Reportajes internacionales
Mit seiner Nachfolgeentscheidung für den sechs Tage zuvor bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommenen Innenminister Juan Camilo Mouriño hat Präsident Calderón für eine Überraschung gesorgt. Mit dem vor allem als Strafrechtler bekannten Fernando Francisco Gómez Mont Urueta – Träger eines bekannten Namens in der PAN-Familie - kommt jemand ins Amt, den niemand auf der Liste hatte. Sein Vater, Felipe Gómez Mont, gehörte zu den Parteigründern und speziell zu den ideologischen Vordenkern der PAN. Sein Sohn Fernando ist das jüngste von 13 Kindern. In der 55. Legislatur des mexikanischen Parlaments (1991 – 1994) gehörten ihm sowohl Gómez Mont als auch Calderón an. Der Anwalt gilt zudem als enger Vertrauter des ehemaligen PAN-Präsidentschaftskandidaten Diego Fernández de Cevallos.
Gerade erst war der neue Innenminister für den ausgeschiedenen Ex-Senator Javier Corral in den Parteivorstand der PAN nachgerückt. Erfahrungen in Regierungsämtern hat er bisher nicht gesammelt. In seiner Karriere als Strafverteidiger trat er in zahlreichen von der Öffentlichkeit stark beachteten Fällen auf und verteidigte u. a. prominente Politiker der PRI, Unternehmer und Banker. Zu den herausragenden Mandaten gehören dabei die im Zusammenhang mit dem staatlichen Rettungspaket für die Banken – FOBAPROA – im Nachgang zur Tequila-Krise Mitte der 90er Jahre und der Korruptionsskandal Pemexgate im Umfeld der Präsidentschaftswahlen des Jahres 2000. Bei den politischen Parteien war das Echo auf die Ernennung überwiegend positiv.
Geschrumpfte Machtbasis
Mittlerweile allerdings ist das früher mächtige Innenministerium vor allem auf eine Funktion als Vermittlungsinstanz zwischen verschiedensten politischen Kräften geschrumpft – selbst im Sicherheitsbereich sind die Kompetenzen eingeschränkt. Dies zeigte sich bei der internen Auseinandersetzung im sogenannten Sicherheitskabinett, dem neben dem Innenminister auch der Minister für öffentliche Sicherheit und der Generalstaatsanwalt angehören. Auch muss der neue Minister damit leben, dass Präsident Calderón parallel mit Jorge Tello Peón im Präsidialamt einen Koordinator für Sicherheitspolitik installierte, dem weitreichende Aktivitäten und großer Einfluss zugetraut werden.
Wie kritisch die Lage eingeschätzt wird, zeigt auch der jüngste Besuch von US-Außenministerin Condoleeza Rice in Mexiko: er drehte sich ganz zentral um Sicherheitsfragen und die die Implementierung der Anti-Drogen-Initiative Merida. Offenbar sind mittlerweile auch die USA nachhaltig beunruhigt. Immerhin konnte die Regierung in den zurückliegenden Wochen auch spektakuläre Erfolge verzeichnen: Zur Festnahme des Rey Zambada, einer zentralen Figur es Sinaloa-Kartells kamen die des Anführers des bewaffneten Arms des Golf-Kartells, alias El Hummer und eines „historischen“ Chefs des Tijuana-Kartells, Eduardo Arellano Félix. Auch konnte im staatlichen Sicherheitsapparat ein Netzwerk von prominentesten Informanten des organisierten Verbrechens enttarnt werden.
Trauer um Mouriño
Während nationale und internationale Experten weiterhin ihre Recherchen zur Ursache des Flugzeugabsturzes fortsetzen und immer mehr Indizien zur Untermauerung einer Unfallhypothese – augenscheinlich voreilig und möglicherweise nicht immer ohne bestimmte Intensionen – in die Öffentlichkeit kanalisiert werden, hält sich in dieser hartnäckig die Annahme, der Absturz des Flugzeuges sei auf ein Attentat zurückzuführen. Gerade die Durchsetzung von Polizei und Militär durch Narco-Korruption bietet ein ideales Umfeld, daran zu glauben.
Problematisch ist zudem, dass sich diese Annahme auch nicht von dem wird umstimmen lassen, was die Regierung gegebenenfalls als offizielles Untersuchugnsergebnis präsentieren wird. Gerade in diesen Frage gesteht ihr die Öffentlichkeit wenig Glaubwürdigkeit zu. Sie werde es sich, so etwa der Kommentar im Hintergrunddienst „Seminario Semanal“, gar nicht leisten können, etwas anderes zuzugeben – zu viel stehe auf dem Spiel.
Hier liegen für Präsident Calderón und seine Partei auch die Probleme der Trauer um Juan Camilo Mouriño: Alle Diskurse – jenseits der persönlichen Betroffenheit über den Verlust eines Freundes - stilisieren ihn zum Märtyrer im Kampf gegen die organisierte Kriminalität. Gerade dazu aber will eine „einfache“ Unfallhypthose gar nicht passen.
Während der Trauerfeier im Hauptquartier der PAN sagte deren Vorsitzender Germán Martínez: „In deiner Erinnerung werden wir nicht erlauben, dass das organisierte Verbrechen und die Drogen unsere Kinder erreichen. In deiner ehrenhaften und tapferen Erinnerung wird die PAN nie mit Verbrechern paktieren.“
Präsident Calderón seinerseits nutzte seine Rede, um die PANisten zur Einigkeit aufzurufen und ein Verhalten zu ändern, das die Partei „von den Bürgern entferne und uns Wahlen verlieren lässt“. Auch von inneren Streitigkeit, doppelter Moral und persönlichem Ehrgeiz ist die Rede – deutlicher wird der Präsident allerdings nicht.
Gleichwohl wirkt es bizarr, wenn der Tod des jungen Ministers in verschiedensten Kommentaren einmal mehr zur Begleichung innerparteilicher Rechnungen genutzt wird und die Presse genüsslich ausbreitet, wer an der parteiinternen Trauerfreier nicht teilgenommen hat: Ex-Präsident Vicente Fox, der Ex-Parteivorsitzende Manuel Espino und der ehemalige Vorsitzende der PAN-Senatsfraktion Santiago Creel. Fox, der in den Tagen zuvor das Welttreffen der Christlich-Demokratischen Internationale (IDC) in Guanajuato präsidierte, war zudem vorgeworfen worden, mit der Nicht-Verschiebung dieser Veranstaltung mangelnde Trauer zu bekunden.
Wichtige Kommentatoren analysieren derweil weiter die Lücke, die der Tod Mouriños speziell für Präsident Calderón und sein Regierungsprojekt hinterlassen hat. Jesús Silva-Herzog Márquez dazu in Reforma: „Nach der Tragödie hat der Freund Felipe Calderón gesprochen, aber Entscheidung wird schnell der Präsident Calderón treffen müssen.“ Verbunden mit dem Amtsantritt eines neuen Präsidenten in den USA mit weiterreichenden außenpolitischen Folgen, einer sich verschlechternden internationalen Wirtschaftslage, wichtigen Zwischenwahlen im Jahr 2009 und vor allem einer noch immer nicht abgeschlossenen demokratischen Tansition im Lande bedürfe es einer kompletten Neudefinition, so etwa Macario Schettino in der Zeitung El Universal. „Wir haben es noch nicht geschafft, ein angemessenes institutionelles Regelwerk zu schaffen, deshalb hängen wir so sehr von einzelnen Personen ab“, meint der TEC-Professor und macht sich Sorgen darum, dass Mexiko auch keine adäquaten Regeln für einen Präsidentenersatz besitze, „wo uns doch die Tragödie daran erinnern, dass niemand ewig ist.“
Wahlen in Hidalgo
Einen weiteren Triumph konnte derweil die PRI bei den letzten Wahlen des Jahres 2008 am 9. November verzeichnen, dem Urnengang zur Erneuerung kommunaler Autoritäten im Bundesstaat Hidalgo. Von den 84 Städten und Gemeinden regiert die Partei – angetreten in Wahlallianz mit der „Lehrerpartei“ Nueva Allianza - künftig 53, 2005 waren es nur 38 gewesen.
Große Wahlverlierer waren einmal mehr die PRD und die PAN. Erstere konnte sich immerhin als zweite Kraft behaupten und 16 Bürgermeisterposten (2005: 24) erringen. Die PAN hingegen fiel von 18 Mandaten auf neun zurück – fünf weitere gingen an die Grünen, eines an die Arbeitspartei PT und eins an die Gruppierung Convergencia. Mit 56,5 Prozent war die Wahlbeteiligung erstaunlich hoch.
Für die PAN geht damit ein desaströses Wahljahr zu Ende. Von 198 Bürgermeisterposten, die dieses Jahr neu vergeben wurde, erlangte die PAN gerade einmal 18, von 115 direkt zu vergebenen Mandaten in Parlamenten der Bundesstaaten war man lediglich in drei Fällen erfolgreich. In allen Wahlprozessen zusammengerechnet entfielen auf die PAN nur rund zehn Prozent der Stimmen.
Düstere Wirtschaftsperspektiven
Rückenwind für die wichtigen Zwischenwahlen 2009 wird es für die Regierungspartei von der Wirtschaftsfront augenscheinlich nicht geben. In einer aktualisierten Einschätzung zur Wirtschaftsentwicklung Mexikos hat der Chef der Zentralbank, Guillermo Ortiz, jetzt die Erwartungen für das kommende Jahr weiter nach unten korrigiert (29.10.). Ortiz erwartet jetzt im günstigsten Fall ein Wirtschaftswachstum von 1,5 Prozent, im negativen Fall von 0,5 Prozent. Verlangsamen werde sich Schaffung neue Arbeitsplätze, die er auf eine Spanne zwischen 150.000 und 250.000 bezifferte. 2008 werde das mexikanische Wachstum bei etwa zwei Prozent liegen, die Inflation zwischen 5,6 und sechs Prozent. „Ohne Zweifel,“ so Ortiz, „werden wir ein niedrigeres Wachstum und weniger Arbeitsplätze haben. Der informelle Sektor muss die die überschüssige Arbeitskraft auffangen.“ Finanzminister Agustín Carstens geht derweil nach wie vor von leicht besseren Erwartungen aus und hofft, dass seine Haushaltsplanungen der Herausforderungen standhalten, u. a. einem drastisch zurückgehenden Ölpreis und sinkenden Förderquoten des staatlichen Energieriesen PEMEX.
Hinzu kommen, insbesondere für die arme Bevölkerung, die Auswirkungen erheblicher Preissteigerungen gerade im Lebensmittelbereich. So hat sich der Basis-Warenkorb für Lebensmittel in Mexiko zwischen August 2006 und August 2008 nach Angaben des Ministeriums für Soziale Entwicklung um 18 Prozent verteuert – eine Steigerung, die durch Einkommenszuwächse nicht ausgeglichen werden kann. Für Minister Ernesto Cordero ist daher nicht ausgeschlossen, dass die Zahl der Mexikaner, die nicht einmal ihre grundlegenden Nahrungsbedürfnisse befriedigen können, wieder ansteigt. 992 Pesos sind monatlich nach neuesten Angaben pro Person mindestens nötig, um dieses Grundbedürfnis befriedigen zu können – mit 120 Pesos monatlich unterstützt die Regierung derzeit die ärmsten Haushalte des Landes.
Parallel ist das Gesundheitsministerium dabei, mit den Pharmafirmen des Landes Preisstabilität oder Nachlässe für wichtige Medikamente auszuhandeln, zum Beispiel im Rahmen der aktuell laufenden Grippeschutzimpfung für die kalte Jahreszeit. Erfolge seien bisher aber noch kaum erzielt worden, so Gesundheitsmininister José Angel Córdova. Einen Unsicherheitsfaktor stellt dabei u. a. der Wertverlust des mexikanischen Pesos gegenüber dem Dollar dar, da wichtige Medikamente und Grundstoffe importiert werden.
Unklarheit herrscht weiter über das Ausmaß einer möglichen Rückwanderung mexikanischer Emigranten in ihr Heimatland. Die Vereinigung der Mexikaner im Ausland gab jetzt ihre Erwartung bekannt, dass noch vor Weihnachten bis zu 600.000 Mexikanern definitiv aus den USA rückübersiedeln würden, ab Januar und nach dem Ende des Weihnachtsgeschäfts müsse mit weiteren 900.000 Rückkehrern gerechnet werden, deren „amerikanischer Traum“ geplatzt sei.