Aus Sicht von Niger, Mali und Burkina Faso ist der Austritt aus der ECOWAS nur konsequent, weil die drei Länder voll auf eine eigene Allianz setzen - als neues anti-westliches Bündnis, das eng mit Russland kooperiert. Ihre Beziehungen zu Küstenländern wie Côte d’Ivoire hatten sich in den letzten zwei Jahren deutlich verschlechtert -- die drei Sahelländer sehen diese Staaten als Verbündete der unbeliebten früheren Kolonialmacht Frankreichs, um die ECOWAS-Sanktionen gegen die neue Putschregierung in Niger durchzusetzen. Der Block hatte die Grenze zu Niger nach dem Putsch gegen den gewählten Präsidenten Mohamed Bazoum im Juli 2023 geschlossen und Lieferungen aus Häfen wie Abidjan eingestellt – Niamey machte dafür Paris verantwortlich und verwies die 1.500 stationierten französischen Soldaten des Landes. Ähnliche Strafmaßnahmen verhängte der Block bereits 2022 gegen Malis Militärregierung, wegen der Verzögerung der eigentlich für Februar 2022 geplanten Wahlen.
Die drei Sahelländer sehen ihre Zukunft in einer Partnerschaft vor allem mit Russland, aber auch der Türkei, China und Iran – Akteure, die dabei sind, die traditionellen westlichen Partner abzulösen. Die Sahelregion war seit Jahren im Fokus der Europäer und insbesondere Frankreichs, die in Mali, Burkina Faso, Niger und dem Tschad von Entwicklungszusammenarbeit bis zur Ausbildung von Polizei und Streitkräften massiv investiert haben. Ziel war es u.a., einen zunehmenden Staatsverfall in einer der ärmsten Regionen der Welt mit hohen Bevölkerungswachstumsraten aufzuhalten. Zu groß war die Angst, dass sich die Flüchtlingskrise von 2015 wiederholen würde, als rund eine Millionen Menschen - vor allem über die Balkanroute, aber auch über das Mittelmeer nach Europa gekommen waren.
Doch nun steht der Westen vor dem Scherbenhaufen seiner Politik. Die Sicherheitslage hat sich trotz der massiven Unterstützung im Zentrum des Sahel – durch das in Niger die zentrale Flüchtlingsroute Richtung Mittelmeer verläuft – in den letzten Jahren stetig verschlechtert. Schlimmer noch: Militärregierungen putschten sich an die Macht, die sich mit Russland verbünden. Mali machte Ende 2021 mit der Einladung von Söldnern der Wagner-Truppe den Anfang; mittlerweile hat sich Bamako mit Niger und Burkina Faso in einem von Moskau geförderten Verteidigungsbündnis, der „l'Alliance des États du Sahel (AES)“ zusammengeschlossen.
Auch Tschad sucht Nähe zu Moskau
Jetzt scheint es so, als ob sich auch noch der Tschad von seinem traditionellen Verbündeten Frankreich und auch von Europa absetzt. Übergangspräsident Mahamat Déby, der sich nach dem Tod seines Vaters und Landzeitpräsidenten Idriss Déby 2022 mit der Billigung von Paris an die Macht putschte, besuchte im Januar Moskau, um Präsident Putin zu treffen. Ziel war es, die auf bisher Frankreich und Europa ausgerichtete Partnerschafte des Landes zu diversifizieren. Déby hatte schon zuvor die Beziehungen mit den VAE ausgebaut, die laut einem Bericht der Vereinten Nationen im Verdacht steht, über die östliche Grenze Waffen an ihre Verbündeten im Nachbarland Sudan zu liefern. Dort tobt seit einem Jahr ein Bürgerkrieg zwischen verfeindeten Militärführern, in dem die VAE eine Konfliktpartei, die Rapid Suppot Forces, unterstützt. Der Moskau-Besuch hat westliche Beobachter überrascht, denn der Tschad galt bisher als treuer Verbündeter Frankreichs. Die französische Armee unterhält in dem Land einen ihrer größten Stützpunkte in Afrika.
Dieses Beispiel ist symptomatisch dafür, wie Europa im Sahel kontinuierlich an Einfluss verliert: Die Europäische Union hatte erst im November 2023 ihre Militärhilfe für den Tschad wieder aufgenommen, die wegen der Verzögerung der Wahlen für zwei Jahre suspendiert worden war. Die EU hatte sich zur Wiederaufnahme der Hilfen entschlossen, um ein Abdriften des Landes zu neuen Partnern wie Russland zu verhindern. Sollte der Tschad mit Moskau eine engere Kooperation eingehen, wären fast der gesamte Sahelraum und Teile Zentralafrikas im Einflussbereich des Kremls. Für Europa ist dies eine brandgefährliche Entwicklung.
Moskau setzte schon in anderen Regionen – wie an der Grenze zu Finnland – Migration als Waffe ein, indem Flüchtlinge gezielt über die gemeinsame Landgrenze nach Europa geschleust wurden. In den Tschad sind seit letztem Jahr rund eine halbe Million Menschen aus dem Sudan geflohen – sie könnten Richtung Nordafrika weiterziehen, sollte der bislang stabile Tschad in eine Schieflage geraten, so die Befürchtung der Europäer. Russland ist mit Söldnern bereits in Tschads Nachbarländern Libyen, Sudan und der Zentralafrikanischen Republik tätig und könnte mit einem Bündnis mit N’Djamena ein fast 3000 Kilometer zusammenhängendes Territorium zu seinem Einflussbereich zählen. Dabei benötigt Moskau keinen großen personellen Einsatz, um seinen Einfluss in der Region stetig auszubauen. In den meisten Fällen bestehen die Militärkooperationen aus wenigen hunderten Soldaten und Ausbildern sowie der Lieferung von Waffen. Gezielte Desinformations- und Medienkampagnen tun aber ihr Übriges, um die Stimmung in den Sahelländern im eigenen Sinne zu beeinflussen und sich als starker und verlässlicher Partner zu präsentieren.
Niger setzt sich von Europa ab
Auch in Niger sagt sich die neue Militärregierung von Europa los, nachdem die Europäische Union zuvor fast alle Kooperationen eingestellt hatte. Vor allem Paris hat nur schwer verkraftet, dass die neue Führung den Abzug der französischen Truppen erwirkt hat, worauf Frankreich mit der Schließung seiner Botschaft reagierte. Niger war bis zum Putsch einer der engsten Partner der EU. Seit dem Putsch hat insbesondere Frankreich versucht, zu verhindern, dass auf EU-Ebene Gespräche mit den neuen Machthabern aufgenommen werden -- das hat Russland die Tore weit geöffnet. Schon im Oktober traf sich der russische Botschafter mit der Junta-Führung, im Dezember wurde ein Militärabkommen abgeschlossen.
Der neue nigrische Premierminister Lamine Zeine reiste im Januar nach Moskau, um weitere Kooperationen zu besprechen. Von dort ging es weiter in die Türkei und in den Iran, die ebenfalls um die Gunst der Militärmachthaber buhlen. Iran hat etwa jüngst mehr Kontakte nach Mali und Burkina Faso geknüpft. Am Flughafen Ouagadougou landete kürzlich ein iranisches Flugzeug mit Hilfsgütern -- Burkina Faso ist aber auch an Drohnen aus dem Iran interessiert. Die Türkei lieferte bereits an die drei Sahelländer Drohnen des Verkaufsschlagers Bayraktar, die an vielen Orten zusammen mit russischem Material zum Einsatz kommen, etwa bei der Einnahme der nordmalischen Tuareg-Hochburg Kidal durch die malische Armee.
Der Iran versucht genau wie Russland mit dem gesteigerten Engagement neben dem Verkauf von Waffen auch den westlichen Einfluss im Allgemeinen zu unterminieren. Beim Besuch des nigrischen Ministerpräsidenten in Teheran sagte der iranische Vizepräsident Mohammed Mokhbe laut staatlichen Medien, dass sich Teheran mit dem Sahelland wegen der „grausamen“ ECOWAS-Sanktionen solidarisch zeige, da Iran selbst auf Grund seines Atomprogramms seit vielen Jahren unter westlichen Sanktionen leide.
Europa gilt als wenig attraktiv
Wieso hat Europa in den letzten Monaten so massiv an Einfluss im Sahel verloren? Dies liegt zum einen daran, dass die frühere Kolonialmacht Frankreich im frankophonen Raum zunehmend unbeliebt ist. Das hat historische Gründe, hängt aber auch damit zusammen, dass eine diplomatische Krise zwischen Paris und Bamako mit verbalen Eskalationen auf beiden Seiten Anfang 2022 in Afrika als „Stellvertreter-Konflikt“ zwischen Frankreich und ganz Westafrika gesehen wurde. Dazu gilt das Auftreten französischer Regierungsvertreter in den früheren Kolonien häufig als undiplomatisch. Russische Desinformationskampagnen bauen seit Jahren massiv auf diesen Vorbehalten gegenüber Frankreich auf, um gezielt Stimmung gegen Europa und dem Westen zu machen. Das zeigt Wirkung.
Es wäre aber zu kurz gegriffen, nur Frankreich für den schwindenden Einfluss Europas verantwortlich zu machen, zumal sich Frankreich beim Kampf gegen Terrorismus in der Region von Europa alleine gelassen gefühlt hat. Die Militärregierungen sehen Russland, Iran und die Türkei als verlässlichere Partner bei der Bekämpfung von Dschihadisten, weil diese Länder Waffen wie Hubschrauber oder Drohnen und - im Fall Russlands - Söldner liefern. Alle Sahelländer hatten immer wieder Waffen und andere militärische Unterstützung von Europa gefordert, sich aber mit Verweis auf demokratische Defizite und Übergriffe von Sicherheitskräften gegenüber Zivilisten Absagen geholt. Die Europäische Ausbildungsmission für Malis Armee, EUTM, setzte sogar im Training keine scharfen Waffen ein.
Als Konsequenz wird Europa nicht mehr sehr geschätzt. Die Entwicklungszusammenarbeit ist für die Sahelländer nicht so wichtig wie der Kampf gegen Dschihadisten. Für viele Malier oder Nigrer ist die Verbesserung der Sicherheitslage wichtiger als die Abhaltung von Wahlen und die Förderung der Demokratie, bei denen in der Vergangenheit oft korrupte Politiker an die Macht kamen. Moskau punktet bei den Sahelregierungen mit dem stetigen Ausbau von Militärkooperationen, nicht nur in Mali und Niger, sondern auch in Burkina Faso. Dort landete Ende Januar zum zweiten Mal in zwei Monaten ein russisches Militärflugzeug mit Militärpersonal.
Ob sich Mali, Niger und Burkina Faso auch wie angekündigt aus der gemeinsamen westafrikanischen Währungsunion aussteigen, bleibt abzuwarten. Die gemeinsame Währung CFA ist wegen der Nähe zur französischen Zentralbank unbeliebt, garantiert aber dank eines festen Wechselkurses zum Euro Zugang zu Devisen und stabile Inflationsraten. Keines der drei Länder hat nach Expertenmeinung genügend Währungsreserven, um stabile Wechselkurse für eine neue Währung sicherzustellen. Im Fall eines Austritts könnte das also weitreichende wirtschaftliche Konsequenzen für die Länder und ihre Bevölkerungen haben. Mali will den CFA behalten, Burkina Faso will offenbar austreten.
Marokko bietet Atlantikzugang an
Neben Russland versucht auch Marokko, vom Rückzug Europas zu profitieren. Das Königreich hat Mali, Niger und Burkina Faso einen Zugang zu seinen Atlantikhäfen angeboten. Alle drei Länder importieren Lebensmittel und Konsumgüter über die westafrikanischen Häfen Lomé, Abidjan und Dakar, wollen dies in Zukunft aber ändern – daher der Austritt aus der ECOWAS. Der marokkanische König lud im Dezember Vertreter der Sahelstaaten ein, um einen Hafenzugang anzubieten – sicherlich auch mit dem Gedanken, damit die völkerrechtliche Anerkennung für Marokkos erhobenen Anspruchs auf die von Marokko kontrollierte Westsahara-Region zu bekommen.
Rein praktisch wäre der Meereszugang zum Atlantik aber schwierig umzusetzen, weil die Landroute zwischen Niger, Burkina Faso und Mali wegen der angespanntem Sicherheitslage für Lastwagen zu gefährlich ist. Zudem müsste noch Malis westlicher Nachbar Mauretanien als Transitland für den Güterverkehr kooperieren. Die Route von Mali nach Mauretanien ist für LKWs befahrbar, aber Mauretanien würde möglicherweise Marktanteile für seinen Hafen Nouakshott verlieren – von dort kommen Fisch und andere Lebensmittel nach Mali. Selbst wenn Mauretanien kooperieren würde, wäre immer noch eine riesige Entfernung zu bewältigen. Von Malis Hauptstadt Bamako sind es rund 3.800 Kilometer nach Casablanca.
Diplomaten vermuten, dass Marokkos Vorstoß im Kontext der Rivalität mit dem Nachbarstaat Algerien - eher politischer Natur ist eher politischer Natur ist, mit dem Zweck, den Erzrivalen Algerien zu verärgern, der Mali und Niger als seinen Einflussbereich ansieht. Algerien unterstützt die Polisario-Bewegung, die für die Selbstbestimmung der früheren spanischen Kolonie in der Sahara eintritt. Zwischen Algerien und Mali gibt es aktuell Spannungen, weil Bamako das von Algerien 2015 vermittelte Friedensabkommen mit den Tuareg-Rebellen in Nord-Mali aufgekündigt hat. Algerien hat die Einnahme Kidals mit Sorge beobachtet, weil es in Nord-Mali eigene Kontakte außerhalb der Beziehungen zur Zentralregierung in Bamako zu Tuareg und anderen Volksgruppen unterhält – mit dem Ziel, zu verhindern, dass Dschihadisten und Tuareg-Rebellen in Süd-Algerien Unheil stiften. Algerien hatte dazu das Vakuum des malischen Staates im Norden ausgenutzt – mit der Ankunft der malischen Armee und russischer Söldner in Kidal wird es für Algier schwieriger, dort zu agieren.
Als Fazit bleibt festzuhalten, dass Deutschland und Europa im Sahelraum deutlich an Einfluss verlieren zu Lasten neuer Akteure wie Russland, der Türkei oder des Iran, die den Rückzug Frankreichs ausnutzen, um mehr Präsenz in der Region zu zeigen.
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Regionalprogramm Sahel
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