Ein Jahr nach dem Beginn von Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine – ein Horror, der uns nicht nur betroffen macht, sondern uns auch alle betrifft – wurde mit Tetiana Nazaruk ausdrücklich kein Politiker oder Militärstratege oder Völkerrechtler eingeladen, sondern eine Augenzeugin, eine unmittelbar Angegriffene, eine Geflüchtete und eine Kämpferin. In einem eindrücklichen, aber auch bedrückenden Vortrag berichtete sie von ihren Erlebnissen in der besetzten Stadt Wowtschansk, in der sie fast von einem Fragment einer russischen Rakete getötet wurde. Unter Lebensgefahr gelang ihr die Flucht von dort. Noch immer hat sie Familie und Freunde in der Ukraine, ihr Vater kämpft in der Armee.
Die KAS-Stipendiatin, die nach ihrem Bachelor-Abschluss in International Economics an der Universität Charkiw und einem Erasmus-Semester an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) nach Deutschland gezogen ist und für den Master in Bonn studiert, gründete dort den Verein Ukrainischer Studierender der Universität Bonn, der sich mit verschiedenen Kultur- und Informationsprojekten befasst und sich mit Spendenaktionen für die Bereitstellung humanitärer Hilfe einsetzt. Sie kämpft wie ihre Landsleute weiterhin für die Freiheit der Ukraine und ihre europäische Zukunft, der auch ein Kampf für die Europäische Friedens- und die internationale Ordnung, das Selbstbestimmungsrecht der Völker sowie Freiheit und Demokratie ist.
In einer politischen Bewertung erläuterte die Stipendiatin der Konrad-Adenauer-Stiftung ihren Standpunkt, die Ukraine habe sich nach dem Euromaidan und der „Revolution der Würde“ vor neun Jahren entschlossen auf den Weg gemacht, sich als freies und demokratisches Land der Gemeinschaft der europäischen Nationen anzuschließen: „Es gibt erfolgreiche Reformen in den Bereichen Digitalisierung, Rechtsstaat, Gesundheit und Bildung. Wir haben heute auch eine starke Armee mit neuen Standards. Das haben die Russen wohl unterschätzt.“ Frau Nazaruk richtete einen Appell an die Teilnehmerinnen und Teilnehmer: „Ukrainische Soldaten kämpfen und sterben jeden Tag. Helfen Sie uns deshalb mit mehr Ausrüstung! Wir können nicht warten.“ Hoffnungen auf einen Frieden nach erfolgreichen Verhandlungen mit Russland kann sie derzeit nicht teilen: „Wir kämpfen auch für die Menschen, die bereits in diesem Krieg gestorben sind. Auch deshalb sind wir bereit, bis zum Ende zu kämpfen.“