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Reportajes internacionales

Staatsstreich in Honduras

de Tjark Marten Egenhoff

Fall der Regierung Zelaya sechs Monate vor Mandatsende

Die Hondureños erwachten am Sonntag Morgen mit der Nachricht, dass Ihr vor dreieinhalb Jahren gewählter Präsident Manuel Zelaya vom Militär entmachtet und nach Costa Rica ausgeflogen wurde.

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Nur wenige Stunden danach trat der Nationalkongress zusammen um in einem Ausdruck von Geschlossenheit über jegliche Parteigrenzen hinweg den Weg für eine neue Regierung unter dem bis dahin amtierenden Parlamentspräsidenten Roberto Micheletti (Partido Liberal) freizumachen, welcher der bereits am frühen Nachmittag seine Antrittsrede vor dem Kongress hielt und die Einheit der Nation beschwor. Er tritt die Nachfolge für Manuel Zelaya an, dessen Amtszeit am 27. Januar 2010 ausgelaufen wäre.

In Lateinamerika überschattete die Nachricht vom Staatsstreich in Honduras das Interesse an den gleichzeitig in Argentinien stattfindenden Kongresswahlen. Die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) verurteilte nach einer Sondersitzung heute in Washington den Staatsstreich und forderte die Rückkehr des Präsidenten Zelaya an die Staatsspitze des zentralamerikanischen Staates. Ähnlich reagierten die Europäische Union und einige Präsidenten der Region. Aufsehen erregte einmal mehr der venezolanische Präsident Hugo Chávez, der öffentlich über eine militärische Option in Honduras räsonierte und die Armee in Alarmbereitschaft versetzte. Unterdessen kann man auch davon ausgehen, dass sich die Präsidenten Zentralamerikas auf dem für morgen anberaumten Treffen der zentralamerikanischen Integrationsgemeinschaft SICA in Managua (Nikaragua) für die Rückkehr des abgesetzten Präsidenten aussprechen werden. Manuel Zelaya wird an der Sitzung des SICA als Präsident Honduras teilnehmen und wurde in einem eigens von Venezuela abgestellten Flugzeug nach Managua gebracht.

Staatsstreich oder Verteidigung des Rechtsstaats?

Unterdessen weigern sich unterschiedlichste Akteure in Honduras von einem Staatsstreich zu sprechen. Vielmehr konnte, so Kongressabgeordnete beider großen politischen Lager, die rechtmäßige Ordnung durch die Entfernung des Präsidenten von seinem Amt aufrecht erhalten werden. Die merklich angespannte, gleichzeitig aber erleichterte Stimmung bei der Aussprache der Parlamentsfraktionen vor der Abstimmung zur Absetzung des Präsidenten, die ohne Gegenstimmen ausging, entsprach diesem Grundtenor: Der Präsident wurde der mehrfachen Verletzung der Verfassung und Nichtbeachtung von Gerichtsentscheidungen verantwortlich gemacht. Eine einflussreiche Abgeordnete der Regierungsfraktion der Partido Liberal nahm Bezug auf die demokratische Tradition ihrer Partei, die es gebiete der Entmachtung ihres Präsidenten zuzustimmen und den Rechtsstaat zu verteidigen. Die Oppositionsfraktion der Nationalen Partei stimmte der Absetzung unter der Bedingung zu, ab Montag in einen umfassenden nationalen Dialog zu treten. Zum neuen Parlamentspräsidenten wurde der bisherige Parlamentssekretär Alfredo Saavedra gewählt, Außenminister der Übergangsregierung wird Enrique Ortez Colindres, Finanzministerin Gabriela Núñez de Reyes. Symbolischen Charakter hatte die Anwesenheit einiger Verfassungsväter und -mütter der Verfassung von 1982 bei der Abstimmung im Kongress, zu der sich auch der Ombudsmann für Menschenrechte sowie die Wahlrichter des Obersten Wahlgerichtshofes einfanden.

Die bereits Monate andauernde politische Eskalation, in der der Präsident mithilfe der Mobilisierung der Bevölkerung keine Konfrontation scheute, verschärfte sich nachdem in der vergangenen Woche der Präsident den Armeechef General Romeo Vázquez entliess, dieser jedoch vom Obersten Gerichtshof wieder eingesetzt wurde. Hintergrund ist die Weigerung der Armee, die Regierung bei der Organisation einer landesweiten Befragung zu unterstützen, die an diesem Sonntag stattfinden sollte. Das von der Regierung als Befragung bezeichnete und in Honduras durchaus umstrittene Referendum zielte darauf ab, den Weg für eine verfassungsgebende Versammlung im Rahmen der Präsidentschaftswahlen im kommenden November in Form einer vierten Wahlurne samt Wiederwahl des Präsidenten freizumachen und Honduras somit näher an das Projekt des venezolanischen Präsidenten Hugo Chavez zu binden. Endgültiger Auslöser für das Eingreifen der Streitkräfte sorgte laut Aussagen hochrangiger Beamter in der Hauptstadt Tegucigalpa ein in der Nacht auf den Sonntag erlassenes Präsidialdekret mithilfe dessen die Essenz der Befragung verändert und das Ergebnis bereits als Zustimmung oder Ablehnung für eine einzuberufenden verfassungsgebenden Versammlung gewertet werden würde. Damit wären die für November angesetzten Präsidentschaftswahlen eindeutig in Gefahr gewesen.

Festhalten am Wahlkalender

Angesichts des internationalen Drucks berufen sich die Militärs auf eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofes, die für heute von der Regierung Zelaya angesetze Befragung auszusetzen und den Rechtsstaat zu achten. Das Militärkommando setzte sich nach der Festnahme des Präsidenten und seiner Deportierung nach Costa Rica unverzüglich mit dem Obersten Wahlgerichtshof zusammen, um die Bildung einer neuen zivilen Regierung zu garantieren. Daraufhin veröffentlichte der Wahlgerichtshof eine Erklärung, dass trotz der “momentanen Situation” am Wahlkalender festgehalten werde. Auch der vom Kongress hastig neu gewählte Präsident hielt in seiner Antrittsrede fest, dass er nicht durch einen Coup d´Etat an die Macht gekommen sei, sondern den vollkommen legalen Transitionsprozess anführe. Dennoch bleiben unabhängige Beobachter der Meinung, dass es bei der heutigen Absetzung des Präsidenten zu schweren verfassungsrechtlichen Brüchen kam und der Kongress aufgrund einer wohl gefälschten oder unter Androhung von Gewalt unterschriebenen Abtrittserklärung entschied. Gerade was den Bruch der verfassungsrechtlichen Ordnung anbelangt, bleibt die neue Regierung und der Kongress der Bevölkerung Honduras und der internationalen Gemeinschaft einige offene Antworten schuldig.

Von Bedeutung für die neue Regierung Micheletti wird sein, ob sie es schafft die internationale Gemeinschaft von der Rechtmäßigkeit ihrer Machterlangung zu überzeugen. Morgen bereits trifft die Vorhut der Beobachtermission der Organisation Amerikanischer Staaten ein. Am Donnerstag wird ihr Generalsekretär Insulza in Tegucigalpa erwartet. Bis dahin muss die Regierung überzeugend darstellen, dass sie sich auf verfassungsrechtlich festem Boden bewegt. An einer Rückkehr Manuel Zelayas kann in Honduras kaum ein politisches Lager gelegen sein, da der bisherige Präsident sich eine Inszenierung als Märtyrer sicherlich nicht wird nehmen lassen. Und die vergangenen Monate haben gelehrt, dass Herr Zelaya die Massen zu mobilisieren weiß.

Zustimmung für neue Regierung in Honduras

In Honduras haben sich alle politischen Parteien hinter den neuen Präsidenten gestellt. Die Armee, die katholische Kirche und grosse Teile der organisierten Zivilgesellschaft haben positive Signale in Richtung Micheletti ausgesandt. Daher wäre es zu kurz gegriffen, die neue Regierung als Abgesandte des Establishments zu brandmarken, die nur ihre Privilegien verteidige, wie dies Venezuelas Präsident Chavez bereits verkündete.

Die von der Regierung vorgesehene Bürgerbefragung trat durch die Geschehnisse fast in Vergessenheit. Durch die Konfizierung der Wahlunterlagen durch das Militär wurde diese nur in wenigen Departments durchgeführt. Dort wurden die Urnen ohne große Zwischenfälle entfernt. Auch wurden nur vereinzelt Proteste von Anhängern des abgesetzten Präsidenten registriert. Um die öffentliche Ordnung aufrecht erhalten zu können, hat die Regierung für die nächsten 48 Stunden eine nächtliche Ausgangssperre verhängt, so dass die Situation in Honduras in den nächsten Tagen zumindest aus Bürgerperspektive angespannt bleiben wird.

Die zum Höhepunkt getriebene politische Eskalation fand heute ein für den Rechtsstaat traurigen Ausgang. Sicherlich wird sich die neue Regierung fragen lassen müssen, ob sie dem eigenen Anspruch der Verteidigung der Verfassung gerecht wurde und ob sie rechtens an die Macht gelangte. Andererseits wird die internationale Gemeinschaft, die sich größtenteils mit Recht hinter den abgesetzten Präsidenten Zelaya stellt, erkennen, dass Honduras unter seiner Führung auf dem Weg der Aushöhlung des Rechtsstaats und der Schwächung der demokratischen Institutionalität bewegte. Für Honduras ist unverzichtbar den bisher vorgesehenen Wahlkalender einzuhalten, ohne dabei einen Präzedenzfall eines Staatsstreichs in Kauf zu nehmen, der die verfassungsrechtliche Ordnung und die demokratische Kultur für lange Zeit erheblich schwächen könnte.

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