Emotionen kochen hoch...
Der öffentliche und auch der politische Druck aus der Opposition war groß: doch trotz zahlreicher Proteste mit teils gewalttätigen Ausschreitungen, trotz Einschüchterungsversuchen und „Verräter“-Rufen“, trotz russischer Schwarzmalerei haben 153 Abgeordnete das Prespa-Abkommen angenommen. Mit den Stimmen von acht mutigen „Überläufern“ konnte der griechische Premierminister seinen größten außenpolitischen Erfolg einfahren – und hinterlässt doch eine Schneise der Verwüstung in der politischen Landschaft seines Landes. Denn seine Regierungskoalition war letzte Woche an der Mazedonienfrage zerbrochen; sein Koalitionspartner Anel und mittlerweile auch die linksliberale Potami-Partei haben sich daran zugrunde gearbeitet, und auch Kinal, der Nachfolger der einst stolzen sozialdemokratischen Pasok, befindet sich im Sinkflug. Und die große Mehrheit der Medien und der Bevölkerung ist aufgewühlt – und gegen die Einigung mit dem nördlichen Nachbarn. Sie fürchten den Ausverkauf der griechischen Geschichte und des Erbes Alexander des Großen.
Sehr emotional wurde erst in den letzten Tagen eine Debatte über die Notwendigkeit, über das Für und Wider dieses Abkommens geführt. Eine Debatte, die viel zu spät einsetzte und die von der jetzigen Regierung, aber auch von allen Vorgängern seit 1991 nicht offen geführt wurde. Umso heftiger fiel sie dafür jetzt aus; für objektive Argumentationen gab es kaum noch Platz. Gestern dann warb Tsipras im Parlament mit deutlichen Worten für das Abkommen und erklärte die Wichtigkeit des Dokuments:
„Griechenland nimmt sich wieder, was ihr gehört: Die Geschichte, die Symbole, die Tradition und das Erbe des antiken griechischen Makedoniens. Nordmazedonien[i] wird zu unserem Freund, zu unserem Verbündeten und Helfer in der Zusammenarbeit, für Frieden und Sicherheit in unserer Region.“
Freilich sehen die Gegner des Regierungslagers die Lage genau anders herum: Für sie bedeutet das Abkommen Landesverrat. Das sahen auch Vertreter der „Nea Dimokratia“ so, doch Oppositionsführer und Parteichef Kyriakos Mitsotakis drückte sich gemäßigter aus und bezeichnete das Abkommen als eine „nationale Niederlage“. Seine Partei stimmte geschlossen dagegen. So konnte er zwar verhindern, dass auch seine Partei gespalten wurde. Doch in den Augen der Bevölkerung hat sich die Nea Dimokratia damit klar nach rechts bewegt. Für den kommenden Wahlkampf, der auch in Griechenland in der Mitte gewonnen wird, muss Mitsotakis jetzt schauen, wie er seine Partei wieder aus der rechten Ecke herausholt, während sich mit dieser Aktion Tsipras und seine Syriza von links weiter Richtung Mitte bewegen.
...doch die Vernunft siegt. Und Athen setzt ein Impuls für ganz Europa
Doch jetzt zählt erst einmal die außenpolitische Wirkung des Abkommens: Mit der heutigen Ratifizierung ist die Namensänderung des nördlichen Nachbarn in Nordmazedonien besiegelt und seiner Einladung in die NATO steht nichts mehr im Weg. Auch der Beginn der EU-Beitrittsverhandlungen kann in absehbarer Zeit erfolgen. Wie schnell letztere dann vorangehen, hängt von dem Reformeifer der Regierung in Skopje ab – und von den EU-Mitgliedsstaaten, die bei der Öffnung und auch bei der Schließung jedes einzelnen der 35 Verhandlungskapitel die Umsetzung und Einhaltung des „acquis communautaire“ einfordern und notfalls ihr Veto androhen können. Hier hat Athen – auch unter einer möglichen zukünftigen Regierung der Nea Dimokratia – die beste Möglichkeit, bei der demokratischen und rechtsstaatlichen Transformation des nördlichen Nachbarn konstruktiv mitzuwirken. Das war in den vergangenen Jahren der unnötigen und provokativen „Antikisierung“ Skopjes nicht möglich. Mitsotakis, der mit seiner Partei in allen Umfragen mit gut zehn Prozentpunkten vor der Syriza liegt und als klarer Favorit in die kommenden Parlamentswahlen geht, hat bereits signalisiert: Trotz aller Widerstände im Vorfeld der Ratifizierung wird eine Regierung unter ihm auch bei diesem Abkommen dem Prinzip der Vertragstreue folgen.
Damit kommt Bewegung in den Balkan, der bereits seit geraumer Zeit zum Spielball externer Mächte, allen voran Russland, China und der Türkei geworden ist. Europa, das viel zu lange Stöckchen hochgehalten und zugeschaut hat, wie sich sein Einfluss von Jahr zu Jahr verringert, hat jetzt die Gelegenheit, seine immer noch hohe Anziehungskraft unter Beweis zu stellen und die Länder des Westbalkans mit vereinten Kräften in das gemeinsame Boot zu holen. In die Europäische Union.[ii] Und Griechenland kann hier ab heute eine Führungsrolle übernehmen.
[i] Nach Inkrafttreten des Prespa-Abkommens ist die korrekte deutsche Übersetzung nach Auskunft des Auswärtigen Amts „Republik Nordmazedonien" oder "Nordmazedonien" (Kurzform) – und nicht „Nord-Mazedonien“.
[ii] Der EU-Beitritt der Länder des westlichen Balkans ist ein Kerninteresse Deutschlands und der EU. Dieser kann jedoch erst nach einem erfolgreichen Transformationsprozess der Länder und einer vollumfänglichen Erfüllung aller Kriterien erfolgen.
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Auslandsbüro Griechenland und Zypern
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