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Toshe Ognjanov

Reportajes internacionales

Die Brandkatastrophe von Kočani: Erschütterung für Staat und Gesellschaft in Nordmazedonien

de Daniel Braun, Davor Pasoski

Ermittlungen decken Fahrlässigkeit und Korruption hinter dem tragischen Vorfall auf

Bei einer Brandkatastrophe im Nachtclub „Pulse“ in Kočani kamen am 16. März 2025 59 Menschen ums Leben, 196 wurden verletzt – eine der schlimmsten Tragödien in der Geschichte des Landes. Der Vorfall hat landesweit Empörung ausgelöst und zu Forderungen nach mehr Rechtsstaatlichkeit und einer Neuordnung des Systems geführt.

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Konzert einer der populärsten Musikgruppen des Landes endet mit Brandkatastrophe

Am 16. März 2025, gegen 3 Uhr morgens, geriet der Nachtclub „Pulse“ in Kočani während eines Konzerts der populären Hip-Hop-Gruppe DNA in Brand. Zum Zeitpunkt des Brandausbruchs war der Club mit über 650 jungen Leuten deutlich über der Kapazitätsgrenze von 250 Personen überfüllt.

Das Feuer wurde durch Funken von Pyrotechnik verursacht, die bei dem Konzert für Lichteffekte verwendet wurde. Die Funken verbrannten die Decke, welche aus einem zur Lärmdämmung brennbaren Material bestand, woraufhin sich das Feuer schnell im gesamten Club ausbreitete. Die Brandkatastrophe forderte bis jetzt 59 Todesopfer und 196 Verletzte mit teilweise schweren Brandverletzungen. Die Opfer sind zwischen 14 und 25 Jahre alt.

Bereits nach den ersten Nachrichten wurde angenommen, dass der Nachtclub in vielfältiger Weise nicht den Minimalanforderungen für Brandschutz, Notausgänge und Einlassmanagement verfügte. Diese Annahmen wurden schnell bestätigt und darüber hinaus festgestellt, dass keine gültige Betreiberlizenz vorlag.

 

Reaktion der Behörden und Sicherheitskräfte

Die Rettungsdienste trafen innerhalb weniger Minuten am Brandort ein. Die Art des Feuers als auch die Anzahl der Verletzten brachten die Infrastrukturen für Sicherheit und Gesundheitsversorgung schnell an die Kapazitätsgrenzen des Landes. Die Krankenhäuser in Kočani, Štip und Skopje waren schnell mit den Verletzten überfordert, so dass die Regierung um internationale medizinische Hilfe bat.

Die Nachbarländer Bulgarien, Serbien und Griechenland sowie die Türkei entsandten sofort medizinische Teams und wichtige Hilfsgüter. Angesichts des Ausmaßes der Katastrophe aktivierte die Regierung umgehend das EU-Katastrophenschutzverfahren und bat um dringende Hilfe bei der Verlegung von 115 schwer mit Brandwunden verletzten Patienten in spezialisierte medizinische Einrichtungen im Ausland.

Diese Tragödie stellt die größte Brandkatastrophe in der Geschichte Nordmazedoniens dar. Das Gesundheitswesen des Landes verfügt über keine eigenen Zentren für Verbrennungsopfer, weshalb viele Patienten außer Landes gebracht wurden.

Viele Patienten konnten schon vor Auslösung des EU-Katastrophenschutzverfahrens durch bilaterale Organisation mit einzelnen Ländern evakuiert werden. Aber auch viele EU-Länder haben Patienten zur Spezialbehandlung aufgenommen.

Erfreulich ist in diesem Zusammenhang, dass Griechenland und Bulgarien zu den ersten bilateralen Unterstützern zählten, obwohl die Beziehungen zu Nordmazedonien nicht spannungsfrei sind. Dies wurde im Land mit besonderer Aufmerksamkeit wahrgenommen und gewürdigt.

 

Staatliche Ermittlungen und Strafverfolgung

Die Regierungsbehörden leiteten eine umfassende Untersuchung ein, um die Ursachen der Katastrophe zu ermitteln und die Verantwortlichen zu identifizieren. Das Ausmaß der Missachtung von Vorschriften und Duldung und Korruption durch die Behörden erfüllte die schlimmsten Erwartungen.

Bislang stehen 34 Personen im Verdacht, an der Ursache der Katastrophe beteiligt gewesen zu sein. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft sind alle Verdächtigen seit der Eröffnung des Clubs 2012 bis zum Brand am 16. März 2025 in unterschiedlicher Weise und verschiedenen Funktionen an der Missachtung der Sicherheitsvorschriften, Korrumpierung der Aufsichtsbehörden bzw. Unterlassung der Aufsichtspflicht als staatliche Behördenmitarbeiter an der Situation, die zur Brandkatastrophe führte, beteiligt.

Auf der Liste der Verdächtigen stehen die Eigentümer und Manager des Nachtclubs, Beamte des Wirtschaftsministeriums – der für die Erteilung von Betriebslizenzen für Clubs zuständigen Behörde -, der staatlichen Marktaufsichtsbehörde, ehemalige Bürgermeister und andere Personen. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft hat der Clubbesitzer die Betriebsgenehmigung durch Bestechung erhalten. Gegen mehrere Beamte des Wirtschaftsministeriums, darunter dem ehemaligen Minister Kreshnik Bekteshi, ein ehemaliger Staatssekretär und weitere Vertreter des Ministeriums, wird ebenfalls ermittelt. Den Inspektoren der staatlichen Marktaufsichtsbehörde wird vorgeworfen, fünf Jahre lang keine Sicherheitsinspektionen in dem Club durchgeführt zu haben. Sowohl der derzeitige als auch der frühere Bürgermeister sowie die Leiter der Direktion für Schutz und Rettung sollen ihre gesetzlichen Pflichten vernachlässigt haben, so dass das Lokal ohne angemessene Aufsicht betrieben werden konnte. Darüber hinaus werden die für die Sicherheit des Nachtclubs verantwortlichen Personen verdächtigt, die Verwendung von Pyrotechnik in dem Lokal erlaubt zu haben. Sieben Polizeibeamte aus Štip und Kočani wurden im Rahmen der laufenden Ermittlungen ebenfalls in Gewahrsam genommen. Unter den Personen, gegen die ermittelt wird und die sich in Haft befinden, befinden sich sowohl Mitglieder der Regierungspartei VMRO-DPMNE als auch Mitglieder der Oppositionsparteien SDSM und DUI, was das weit verbreitete institutionelle Versagen verdeutlicht, das zu der Tragödie beigetragen hat.

 

Öffentlicher Protest und Eingeständnis durch den Regierungschef

In den Tagen nach der Tragödie kam es landesweit zu Massenprotesten, bei denen Tausende Gerechtigkeit für die Opfer forderten. Die Bürger verurteilten die systembedingte Korruption, die eine solche Katastrophe ermöglichte und forderten mehr Verantwortung durch den Staat. Die Demonstranten versammelten sich in Skopje, Kočani und anderen Städten Nordmazedoniens, zündeten Kerzen zum Gedenken an die Opfer an und brachten ihre Frustration über das jahrelange Versagen der Institutionen zum Ausdruck.

Ministerpräsident Hristijan Mickoski bekräftigte am Abend der Katastrophe in einer Rede, dass alle Verantwortlichen rigoros zur Verantwortung gezogen werden. Dazu räumte er ein, dass Staat und Gesellschaft seit mehr als zwanzig Jahren in einem Sumpf aus Korruption, Misswirtschaft und Dysfunktionalität gefangen seien. Er lud die „anständigen Vertreter“ aller politischen Parteien ein, gemeinsam das Land aus diesem Sumpf zu befreien. Es gebe unter allen politischen Kräften anständige und nicht anständige Vertreter. Auch wenn Ministerpräsident Hristijan Mickoski erst seit neun Monaten im Amt ist, war es ein Eingeständnis, dass die gesamte politische Klasse, auch seine eigene Partei VMRO-DPMNE, Verantwortung für die Situation im Land trägt.

 

Regierungsmaßnahmen

Nach dem tragischen Brand im Nachtclub „Pulse“ in Kočani hat die Regierung umfassende Maßnahmen ergriffen, um ähnliche Vorfälle in Zukunft zu verhindern. Die Behörden haben zahlreiche Gaststätten- und Unterhaltungsbetriebe, darunter Nachtclubs, Restaurants und Cafés, eingehend überprüft, was zur Schließung mehrerer Einrichtungen führte, bis die festgestellten Sicherheitsverstöße behoben sind. Es ist zu erwarten, dass gegen diese Lokale zusätzliche Sanktionen verhängt werden. Außerdem wurde einigen Gaststätten die Betriebsgenehmigung entzogen.

Darüber hinaus hat das Ministerium für Verkehr und Kommunikation mehr als 3.100 Lizenzen in den Bereichen Bauwesen und Stadtplanung überprüft und festgestellt, dass 479 Unternehmen die gesetzlichen Anforderungen für ihre Lizenzen nicht mehr erfüllen. Diesen Unternehmen wird daher die Lizenz entzogen, um die Integrität der Branche und die Sicherheitsstandards aufrechtzuerhalten. Darüber hinaus wurden Transportunternehmen strengen Inspektionen unterzogen, wobei gegen diejenigen, die gegen die Vorschriften verstoßen, Sanktionen verhängt wurden.

Die Regierung konzentriert sich auch auf die öffentliche Sicherheit in Gemeinschaftsräumen, indem sie Schulen, Kindergärten, Sporthallen, Kulturzentren und verschiedene Gaststätten eingehend prüft, um sicherzustellen, dass sie die Sicherheitsprotokolle einhalten. Um die Einhaltung der Vorschriften zu verbessern, werden Gesetzesänderungen vorgeschlagen, um die Kriterien für die Erteilung von Betriebsgenehmigungen zu verschärfen. Diese Änderungen sehen unter anderem halbjährliche Inspektionen vor, um die kontinuierliche Einhaltung der Sicherheitsvorschriften zu gewährleisten.

 

Aufruf zur politischen Einheit

Nach dem verheerenden Brand im Nachtclub „Pulse“ in Kočani haben die führenden Politiker des Landes zu Einigkeit und gemeinsamem Handeln aufgerufen, um die Folgen der Tragödie zu bewältigen.

Staatspräsidentin Gordana Siljanovska-Davkova betonte die Notwendigkeit, Spaltung zu überwinden, und erklärte, dies sei nicht die Zeit für Zwietracht, sondern für Solidarität. Sie betonte, wie wichtig es sei, Standards und Regeln zur Verhinderung solcher Vorfälle festzulegen und einzuhalten.

Ministerpräsident Hristijan Mickoski bezeichnete den Tag der Tragödie als den schwierigsten in seinem Leben und drückte seine tiefe Trauer über den Verlust so vieler jungen Menschen aus. Er rief zu Einigkeit, Menschlichkeit und Verantwortung auf und forderte alle zuständigen Institutionen auf, sofortige Maßnahmen zu ergreifen, um den Verletzten zu helfen und die betroffenen Familien zu unterstützen. Der Ministerpräsident versicherte, dass die Regierung alles in ihrer Macht Stehende tun werde, um die Folgen zu bewältigen und die Ursachen der Katastrophe zu ermitteln.

Der Oppositionsführer Venko Filipče von der SDSM forderte eine gründliche, transparente und objektive Untersuchung, um das Vertrauen der Öffentlichkeit in die staatlichen Institutionen wiederherzustellen. Er betonte, dass niemand von der Rechenschaftspflicht verschont werden dürfe, unabhängig von seiner Position oder politischen Zugehörigkeit. Filipče rief außerdem dazu auf, die Tragödie nicht politisch auszunutzen, sondern sich in dieser schwierigen Zeit auf die Menschlichkeit und kollektive Unterstützung zu konzentrieren.

Gleichwohl sind von allen Seiten partielle Versuche zu beobachten, die Katastrophe politisch gegen aktuelle oder vorherige Regierungsparteien zu nutzen. Die im Herbst stattfindenden Kommunalwahlen sind einerseits ein Grund, das Geschehene für den Wahlkampf zu instrumentalisieren. Andererseits können sie aber auch Druck ausüben, um die Ursachen und Verantwortlichkeiten lückenlos aufzudecken

 

Ein Wendepunkt zu mehr Rechtsstaatlichkeit und Verantwortung im Land?

Die Brandkatastrophe hat einmal mehr den Bürgern im Land vor Augen geführt, in welch desolatem Zustand sich der Staat und seine Institutionen befinden. Der Brand in einem modularen Krankenhaus für Corona-Patienten vor drei Jahren in Tetovo, ein verheerender Busunfall vor wenigen Jahren und wiederholte schwere Verkehrsunfälle aufgrund eklatanter Missachtung von elementarsten Verkehrsregeln sehen die Katastrophe von Kočani als weiteren traurigen Höhepunkt eines durch Korruption und Gleichgültigkeit staatlicher Behörden geschaffenen Systems von Verantwortungslosigkeit.

In diesem Zusammenhang traf Ministerpräsident Hristijan Mickoski den Punkt, wenn er dies als Problem der gesamten politischen Klasse über politische und ethnische Grenzen hinweg beschrieb. Dieses besteht seit Jahrzehnten und ist nicht nur ein System von Korruption und Nepotismus, sondern hat weite Teile der Gesellschaft erfasst, bei der Korruption und Vorteilsnahme selbst auf den niedrigsten Ebenen vorkommen. Verschiedenen Umfragen zu Folge liegt das Vertrauen der Bevölkerung in das Justizsystem bei unter 10%. Das Versagen des Staates in vielen Bereichen der Gesellschaft strahlt vielfach auf das Verhalten seiner Bürger ab, die zum einen bedingt durch das Nichtvertrauen in die Institutionen ihren eigenen Weg zur Erlangung von Recht bzw. notwendiger staatlicher Ressourcen gehen und zum anderen aus dem Wissen heraus, dass Sanktionen für Fehlverhalten nicht zu erwarten sind, rudimentäre Regeln nicht befolgen. Gleichwohl darf man hinterfragen, inwieweit die Ignoranz für Regeln und Streben nach eigener Vorteilsnahme nur aus der Dysfunktionalität des Staates abzuleiten sind. So verlor einer der Betreiber des Klubs in Kočani selbst ein Kind in den Flammen, während ein anderer schwer verletzt hospitalisiert ist, so dass hier, wie auch in anderen Fällen, die Verantwortlichen selbst zum Opfer ihrer Taten werden.

Gleiches gilt für das teilweise anarchische Verhalten im Straßenverkehr, bei welchem zu Jahresbeginn erneut eine junge Frau als Fußgängerin Opfer eines rücksichtslosen Fahrverhaltens wurde, als ein Fahrer mit 130 Km/h in der Innenstadt Skopjes die Kontrolle über sein Fahrzeug verlor. Bei der sich anschließenden verstärkten Kontrollaktivität der Polizei besaßen 10% der angehaltenen Fahrer keinen Führerschein, was das Verhalten und die Unkenntnis der Regeln erklären können. Gleichwohl führt es jedoch nicht zu einem Bewusstsein, dass jeder Verkehrsteilnehmer bzw. Verwandte oder Freunde Opfer ebenfalls Opfer sein könnte.

Diese Mischung aus Verantwortungslosigkeit und Dysfunktionalität in Staat, Gesundheits- und Bildungswesen ist für die vielen jungen Mazedonier, die in immer größeren Zahlen das Land verlassen, mehr Haupttriebfeder als die Aussicht auf höhere Löhne in Westeuropa, USA oder Australien. Die Lösung dieser Herausforderungen ist somit auch ein Baustein für die Zukunftsfähigkeit des Landes. Dafür bedarf es eines grundlegenden Mentalitätswechsels in Staat und Gesellschaft, der Verantwortungsübernahme nicht nur im Staat, sondern auch in Wirtschaft, Gesellschaft und Nachbarschaft befördert und rechtsstaatliches Handeln belohnt.

In dieser Hinsicht ist die Katastrophe von Kočani hoffentlich ein Weckruf für das Land, sich als Ganzes mit dieser Herausforderung zu beschäftigen. Die Tatsache, dass im Herbst Kommunalwahlen stattfinden, kann ein Katalysator sein, denn keine politische Kraft wird es sich erlauben können, nach den Wochen der Trauer und Empörung zur Tagesordnung zurückzukehren. Das Anerkenntnis der Regierungsspitze, dass es sich um ein Problem des ganzen

Landes und aller politischen Akteure handelt, lässt erkennen, dass man sich an der Spitze des Landes der Herausforderung bewusst ist. Dieser Erkenntnis müssen nun Taten folgen.An der roten Absatzmarke bei Bedarf einen Seitenumbruch einfügen

 

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Contacto

Daniel Braun

Daniel Braun

Leiter des Auslandsbüros Nordmazedonien und Kosovo

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