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Flickr / Bundeswehr / Christian Thiel

Reportajes internacionales

Was bedeutet der Abzug der Bundeswehr für Mali und die Sahelregion?

Weniger Handlungsspielraum für die UN-Mission MINUSMA und abnehmende Stabilität absehbar

Die Bundesregierung hat aufgrund der anhaltenden Probleme mit Malis Militärregierung beschlossen, die Bundeswehr bis spätestens Mai 2024 aus dem Sahelland abzuziehen. Doch es wird darüber diskutiert, ob die größte deutsche Auslandsmission sogar schon früher zu Ende gehen könnte. Mali könnte die für Februar 2024 geplanten Wahlen verschieben – damit entfiele auch die Rechtfertigung, dass die Soldaten diese absichern sollten. Doch wie schnell wird die Bundeswehr gehen? Klarheit könnte ein baldiger Besuch von Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) bringen.

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Seit 2013 ist die Bundeswehr mit zwei Missionen in Mali tätig – einer Ausbildungsmission der Europäischen Union (die 2022 zu Ende ging bzw. deren Mandat auf den Einsatz in Niger übertragen wurde) und einem Blauhelm-Einsatz der Vereinten Nationen. Ziel war es, nach der Vertreibung von Dschihadisten aus Nord-Mali durch französische Truppen 2013 dazu beizutragen, einen brüchigen Frieden in dem Sahelstaat zu halten. Zieht man heute die Bilanz, sieht diese allerdings schlecht aus:  Die Sicherheitslage hat sich deutlich verschlechtert und die Dschihadisten haben sich in der ganzen Region ausgebreitet. Allerdings zeigt eine neue humanitäre Krise in Nord-Mali, dass die Lage ohne die Bundeswehr wohl noch katastrophaler wäre. Bis zu 200.000 Menschen sind im Norden derzeit auf der Flucht vor der Terror-Gruppe Islamischer Staat, der seit dem Abzug der Franzosen 2022 eine Offensive gestartet hat – viele flüchten nach Gao, wo die Bundeswehr noch für relative Sicherheit sorgt.

Nun ist der Abzug also absehbar. Als ersten Schritt hatte die Bundeswehr bereits im Mai 2022 mit der Europäischen Union die Ausbildungsmission für die malischen Streitkräfte weitgehend eingestellt – zu groß war die Sorge, dass Ausrüstung wie gepanzerte Fahrzeuge in die Hände russischer Söldner fallen könnten. Mali hatte Ende 2021 Kämpfer der berüchtigten Wagner-Gruppe als Teil einer vertieften Militärkooperation mit Russland ins Land geholt und damit den Abzug der französischen Anti-Terror-Mission Barkhane provoziert. Die Beziehungen zu Deutschland und anderen europäischen Partnern haben sich seitdem kontinuierlich verschlechtert.

Mali hat seit der Ankunft der Russen immer mehr Beschränkungen für Flüge oder sogar Land-Patrouillen erlassen – ganze Regionen im Norden wurden für die MINUSMA gesperrt, offenbar, weil die Wagner-Söldner und die malische Armee keine Zuschauer wollen: Sie werden immer wieder der Menschenrechtsverletzungen und Tötungen von Zivilisten beschuldigt. Die Folge: Alle westlichen Truppensteller der VN-Mission MINUSMA haben wegen dieser Probleme ihren Abzug angekündigt. Es wurde zunehmend einsam um die Bundeswehr, die als größter Truppensteller mit bis zu 1.300 Soldatinnen und Soldaten bis zuletzt ausharrte. Als Mali im Oktober auch die Flüge der Aufklärungsdrohne Heron – eine Kernaufgabe der Bundeswehr – stoppte, zog die Ampel die Reißleine und beschloss den Abzug bis Mai 2024. Die Bundesregierung hatte bis zuletzt mit diesem gezögert, weil die Zukunft der MINUSMA ohne die Bundeswehr ungewiss erscheint. Doch angesichts der Probleme und nicht zuletzt wegen des Abzugs der anderen westlichen Truppensteller wie Großbritannien war man besorgt, ob der Abzug noch abgesichert werden kann, wenn die Bundeswehr als letzte geht.

 

Keine Wahlen?

Der Abzug könnte jetzt sogar früher erfolgen, weil es Hinweise gibt, dass Mali den mit der westafrikanischen Staatengemeinschaft ECOWAS vereinbarten Zeitplan für Wahlen im Februar 2024 nicht einhält. Im März 2023 soll ein Verfassungsreferendum stattfinden, doch es gibt einen Monat vor dem Termin immer noch keinen endgültigen Entwurf. Ein Regierungsmitglied löste bereits Spekulationen über eine Verschiebung des Referendums mit der Bemerkung aus, der Zeitplan müsse den Realitäten entsprechen. Malis Militärregierung hatte bereits die ursprünglich für Februar 2022 geplanten Wahlen platzen lassen. Ein erster Verfassungsentwurf wurde von den meisten Parteien und der Zivilgesellschaft abgelehnt, weil die Macht des Präsidenten gestärkt wurde – es las sich wie ein Entwurf, der auf Präsident Assimi Goïta maßgeschneidert war. Goïta hat sich das Recht vorbehalten, dass er für das Amt des Präsidenten kandidieren darf. Doch die Stimmung in der Bevölkerung ist schlecht, weil der Angriffskrieg auf die Ukraine den Import von Benzin und Lebensmitteln verteuert hat. Zudem hat die Militärkooperation mit Russland die Sicherheitslage noch weiter verschlechtert. Die von Menschenrechtsgruppen dokumentierte Brutalität der Russen hat den Dschihadisten eher Zulauf beschert, ohne dass die malische Armee Gebietsgewinne zu verzeichnen hätte. Die Regierung könnte die Wahlen verlieren – dies wäre mit Sicherheit ein Motiv, um auf eine Verschiebung dieser hinzuwirken.

 

Kann die MINUSMA ohne die Bundeswehr überleben?

Die Soldatinnen und Soldaten müssen jetzt von Aufbau- in den Abbaumodus wechseln. Seit Frühjahr 2022 wurde viel in das deutsche Camp Castor in Gao investiert – damals waren die Probleme mit Mali noch fern und man glaubte, länger zu bleiben. Die Bundeswehr brachte mehr Personal zur Sicherung des Camps sowie fünf Rettungshubschrauber und baute zudem ein Feldlazarett für mehr als eine Million Euro. Deutschland hatte sich nach dem Abzug der Franzosen verpflichtet, Rettungsflüge für verwundete MINUSMA-Soldaten zu übernehmen – daher das neue Lazarett, in dem auch schwere Fälle vor Ort behandelt werden können. Bisher gibt es nur ein chinesisches Lazarett, dass aus Sicht der Bundeswehr nicht den Standards westlicher Truppensteller entspricht. Dazu baute die Bundeswehr eine riesige Kantine mit einem hochmodernen Entlüftungssystem.Für den bevorstehenden Abzug gibt es nun zwei Szenarien. Lässt man die Container-Unterkünfte, Kantine und das Lazarett zurück, kann dieser innerhalb von vier bis fünf Monaten erfolgen. Die Franzosen mit ihrem schweren Gerät waren innerhalb von fünf Monaten abgezogen. Sollte die Unterkünfte aber abgebaut werden, dauert dies entsprechend länger. Das Lazarett ist ein sogenannter Modulbau, der wieder abgebaut und verladen werden kann, falls die Bundeswehr diese Infrastruktur nicht der MINUSMA oder malischen Armee (und damit potenziell den Russen) überlassen will. Der Abzug der EU-Ausbildungsmission zog sich mehr als fünf Monate hin. Die Ausbildungsakademie befand sich innerhalb einer malischen Kaserne außerhalb Bamakos, wo man kein Material zurücklassen wollte. Insgesamt ist die Logistik des Abzugs aus Gao keine große Herausforderung, da die Bundeswehr in der östlich gelegenen Hauptstadt Nigers, Niamey, bereits einen Transorthub am Flughafen hat. Dorthin könnte das Personal ohne den Umweg über Bamako ausreisen.

Der Abzug der Bundeswehr wird der MINUSMA große Probleme bereiten – die Mission wird ihren Einsatz herunterfahren und kleinere Basen aufgeben müssen. Der Grund: Die Bundeswehr sichert derzeit mit Rettungshubschraubern Versorgungskonvois der Mission ab, um den Standort Gao und andere Stützpunkte mit Lebensmitteln und Ausrüstung zu versorgen. Früher hatte dies die malische Armee getan. Seitdem die Mission von der malischen Regierung behindert wird, ist die MINUSMA aber weitgehend auf sich allein gestellt. Mit dem Abzug der Bundeswehr-Hubschrauber wird die MINUSMA Schwierigkeiten haben, entlegener gelegene Standorte wie Tessalit oder Kidal weiter zu versorgen. Die Mission bemüht sich derzeit, Ersatz zu finden. Bislang haben Bangladesch und Nepal zugesagt, Hubschrauber zu schicken. Dazu wird die Stadt Gao mit dem Abzug der Bundeswehr insgesamt unsicherer werden. Bislang gilt die Stadt dank der MINUSMA-Patrouillen noch als relativ sicher – im Gegensatz zu ländlichen Gebieten, wo der Islamische Staat seit dem Abgang der Franzosen auf dem Vormarsch ist und auch die al-Qaida assoziierte Organisation JNIM die Macht über große Gebiete innehat. Anwohner Gaos befürchten, dass die Dschihadisten nach dem Abzug der Bundeswehr die Stadt auch unsicher machen werden. Es gibt nach Einschätzung von Sicherheitsexperten bereits sog. „Sleeper Cells“ in der Stadt, die die Lage auskundschaften, sich bislang aber noch zurückhalten, solange die Bundeswehr noch vor Ort ist. „Ohne die MINUSA werden die großen Städte im Norden auch von den Dschihadisten unsicher gemacht werden. Bislang trauen sie sich da noch nicht richtig ran,“ sagte ein Gemeindevertreter Kidals. Kidal ist wie andere Städte im Norden mit einer MINUSMA-Basis noch eine „Sicherheitsinsel“, wo dank der Mission eine relative Sicherheit herrscht. Mit dem Abzug der Bundeswehr-Hubschrauber könnte die MINUSMA gezwungen sein, Standorte wie etwa in Menaka oder Kidal zu schließen.

Derzeit wird im VN-Sicherheitsrat über eine Reform der MINUSMA verhandelt. Das jetzige Mandat läuft Ende Juni aus. Die MINUSMA hat drei Vorschläge gemacht, darunter einen Plan, die Mission zu verkleinern und etwa die Operation im ebenfalls umkämpften Zentrum aufzugeben. Auch eine Umwandlung in eine rein zivile Mission wurde vorgeschlagen. Ein dritter Vorschlag sieht eine Personalaufstockung vor, die jedoch völlig unrealistisch ist. Russland und China als ständige Mitglieder im Sicherheitsrat werden darauf drängen, dass die MINUSMA noch weniger Menschenrechtsverletzungen überprüft und sich mehr aus der Fläche zurückzieht. Russische Söldner möchten sich bei ihrem brutalen Vorgehen nicht in dem Karten schauen lassen. Somit spricht viel für die erste Variante.

 

Humanitäre Krise im Norden – viele Flüchtlinge

Die humanitäre Krise in Mali und die 200.000 Flüchtlinge, die aktuell auf dem Weg nach Gao und Menaka, aber auch in die Nachbarländer Niger und Algerien sind, ist ein direktes Resultat der komplexen Gemengelage, die sich nach dem Abzug der Franzosen entwickelt hat. Die Barkhane-Mission hatte als Hauptgegner den Islamischen Staat angegriffen und dessen Anführer immer wieder getötet – nun bewegt sich die Terror-Gruppe frei im Nordosten Malis und rücken mehr und mehr Richtung Zentrum des Landes vor.

In Niger, aber auch den westafrikanischen Küstenländern wird die neue Krise im Norden mit Sorge gesehen. Niger und Küstenstaaten wie Côte d’Ivoire sind der neue Politikfokus der westlichen Partner mit Trainingsprogrammen für die Streitkräfte und Polizei sowie massiver Entwicklungszusammenarbeit. Die französische Armee ist in zwei Kasernen an der nigrischen Grenze stationiert, um zusammen mit der Armee des Landes aus Nord-Mali kommende Dschihadisten zu stoppen. Aber die rund 800 Kilometer lange Wüsten-Grenze ist schwer zu kontrollieren. Der Islamische Staat und der Ableger von al-Qaida sind bereits nach Burkina Faso vorgedrungen, um von dort in die noch stabilen Küstenländer zu expandieren. Alle Bemühungen der europäischen Staaten, Kapazitäten in Niger und den Küstenländern aufzubauen, werden wenig Erfolg zeigen, wenn die Instabilität in Mali – das sich geographisch „im Herzen des Sahel“ befindet – zunehmend wächst und von hier aus weiter in die Region ausstrahlt.

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