Auch wenn in vergangenen Wochen bereits bekannt wurde, dass eine Erweiterung der BRICS zwischen den derzeitigen Mitgliedern intensiv diskutiert wurde, kam die Aufnahme neuer Mitgliedstaaten auf dem BRICS-Gipfel am 24. August in Südafrika als Überraschung. Neben Argentinien, Ägypten und Äthiopien besteht die Hälfte der größten und zweiten Mitgliedererweiterung in der BRICS-Geschichte aus Mittelmächten von beiden Seiten des Golfs: Iran, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) sind offiziell eingeladen, ab 2024 Teil der BRICS-Gruppe zu werden. Während Iran und die VAE bereits akzeptiert haben, „prüft“ Saudi-Arabien die Einladung bislang noch.
Machtgewinn und außenpolitische Alternativen als Beweggründe
Die Aufnahme Irans, Saudi-Arabiens und der VAE in die neue „BRICS+“ stärkt die Position der drei Staaten als Mittelmächte, die auch weit über ihre eigene Nachbarschaft hinaus nach Einfluss streben. Die BRICS-Mitgliedschaft wird daher als Vehikel gesehen, über das die drei Länder ihre Rolle als regionale Führungsmächte konsolidieren und sich im Falle Saudi-Arabiens und der VAE verstärkt auch als globale Gestaltungsakteure positionieren können.
Der BRICS-Beitritt ist zudem für Riad und Abu Dhabi ein weiterer Baustein in einer außenpolitischen Diversifizierungsstrategie, die zwar keinen Ersatz, jedoch aber Alternativen zu angestammten Partnerschaften mit westlichen Staaten, insbesondere den Vereinigten Staaten (USA), sucht. Somit wird der Beitritt zur BRICS von Saudi-Arabien und den VAE nur als zusätzliches politisches Standbein aber nicht als anti-westlicher Schritt aufgefasst – auch wenn letzteres durchaus die Intention Chinas ist, das die treibende Kraft hinter der Einladung an die neuen BRICS-Mitglieder war. Iran bewertet im Gegensatz zu den beiden Golf-Staaten die BRICS+ durchaus als anti-westliches Bündnis und sieht die eigene Aufnahme daher als willkommene Gelegenheit, die von den USA auferlegte internationale Isolation zu durchbrechen.
Der geplante Beitritt Irans, Saudi-Arabiens und der VAE zur BRICS-Gruppe trägt vor allem geänderten geoökonomischen Realitäten am Golf Rechnung. Das unter westlichen Sanktionen stehende Iran ist schon lange wirtschaftlich eng mit China und Russland verbunden. Ohne Einnahmen aus Rohstoffverkäufen an die Volksrepublik wäre die iranische Volkswirtschaft kaum überlebensfähig. Aber auch für Saudi-Arabien und die VAE ist China längst größter Handelspartner, dicht gefolgt vom BRICS-Mitglied Indien, das zweitgrößter Partner der beiden ist. Insgesamt machen die Staaten der BRICS etwa 37 Prozent der saudischen Energieausfuhren und 33 Prozent der emiratischen Mineralölexporte aus und bilden gemeinsam mit Japan, Südkorea und südostasiatischen Ländern die wichtigsten Absatzmärkte für beide Golf-Staaten.[i] Die jetzige politische Annäherung der wichtigsten Wirtschaftspartner ist damit nur folgerichtig.
Besonders Iran hat angesichts amerikanischer Sanktionen zudem die Intention, diesen Handel nicht mehr in US-Dollar abwickeln zu müssen – die Aufnahme in die BRICS mit ihren Plänen für alternative Währungsmechanismen kommt Teheran daher gelegen. Aber auch die arabischen Golf-Staaten sehen die Sanktionen der letzten Jahre gegen Russland, insbesondere dessen Ausschluss aus dem internationalen Zahlungssystem SWIFT und das Einfrieren seiner Devisenreserven, mit Sorge. Infolgedessen verfolgen beide das erklärte Ziel, sich selbst besser gegen derartige Sanktionen schützen zu können. Zwar ist eine Abkehr Riads und Abu Dhabis vom Dollar noch unrealistisch, doch die Intention der BRICS, ein vom Dollar unabhängigeres und damit sanktionssicheres Finanz- und Währungssystem aufzubauen, dürfte beim Beitritt auch für Saudi-Arabien und die VAE eine Rolle gespielt haben.
Neumitglieder verstärken Heterogenität der BRICS
Schon heute sind die BRICS eine wirtschaftlich diverse und politisch heterogene Gruppierung. Nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht divergieren die BRICS-Saaten stark voneinander, auch ihre politischen Systeme unterscheiden sich deutlich und reichen von „unvollständigen Demokratien“ bis hin zu autoritären Regimen.
Die Aufnahme Irans, Saudi-Arabiens und der VAE wird diese tradierten Unterschiede künftig eher akzentuieren als ausgleichen. Im Vergleich zu den bestehenden BRICS-Staaten – abgesehen von Südafrika allesamt ökonomische Schwergewichte – haben die Neumitglieder vom Golf kleinere Volkswirtschaften. Während bislang keines der BRICS-Länder am Pro-Kopf-Einkommen gemessen zu den reichen Staaten der Welt zählt, sind mit Saudi-Arabien und den VAE nun deutlich wohlhabendere Mitglieder Teil der „BRICS+“. Strukturell ähneln die Volkswirtschaften der drei neuen Mitgliedstaaten vom Golf eher denen der Ölexporteure Brasilien und Russland, ihre Außenhandelspositionen und Währungssysteme gleichen hingegen China mit seinen Bilanzüberschüssen und fixen Wechselkursen.
Alle drei Länder stärken unterdessen in den „BRICS+“ das Lager der Autokratien, die bisher noch in der Unterzahl waren, und verschärfen damit bestehende Spaltungen. Nach den indopazifischen Rivalen China und Indien wird mit der Aufnahme Irans und Saudi-Arabiens zudem eine weitere regionale Rivalität in die Staatengruppe getragen. Ohne die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Riad und Teheran aus dem Frühjahr wäre ein gemeinsamer Beitritt zur BRICS wohl gänzlich unrealistisch gewesen.
Energiesupermächte in den „BRICS+“
Die mithin wichtigste Auswirkung des Beitritts Saudi-Arabiens und der VAE auf die BRICS+ ist, dass dessen Finanzmechanismen, die New Development Bank (NDB) und das Contingent Reserve Arrangement (CRA), durch die neuen finanzkräftigen Mitglieder deutlich gestärkt werden könnten. Zwar sind die Emirate bereits Mitglied in der NDB – eine BRICS-Mitgliedschaft ist hierfür keine Voraussetzung – in Zukunft könnte aber besonders die Mitgliedschaft Saudi-Arabiens der BRICS-Bank gelegen kommen.
Die NDB kämpft seit dem Ausbruch des Ukraine-Krieges mit massiven Finanzierungsproblemen, welche saudische Einlagen künftig etwas erleichtern und das Profil der vergleichsweise kleinen NDB gegenüber der Weltbank aufwerten könnten. Da beide Golf-Staaten aber traditionell bilaterale Hilfen und Investitionen präferieren, werden über die NDB verteilte Entwicklungsgelder wahrscheinlich dennoch künftig nur die Minderheit der internationalen Hilfszahlungen aus Saudi-Arabien und den VAE ausmachen.
Dass nun gewichtige Ölproduzenten Mitglieder der künftigen „BRICS+“ sind, könnte möglicherweise auch Auswirkungen auf weltweite Ölmärkte haben – insbesondere hinsichtlich der Währung, in der auf diesen gehandelt wird. Eine tief gespaltene BRICS hatte bisher nur eine wirkliche Agenda: Die globale Finanzordnung in ein System zu ändern, das weniger restriktiv ist, nicht länger einzig unter amerikanischem Einfluss steht und nicht alleine vom US-Dollar geprägt wird. So wurde auf dem BRICS-Gipfel auch eine vermehrte Zahlung von Ex- und Importen in lokalen Währungen beschlossen, welche im kommenden Jahr ausgearbeitet werden soll. Mit Iran, Saudi-Arabien und den VAE als Neumitglieder könnte dies auch Auswirkungen auf die in Dollar gehandelten Mineralstoffmärkte haben. China hatte Saudi-Arabien bereits in der Vergangenheit vorgeschlagen, Ölimporte künftig auch in Renminbi zu bezahlen – Iran akzeptiert das schon länger.
Riad und Abu Dhabi sehen BRICS als geoökonomisches Projekt
Die Aufnahme in die BRICS zeigt, dass sich die Golf-Staaten weiterhin einer bipolaren Logik der Rivalität zwischen China und den USA zu entziehen versuchen und stattdessen diverse themen- und interessenbezogene Partnerschaften aufbauen. Bei diesen Beziehungen geht es für die Golf-Staaten aber weniger um Sicherheitskooperation, sondern mehr um Wirtschaftsimpulse. Iran versucht mit seinem Beitritt zur BRICS zum zweiten Mal in diesem Jahr (nach dem jüngsten Deal mit Saudi-Arabien), seine internationale Isolation Schritt für Schritt zu durchbrechen. Ein engerer Austausch der drei Länder vom Golf mit den künftig acht weiteren „BRICS+“ Staaten durch regelmäßige Gipfel- und Ministertreffen, aber auch Track-II-Formate, verstetigt und erweitert somit das internationale Netzwerk Abu Dhabis, Riads und Teherans.
Gleichzeitig dürften Saudi-Arabien und die VAE auch die strategische Neutralität der „BRICS+“, die vor allem Indien bislang zu wahren versucht hatte, stärken. Insbesondere Riad hat kein Interesse, die Sicherheitspartnerschaft mit den USA zu riskieren, auch wenn in den vergangenen Jahren wegen Angriffen Irans bzw. der von Teheran unterstützen Huthi-Rebellen Zweifel an der Verlässlichkeit amerikanischer Schutzgarantien aufkamen. Öffentliche Äußerungen der Regierungen beider Länder deuten daher darauf hin, dass man weiterhin einen schmalen Grat zwischen der Diversifizierung internationaler Beziehungen und der Bewahrung bestehender Partnerschaften gehen möchte. Vor allem Saudi-Arabiens ausstehende Annahme der BRICS-Einladung dürfte sich dadurch erklären lassen – nicht zuletzt führt Riad gerade parallele Verhandlungen mit Washington über ein mögliches Sicherheitsbündnis.
Daher werden Riad und Abu Dhabi die „BRICS+“ künftig eher als alternative geoökonomische Plattform und weniger als geopolitisch motiviertes, antiamerikanisches Bündnis nutzen möchten – auch wenn dies den Bestrebungen Chinas, Russlands und Irans entgegensteht, welche die Staatengruppe durchaus als geopolitisches Projekt betrachten und damit die USA ausbalancieren wollen.
[i] vgl. Atlas of Economic Complexity 2023: Iran, Saudi Arabia, United Arab Emirates, Harvard University, in: https://atlas.cid.harvard.edu/countries
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Konrad-Adenauer-Stiftung - Regional Programme Gulf States
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