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„Retten, was vom Ursprungsgedanken noch zu retten ist“

Die CDU vor ernsten Herausforderungen

Zur Diskussion mit einem hochkarätigen Podium hatte das Bildungswerk Mainz der Konrad-Adenauer-Stiftung geladen, um der Frage nachzugehen, welche Bindekraft und welchesSelbstverständnis die Volkspartei CDU (noch) hat. Dabei wurde vor allem beleuchtet, wasWesensmerkmal, also „Markenkern“, der Partei ist und wie man dem immer stärker werdendenEntfremdungsgefühl zwischen Bürgern und Politikern entgegenwirken kann. Die von MechthildLöhr moderierte Runde förderte pessimistische wie optimistische Einschätzungen zum Themazutage.

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Jentsch: „Volkspartei, ein vom Aussterben bedrohter Dinosaurier?“

Prof. Dr. Hans-Joachim Jentsch,

Bundesverfassungsrichter a.D. und

als solcher zuständig für Parteienund

Wahlrecht, äußerte sich in

seinem Statement „Volkspartei, ein

vom Aussterben bedrohter

Dinosaurier?“ dazu, ob das Schicksal

der Dinosaurier als Menetekel für

die Zukunft und die Entwicklung der

Volksparteien gelten muss.

Indes ist der Begriff ‚Volkspartei‘

unscharf. Seitens der Wissenschaft,

so Professor Jentsch, sei er zu

eliminieren, da ihm die Kraft einer analytischen Kategorie fehle. Stelle man bei der Definition auf

Wählergruppen als Kriterium ab, so verliere man das ‚Pars‘ aus den Augen: „Im klassischen Sinne ist

dann der Anspruch eine Volkspartei zu sein, nicht mehr zu erheben“. Quantitativ gesehen, so Jentsch

weiter, verfüge eine Volkspartei über eine Milieubasis von 20 bis 25 %, aus der heraus sich in der

Folge die Bindungskraft für andere Wählergruppen ergebe.

Historisch betrachtet begann die große Zeit der Volksparteien nach 1945. Die CDU verstand es als

„Volkspartei der Mitte“, die Bürger aller Schichten, Berufe und Konfessionen hinter sich zu vereinen.

Die Orientierung in der Gründungsphase war gebunden an die Vorstellung von der Würde des

Menschen im christlichen Sinne: „Und sie gilt noch immer! Die CDU war und ist eindeutig eine

Weltanschauungspartei“, führte der ehemalige Verfassungsrichter aus. Sie war bemüht

konfessionelle, soziale und landsmannschaftliche Grenzen aufzuheben; gleichzeitig sollte das

Christentum mit seinen kultur- und geistesgeschichtlichen Errungenschaften den Menschen Halt

geben.

Mitgliederschwund macht Niedergang offenkundig

Der augenscheinlichste Befund für den Niedergang der Volksparteien sei Professor Jentsch zufolge

der Rückgang der Mitgliederzahlen. Noch 1990 belief sich der Organisationsgrad - die Zahl derer, die

Mitglied einer Partei sein könnten und es faktisch auch waren - auf 3,65 %. Heute ist diese Zahl bei

1,9 % anzunehmen. Auch bei den Werten zur Wahlbeteiligung zeigt sich immer stärker die gewaltige

Entfremdung, die in den vergangenen Jahrzehnten stattgefunden hat. Bis 1987 rangierte die

Wahlbeteiligung immer über 80 %, seit 1990 immerhin noch über 70 %, führte Jentsch aus. Heute

fänden Landratswahlen statt, die allenfalls mit 25 % zu Buche schlagen. Ebenso zeige die Wahl des

Bundespräsidenten ganz deutlich, in welch hohem Maß die Parteienphobie und die Aversion gegen

die Volksparteien bereits fortgeschritten sei: „Plötzlich steht die Forderung nach einem

überparteilichen Bundespräsidenten im Raum. Das Ideal sollte aber sein, dass ein Bundespräsident

aus einer Partei kommt, sein Amt aber überparteilich führt“.

Politische Diskursebene hat abgedankt

Die Motive dieser Gesamtentwicklung zuungunsten der großen Volksparteien lokalisiert Professor

Jentsch vor allem bei der Globalisierung und Europäisierung und dem somit schwindenden Einfluss

der Parteien insgesamt. „Die Krisenbekämpfung erfolgt in einer Grauzone“, führte der ehemalige

Bundesverfassungsrichter an. Und weiter: „Als Bürger weiß man oft nicht mehr, wer noch zuständig

ist“. Die politische Diskursebene habe seiner Auffassung zufolge abgedankt. Eine politische

Diskussion fände nicht mehr statt und dort, wo politisch gestaltet werde - meist in den Kommunen -

werde ‚outgesourct‘. Im Zuge der Erosion gesamtgesellschaftlicher Werte und zunehmender

Säkularisierung müssten sich die Parteien anpassen und ihre Strukturen ändern. Gegebenenfalls

müsse diese Anpassung auch bezüglich der innerparteilichen Partizipationsmöglichkeiten und -

strukturen geschehen. „Wir müssen akzeptieren, was Realität ist: Die Volksparteien sind geschwächt,

eine Änderung dieses Status quo wird nicht mehr eintreten“, so Hans-Joachim Jentsch.

Was also ist zu tun? Wie sollten sich die Volksparteien verhalten, um ihren Einfluss zu konservieren?

Professor Jentsch zufolge sollte frei nach dem Motto „Retten, was vom Ursprungsgedanken noch zu

retten ist“ der Diskurs der Parteimitglieder wieder stärker gefördert werden. Abschließend lautete

der Appell des Verfassungsrechtlers: „Es sollte keine direkte Demokratie anstelle einer

repräsentativen geben, sondern mehr direkte Demokratie innerhalb der repräsentativen

Demokratie!“.

Ockenfels: Ordnung und Moral in der Wirtschaft

Zum Thema „Ordnung und Moral in der Wirtschaft“ referierte hiernach Prof. Dr. Dr. Wolfgang

Ockenfels, Lehrstuhlinhaber für Politische Ethik, Sozial- und Wirtschaftsethik und Katholische

Soziallehre an der Universität Trier.

Er konstatierte, dass gerade die CDU immer - und vielleicht ist sie es noch - eine besonders in

Wirtschaftsfragen kompetente Partei war, die fest auf der Identifikation mit dem Wirtschaftsmodell

der Sozialen Marktwirtschaft fußte. „Dass wir im Rahmen der Globalisierung die Soziale

Marktwirtschaft nicht exportieren konnten, hat auch damit zu tun“, kritisiert Ockenfels, „dass wir

wohl selber nicht mehr so ganz daran glauben!“. Die Soziale Marktwirtschaft sei seiner Auffassung

zufolge nicht bloß eine technokratische Organisationsform, sondern aus ethischem Aspekt heraus

grundsätzlich begrüßenswert und förderungswürdig. An der Fort- und Weiterentwicklung der

Sozialen Marktwirtschaft war seit den 50er Jahren des vergangenen Jahrhunderts die Katholische

Soziallehre immer maßgeblich beteiligt. Allein schon deshalb müsse es, so Professor Ockenfels,

beiden Kirchen ein dringendes Anliegen sein, hierüber zu diskutieren.

Als Ursache dieser defizitären Entwicklung bewertet Professor Ockenfels den Umstand, dass das

Konzept der Sozialen Marktwirtschaft auf Säulen beruhe, die in der Vergangenheit stark

vernachlässigt wurden. Als Beispiel nannte er den Eigentumsbegriff: „Die Privateigentumsvorstellung

ist heute vielfach nicht mehr relevant, vor allem dann, wenn es um Fragen der Privathaftung geht“.

Nach dem Staat zu rufen, wenn man sich ‚verzockt‘ hat, sei hiernach nicht legitim, so Ockenfels

weiter. Die Ordnungspolitik sollte aber diesem Ansatz folgend die Rahmenbedingungen schaffen, um

die Chancengleichheit im Wettbewerb wieder herzustellen.

Staatlicher Mindestlohn nicht wünschenswert

Auch das Beispiel der Tarifautonomie markiere einen staatsfreien Raum, in dem der Bürger selbst

gestalterisch tätig werden kann. Und weiter: „Ein seitens des Staates regulierter Mindestlohn ist

nicht wünschenswert! Denn was wollen sie machen mit einer Sozialen Marktwirtschaft, deren

Subjekte nicht mehr risikobereit, arbeitsam und verantwortungsvoll sind?“. Eine solche Ordnung wird

nach seinem Dafürhalten unweigerlich zusammenbrechen.

Insofern richtete sich der Appell an die Verantwortung des Einzelnen: „Wir sollten immer auch nach

uns selbst, den Subjekten dieser Ordnung, fragen. Denn neben der Rechtsordnung ist das ethischmoralische

Verantwortungsbewusstsein des Individuums immens wichtig und Moral setzt Freiheit

voraus, das Recht hingegen kann Freiheit stark beschränken“. Diese Moral, so die Mahnung

Ockenfels, werde allerdings nicht auf kognitiver Ebene gefördert, sondern erzieherisch durch

Vorbilder. Daher werde es Zeit, hält der Referent abschließend fest, dass wir innerhalb der Parteien

und der gesamten Gesellschaft wieder über die Grundsätze und das Grundlegende sprechen. Vor

allem innerparteilich sei die erneute Vergewisserung auf eine moralisch-ethische Grundlage wieder

dringend notwendig.

Kraus: „Von der Bildungsnation zur Bildungsrepublik, kann das gelingen?“

Josef Kraus, Präsident des Deutschen Lehrerverbands, referierte expertisenreich zur Frage „Von der

Bildungsnation zur Bildungsrepublik, kann das gelingen?“. Er bedauerte im Rahmen seines

Statements die Abschaffung, Aufgabe und Abkehr von den eigentlichen Prinzipien und Vorzügen, die

Deutschland als ‚große Bildungsnation‘ international Anerkennung verschafft haben, zugunsten der

Europäisierung und Globalisierung. Diese Entwicklung, so Kraus, sei das Resultat der grünen und

sozialdemokratischen Lebenslügen, denen zufolge Bildung ohne Anstrengung funktioniere und alles

gerecht sei, was gleich macht. Seine Zwischenbilanz lautet daher folgerichtig: „Es ist nicht mehr weit

her mit einem prinzipientreuen Gestaltungswillen in der deutschen Bildungspolitik“.

Für Josef Kraus rangiert der Begriff ‚Bildungsrepublik‘ semantisch hinter dem Begriff ‚Bildungsnation‘:

„Die CDU muss klar sagen, dass auch in Bildungsfragen die Freiheit Vorrang vor der Gleichheit hat“.

In der Folge, so seine Analyse, sei der pädagogische Egalitarismus dafür verantwortlich, dass die

Unterschiede in der Begabung auf niedrigerem Niveau nivelliert worden sind. Zwar gäbe es eine

Bringschuld des Staates, „aber er muss nicht alle mit einem Abitur ausstatten! Den Fanatikern der

Bildungsgerechtigkeit darf nicht auf den Leim gegangen werden“.

Leistung muss sich lohnen

Kraus betonte, dass es hierbei nicht um den Erhalt der vermeintlichen Diskriminierung durch die

dreigliedrige Struktur gehen kann. Vielmehr müsse vor allem die CDU einen emanzipatorischen

Gerechtigkeitsbegriff pflegen in dessen Rahmen die Schule Leistung adäquat belohnen kann. Kraus

weiter: „Das Kriterium Leistung ist eine unglaubliche Chance für die Allokation eines Individuums und

schafft echte Gerechtigkeit“. Letztlich schade man mit der derzeitigen Vorgehensweise dem

Sozialstaatsprinzip, denn je gleicher eine Gesellschaft strukturiert ist, umso wichtiger werden Eliten.

Eine Effizienzsteigerung habe immer auch mit Strukturfragen zu tun und nicht ausschließlich nur mit

Qualitätsfragen, mahnte der Präsident des Deutschen Lehrerverbands.

Auch kritisierte er die Forderung nach inhaltsleerer Kompetenzvermittlung als absurd: „Wir müssen

zurück zu den Inhalten! Zu lange schon wird - ohne beweisbare Erfolge - die Kompetenzenpädagogik

praktiziert“. Seiner Erfahrung nach seien junge Menschen meinungs- aber nicht wissensstark: „Wir

kommen an einen Punkt, an dem Abiturienten immer weniger wissen, dies aber kompetent und mit

immer besseren Noten! Das Problem ist klar: Wer nichts weiß, muss alles glauben!“. Diesem

Dilettantismus in der Bildungsrepublik kann nur durch Aufklärung, dem Prinzip kompetitiven

Föderalismus folgend, bekämpft werden. Notwendig sei gleichzeitig eine Renaissance des Wissens,

denn je mehr der Staat im Bereich der Erziehung an Kompetenzen an sich ziehe, desto totalitärer

werde Erziehung.

Der Appell in Richtung der CDU lautet daher folgerichtig: „Die CDU darf Bildung nicht ökonomisch

denken. Schule kann nicht nach Rentabilitätsgesichtspunkten geführt werden und die CDU muss den

Mut haben sich in Sachen Bildung als professionelle Kraft darzustellen“. Im Sinne eines ‚aufgeklärten

Konservatismus‘ muss eine realitätsnahe Diskussion über Bildung wieder möglich sein - auch gegen

die vorherrschende Gleichmacherei und den Dogmatismus.

Bleser: Volkspartei mit bewährten Grundsätzen und nachhaltigen Zielen

Den Vormittag aus der Sicht eines aktiven Politikers abrundend sprach Peter Bleser, MdB, zum

Thema „Volkspartei mit bewährten Grundsätzen und nachhaltigen Zielen!“. Der

Bundestagsabgeordnete berichtete hierbei ganz offen von seinen persönlichen Motiven und

Vorstellungen einer Volkspartei.

„Wir brauchen Parteien als Organisation der Macht, als Bindeglied zwischen Bürgern und Politik“, so

die Auffassung Blesers. Im Unterschied zu Bürgerinitiativen stünden sie dabei auf dem Fundament

einer Weltanschauung. Die Kritik an der mangelnden Diskurskultur innerhalb der Parteien selbst

widersprach er: „Die Zieldefinition wird innerhalb der Partei durch Diskussion und Debatten

festgelegt!“. Das Problem sei vielmehr, dass die politisch Handelnden dem Bürger oft keine

Entscheidungsalternativen vorlege: „Der Bürger braucht Entscheidungsorientierungen und diese

Leistung erbringen Volksparteien heute nur sehr selten“. Und auch die Verantwortung die

Entscheidungswege betreffend sei heute anders gewichtet, als es früher der Fall war: „Früher konnte

man Schuld einfach nicht delegieren oder Anderen anlasten“, hält der Bundestagsabgeordnete fest.

Die Ursachen für die zunehmende Skepsis der Wähler gegenüber den Parteien sieht er einerseits

durch die vielfachen medialen Eingriffe und Beeinflussungen von außen und andererseits innerhalb

der Parteien durch den Mangel an Führung bedingt. Das Einnehmen einer klaren Position versteht

Bleser nicht als Kriterium für den Wähler, welches einen Vertrauensentzug nach sich zieht:

„Politische Festigkeit wird auch heute noch gesucht und genau hier haben wir ein Defizit“.

Die Grundsätze der CDU seien seiner Meinung nach nicht nur nach wie vor richtig, sondern auch

zeitlos. Notwendig sei es allerdings in einer zunehmend individualisierten Gesellschaft die Menschen

dazu zu bringen, sich für oder gegen etwas zu entscheiden. Dieser Herausforderung müsse sich die

CDU stellen und sich nicht aus der Fassung bringen lassen: „Die CDU muss lernen und den Mut

finden, zu widersprechen! Wir müssen wieder unbequem sein!“. Und in die Zukunft gerichtet urteilt

der Abgeordnete abschließend: „ Wir haben nach wie vor das richtige Menschenbild und deshalb bin

ich zuversichtlich. Die Zeit läuft uns entgegen, die Menschen werden wieder zu uns kommen“.

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