Ein massiver Spendenskandal hat die japanischen Liberaldemokraten Ende letzten Jahres in ihre tiefste Krise seit Jahrzehnten gestürzt. Die Zustimmungswerte in den Umfragen fielen in den Keller. Mehrere Kommunalwahlen hat die LDP verloren. Die meisten Factions, einflussreiche „Parteien innerhalb der Partei“ mit eigener Führung und organisatorischem Unterbau, wurden aufgelöst. Mitte August hat Premierminister Kishida angekündigt, auf die Kandidatur für eine weitere Amtszeit als Vorsitzender der LDP zu verzichten und als Premierminister zurückzutreten. Mit seiner Entscheidung verfolge er das Ziel, „die LDP als Regierungspartei auf einen positiven Weg zu bringen, um das Vertrauen der Öffentlichkeit stetig wiederherzustellen“. Sein Verzicht auf eine neuerliche Kandidatur und der Rücktritt als Premierminister sei „der überzeugendste erste Schritt“, um der Öffentlichkeit zu zeigen, dass sich die LDP verändert.
Knapp ein Dutzend Politikerinnen und Politiker der Partei, mehr als jemals zuvor, haben gleich nach der Ankündigung signalisiert, Ende September bei der Wahl zum LDP-Vorsitz ihren Hut in den Ring zu werfen. Bereits für Ende Oktober oder Anfang November wird derzeit mit einer Auflösung des Repräsentantenhauses und vorgezogenen Parlamentswahlen gerechnet.
In Japan wurde der Verzicht des Premierministers auf eine neuerliche Kandidatur als „Biden-Moment“ gewertet. Aufgrund der schlechten Zustimmungswerte für die Regierungspartei befürchteten führende LDP-Politiker eine Niederlage bei den nächsten Wahlen zum Ober- und Unterhaus. Der innerparteiliche Druck auf Kishida stieg seit Bekanntwerden des Spendenskandals kontinuierlich. Nach der krachenden Niederlage der Konservativen in Großbritannien schrillten in den Reihen der Liberaldemokraten die Alarmglocken noch lauter. Seit ihrer Gründung 1955 hat die LDP fast ununterbrochen die Regierung gestellt.
In den ersten Monaten nach seinem Amtsantritt im Oktober 2021 genoss Kishida zunächst eine hohe Beliebtheit. Nicht erst seit Ende letzten Jahres wuchs in der Bevölkerung jedoch die Unzufriedenheit mit der LDP-geführten Regierung. Dazu trug seit 2022 eine Reihe weiterer Skandale bei. Kurzzeitig konnte Kishida in den Umfragen zwar zulegen, nachdem er im März 2023 überraschend in die Ukraine gereist war; insgesamt hatte die Außen- und Sicherheitspolitik der japanischen Regierung angesichts steigender Lebenserhaltungskosten und Energiepreise aber keinen positiven Einfluss auf die Wählergunst. Nicht wenige Beobachter meinen deshalb, dass letztlich der schwache Yen dem Premierminister zum Verhängnis wurde.
Niemand muss derzeit befürchten, dass die japanische Außen- und Sicherheitspolitik unter der künftigen Regierung ihren Kurs ändern wird. Wirtschaftspolitisch überlässt Kishida seinem Nachfolger aber gleich mehrere Herausforderungen. Angesichts der Tatsache, dass schon bald zwei der vier größten Volkswirtschaften der Erde von neuen Regierungschefs oder -chefinnen angeführt werden und Japan für sein sicherheitspolitisches Engagement auch finanzielle Belastungen schultern muss, ist die künftige Wirtschaftspolitik des Landes aber nicht nur für die japanischen Privathaushalte relevant, sondern verdient international Aufmerksamkeit.
Japan an der Seite des Westens
In Asien gibt es keine multilaterale sicherheitspolitische Allianz wie die NATO. Die USA setzen stattdessen auf bilaterale Bündnisse, trilaterale Initiativen und quadrilaterale Formate. Im Geflecht dieser Hub and Spokes-Architektur war Fumio Kishida für die Biden-Administration während der letzten drei Jahre ein zentraler Eckpfeiler.
2023 richtete der japanische Premierminister in Hiroshima den „Quadrilateralen Sicherheitsdialog“ aus. Im Quad setzen sich die Staats- und Regierungschefs von Japan, Australien, Indien und den Vereinigten Staaten unter anderem für einen „freien und offenen Indo-Pazifik“ ein. Neben Australien und den USA hat sich im April mit diesem Ziel auch Japan an einer gemeinsamen Marineübung („Maritime Cooperative Activity“, MCA) mit den Philippinen beteiligt. Kurz darauf trafen sich Premierminister Kishida, der philippinische Präsident Marcos und US-Präsident Biden erstmalig für einen trilateralen Gipfel in Washington DC.
Das Angebot des südkoreanischen Präsidenten Yoon Suk-yeol für „zukunftsorientierte“ Beziehungen wurde von Tokio ebenfalls dankbar angenommen. Nach mehr als einem Jahrzehnt ohne bilateralen Austausch trafen sich die Regierungschefs beider Länder daraufhin gleich mehrmals. Im August 2023 lud US-Präsident Biden seinen japanischen und südkoreanischen Amtskollegen für Gespräche über eine engere Zusammenarbeit auch in sicherheitspolitischen Fragen nach Camp David ein. Das Weiße Haus bewertete die Zusammenkunft als Beginn einer „neuen Ära der trilateralen Partnerschaft“. Mit seinem Abschiedsbesuch in Seoul wollte Kishida Anfang September unterstreichen, dass weitere Schritte zur Normalisierung der Beziehungen mit Südkorea nach dem bevorstehenden Regierungswechsel für Japan wichtig bleiben. Im nächsten Jahr begehen die beiden fernöstlichen Länder den 60. Jahrestag der Aufnahme ihrer diplomatischen Beziehungen.
Hiroshima war im vergangenen Jahr auch der Austragungsort für den G7-Gipfel. Die Stadt wurde 1945 durch eine Atombombe zerstört. Sie ist der Wahlkreis des Premierministers. An dem Treffen der G7-Staaten nahm als Gast der ukrainische Präsident Selenskyj teil. Japan hat sich nach Ausbruch des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine unmissverständlich an der Seite des Westens positioniert. Mit Blick auf den wachsenden Einfluss der Volksrepublik China und die Bedrohung durch Nordkorea warnte Kishida wiederholt: „Die Ukraine von heute kann morgen Ostasien sein.“ Überzeugt von den Risiken für die Asien-Pazifik-Region, rief auch er eine Art „Zeitenwende“ aus.
Bis 2027 sollen die Verteidigungsausgaben Japans von 1,2 (2023) auf zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts steigen. Nach Kishidas Besuch in Washington DC im April 2022 hat Tokio seine nationale Sicherheitsstrategie, die Verteidigungsstrategie und den Aufbauplan für die japanischen Selbstverteidigungsstreitkräfte (JSDF) grundlegend reformiert. Diese sollen künftig befähigt sein, Raketenangriffe nicht nur abzuwehren, sondern auch Gegenschläge etwa auf feindliche Abschussanlagen und Kontrollzentren auszuführen – für die japanische Sicherheitspolitik seit dem Zweiten Weltkrieg ein regelrechter Wendepunkt!
Bei den „2-plus-2“-Gesprächen der japanischen und US-amerikanischen Außen- und Verteidigungsminister im Rahmen des „Security Consultative Committee“ (SCC) wurde Ende Juli in Tokio beschlossen, die in Japan stationierten US-Streitkräfte (USFJ) zu einem „Joint Force Headquarters (JFHQ)“ aufzuwerten, was im Grunde einem „U.S. Joint Forces Command“ gleichkommt. US-Verteidigungsminister Austin bewertete die Übereinkunft als „die bedeutendste Veränderung der US-Streitkräfte in Japan seit ihrer Gründung und eine der stärksten Verbesserungen unserer militärischen Beziehungen zu Japan in den letzten 70 Jahren“.
Nachdem der japanische Premierminister angekündigt hatte, im September nicht mehr als Parteivorsitzender zu kandidieren und als Regierungschef abzutreten, lobte US-Präsident Biden die Führungsrolle seines Amtskollegen als „geradezu historisch“. Das amerikanisch-japanische Bündnis habe unter Kishida „neue Höhen“ erreicht. Mit „unbeirrbarem Mut und moralischer Klarheit“ habe der Premierminister „Japans Rolle in der Welt verändert“. Kishidas Führungsstärke werde „auf beiden Seiten des Pazifiks noch jahrzehntelang in Erinnerung bleiben, und ich werde immer dankbar sein, ihn meinen Freund nennen zu dürfen“, versicherte Biden. Bei japanischen Investitionen in den USA stößt die Freundschaft aber an Grenzen.
Investitionen zunehmend im Ausland
Im vergangenen Jahr war Japan der größte ausländische Investor in den Vereinigten Staaten. Anfang September wurde jedoch bekannt, dass die USA in der geplanten Übernahme von U.S. Steel durch den japanischen Stahlkonzern Nippon ein Sicherheitsrisiko sehen. Durch den milliardenschweren Verkauf des US-Unternehmens sei in kritischen Sektoren eine Unterbrechung der Lieferketten möglich. Laut Medienberichten vertritt Nippon Steel hingegen die Auffassung, die Transaktion werde die US-amerikanische Stahlproduktion wiederbeleben und die nationale Sicherheit der Vereinigten Staaten bestmöglich unterstützen.
Da die Nachfrage im eigenen Land weiter rückläufig ist, werden chinesische Produzenten in diesem Jahr etwa 100 Millionen Tonnen Stahl ins Ausland exportieren können. Während sich jedoch die USA (ebenso wie Südkorea und Europa) gegen Billigimporte aus der Volksrepublik schützen, nahmen die Einfuhren aus China auf dem japanischen Markt allein von April bis Juni um 43 Prozent zu. Im harten Wettbewerb mit den chinesischen Stahlproduzenten betrachtet Nippon Steel die Übernahme von U.S. Steel für seine globale Expansion als entscheidend.
Das Beispiel zeigt, dass Investitionsbeschränkungen und Importauflagen auch vor engsten Verbündeten nicht Halt machen. Gleichzeitig streben vor allem die hochproduktiven japanischen Großunternehmen weiter ins Ausland, sei es, um im Wettbewerb mit China ihre Renditen zu sichern oder um sich, wie im Fall von Nippon Steel, gegen Preisschwankungen auf den Rohstoffmärkten abzusichern. Erst im August hat der Stahlkonzern deshalb Anteile an einer Kohlemine in Australien übernommen.
Gut ein Viertel ihrer Umsätze erwirtschaften die japanischen Hersteller inzwischen mit Tochtergesellschaften im Ausland. China war während der vergangenen zwei bis drei Jahrzehnte nicht nur aufgrund seiner rasant steigenden Nachfrage einer der bevorzugten Investitionsstandorte, sondern diente den japanischen Niederlassungen auch als Plattform für Exporte in die USA. Unter den von der Trump-Administration ab 2018 erhobenen Einfuhrzöllen auf Warenimporte aus der Volksrepublik litten in China auch die japanischen Tochtergesellschaften deshalb erheblich. Nichts spricht derzeit dafür, dass Washington DC seine Handelspolitik gegenüber der Volksrepublik lockern wird. Der Lockdown der chinesischen Wirtschaft während der Coronapandemie hat japanische Investoren zusätzlich verunsichert. Verstärkt engagieren sie sich deshalb in den Staaten der ASEAN-Gemeinschaft, daneben in Bangladesch und vor allem in Indien.
Für sich genommen bleibt China absehbar aber ein Schwergewicht der japanischen Außenwirtschaft. Noch im letzten Jahr war die Volksrepublik mit rund einem Fünftel aller Im- und Exporte der größte Handelspartner Japans. Nach den USA und Australien war China nach den Zahlen für 2022 überdies das drittgrößte Zielland für japanische Auslandsinvestitionen. Im vergangenen Jahr waren auch die Renditen japanischer Niederlassungen in China mit durchschnittlich 18 Prozent deutlich höher als in den USA, Europa und Südostasien. Beim neunten trilateralen Gipfeltreffen zwischen China, Japan und Südkorea betonte der chinesische Ministerpräsident Li Qiang im Mai wohl auch vor diesem Hintergrund, die Beziehungen der drei Nachbarstaaten seien „trotz der tiefgreifenden globalen Veränderungen unverändert geblieben“. Vor dem diesjährigen Treffen gab es mehr als vier Jahre keinen trilateralen Gipfel der Volksrepublik mit Japan und Südkorea.
Für japanische Unternehmen war und ist das Auslandsgeschäft, auch mit der Volksrepublik China, eine lukrative Einnahmequelle. Japan selbst hat davon aber zunehmend weniger. Denn mehr als die Hälfte ihrer Erlöse aus Direktinvestitionen, umgerechnet über 61 Milliarden Euro, haben die Firmen 2023 im Ausland reinvestiert und nicht im Heimatland. Innerhalb von zehn Jahren haben sich die Auslandsgewinne, die nicht nach Japan zurückgeflossen sind, damit verdreifacht.
Vor zehn Jahren hatten die Abenomics des früheren Premierministers Shinzo Abe mit einer ultralockeren Geldpolitik und Niedrig- bis Negativzinsen das Ziel, die japanische Wirtschaft aus Jahrzehnten der Deflation und Stagnation zu befreien. Tokio strebte eine Inflation von circa zwei Prozent an. Der schwache Yen verteuerte die Importe und förderte die Exportwirtschaft. Denn Produkte „Made in Japan“ wurden im Ausland preiswerter. Seitdem haben sich immer mehr Unternehmen aber dafür entschieden, ihre Produktion gleich ins Ausland zu verlagern. Hersteller mit ausländischen Niederlassungen fertigen rund 40 Prozent ihrer Waren inzwischen außerhalb Japans an. Im Handel verzeichnet das Land, anders als China, deshalb ein Defizit: es werden weniger Güter aus Japan exportiert als importiert. Das Plus in der Leistungsbilanz resultiert stattdessen aus den Direktinvestitionen und Wertpapieranlagen im Ausland.
Produktivität als Achillesferse
Billige Kredite auf Yen-Basis, Zinserträge auf ausländische Anlagen und steigende Börsenkurse allen voran in den USA haben den Wert der international aufgestellten japanischen Unternehmen auch im eigenen Land beflügelt. Der Nikkei-Index kletterte bis Juli auf ein Allzeithoch. Geradezu panisch reagierten die Börsen dann jedoch, als die japanische Notenbank den Leitzins auf 0,25 Prozent anhob, daraufhin der Yen sprunghaft zulegte und aus den USA schwächere Arbeitsmarktzahlen bekannt wurden. Anfang August fielen die Börsenkurse in Tokio plötzlich so stark wie zuletzt am „Schwarzen Montag“ im Oktober 1987. Die Kurse haben sich anschließend rasch wieder erholt; der Vorfall zeigte jedoch schmerzlich, wie sensibel die Anleger auf eine Verringerung der Zinsspanne zwischen Japan und den USA sowie auf eine Aufwertung des Yen gegenüber dem US-Dollar reagieren. Trotzdem wird die japanische Regierung unter neuer Führung Anstrengungen dafür unternehmen müssen, den Wert des Yen behutsam auf einem angemessenen Niveau zu halten.
Bereits seit März beschäftigt sich eine 20-köpfige Expertenkommission mit der globalen Wettbewerbsfähigkeit der japanischen Wirtschaft. Dahinter steht die Frage, mit welchen strukturellen Reformen die Profite der Unternehmen das Wirtschaftswachstum im eigenen Land ankurbeln können. Ein namentlich nicht benannter Regierungsbeamter wird mit der Aussage zitiert: „Im Wesentlichen müssen sich die wirtschaftlichen Fundamentaldaten Japans ändern, damit sich der relative Wert der Währung ändert.“ Während der Pressekonferenz, bei der er Mitte August seinen Rücktritt ankündigte, mahnte Kishida, Japan müsse dafür „das Lohn- und Investitionswachstum beschleunigen“.
Die Idee ist keineswegs neu: Schon 2013 forderte der frühere Premierminister Shinzo Abe als Teil seiner Wachstumsstrategie: „Wir müssen dafür sorgen, dass in Japan umfangreiche Investitionen getätigt werden. Die Hauptakteure sind dabei die Unternehmen. (…) Unser Ziel besteht darin, durch Investitionen die Produktivität der Arbeitskräfte zu erhöhen und so die Einkommen zu steigern. Menschen, die mit vollem Einsatz arbeiten, müssen entsprechend entlohnt werden.“ Allein, die japanischen Unternehmen blieben zurückhaltend. Japan liegt bei den Jahresgehältern noch immer deutlich unter dem OECD-Durchschnitt. Das hat mehrere Ursachen: eine rasch alternde und schrumpfende Gesellschaft, eine vergleichsweise schwach ausgeprägte Arbeitsmobilität, eine eher nach Seniorität als nach individueller Leistung ausgerichtete Gehaltsstruktur und vieles mehr. Gesamtwirtschaftlich hat darunter vor allem die Produktivität gelitten.
Der private Konsum markiert mehr als die Hälfte des japanischen Bruttoinlandsprodukts. Den größten Teil der Wertschöpfung steuert der Dienstleistungsbereich bei. Die Arbeits- und totale Faktorproduktivität (Innovationsfähigkeit) in diesem Bereich hinkt aber hinterher. Bereits vor zwanzig Jahren hat die Arbeitsproduktivität im produzierenden Gewerbe die des Dienstleistungssektors überholt. Während also insbesondere die großen japanischen Hersteller in Robotik, Automatisierung und IT-gestützte Produktions- und Verfahrenstechnik investiert haben, konnten die zahllosen kleineren und mittleren Dienstleistungsbetriebe ihre Produktivität kaum erhöhen. Letztlich mussten sie das ja auch nicht: Zinsgünstige Kredite zum Teil ohne jegliche Sicherheiten garantierten den Fortbestand der Firmen auch ohne innovative Neuerungen. Anders als millionenfach in den Vereinigten Staaten, mussten sich viele Beschäftigte im Dienstleistungssektor selbst während der Covid-Pandemie nicht umorientieren.
Die japanische Regierung hat die Wirtschaftsleistung dadurch gestützt, dass sie die Beschäftigtenquote insgesamt erhöhte. Mit zusätzlichen Plätzen für die Kinderbetreuung wurde, wenn auch häufig nur in Teilzeit, der Anteil der Frauen an den Erwerbstätigen erhöht. Zusätzlich wurden Arbeitsplätze für Geringqualifizierte und für Senioren geschaffen, die neben der Rente dazuverdienen wollen. Der schwache Yen hat zuletzt auch den Tourismus als Einnahmequelle deutlich aufgewertet. Das reicht aber nicht.
Zwar stieg der private Konsum erstmalig seit über einem Jahr zwischen April und Juni um ein Prozent im Vergleich zum vorausgegangenen Quartal und legten auch die Anlageinvestitionen der Unternehmen um knapp ein Prozent zu; noch gilt dies jedoch nur als vorübergehende Erholung der Binnennachfrage. Es wäre auch verfrüht anzunehmen, dass die japanischen Privathaushalte jetzt vor allem deshalb neue Autos und Klimaanlagen kaufen, weil sie mehr Geld in der Tasche haben.
Richtig ist, dass die Löhne im Frühjahr so stark angehoben wurden wie seit über 30 Jahren nicht mehr. Die großen Unternehmen erhöhten um 5,1 Prozent, viele mittelgroße Firmen durchschnittlich um 4,5 Prozent. Erstmals seit 27 Monaten stiegen im Juni deshalb auch die Reallöhne um 1,1 Prozent. Nachdem Shinzo Abe vor über zehn Jahren mit seiner Forderung in diese Richtung auf taube Ohren stieß, bewertet Takeshi Minami, Chefökonom bei Norinchukin Research, die diesjährige Lohnerhöhung als „die bemerkenswerte Errungenschaft der Kishida-Regierung“.
Die Rechnung lautet mithin: mehr Investitionen im eigenen Land = höhere Produktivität = höhere Löhne = höhere Binnennachfrage = höheres Bruttoinlandsprodukt (real; ohne Berücksichtigung von Preisschwankungen) = verbesserte internationale Wettbewerbsfähigkeit. Im Kleingedruckten steht, dass die bereits sehr produktiven (und weltweit engagierten) japanischen Großunternehmen den kleineren und mittleren Firmen dann auch ermöglichen müssen, gestiegene Kosten über die Verkaufspreise an die japanischen Konsumenten weiterzugeben. Denn nur mit höheren Einnahmen werden die kleineren Betriebe absehbar in der Lage sein, für ihre Beschäftigten die Löhne zu erhöhen. Eine aus Angst vor drohender Arbeitslosigkeit erzwungene Jobmobilität wie in den USA dürfte auch für die künftige japanische Regierung jedenfalls keine Option sein. Höhere Löhne angesichts von grassierendem Fachkräftemangel und steigenden Preisen sind aber wohl unumgänglich.
Nicht nur japanische Unternehmen sollen für ein höheres Bruttoinlandsprodukt künftig wieder stärker im eigenen Land investieren. Für seine „grüne“ und „digitale Transformation“ wirbt Tokio mit einer neuen „FDI Task Force“ seit dem vergangenen Jahr auch in den USA, Großbritannien, Deutschland, Frankreich und Australien um Neuansiedlungen und Beteiligungen in Japan. Mit der Aussicht auf lukrative Jobs will die Regierung innovative Startup-Manager und weltweit nachgefragte Talente ins Land holen. „Die Ära“, meint Chefökonom Minami, „in der ein schwächerer Yen zu höheren Exporten und einem höheren BIP führte, ist zu Ende gegangen.“ Damit hätte Premierminister Kishida während seiner dreijährigen Amtszeit die Abenomics abgelöst und mit seinem Konzept für eine New Form of Capitalism die Weichen für seine Nachfolge gestellt. Sollte die Rechnung aufgehen und die Steuereinnahmen sprudeln, dürfte unter Japans künftiger Regierung auch die Erhöhung der Verteidigungsausgaben leichter fallen.
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