentschaftskandidaten unter dem Eindruck schwindender Zustimmungswerte. Nachdem er vor drei Monaten unter dem Vorwand eines vergleichsweise kleinen Skandals im Gesundheitswesen zurücktrat, misstrauen viele Mongolen seiner Fähigkeit, das Land durch schwierige Zeiten zu führen.[viii] Dass die größte Oppositionspartei des Landes nun zweimal in Folge einen Präsidentschaftskandidaten zugunsten des geschwächten und parteiintern geächteten Erdenes verliert, kommt gelegen. Khurelsukh steht damit in diesem Monat sicherlich ein ungewöhnlich leichter Wahlkampfstart bevor.
[i] Адъяамаа, Ш. (2020): АН Их хурлаараа дүрмийн өөрчлөлтөө хэлэлцэж байна, in news.mn. Online verfügbar unter: https://news.mn/r/2384299/?fbclid=IwAR3pHihOl7GKQ62HMpohV_Z1XNi0y3e2O_-1ymjGLdelBA97SeXzB_saqhY, zuletzt geprüft am 10.05.2021.
[ii] Isee (2021): ШУУРХАЙМЭДЭЭ: Ц.ТувааныхэрэглэжбуйАН-ынтамгыгУБЕГ-аасхүчингүйболгожээ, in Isee, online verfügbar unter: http://isee.mn/n/16897?fbclid=IwAR0vVRrMbRrzdupPLGfyxu-AFN5BFd6LYJqDDWgPJLVHwr_L1ueCNkVCAd0, zuletzt geprüft am 10.05.2021.
[iii] Oberstes Gericht der Mongolei (2021): Ардчилсан намаас ирүүлсэн хүсэлтийг шийдвэрлэлээ, online verfügbar unter: http://www.supremecourt.mn/news/560?fbclid=IwAR2VvwFiCwyntKx2aEeMh0Fd9dMFWaAKgzJBTTUKbieom3mRH6625Ca_y8A, zuletzt geprüft am 06.04.2021.
[iv] Mehr zur umstrittenen Gerichtsentscheidung: http://blogs.ubc.ca/mongolia/2021/guest-post-constitutional-ruling-incumbent-president-parliament/ [Fuhrmann, Johann; Duckstein, Max (2021): Democracy in Danger? A Court Ruling with Serious Implications for Mongolia’s Future.]
[v] Төгөлдөр, А. (2021): С.Эрдэнийн бичиг баримтыг СЕХ хүлээн авчээ, in Ikon news. Online verfügbar unter: https://ikon.mn/n/27m3?fbclid=IwAR3hszfAWxnKgChUG841mPu-ukC9BoMJ9-FNU1ST9JHj8yEurx10JDVzKIw, zuletzt geprüft am 10.05.2021.
[vi] Өлзийбаяр, Т. (2021): Г.Занданшатар: Ардчилсан намын дотоод зөрчлийг бид яаж шийдэх юм бэ? Намаа шинэчил. Online verfügbar unter: https://ikon.mn/n/27mm?fbclid=IwAR3tT9Dy67Qb1bEroRPc561kfU8X05fdpTBry5qrTVF1rRxDBMjUB58sWa0, zuletzt geprüft am 10.05.2021.
[vii] Ubn (2021): Н.Энхбаяр гурван яам, хоёр ТНБД-ын суудал өгвөл МАН-тай хүч хавсарч сонгуульд орно гэдэг болзол тулгажээ, in UB News. Online verfügbar unter: https://www.ubn.mn/p/12286?fbclid=IwAR2YxVd7K0XCSeQiknkpoC5sUprQf1DQq56JxCyg7_811gAWrpxRr-Fe-cg, zuletzt geprüft am 10.05.2021.
[viii] Fuhrmann, Johann; Duckstein, Max (2021): Rücktritt der mongolischen Regierung, in KAS Länderberichte. Online verfügbar unter: https://www.kas.de/de/web/mongolei/laenderberichte/detail/-/content/mongolische-regierung-tritt-zurueck, zuletzt geprüft am 10.05.2021.
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