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Welche Antworten hält die NATO auf die Ukraine-Russland-Krise bereit? Wie bewertet sie die aktuellen Vorgänge im Nahen Osten? Dr. Kamp stellte sich einer hochaktuellen und zugleich kontroversen Thematik. Insofern waren weder das überaus große Interesse an der Veranstaltung noch die teilweise hitzig geführte Diskussion überraschend.
Zunächst zur Russland-Ukraine-Krise:
Bei der gegenwärtigen Ukraine-Russland-Krise könne – so Dr. Kamp - nicht von einem ‚Kalten Krieg’ gesprochen werden. Das heutige Russland habe nicht die Macht, die die Sowjetunion in der Zeit des Kalten Krieges gehabt habe. Außerdem fehle der große weltpolitische Gegensatz. Existent sei aber eine sehr ernsthafte Krise, die insbesondere auf drei Faktoren beruhe.
1. Russland definiere sich selbst als anti-westliche Macht und sehe sich als Bewahrer des Orthodoxen. Die aktuellen Töne Russlands seien eher nationalistisch und völkisch.
2. Russland definiere die NATO als Gegner und Hauptfeind. Die NATO habe dies umgekehrt nie getan.
3. Russland habe Grenzen mit Gewalt verändert, habe Verträge gebrochen, die es selbst unterschrieben hat, habe einen Teil eines souveränen Staates annektiert, habe Soldaten auf dem Territorium eines souveränen Staates stationiert. In Europa habe man nicht für möglich gehalten, dass eine derartige Missachtung territorialer Integrität als das Kernelement der Friedensordnung der letzten Jahrzehnte geschehen könne.
Bei der Russland-Ukraine-Krise könne nicht von einer Schlecht-Wetter-Zone gesprochen werden, vielmehr handle es sich einen grundlegenden ‚Klimawandel’. Dabei sei völlig unklar, ob dieser ‚Klimawandel’ auf die Person Putins beschränkt bleibe oder ob es ein grundlegender Wandel Russlands zu imperialen Traditionen sei.
Völlig unklar seien die Gründe Putins für sein aktuelles Verhalten. Bei einer ehrlichen Bestandsaufnahme der Vorgänge des letzten Jahres könne ein Zugewinn Russlands kaum ausgemacht werden. Zwar konnte Putin einen Prestigegewinn im eigenen Land verzeichnen, dieser gehe jedoch mit enormen Kosten einher. Die Wirtschaftssituation verschlechtere sich dramatisch, z. T. aufgrund der aktuellen EU-Sanktionen, vor allem aber aufgrund des sinkenden Ölpreises sowie einer verpassten Wirtschaftsmodernisierung in den letzten Jahrzehnten.
Wie nun hat die NATO agiert?
Zunächst sei sehr erfreulich, dass die NATO enorm geschlossen gehandelt habe. Russland habe vermutlich darauf spekuliert, dass sich der Westen ‚zerlegt’. Die NATO habe stattdessen entschlossene Signale einer Abschreckung gesendet, . . . letztlich um den Aggressor zu einer Veränderung seiner Kosten- und Nutzen-Rechnung zu bewegen. Deutlich habe die NATO gezeigt, dass jede Verletzung der NATO-Bündnis-Grenzen geahndet werde. Verschiedene Maßnahmen seien beschlossen worden, so z. B. dass Soldaten aus möglichst vielen NATO-Mitgliedsländern in den Mitgliedsstaaten Osteuropas stationiert werden, dass eine neue schnelle Eingreiftruppe gegründet wird, dass militärisches Gerät in Osteuropa eingelagert wird, dass man neu mit der Entwicklung von Verteidigungsplänen beginnt, dass mehr Patrouillenflüge über osteuropäisches Territorium durchgeführt werden, in der Ostsee mehr maritime Patrouillen gemacht und die Zahl der Manöver steigen werden. Wenn Russland einlenke, könnten Maßnahmen zurückgefahren werden. Deutschland werde schon sehr bald an seinen Verteidigungshaushalt gehen müssen.
Wie geht es weiter?
Dr. Kamp wies darauf hin, dass die beschriebenen Reaktionen der NATO kein Ende von Kooperationen mit Russland bedeuteten. Eine Dramatisierung der Medien, dass ein vollständiger Gegensatz entstanden sei, entspreche nicht der Realität. Wichtig sei es nach Lösungen zu suchen, die eine Gesichtswahrung beinhalten. Gleichwohl dürfe nicht bagatellisiert werden, wenn internationale Ordnungen verletzt werden. Wenn momentan das Problem nicht zu lösen sei, könne man es zunächst ‚nach hinten schieben’. Gesichtswahrung gehe nur dann, wenn Russland die Situation nicht weiter verschärfe. Eine NATO-Mitgliedschaft der Ukraine sei zwar nicht vollständig ausgeschlossen, zum gegenwärtigen Zeitpunkt aber höchst unwahrscheinlich, da es ein hochkorruptes Land sei. Die Ukraine müsse zunächst eine umfassenden Entwicklung aller gesellschaftlichen Bereiche auf den Weg bringen.
Abschließend ging es um die Situation im Nahen Osten.
Dr. Kamp vertrat die Ansicht, dass die NATO in der Region nicht agieren könne und dürfe. Mit insgesamt 7 Argumenten begründete er diese Position.
1.Die NATO sei ein Sicherheits- und Verteidigungsbündnis für die vitalen Interessen ihrer Mitglieder, sie sei keine Kraft für das Gute in der Welt. Dieses Selbstverständnis schließe nicht aus, dass sich die NATO der Welt widme.
2.Die NATO habe zwar Erfahrungen im Krisenmanagement. Und doch sei die NATO nach den Erfahrungen z. B. in Afghanistan oder in Libyen sehr bescheiden geworden.
3.Die Umbrüche in der islamischen Welt seien größer als angenommen. In der islamischen Welt müsse von einer Erosion von Staaten und Staatlichkeit ausgegangen werden. Es gebe eine Vielzahl verschiedensten Gruppierungen, die sich gegenseitig bekämpfen, jede mache ihr eigenes Ding. Eine solche Situation von außen zu beeinflussen, könne nicht erfolgreich sein.
4.In der westlichen Welt sei eine Interventionsmüdigkeit entstanden. Man wolle nicht mehr das Leben der eigenen Soldaten riskieren, zumal wenn das Chaos hinterher möglicherweise noch größer sei.
5.Eine Intervention sei zum gegenwärtigen Zeitpunkt unmöglich, da aufgrund der Russlandkrise im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen keine Einigkeit für ein UN-Mandat erwartbar sei.
6.Die islamische Welt sei anscheinend überhaupt nicht in der Lage zu verstehen und einzuordnen, was in der eigenen Region vor sich gehe.
7.Die starken Kräfte in der unmittelbaren Nachbarschaft, die reichen Öl-Länder wie z. B. Saudi Arabien, müssten die Initiative ergreifen und endlich Verantwortung übernehmen.
Insgesamt - so Dr. Kamps abschließendes Fazit - sei die Lage äußerst schwierig. Ein langer Konflikt sei zu erwarten, ohne dass von der westlichen Welt durch Intervention viel gemacht werden könne.
Die zahlreichen Anknüpfungspunkte für ein Gespräch wurden genutzt und es schloss sich eine intensive kontroverse Diskussion an.