Costa Rica ist nach wie vor eine der stabilsten und am besten entwickelten Demokratien Lateinamerikas. Allerdings schlägt sich auch in dem mittelamerikanischen Vorzeigeland die wachsende Politikverdrossenheit in der sinkenden Wahlbeteiligung nieder. Lediglich 31,96 Prozent aller Wahlbeteiligten machten von ihrem Wahlrecht Gebrauch. 2020 lag diese Zahl noch bei 36,4 Prozent. Für Kontroversen sorgten im Vorfeld der Wahlen zudem verbale Attacken von Anhängern der Regierung, deren Parteien aus Formgründen von der Bürgermeisterwahl ausgeschlossen worden waren, gegen den renommierten Obersten Wahlgerichtshof. Trotzdem bescheinigen Beobachter und Analysten dem Land erneut höchste demokratische Standards. Nach bisherigen Angaben verlief die Wahl ohne Zwischenfälle.
Zur Wahl standen 6.212 Kommunalpolitiker und -politikerinnen.[1] Costa Rica gliedert sich in sieben Provinzen und 84 Kantone[2]. Jeder Kanton besteht aus mehreren Bezirken (distrito). Gewählt wurden 84 Bürgermeister, die einem Kanton vorstehen (alcalde) und jeweils zwei stellvertretende Bürgermeister (vicealcalde). Jeder Kanton verfügt über ein Parlament (concejo municipal), das in etwa einem Kreistag entspricht und dessen Mitglieder 'regidores' genannt werden. Zusätzlich zu den stimmberechtigten Kreistagsabgeordneten werden pro Bezirk ein Bezirksvertreter (síndico), der die Belange des Bezirks in den Kreistagen auf Kantonsebene vertritt, und vier Bezirksräte (concejales) gewählt, die den Bezirksvertreter unterstützen.
Wahlen geprägt von Neuerungen
In drei zentralen Punkten unterschieden sich diese Wahlen von vorhergehenden Kommunalwahlen:
Besonders machte diese Wahl, dass infolge mehrerer Korruptionsskandale auf kommunaler Ebene erstmals die uneingeschränkte Wiederwahl per Gesetzesänderung abgeschafft wurde. Ein amtierender Bürgermeister kann sich nunmehr lediglich einmal zur Wiederwahl aufstellen lassen, also maximal über zwei ununterbrochene Wahlperioden regieren. Infolgedessen konnten 47 amtierende Bürgermeister nicht mehr zur Wahl antreten.
Zudem wurde zum ersten Mal in der Geschichte der Kommunalwahlen die Quotenregel zur Geschlechterparität vollumfänglich angewandt. Seit 2009 ist die sogenannte vertikale Parität Vorschrift, gemäß derer Parteien abwechselnd Männer und Frauen auf ihren Listen führen müssen. Neu hinzu kam nun, dass landesweit pro Partei ebenso viele Listen von Frauen wie von Männern angeführt werden müssen. In Sachen Geschlechterparität gehört Costa Rica auf nationaler Ebene zu den weltweit führenden Ländern, mit 47 Prozent Frauenanteil in der Asamblea Legislativa. Auf kommunaler Ebene wurden bei den letzten Wahlen jedoch nur acht Frauen in die insgesamt 82 Bürgermeisterämter gewählt. Infolgedessen hatten Politikerinnen zusätzlich zur vertikalen Parität die Anwendung der horizontalen Parität eingeklagt, was einige Parteien vor erhebliche Herausforderungen gestellt hat.
Diese Herausforderungen führten dazu, dass erstmals in der Geschichte der Kommunalwahlen die nationale Regierung mit keiner Partei vertreten war. Zu den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen 2022 war Präsident Rodrigo Chaves mit der Partei Partido Progreso Social Democrático (PPSD) angetreten. Im Vorfeld der Kommunalwahlen gründeten Anhänger der Regierung jedoch zwei Parteien, die für die Politik von Chaves stehen sollten: Aquí Costa Rica Manda (ACRM) und Pueblo Soberano (PS). Nachdem neun der zehn Abgeordneten der Regierungsfraktion PPSD der neuen Partei Aquí Costa Rica Manda (ACRM) ihre Unterstützung aussprachen, wurden sie von der Partido Progreso Social Democrático ausgeschlossen. Da es Aquí Costa Rica Manda nicht gelang, die Vorgaben der Quotenregelung bei der Aufstellung ihrer Kandidaten und Kandidatinnen für die Bürgermeisterämter und Bezirksvertreter umzusetzen, wurde ACRM vom Obersten Wahlgericht nur für die Wahl der Kreistagsabgeordneten zugelassen. Pueblo Soberano wurde aus ebendiesen Formgründen fast vollständig von der Wahl ausgeschlossen und konnte nur in einzelnen Kantonen antreten. Die Kommunalwahlen können daher nur schwer als Abstimmung über die Regierungsarbeit des relativ populären Präsidenten, Rodrigo Chaves, interpretiert werden.
Überraschungen und Erwartbares
Spannend blieb die Wahl bis zur letzten Sekunde. Denn aufgrund der vielen Lokalparteien, die mitunter in nur einem Kanton antraten, gab es vorab kaum verlässliche Umfragen auf nationaler Ebene zu den Kommunalwahlen.
Für Überraschung sorgte das Wahlergebnis im Hauptstadtkanton San José. Dort gelang es dem 34-jährigen Außenseiter und Kreistagsabgeordneten Diego Miranda, mit der von ihm gegründeten kantonalen Partei Juntos San José, ins Rathaus einzuziehen. Damit wurde in San José erstmals seit 33 Jahren die amtierende PLN entthront, deren Bürgermeister Johnny Araya nicht mehr antreten konnte und sich zudem in einem Korruptionsverfahren verantworten muss.
Beachtung fand auch das starke Ergebnis der liberalen Unidos Podemos (UP). Die Partei konnte unter anderem davon profitieren, dass amtierende Bürgermeister, die bislang anderen Parteien angehörten, sich ihr vor diesem Wahlgang anschlossen. Ferner dürfte Unidos Podemos Stimmen von Anhängern von Aquí Costa Rica Manda und Pueblo Soberano erhalten haben. Parteigründerin Natalia Díaz gehört der Regierung an und arbeitet als Präsidentschaftsministerin eng mit Präsident Chaves zusammen.
Überaus zufrieden konnte die christdemokratische Partido Unidad Social Cristiana (PUSC) aus dem Wahlprozess gehen. Ihr gelang es, Siege in ehemaligen Hochburgen der PLN zu erringen und teils sehr junge Kandidaten und Kandidatinnen in den Rathäusern zu platzieren.
Erwartungsgemäß konnte durch die Anwendung der Quotenregelung zur Geschlechterparität die Zahl der Bürgermeisterinnen von acht auf 22 erhöht werden. Die angestrebte ausgewogene Vertretung von Politikerinnen und Politikern auf kommunaler Ebene wurde jedoch deutlich verfehlt.
Die verschiedenen kantonalen Parteien errangen in diesem Wahlgang insgesamt 12 Bürgermeisterämter, eines weniger als in der vergangenen Wahlperiode.
Rückgang der Wahlbeteiligung sorgt für Enttäuschung
Zum ersten Mal seit 2002 ging in diesem Jahr die Wahlbeteiligung zurück. Traditionell stoßen die Kommunalwahlen auf relativ geringes Interesse bei der costa-ricanischen Wählerschaft. Verstärkt wird dieser Trend durch eine zunehmende Politikverdrossenheit, insbesondere unter jungen Menschen, und den sinkenden Einfluss politischer Parteien. Die Gründe für das geringe Interesse an der Kommunalpolitik sind vielfältig. Einige Menschen fühlen sich von der Komplexität der Kommunalwahlen überfordert. Auf kommunaler Ebene ist das Parteienspektrum in Costa Rica besonders volatil. Es gibt eine Vielzahl von Kantonalparteien, die nur in einem oder wenigen Kantonen antreten. Häufig wechselt das politische Personal während der Wahlperiode die Parteizugehörigkeit. Dadurch haben viele Menschen den Überblick über das Parteienspektrum und die von den Parteien vertretenen Inhalte verloren. Ferner haben Korruptionsskandale[3] auf kommunaler Ebene zu einer Entfremdung von der Kommunalpolitik geführt.
Die niedrige Wahlbeteiligung hängt auch damit zusammen, dass die Kommunen finanziell oft schlecht ausgestattet sind und nur eingeschränkte Zuständigkeiten haben. Dadurch herrscht der Eindruck, dass die wirklich wichtigen Entscheidungen von der Zentralregierung in San José getroffen werden. Je weiter der Kanton von der Hauptstadt entfernt ist, desto höher ist jedoch die Wahlbeteiligung. Dies dürfte darauf zurückzuführen sein, dass viele Menschen im ländlichen Raum sich von der Politik in der Hauptstadt abgeschnitten fühlen und sich daher mehr auf kommunale Prozesse stützen.
Angesichts dessen, dass das Oberste Wahlgericht im Vorfeld eine Wahlbeteiligung um die 50 Prozent erwartet hatte, rief das tatsächliche Ergebnis unter Analysten und Experten Ernüchterung hervor.
Desinformation und Verleumdungskampagnen
Eine in der costa-ricanischen Demokratie bislang beispiellose Kontroverse entzündete sich, nachdem die Parteien, die nach eigenen Angaben dem Präsidenten nahestehen, vom Obersten Wahlgericht aus oben genannten Gründen von der Wahl ausgeschlossen wurden. Dies zog eine Kampagne an Desinformation und Verschwörungstheorien nach sich.
In den sozialen Medien zirkulierten Theorien zu einer vermeintlichen Verschwörung der politischen Eliten und demokratischen Institutionen des Landes gegen die aktuelle Regierung und die ihr nahestehenden Parteien. Die Richterinnen und Richter des Obersten Wahlgerichts wurden verbal angegriffen und Ziel von Verleumdungen im Netz. So kursierten beispielsweise Falschmeldungen, die das Monatsgehalt der vorsitzenden Richterin um ein Vielfaches übertrieben.
Vor dem Hintergrund, dass ACRM infolge des teilweisen Wahlausschlusses Beschwerde bei der Interamerikanischen Menschenrechtskommission (Comisión Interamericana de Derechos Humanos CIDH) einlegte, wurden Falschinformationen in den Umlauf gebracht, die beispielsweise besagten, dass die Wahlen verschoben würden. Dies musste schließlich vom Wahlgericht dementiert werden. Ferner war eine Meldung im Umlauf, in der behauptet wurde, die Menschenrechtskommission habe das Wahlgericht aufgefordert, ACRM umfänglich zu den Wahlen zuzulassen. Auch dies entsprach nicht den Tatsachen.
Die Präsidentin des Obersten Wahlgerichtshof, Eugenia Zamora, fand in ihrer Rede vor Bekanntgabe der Wahlergebnisse dazu deutliche Worte: Sie betonte, dass es niemals zuvor in einem Wahlprozess in Costa Rica eine ähnlich aggressive Desinformationskampagne, geschweige denn Versuche gegeben habe, den Wahlprozess zu behindern und gegen die mit der Durchführung der Wahlen beauftragten Richter vorzugehen.[4]
Vor diesem Hintergrund ist die Leistung des Obersten Wahlgerichtshofs, dem die einwandfreie Umsetzung des Wahlprozesses gelang, umso mehr hervorzuheben.
Bilanz und Ausblick
Die Traditionsparteien PLN und PUSC konnten sich in vielen Landesteilen auf eine solide Wählerbasis stützen. Allerdings stellt sich die Frage, wie das Wahlergebnis ausgefallen wäre, wenn die dem populären Präsidenten nahestehenden Parteien ACRM und PS zugelassen worden wären.
Der PLN gelang nach Ansicht vieler Experten nicht die notwendige Erneuerung. Nach wie vor werden vor allem langjährige Parteivertreter mit Korruptionsskandalen in Verbindung gebracht. Sollte es bis zu den nächsten Parlaments- und Präsidentschaftswahlen 2026 nicht gelingen, den politischen Nachwuchs in Führungspositionen zu bringen, dürfte die Bewegung weiter an Bedeutung verlieren.
Die PUSC wiederum konnte in einer lang geplanten und auf Inhalten fokussierten Kampagne mit neuen Gesichtern punkten und dürfte damit gestärkt in den im nächsten Jahr beginnenden Wahlkampf ziehen. Aus christdemokratischer Sicht fällt die Bilanz noch positiver aus, zählt man die Wahlerfolge der christdemokratisch orientierten Actuemos Ya in Cartago und Partido Republican Social Cristiano in Barva und Monteverde hinzu. Es ist nicht auszuschließen, dass vor den nächsten Parlaments- und Präsidentschaftswahlen eine Allianz mehrerer christdemokratischer Parteien geschlossen wird.
Besorgniserregend ist die Tendenz zur Polarisierung des politischen Diskurses, die auch von einzelnen Abgeordneten der Regierungsfraktion gefördert wurde. Damit ist nun auch die costa-ricanische Demokratie mit einem Phänomen konfrontiert, das weltweit in Politik und Gesellschaft beobachtet werden kann. Nichtsdestotrotz zeigt die breite Unterstützung, die das Oberste Wahlgericht in der Bevölkerung genießt, dass die Mehrheit der costa-ricanischen Bevölkerung ihre soliden demokratischen Institutionen nicht in Frage stellt.[5]
Die enormen Herausforderungen, vor denen das Land im Hinblick auf die Sicherheitslage, die massiv gestiegene Migration sowie die sich vertiefende soziale Kluft steht, können jedoch nur durch die Rückkehr zu einem inhalts- und lösungsorientierten Dialog bewältigt werden. In diesem Sinne sind jüngste Bemühungen des Präsidenten zu einem engeren und konstruktiveren Austausch mit der politischen Opposition ein erster Schritt in die richtige Richtung.[6]
Quelle des Bildes: Eigene Darstellung der KAS Costa Rica
[1] Sergio Araya: Apuntes en torno al proceso electoral municipal costarricense 2024 - La Revista
[2] Dies sind zwei mehr als bei den letzten Kommunalwahlen 2020.
[3] Von Diamanten, Azteken und Schildläusen - Konrad-Adenauer-Stiftung (kas.de)
[4] TSE denuncia ofensiva de desinformación y gestiones para impedir elecciones municipales | La Nación (nacion.com)
[5] Encuesta Idespo-UNA:
9 de cada 10 personas respalda paridad de género en elecciones municipales - Delfino.cr
[6] Jefes de fracción tendrán reuniones cada seis semanas con presidente Rodrigo Chaves,
FA pide que sean públicas • Semanario Universidad
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