Publicador de contenidos

Título individual

Künstliche Intelligenz in China

de Dev Lewis

Innerhalb kürzester Zeit hat sich China zu einem wichtigen Zentrum für künstliche Intelligenz entwickelt.

Dev Lewis untersucht die Beweggründe Chinas, weltweit führend in Forschung und Anwendung von KI zu werden und legt dar, wie die chinesische Regierung und Internetunternehmen das KI-Ökosystem ausbauen.

Publicador de contenidos

Compartir

EINFÜHRUNG

Jeder Artikel, der sich mit Chinas Ambitionen im Bereich Künstlicher Intelligenz (KI) befasst, muss mit dem Brettspiel Go beginnen. Genauer gesagt, mit dem Duell zwischen dem Südkoreaner Lee Sedol, der als einer der weltbesten Profispieler des letzten Jahrzehnts gilt und 18 Weltmeistertitel trägt, und dem von Googles DeepMind entwickelten Computerprogramm AlphaGo. Nicht nur, dass Lee Sedol in einer nunmehr legendären Partie 1:4 gegen die Maschine verlor. In dem von weltweit 200 Millionen Menschen verfolgten Match demonstrierte AlphaGo ebenfalls einzigartige innovative taktische Fähigkeiten. Go ist ein äußerst strategisches Spiel, das auf mehr als 2500 Jahre Geschichte in der Kultur Chinas und Ostasiens zurückblickt. War es in den vergangenen Jahrhunderten für Intellektuelle und die chinesische Bürokratie unverzichtbar, so spielt Go auch im heutigen China eine zentrale Rolle in der militärischen und strategischen Planung. Der Sieg von DeepMind über Lee Sedol und später über den chinesischen Meister Ke Jie erregte die Aufmerksamkeit von Menschen auf der ganzen Welt, vor allem aber in Ostasien. In China sorgte das Ereignis zu einer weiteren Beschleunigung der staatlichen Ambitionen, als globale Supermacht im Bereich der Künstlichen Intelligenz aufzusteigen.

Die Entwicklungen im Bereich der KI werden regelmäßig als Wettrüsten bezeichnet. Obwohl diese Beschreibung teilweise irreführend ist, da sie die Wichtigkeit von grenzüberschreitendem Experten- und Investitionsaustausch ignoriert, erfasst sie dennoch den realen Wettbewerb um die globale Führungsposition zwischen den Ländern. Dies hat eine reale historische geopolitische Dimension, da die Kommunistische Partei Chinas (KPCh) der Ansicht ist, dass westliche Länder China bisher den Zugang zu den neuesten Technologien verwehrt haben. Die Überwindung von Chinas Abhängigkeit von westlichen Technologien ist demnach sowohl von politischer und sicherheitstechnischer als auch von wirtschaftlicher Relevanz. China sieht in KI eine Technologie mit strategischer Relevanz für die Erreichung seiner wichtigsten nationalen wirtschaftlichen, sozialen, politischen und militärischen Ziele. Die Führungsposition im Bereich der KI soll China, geführt durch die Kommunistische Partei, den Aufstieg zur entwickelten, wohlhabenden Wirtschaftsmacht ermöglichen.

Chinas Staatsrat, das oberste politische Gremium des Landes, umriss dieses Ziel in dem im Juli 2017 verfassten Dokument "Next Generation AI Development Plan". Darin wird unmissverständlich gefordert, dass China bis 2030 zum weltweit führenden Herkunftsland von KI-Innovationen aufsteigen soll. Das Dokument beschreibt Chinas Strategie seit Beginn der ersten industriellen Revolution als Aufholversuch zum technologisch überlegenen Westen, allen voran den USA, mit Hinblick auf Patente, Talente und wissenschaftliche Forschung. Im Bereich der KI will China nun den Sprung zum globalen Spitzenreiter schaffen.

Im Zusammenhang mit KI bedeutet dies Durchbrüche in Grundlagenforschung, den Aufbau eines kommerziellen Ökosystems, die Ausbildungund Anwerbung der weltweit besten Talente sowie die Festlegung globaler Standards und Normen. Erste Hinweise auf KI gab es bereits in früheren Regierungsplänen. Ebenfalls haben chinesische Unternehmen wie Baidu und Alibaba längst damit begonnen, in den KI-Bereich zu investieren. Dennoch liegt die Relevanz des Plans von 2017 in seinem "gesamtstaatlichen Ansatz"und dem Ziel einer Anreizstruktur für alle Beteiligten einschließlich Unternehmer, Studenten, Wissenschaftler, Investoren, politischen Entscheidungsträgern und staatlichen Stellen. Auf Grundlage der somit gebündelten Stärke Chinas und des technologischen Verständnisses sollen die geeigneten rechtlichen Rahmenbedingungen geschaffen, der Talentpool der KI-Ingenieure erweitert sowie einheimische Innovationen entwickelt werden, um damit den Sprung zur weltweiten KI Führungsmacht zu ermöglichen. Zwei Jahre nach der Inkraftsetzung stellt sich die Frage nach der tatsächlichen wirtschaftlichen Größe der chinesischen KI-Industrie.

Nach Angaben des China AI Report (中国人工智能发展报告), herausgegeben vom Technology Policy and Research Institute an der Tsinghua University, wurde die Größe der chinesischen KI-Industrie im Jahr 2017 auf 23 Milliarden RMB (2,9 Milliarden Euro) geschätzt. Allerdings sind genaue Angaben sehr schwierig, da sich hinter dem Begriff KI eine Vielzahl verschiedener Technologien und Anwendungen verbergen, ganz zu schweigen von den Schwierigkeiten bei der genauen Datenerfassung. So beziffert der Tsinghua KI-Bericht die Anzahl der KI-Unternehmen in China auf 1011, während die Pekinger Kommunalkommission für Wirtschaft und Informationstechnologie in ihrer offiziellen Veröffentlichung „Beijing AI Industry Development White Paper“ (AI 人工智能 产业 发展 白皮书) 4000 KI Unternehmen zählt, von denen 1070 allein in Peking ansässig seien. Dieses Beispiel illustriert die starken Abweichungen bei dem Versuch der quantitativen Erfassung des chinesischen KI Sektors. Es ist zu vermuten, dass die Zahlen eher den Angaben des China AI Report entsprechen. Diese Größenordnung deckt sich auch mit den Schätzungen des China Money Network und des Think Tank Yiyou, welche jeweils 1122 Unternehmen beziehungsweise 922 Unternehmen zählten. Im Vergleich wird die Anzahl der KI-Unternehmen weltweit auf 3465 bis 4925 geschätzt.

Angesichts dieser Zahlen ist es nicht verwunderlich, dass China einen erheblichen Anteil an den weltweiten Investitionen in den KI-Sektor für sich verbucht. Dem Tsinghua-Bericht zufolge flossen zwischen 2013 und 2018 60% der weltweiten Investitionen in den chinesischen KI-Sektor, während ein CB Insights Bericht China 48% der weltweiten KI-Investitionen im Jahr 2017 zuschrieb. Dass ein Großteil der Investitionen in den letzten zwei Jahren getätigt wurde, spiegelt sich in der Tatsache wider, dass sich 81% der Unternehmen im Finanzierungszyklus noch in den sogenannten Angel-, Seed-, sowie Series A- und B-Runden befinden, wie aus dem oben zitierten China Money Network-Bericht hervorgeht. Dem Tsinghua-Bericht zufolge erreichte das Wachstum der KI-Industrie 2018 mit 75% seinen Höchststand, um im Anschluss bis 2020 auf 40% zu sinken. Zum Vergleich, der Staatsrat strebt an, dass Chinas "KI-Industrie" auf 10 Billionen RMB (1,2 Billionen Euro) anwächst, was einem Wachstum der Branche um das 25-fache nur zwischen 2018 und 2030 entspräche.

Wenn es um das Thema Technologieinvestitionen in China geht, müssen die Unternehmen Baidu, Alibaba und Tencent, zusammenfassend als BAT bekannt, und jetzt auch das Unternehmen Huawei, erwähnt werden. Entsprechend der oben genannten Definition handelt es sich streng genommen bei keinem dieser Unternehmen um KI-Firmen. Nichtsdestotrotz spielen sie eine Schlüsselrolle mit Hinblick auf das Vorantreiben von Forschung und Entwicklung (R&D) sowie von Fusionen und Übernahmen innerhalb der Branche. Zudem sind sie Eigentümer digitaler Daten.Laut einem Bericht von huxiu.com sind diese vier Unternehmen mittels Investitionen mit 65% der 190 befragten chinesischen KI-Unternehmen vernetzt. Jedes dieser vier Unternehmen konzentriert sich auf Forschung und Entwicklung sowie auf Investitionen in den Bereichen, die aufgrund ihrer bestehenden Geschäfte und Plattformen derzeit einen KI-Wettbewerbsvorteil darstellen. Für Alibaba ist das der Einzelhandel, das Finanzwesen und das Unterhaltungsmarketing. Baidu konzentriert sich auf den Bereich der Such- und KI-Anwendungen, insbesondere bei autonomen Fahrzeugen. Tencent investiert in soziale und Bildungs- Netzwerke, während Huawei mit seinen Telefonen und KI-Chips in Gerätetechnik investiert.

In zunehmendem Maße ist jedoch öffentliches Kapital von Seiten der Zentralregierung von Bedeutung. Wie im nächsten Abschnitt ausführlicher dargestellt wird, erfolgen Investitionen in mehrere große und kleine KI-Unternehmen durch sogenannte Government Guidance Funds (GGF) (政府 引导 基金).

Zu guter Letzt dokumentieren auch zahlreiche quantitative Erhebungen Chinas Aufstieg im Bereich derKI-Forschung. Gemäßdes 2018 veröffentlichten AI Index der US-amerikanischen Stamford University, stieg die Zahl der in China veröffentlichten wissenschaftlichen Publikationen im Bereich KI zwischen 2007 und 2017 um dramatische 150% an und stellt nunmehr einen Weltanteil von 25% aller KI Publikationen dar. Zudem werden die Publikationen heute im Durchschnitt 44% häufiger zitiert als es noch im Jahr 2000 der Fall war, was auf eine größere Relevanz der wissenschaftlichen Arbeit hindeutet. Trotzdem rangiert China noch immer hinter Europa und den USA, welche im Hinblick auf die Anzahl der Zitierungen wissenschaftlicher Publikationen weltweit führend sind.

WAS MEINEN WIR, WENN WIR KI SAGEN?

Bildverarbeitungsanwendungen, natürliche Sprachverarbeitung und Spracherkennung gehören zu den wichtigsten Kerntechnologien für maschinelles Lernen, in denen weltweit bedeutende Durchbrüche in der Anwendung neuer Technologien erzielt wurden. Dies ist auch in China der Fall. Die Gesichtserkennung macht 35% aller KI-Anwendungen in China aus. Aus diesem Bereich sind auch einige der bekanntesten und weltweit umstrittensten KI-Einhörner Chinas wie SenseTime, Megvi Face ++ und Yitu hervorgegangen.

Natürliche Sprachverarbeitung und Spracherkennung machen 31% bzw. 25% der KI-Anwendungen in China aus. Zu den wichtigsten Kunden zählen Regierungsbehörden auf Provinz- und Stadtebene. In den Regierungsetagen strebt man nach Digitalisierung, um nicht etwa von benachbarten Distrikten oder Provinzen in den Schatten gestellt zu werden, etwa im Hinblick auf die Qualität der städtischen Verwaltung oder den Zugang zu Behördendiensten.

Am umstrittensten gilt der Einsatz der KI Technologien im Bereich der innerstaatlichen Sicherheit, was zu einer verstärkten staatlichen Überwachung führt. Beispiele dafür sind zum einen die Yitu-Technologie, die unter anderem Gesichts- und Fahrzeugerkennung umfasst und die in ganz Shanghai zu Überwachungskameras hinzugefügt wird, um die Strafverfolgung zu unterstützen. Zum anderen das auf Bildverarbeitungsanwendungen spezialisierte KI Unternehmen SenseTime, das sich auf eine engere Zusammenarbeit mit den Sicherheitsbehörden in Xinjiang zubewegt. Ebenfalls zählen dazu Experimente mit der Anwendung von großen Datenerfassungen und mit algorithmischer Überwachung, die innerhalb des sozialen Kreditsystems Anwendung finden sollen, um die Rechenschaftspflicht der Bürger vor dem Gesetz zu verbessern. Dies spiegelt den zweifachen Nutzen dieser Technologien wider. Im Prozess der Anwendung von KI in der Strafverfolgung schreitet China, ungehindert durch rechtliche Hindernisse oder Bedenken bezüglich dem Schutz der Privatsphäre und dem Datenschutz, unbeirrt an der Spitze voran.

Für den Erfolg des Technologiebereichs in China ist der chinesische Privatsektort verantwortlich, insbesondere für die Entwicklung kommerziell erfolgreicher Anwendungen im Zahlungsverkehr und im elektronischen Geschäftsverkehr. Das Ausmaß des staatlichen Einflusses, der als synonym mit dem der KPCh verstanden werden muss, auf die zukünftige Weichenstellung in der technologischen Entwicklung nimmt jedoch zu. Eine Vielzahl von Gesetzen und Vorschriften zur innerstaatlichen Kontrolle des Internets, gepaart mit den oben umrissenen ehrgeizigen staatlichen Ambitionen im Bereich der KI, haben eine starke Vernetzung zwischen dem Staat und den verschiedenen Interessengruppen der Branche begünstigt.

KONSTRUKTION EINES ÖKOSYSTEMS MIT CHINESISCHEN EIGENSCHAFTEN

Das technologische Ökosystem Chinas ist in vielerlei Hinsicht unverwechselbar, aber es sind Rolle und Einfluss der chinesischen Regierung, die es von allen anderen unterscheidet. Die Regierung ist in der Lage, ihre Visionen wie der Chefdirigent eines komplizierten Orchesters zu entwickeln und umzusetzen. Wie Lee Kaifu in seinem neuen Buch „AI Superpowers“ feststellt, gibt Chinas Regierung den Ton an, indem sie KI zum Herzstück der wirtschaftspolitischen Agenda macht und somit dem gesamten Ökosystem, einschließlich der lokalen Regierungen, Unternehmer, Studenten und Universitäten, Dynamik verleiht und weiter vorantreibt.

Die Zentralregierung hat eine Reihe von Plänen und Strategiedokumenten herausgegeben (siehe Tabelle 1 für eine Liste aller auf KI bezogenen Pläne auf zentraler Ebene), die für die Regierungen auf Provinzebene als Aufruf zum Handeln fungierten. Mindestens 15 der 31 Provinzen Chinas hegen eigene KI-Entwicklungspläne. Oberflächlich gesehen entsprechen diese Pläne der chinesischen Tradition der leninistischen Zentralplanung. Rogier Creemers, eine Autorität in Bezug auf chinesische techno-rechtliche Fragen, bezeichnete den Next Generation AI-Plan als „Weihnachtswunschliste von Vorhaben und Zielen, jedoch ohne Details darüber, wie diese Ziele erreicht werden sollten, außer dass man einfach nur Geld austeilt“ .Einen Anhaltspunkt bietet das Publikum, für das die KI Anwendungen bestimmt sind, nämlich nicht für Personen, die in Indien oder Deutschland sitzen, sondern für Partei- und Regierungsvertreter auf allen Ebenen der Zentral- und Provinzregierung. Matt Sheehan von Macropolo erklärt: „Man hofft, dass die örtlichen Behörden eine ausreichende Anzahl dieser Wünsche wahr werden lassen – Fabriken, die intelligente Roboter einsetzen; neue Forschungszentren, die natürliche Sprachverarbeitung einsetzen; Vorzeigeprojekte autonomer Landwirtschaftsdrohnen – um letztendlich das Hauptziel des Plans zu erreichen, nämlich die globale Führungsrolle im KI Sektor“.

Dieser Ansatz reflektiert sich unter anderem im Einsatz staatlich unterstützter Dachfonds, der sogenannten Government Guidance Funds, auch als GGFs bezeichnet, die bereits im ersten Teil dieses Beitrags erwähnt wurden. Der erste GGF war ein Experiment der Stadtregierung von Peking im Jahr 2002, im Anschluss an die offizielle Anerkennung durch die Nationale Entwicklungs- und Reformkommission (NDRC). In ganz China, hauptsächlich jedoch auf Provinz- und Stadtebene, wurden schätzungsweise 800 bis 1000 dieser Fonds eingerichtet, um Zusatzfinanzierungen mit einem Gesamtaufkommen von 5,3 Billionen RMB (671 Milliarden Euro) zu ermöglichen. Zwar sind diese Mittel nicht ausschließlich darauf ausgerichtet, Innovationen in der Technologie voranzutreiben, so fließen dennoch viele dieser Mittel in Technologiebereiche wie Big Data, High-Tech-Fertigung, Chipsätze und Ähnliches. Angespornt von dem Gedanken, Privatunternehmen investierten zu wenig in den Bereich Forschung und Entwicklung, versuchen Regierungen schon seit langem eine betont aktive Rolle in der Innovationsförderung einzunehmen. GGFs ergänzen die staatlichen Bemühungen der Innovationsförderung auf einzigartige Weise, indem sie neben der Vergabe von Zuschüssen oder Subventionen auch in Unternehmen investieren und zu Anteilseignern werden.

Es gibt nur äußerst wenige Daten oder öffentlich zugängliche Studien darüber, ob die GGFs eine effektive Verwendung von staatlichem Kapital darstellen und tatsächlich innovationsfördernd fungieren. Gelingt die erhoffte Zusatzfinanzierungen oder werden private Investoren verdrängt? Gelingt mittels der GGFs die Investition staatlicher Gelder in risikoreiche Innovationsprojekte mit geringen privaten Renditen? GGFs spielen eine wichtige Rolle in Chinas Bestreben, eine wirtschaftlich lebensfähige einheimische Halbleiterindustrie aufzubauen, ein Sektor, der für seine extrem hohen Markteintrittsbarrieren und Risikokapitalinvestitionen bekannt ist. Einige der größten GGFs sind hier besonders prominent, wie etwa der Guangdong Integrated Circuit Industrial Investment Fund, der Shanghai Integrated Circuits Industry Investment Fund (50 Mrd. RMB / 633 Mio. Euro) und Chinas, State-Owned Assets Venture Investment Fund (200 Mrd. RMB / 2,5 Mrd. Euro). Letzterer ist ein Investor in Cambricon, einem Einhorn-Chipsatz Hersteller. Die Zeit wird zeigen, wie erfolgreich diese vom Staat geführten Bemühungen sind, das Ökosystem zu vergrößern und Innovationen anzuregen. Bisher hat keine GGF einen erfolgreichen Exit vollzogen.

Im November 2018 kündigte das Ministerium für Industrie und Informationstechnologie (MIIT) über eine Website (http://www.aibest.org.cn) eine offene Ausschreibung für Unternehmen aus dem ganzen Land an. Fünf Unternehmen aus 17 verschiedenen technischen Bereichen sollen ausgewählt werden, um „Engpässe in der KI-Entwicklung zu überwinden, Branchen-Benchmarks festzulegen, eine Armee für Innovationsentwicklung zu bilden, die Entwicklung der nationalen KI-Industrie zu beschleunigen und die Integration mit der Realwirtschaft zu vertiefen“. Dies bedeutet faktisch die Gründung einer Nationalmannschaft von KI-Champions, die vom Ministerium für Wissenschaft und Technologie von Hand ausgewählt werden, um, vermutlich zusammen mit Baidu, Alibaba, Tencent, iFLYTEK und SenseTime, in vier ausgewählten Bereichen offene Innovationsplattformen zu entwickeln.

Selbst wenn dieser Top-down-Ansatz beim Aufbau des Ökosystems ineffizient ist und den Wettbewerb im Markt beschränkt, könnte Chinas von Lee Kaifu als techno-utilitaristisch bezeichneter Ansatz zur Nutzung neuer Technologien einen Wettbewerbsvorteil gegenüber den westlichen Ländern bei der Entwicklung der KI darstellen. Dies zeigt sich bereits darin, mit welchem Tempo die Regierung KI für Regierungsdienste angewendet hat (siehe oben). Dies kann auch auf chinesische Verbraucher ausgedehnt werden, die neuen Technologien gegenüber sehr aufgeschlossen sind, beispielsweise bei digitalen Zahlungen oderBike-Sharing, wobei Bedenken um den Datenschutz in China eine viel geringere Rolle spielen. Kann dies zu einem Erstanbietervorteil in der KI führen?

Ein Blick auf bestimmte Branchen oder Domänen illustriert den Sachverhalt. Autonomes Fahren ist ein typisches Beispiel. Das erste Unternehmen, das auf den Markt kommt, ist nicht unbedingt auch das erste Unternehmen, das die Technologie entwickelt, sondern dasjenige, das in einem Land ansässig ist, das als erstes einen landesweiten gesetzlichen Rahmen entwickelt, der es autonomen Fahrzeugen erlaubt, legal auf der Straße zu fahren. Ein interessantes Beispiel ist der New Xiongan District, der in der Provinz Hebei, 80 Meilen außerhalb von Peking, gebaut wird. In Zusammenarbeit mit Baidu, dem Hersteller von Apollo, einer Open-Source-Plattform für autonome Fahrzeuge, die von BMW und Bosch genutzt wird, plant die chinesische Regierung neben vielen Neuerungen auch den Bau eines Straßensystems für autonome Fahrzeuge. Ein weiterer wichtiger Bereich, der nicht nur Technologie, sondern auch eine enge Zusammenarbeit von öffentlichen und privaten Akteuren erfordert, ist das Stadtmanagement. Zum Beispiel gehört das City Brain von Alibaba Cloud, das derzeit in Städten wie Hangzhou und Suzhou getestet wird, zu den weltweit führenden Plattformen, die die Erstellung von Smart Cities durch die Erfassung von Daten und Echtzeitinformationen ermöglichen.

Letztendlich führt dies die Diskussion zu folgender Grundsatzfrage. Wie geht eine Gesellschaft mit KI um und welche normativen Werte, geprägt von der gesellschaftspolitischen DNA einer Kultur, möchte sie in die Technologie einbauen?

REGIERUNGSGEWALT UND DATENSCHUTZ: IDEEN UND KONZEPTE

Diskussionen über Ethik, Auswirkungen auf die Gesellschaft, Kontrolle von Algorithmen und die Zukunft der Arbeit sind zunehmend Teil des globalen KI-Diskurses geworden. Dies sind schwierige Zukunftsfragen auf die es keine einfache Antwort gibt, und China ist in dieser Hinsicht keine Ausnahme. Genau wie in den meisten Ländern auch, sorgen sich auch die Chinesen um ihre Arbeitsstellen und andere gesellschaftliche Risiken. Auf der vor kurzem abgehaltenen KI Weltkonferenz in Shanghai hat Präsident Xi Jinping auf die Notwendigkeit hingewiesen, "Gesetze, Sicherheit, Beschäftigung, Ethik und Governance der KI unter allen Aspekten zu entwickeln", und stellte fest, dass dies "eine tiefe Zusammenarbeit mit allen Ländern erfordert". Jeffrey Ding, Forscher am Future Humanity Institute in Oxford, merkt an, dass sich die internationale Aufmerksamkeit davonabwenden muss, ob China diese Diskussionen führt, um sich stattdessen auf den Inhalt der Diskussionen zu konzentrieren.

Anders als in den meisten Demokratien, befassen sich Fragen der Ethik in China nicht mit dem Einzelnen, sondern mit der Gemeinschaft. In einem Interview mit dem Autor erklärt Rogier Creemers: „China teilt diese Bedenken [des Westens] nicht, weil seine „Betriebssystemsoftware“ nicht auf der Idee des Staates als Vermittler des individuellen Wohlbefindens basiert, jener Idee die im Zentrum der liberal-demokratischen Vorstellung von Staat und Staatsbürgerschaft liegt […]. Daher wird die Frage nach Algorithmen in China höchstwahrscheinlich nicht beinhalten , ob sie die individuellen Rechte eines Einzelnen verletzen oder nicht, sondern ob sie zur Lösung der ermittelten sozioökonomischen Probleme beitragen oder nicht. An dieser Stelle könnte die Frage der Fairness auftauchen: nicht aber aus einer identitäts- oder klassenbasierten Perspektive, sondern eher aus einem klassisch leninistischen Ansatz heraus.“

Auf der Suche nach einem normativen und philosophischen Rahmen für den Umgang mit KI schaut China nach innen und nach außen. Professor He Huaihong, Professor für chinesische Philosophie an der Peking-Universität, hat argumentiert, dass China seine Sozialethik auf der Grundlage konfuzianischer Werte angesichts rascher Veränderungen und Entwicklungen in der chinesischen Gesellschaft neu aufbauen muss. Baidu war das erste chinesische Unternehmen, das sich der KI-Partnerschaft angeschlossen hat, während andere Unternehmen verstärkt mit führenden amerikanischen und europäischen Forschungseinrichtungen zusammenarbeiten.

Die Notwendigkeit den Datenschutz mit den Erfordernissen von datenhungrigen Machine-Learning-Systemen in Einklang zu bringen, ist ebenfalls eine fundamentale Herausforderung. Aufgrund unzureichender Datenschutzstandards ist Datendiebstahl in China seit langem ein blühendes Geschäft. Eine weitgehend noch unbedarfte Bevölkerung (und Regierung) ist nicht in der Lage diese Entwicklung zu bremsen. Das Cybersecurity-Gesetz (2017), das vor mehr als einem Jahr in Kraft trat, beschränkt den Fluss grenzüberschreitender Daten stark und gibt höhere Datenschutzstandards vor. Bereits jetzt wurden Unternehmen, die gegen das Gesetz verstoßen haben, abgemahnt. Chinas wichtigstes Normungsgremium hat auch eine Spezifikation für die Sicherheit persönlicher Informationen (kein verbindliches Gesetz) verabschiedet, die sich an der Allgemeinen Datenschutzverordnung (DSGVO) der Europäischen Union orientiert. Angesichts zunehmender Bedenken hinsichtlich der missbräuchlichen Verwendung persönlicher Informationen durch den privaten Sektor, zwingt es chinesische Unternehmen dazu, die Daten ihrer Benutzer zu schützen. Das Gesetz zielt auch darauf ab, einen Rahmen für das Datenmanagement mit dem Aufstieg von Smart Cities und Big Data-Systemen zu schaffen.

Wie kann die Notwendigkeit der Innovation mit dem Schutz personenbezogener Daten in Einklang gebracht werden? In einem von der Tageszeitung People’s Daily veröffentlichten Kommentar wurde das Dilemma als solches festgehalten: „Die Entwicklung der Technologie ist eine treibende Kraft für den gesellschaftlichen Fortschritt, auf den die Menschen nicht aus Angst vor Datenschutzfragen verzichten sollten, aber die Entwicklung der künstlichen Intelligenz kann auch nicht auf Kosten der Privatsphäre gehen “.

FAZIT

Innerhalb kurzer Zeit hat China begonnen, einen erheblichen Teil an Investitionen in den Aufbau eines kommerziellen Ökosystems zu leiten und die Anwendung von KI Technologien in verschiedenen Wirtschaftszweigen, einschließlich staatlichen Dienstleistungen, zu fördern. Dies hat dazu geführt, dass China im globalen Vergleich an der Spitze der KI Investitionen rangiert und gleichzeitig weltweit über die zweitgrößte Anzahl an KI-Unternehmen verfügt. Dieser Trend wird sich in den nächsten Jahren weiter fortsetzen, da eine Reihe chinesischer Einhornunternehmen wachsen und sich weiterentwickeln. Die Zahl der von China eingereichten KI-Patente steigt schnell, ebenso wie die Anzahl an Publikationen wissenschaftlicher Arbeiten von chinesischen Forschern. Nichtsdestotrotz, wie aus Chinas eigenem langfristig-angelegten KI-Plan hervorgeht, handelt es sich bei dem „KI-Wettrennen“ jedoch eher um einen Marathon als um einen Sprint, da es sowohl in der Politik als auch im Labor einige grundlegende Probleme zu lösen gibt.

Zwei entscheidende Faktoren sorgen für frischen Wind auf der Ebene internationaler Beziehungen. Erstens die unverkennbare Konvergenz zwischen Technologie und Politik. Technologieunternehmen und ihre Plattformen wirken sich auf Wahlen und nationale Diskurse aus. Das Ausmaß und die Auswirkungen von Cybersecurity-Angriffen auf die reale Welt nehmen weiter zu. Die Regierungen arbeiten daran, Gesetze und Rahmenbedingungen zu schaffen, in denen Standards festgelegt werden, die den verantwortungsvollen Umgang mit der Technologie durch die Menschen neu definieren.

China ist in jedem dieser Bereiche ein wichtiger Akteur. Dies ist mit dem zweiten kritischen Trend verknüpft, Chinas Aufstieg zur zweitgrößten Volkswirtschaft und zum Herausforderer der von den Vereinigten Staaten geführten Weltordnung. Die geopolitischen Verschiebungen und politischen Entscheidungen der Länder und Gesellschaften werden die zukünftige Technologieführerschaft bestimmen.

Mit der anstehenden Kommerzialisierung der 5G-Technologie wird dieses Problem bereits jetzt deutlich. Das chinesische Unternehmen Huawei hat sich in der Technologieentwicklung als führend etabliert. In vielen wichtigen Ländern stößt das Unternehmen jedoch auf Widerstand. Australien hat Huawei kürzlich verboten, an der Ausschreibung seiner nationalen 5G-Netzwerke teilzunehmen, und die USA fordern ihre Verbündeten unmissverständlich auf, das Gleiche zu tun. Die undurchsichtigen Beziehungen chinesischer Unternehmen zum Staat stellen für viele Länder seit langem ein nationales Sicherheitsrisiko dar. Weiter verstärkt werden diese Bedenken unter anderem durch die Regelungen des Cybersecurity Law (2017), welches chinesische Unternehmen im Namen der nationalen Sicherheit dazu anhält, Daten und Quellcodes herauszugeben. Aktuell hat Deutschland ein Cybersecurity-Labor eingerichtet, um exklusiv den Quelltext von Huawei zu überprüfen, bevor grünes Licht für den Bau der deutschen 5G-Netzwerkinfrastruktur gegeben wird. Das Ergebnis dieses Prozesses wird maßgeblich darüber entscheiden, ob chinesische Telekommunikationsunternehmen in den großen Industrieländern 5G-Netze aufbauen können. Daraus ergibt sich die nächste Frage: Können chinesische Technologieunternehmen wirklich zu globalen Giganten werden, ohne wirklich global zu sein oder sich auf Industrieländer zu konzentrieren?

Die Dominanz chinesischer Unternehmen ist nach wie vor meist nur innerhalb der chinesischen Grenzen spürbar. Mit Ausnahme von Südostasien haben chinesische Internetunternehmen im Vergleich zu ihren amerikanischen Pendants eine vernachlässigbar geringe globale Präsenz. Viele haben erste globale Gehversuche unternommen, aber wie ihre Kollegen in den Bereichen Energie und Infrastruktur konzentrieren sie sich zumeist auf die Belieferung der aufstrebenden Märkte. Chinesische KI-Unternehmen werden es schwer haben, mit amerikanischen Giganten wie Google, Facebook und Amazon mitzuhalten, ohne auf Daten aus der ganzen Welt zugreifen zu können. Dies bringt die Diskussion zurück zu Chinas Wettbewerbsvorteilen und innovativen Fähigkeiten.

Werden China in der Grundlagenforschung Durchbrüche gelingen, sei es im Bereich der KI oder in Technologien wie dem Quantencomputing? Obwohl China große Summen in die Forschung und Entwicklung investiert, einschließlich des Bereichs Quantencomputing, gibt es nur wenige quantitative Erhebungen, die darauf hindeuten, dass diese Gelder das Innovationsniveau erheblich vorantreiben. Zwar hat China sich, sowohl national als auch international, zu einem der weltweit führenden Patentanmelder entwickelt, so deutet doch vieles darauf hin, dass ein großer Prozentsatz dieser Patente keine kommerzielle Anwendung findet und entsprechend nicht erneuert wird. Forschungsökosysteme und Universitätssysteme in Westeuropa und den USA sind nach wie vor der Maßstab für Forschung und ziehen die besten Talente der Welt an.

Alle diese Fragen spiegeln die Komplexität bei der Beurteilung des KI Sektors und seiner Erfolgsindikatoren wider. Chinas Größe, Wirtschaftskraft und sein politischer Ehrgeiz legen nahe, dass es über viele der wichtigsten Eigenschaften verfügt, um ein sehr wichtiger Akteur im KI-Bereich zu werden. China kann in verschiedenen Branchen marktführend sein, wie es jetzt beispielsweise schon beim mobilen Bezahlen der Fall ist. Allerdings muss dies nicht notwendigerweise dazu führen, dass chinesische Unternehmen diese Technologie auch an den Rest der Welt vermitteln.

Angesichts der Vielzahl an zukünftigen Brennpunkten in Bezug auf Technologie, Politik und Wirtschaft und deren ungewissen Ausgang, sind jegliche deterministische Behauptungen über die globale Dominanz verfehlt und verfrüht. Dies gilt auch für die Art der Gesellschaft, die China mithilfe von KI aufbauen will. Die chinesische Gesellschaft ist noch relativ neu in der Digitalisierung und sieht sich ähnlichen Problemen gegenüber, wie viele andere Gesellschaften bei der Aushandlung ihrer Beziehung zur Technologie auch. Chinas KI-Ökosystem wird ein Produkt des innenpolitischen Systems Chinas und der wirtschaftlichen Realitäten sein und daher höchst unwahrscheinlich wie der Westen aussehen. Es wird jedoch Lehren und Modelle aus Chinas Ansatz geben, die für Ökosysteme auf der ganzen Welt von Nutzen sein werden. Es ist wichtig, dass diese Unterschiede einen offenen Austausch von Ideen und Diskursen nicht verhindern und dass China seine Rolle bei der globalen Entscheidungsfindung über die Zukunft der KI spielen darf.

***

Übersicht über die genannten Programme und Strategien

Policy Agency Content Year
Make in China 2025​​​​​​​ China State Council

Push forward Smart Manufacturing

May 2015
Guiding Opinions concerning Vigorously Moving Forward the “Internet Plus” Plan China State Council AI as one of Internet Plus’ 10 Key Points July 2015
Outline of the 13th Five-Year Plan for the National Economic and Social Development of the People's Republic of China China State Council Includes AI in the Outline March 2016
“Internet Plus” and AI: 3 Year Implementation Plan National Development and Reform Council (NDRC) Pushing for development of AI applications May 2016
13th Five-year Plan for Scientific and Technological Innovation China State Council Development of AI-based methods driven by big data

July 2016

Government Work Report (2017) China State Council AI enters into the government work report for the first time March 2017
New Generation Artificial Intelligence Development Plan China State Council Three-phase plan for China to become the world’s leading AI innovation centre by 2030 July 2017
3-Year New Generation Artificial Intelligence Development Implementation Plan Ministry of Information Industry and Technology (MIIT) Action plan for integrating AI into the real economy December 2017

Source: 北京人工智能产业发展白皮书 Beijing AI Development White Paper, Beijing Municipal Government, http://www.sohu.com/a/238841203_473283, accessed June 2018.

Der Autor

Dev Lewis ist Yenching Scholar an der Universität Peking und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Digital Asia Hub. Sein Forschungsschwerpunkt liegt auf der Schnittstelle zwischen Technologie, Gesellschaft und Politik in China und Indien. Zuvor war er bei Infosys China, einem IT-Dienstleistungs- und Beratungs-MNC, und Gateway House, einem außenpolitischen Think Tank, tätig. Er hat einen Abschluss in Internationale(n Beziehungen von der Roger Williams University und studierte Mandarin an der East China Normal University und der Zhengzhou University.

Übersetzung aus dem Englischen: Susanne Rentzow-Vasu

Dieser Artikel erschien unter dem Titel „China’s Techno-Utilitarian Experiments with Artificial Intelligence“ inDigital Asia , Ausgabe 2/2018 Panorama. Insights into Asian and European Affairs

Publicador de contenidos

Personas de contacto

Katharina Naumann

comment-portlet

Publicador de contenidos