Der Zukunftsgipfel als Lösung?
Jubiläen bieten oft Anlass für Selbstreflexion und Bestandsaufnahmen. Das galt auch anlässlich des 75-jährigen Bestehens der Vereinten Nationen im Jahr 2020. Die bereits damals existierende und bis heute vorherrschende Auffassung ist, dass das multilaterale System mit den Vereinten Nationen im Zentrum nicht mehr den bestehenden und zukünftigen Anforderungen gerecht wird und an einem kritischen Punkt angelangt ist. Während in den 1990er und 2000er Jahren Global Governance und Multilateralismus mit entsprechend großen Hoffnungen verbunden waren, ist in der internationalen Staatengemeinschaft inzwischen Ernüchterung eingekehrt. Viele Mitgliedsstaaten, aber auch nicht-staatliche Akteure haben das Vertrauen in multilaterale Lösungen verloren. Unter dem verstärkenden Eindruck der Covid-19 Pandemie und ihren weltweiten politischen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen definierten die Staatsoberhäupter aller UN-Mitgliedsstaaten im Rahmen der Eröffnung der 75. UN-Generalversammlung jene Bereiche, in denen Reformen notwendig sind, um ein funktionierendes multilaterales System sicherzustellen[1]. UN-Generalsekretär Antonío Guterres wurde damit beauftragt, entsprechende Vorschläge und Empfehlungen zu erarbeiten. In einem Bericht mit dem Titel „Our Common Agenda“ kam der UN-Generalsekretär diesem Auftrag nach. Darin schlägt er u.a. einen Zukunftsgipfel (Summit of the Future) vor, der ein gemeinsames Verständnis und einen Konsens unter den Mitgliedsstaaten schaffen soll, um bestehende sowie zukünftige globale Probleme durch multilaterale Zusammenarbeit zu lösen.
Die G77 stehen auf der Bremse
Solchen Gipfeln gehen lange Prozesse und umfangreiche Verhandlungen voraus. Deutschland kommt dieses Mal eine Schlüsselrolle zu, da es – gemeinsam mit Namibia – diesen Vorbereitungsprozess als so genannter Co-Facilitor koordiniert und steuert. Die G77 – eine Gruppe von 134 UN-Mitgliedsstaaten aus Lateinamerika, Asien, Afrika und dem Pazifischen Ozean – standen dem Zukunftsgipfel kritisch gegenüber. Zwar wurde immer wieder betont, dass die beiden Prozesse ineinandergreifen sollen, dennoch betrachtete die Staatengruppe ihn als Konkurrenz zum Sustainable Development Goals (SDG) Gipfel, der anlässlich der Halbzeit des Agenda 2030-Prozesses im September 2023 stattfand. Dies hatte vor allem zwei Gründe:
- Viele (insbesondere kleinere und wirtschaftlich schwächere) Staaten sahen sich nicht in der Lage, mit ihren begrenzten Kapazitäten zwei sehr komplexen und umfangreichen UN-Prozessen zur Vorbereitung der beiden Gipfel parallel folgen zu können.
- Überdies bestand die Befürchtung, dass die politische Aufmerksamkeit und die Bereitschaft zu finanziellen Zusagen für den SDG-Gipfel und den damit verbundenen Zielen leiden könnten.
Als Konsequenz wurde der ursprünglich für 2023 geplante Zukunftsgipfel auf 2024 verlegt. Angesichts der sensiblen Themen und der geopolitischen Spannungen kam diese Verschiebung willkommen. Die kritische Haltung der G77 Staaten zum Zukunftsgipfel veränderte sich erheblich nach dem SDG-Gipfel im September 2023. Die Mitgliedsstaaten hatten sich erneut und deutlich zu ihren Verpflichtungen bekannt, die Nachhaltigkeitsziele bis 2030 zu erreichen. Das hat bei vielen Staaten der südlichen Weltregionen zu einer gewissen Beruhigung geführt. Misstöne gab es aber nicht nur unter den Mitgliedsstaaten, sondern auch zwischen diesen und dem UN-Generalsekretär. Dieser veröffentlichte zur Vorbereitung des Gipfels 2023 eine Reihe von Policy Briefs zu spezifischen Themen und beanspruchte damit eine gewisse Führungsrolle in diesem Prozess. Das haben einige Staaten mit Skepsis beobachtet, da diese ausschließlich die Staaten in der Führungsrolle sehen.
Wenig ambitionierter Verhandlungstext & Konfliktlinien
Das Ergebnis des Zukunftsgipfels soll eine politische Erklärung – der Pakt für die Zukunft (Pact for the Future) – sein, die aber rechtlich nicht bindend ist. Der zu Beginn des Jahres präsentierte Entwurf für die Gipfelerklärung (so genannte zero draft), der als Grundlage für die laufenden Verhandlungen dient, umfasst eine Präambel (Chapeau) und fünf themenspezifische Kapitel, welche beinahe alle Bereiche multilateraler Zusammenarbeit umfassen.
Themen Multilateralismus-Reform (UN Summit of the Future):
- Sustainable development and financing for development
- International peace and security
- Science, technology and innovation and digital cooperation
- Youth and future generations
- Transforming global governance
Positiv ist anzumerken, dass auch Themen wie beispielsweise Digitalisierung, Künstliche Intelligenz, zivile Nutzung des Weltraums sowie Jugend und zukünftige Generationen Eingang gefunden haben. Jedoch bergen die Verhandlungen auch politischen Sprengstoff. Dazu zählen in erster Linie die Finanzierung der Nachhaltigkeitsziele und Entwicklung (Kapitel 1), die Reform der internationalen Finanzinstitutionen (Kapitel 5) und die Reform des UN-Sicherheitsrates (Kapitel 5).
Finanzierung der Nachhaltigkeitsziele und Entwicklung
Der SDG-Gipfel im September 2023 hat noch einmal deutlich gemacht, dass die Erreichung der Nachhaltigkeitsziele bis 2030 in weiter Ferne liegt, denn nur 15% der Ziele sind zur Halbzeit auf Kurs. Eines der zentralen Probleme stellt die Frage der Finanzierung dar.[2] Laut dem UN-Generalsekretär werden pro Jahr zusätzlich USD 500 Milliarden benötigt. Zwar wird es beim Zukunftsgipfel nicht um die Details gehen, jedoch wird er ein Gradmesser sein, inwieweit insbesondere die westlichen Staaten bereit sind, weitere Finanzierungszusagen zu geben. Jedoch stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, wie nicht nur der Westen, sondern auch aufstrebende Staaten mit entsprechender Wirtschaftsleistung, wie etwa China, größere finanzielle Beiträge leisten können.
Reform der internationalen Finanzinstitutionen
Grundsätzlich ist festzuhalten, dass es bei dieser Debatte nicht ausschließlich um die Weltbank-Gruppe und den Internationalen Währungsfonds geht, sondern generell um einen neuen Rahmen für Schuldenrestrukturierung, die Orientierung der multilateralen Entwicklungsbanken an den SDG und die globale Zusammenarbeit im Steuerbereich. Vor allem bei Weltbank und IWF bestehen bei den Ländern in Afrika hohe Erwartungen und die klare Forderung, dass sich die westlichen Staaten bewegen müssen. Das betrifft u.a. die Möglichkeit von Sonderziehungsrechten und die bessere Repräsentation von Entwicklungsländern in den internationalen Finanzinstitutionen und deren Entscheidungsprozessen.[3] Die westlichen Staaten stehen hingegen eher auf der Bremse.
Reform des UN-Sicherheitsrates
Die Reform des Gremiums ist seit Jahrzehnten ein Dauerthema und die Notwendigkeit einer solchen ist unbestritten. Vielmehr scheiden sich die Geister an der Frage, wie dies geschehen soll, wobei drei Punkte im Zentrum der Debatte stehen:
- Erweiterung des Gremiums um weitere Sitze
- Art der Erweiterung (permanente vs. nicht-permanente Sitze)
- Zukünftige Ausgestaltung des Vetorechts und Rolle der P5[4]
Ziel muss es sein, die Repräsentation und Handlungsfähigkeit zu erhöhen. Bei einigen Reformvorschlägen, die auf eine Erweiterung des Sicherheitsrates abzielen, stellt sich jedoch die Frage, ob das dadurch tatsächlich erreicht wird. Zweifel sind dahingehend mehr als berechtigt. Sowohl Repräsentation als auch Handlungsfähigkeit müssen in die Überlegungen zu einer Reform miteinbezogen werden. Im Entwurf zur Erklärung findet sich momentan nur ein Platzhalter, was die Brisanz des Themas unterstreicht. Die Co-Facilitators werden erst im Juni dazu einen Vorschlag präsentieren. Deutschland selbst arbeitet seit Jahren gemeinsam mit Japan, Indien und Brasilien (G4) an einer ständigen Mitgliedschaft, was wiederum bei China, Pakistan, Mexiko oder Italien auf Ablehnung stößt. Die afrikanischen Staaten fordern ebenfalls mehr Sitze für die Region. Die derzeitigen permanenten und mit einem Vetorecht ausgestatteten Mitglieder haben hingegen wenig Ambitionen an tiefgreifenden Veränderungen. Selbst eine minimale Reform des UN-Sicherheitsrates scheint folglich unrealistisch.
Zivilgesellschaftliche Beteiligung light
Derzeit laufen die Verhandlungen zwischen den Mitgliedsstaaten zu den einzelnen Kapiteln der Gipfelerklärung. Die kommentierte Version umfasst inzwischen mehr als 240 statt ursprünglich 20 Seiten. Für Deutschland und Namibia stellt dies unter dem derzeit stark angespannten geopolitischen Kontext eine besondere Herausforderung dar.
Die Einbindung der Zivilgesellschaft und nicht-staatlicher Akteure ist in diesem Prozess limitiert. Zwar gibt es im Laufe der Gipfelvorbereitung für nicht-staatliche Akteure die Möglichkeit, schriftliche oder mündliche Stellungnahmen abzugeben und im Mai findet in Nairobi ein internationales Treffen zivilgesellschaftlicher Vertreter statt. Tatsache ist jedoch, dass insbesondere autoritär-geführte Staaten wenig Interesse an einer solchen Beteiligung haben und Widerstand leisten.
Fazit
Angekündigte Revolutionen finden meist nicht statt. Dieses Schicksal dürfte nach derzeitigem Stand auch dem UN-Zukunftsgipfel drohen. Die Revolution, nämlich die Einleitung einer umfangreichen Reform des multilateralen Systems, das den bestehenden und zukünftigen Herausforderungen gewachsen ist, erscheint knapp fünf Monate vor dem Gipfel in weiter Ferne. Diese Notwendigkeit spiegelt sich im zero draft nicht wider, der wenig ambitioniert, weitestgehend bereits existierende Einigungen wiederholt und kaum handlungsorientiert ist. Überdies ist der Zeitpunkt denkbar schlecht. Die zunehmenden geopolitischen Spannungen und die damit verbundene Polarisierung im UN-System haben erhebliche negative Auswirkungen auf den Verhandlungsprozess. Als Fortschritt kann die Integration von Themen wie Digitalisierung, Künstliche Intelligenz und Weltraum gewertet werden.
Deutschland steht als einer der Co-Facilitators vor einer Herkulesaufgabe. Dies bedeutet aber auch eine Chance, denn Deutschland bewirbt sich für die Periode 2027/2028 um einen nicht-ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat. Die erfolgreiche Wahrnehmung der Rolle als Co-Facilitator kann daher nicht nur einen wichtigen Beitrag für die Wahrung der regelbasierten multilateralen Ordnung bedeuten, sondern auch die Positionierung des Deutschlands bei den anderen UN-Mitgliedsstaaten stärken.
Es bleibt abzuwarten, wie die weiteren Verhandlungen verlaufen. Jedoch liegen bei den zentralen Konfliktthemen die Positionen noch weit auseinander. Ohne wirkliche Bewegung in diesen Bereichen sind Enttäuschungen insbesondere bei großen Teilen der G77-Staaten vorprogrammiert. Sollte der Gipfel mit einem Minimalkonsens enden und die Umsetzung eines substantiellen Reformprozesses in den Monaten danach scheitern, wird dies mittel- und langfristig Auswirkungen auf die zukünftige Effektivität und vor allem Legitimität des UN-zentrierten multilateralen Systems haben. Bereits heute organisieren sich Staaten in kleineren und flexibleren Gruppen auf regionaler Ebene, die der UN zumindest teilweise Konkurrenz machen können, auch wenn diese sie nicht ersetzen.
[1] Resolution der UN-Generalversammlung A/75/L.1, n2021118.pdf (un.org)
[2] Vgl. Castillejos-Aragón, Mónica/Mumford, Erica/ Val, Teresa (2023): Busy Week at the East River, KAS Länderbericht, 5fd7351a-c287-c051-af24-f7c97af32c2e (kas.de)
[3] Vgl. KAS and IPI (2024): Summit of the Future: Advancing African Perspectives for a Networked and Inclusive, Summit of the Future: Advancing African Perspectives for a Networked and Inclusive Multilateralism (kas.de)
[4] Als P5 werden die fünf permanenten Mitglieder des UN-Sicherheitsrates bezeichnet, die auch über ein Veto verfügen, womit sie Beschlüsse blockieren können. Dazu zählen die Volksrepublik China, die Vereinigten Staaten von Amerika, Frankreich, das Vereinigte Königreich und die Russische Föderation.
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Auslandsbüro New York
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Sobre esta serie
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