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Der Leiter des Politischen Bildungsforums und Landesbeauftragter der Konrad-Adenauer-Stiftung für Rheinland-Pfalz, Karl-Heinz B. van Lier, merkte zu Beginn an, dass das Thema Europa vor allem deshalb relevant ist, da dieser Tage häufig von einer vermeintlichen Rückbesinnung auf das ‚christliche Abendland‘ die Rede sei. Welche Idee aber stecke dahinter? Bei den Gründungsvätern Europas seien die Grundlagen hierfür zu finden, so van Lier. Auch angesichts der tagesaktuellen Entwicklungen in der Griechenland-Krise sei die Frage nach der Zukunft Europas wieder ins Blickfeld gerückt und das Thema somit hochaktuell.
Der Politologe Ingo Espenschied stellte dem Publikum seine neue DOKULIVE-Präsentation „65 Jahre Europa – das Vermächtnis der Gründungsväter“ vor. Er stellte voran, dass der Erste Weltkrieg Europa in den Abgrund gerissen hatte, aber auch die Chance geboten habe, das Europa von heute zu bilden. Auch sollte man sich der Tatsache bewusst sein, dass wir in Europa von außen um die EU beneidet würden: „Europa ist das Beste, was uns passieren konnte!“.
In historischer Perspektive begann die Geschichte der Europäischen Union am 9. Mai 1950 mit der Pressekonferenz Robert Schumans. Auf dieser schlug er Kanzler Adenauer einen gemeinsamen Markt für Kohle und Stahl, die wichtigsten Industrien der Zeit, vor. Er sollte Kriege verhindern helfen und die Nachkriegswirtschaft nach vorne bringen, bedeutete vor allem aber auch einen Wandel in den deutsch-französischen und in den europäischen Beziehungen. Eines hätten, so betonte Espenschied, alle Gründungsväter gemeinsam: „Alle hatten die Feindseligkeiten zwischen Deutschland und Frankreich hautnah miterlebt“. Robert Schuman kam aus Lothringen, dem Schauplatz der großen Konflikte zwischen den beiden Nationen. Adenauer stammte aus dem Rheinland, das im Ersten Weltkrieg und danach sehr in Mitleidenschaft gezogen wurde.
Die Erfahrungen des Ersten Weltkriegs hätten die ersten Friedensbewegungen und somit auch die ersten europäischen Bewegungen hervorgebracht. Als herausragend sei hier vor allem die 1922 gegründete Paneuropa-Union unter der Führung von Richard Nikolaus Graf von Coudenhove-Kalergi zu nennen, der unter anderem auch Albert Einstein, Konrad Adenauer und Aristide Briand zuzurechnen waren und die für ihr Bemühen sogar den Friedensnobelpreis erhielt. Die Weltwirtschaftskrise von 1927 vergiftete, so führte Espenschied weiter aus, jedoch die europäische Idee und machte sie durch die weiteren Entwicklungen in Europa vor allem durch das im Nationalsozialismus versinkende Deutschland zunichte.
Nach dem Zweiten Weltkrieg orientierten sich überzeugte Europäer dann in Richtung der einzigen verbliebenen Großmacht in Europa: nach Großbritannien. Das unter der Führung Winston Churchills agierende ‚United Europe Movement‘ strebte zwar nach einer gesamteuropäischen Zusammenarbeit der Länder, jedoch unabhängig voneinander. Einen Schritt weiter gingen da die Föderalisten, die einen europäischen Bundesstaat anstrebten, erklärte Espenschied. Der Europa-Kongress in Den Haag im Mai 1948 war schließlich die Initialzündung zur Gründung des Europarats noch im gleichen Jahr und wurde mit einer Resolution beschlossen, die den Willen festhielt, die politische und wirtschaftliche Einheit Europas verwirklichen zu wollen. Dieser hatte aber lediglich eine beratende Funktion und war somit ein „zahnloser Tiger“ sowie ein herber Rückschlag für die europäischen Föderalisten, die stets dem Motto „Qui veut la paix veut un transfert de souveraineté aux etats-unis d’europe. Le reste est mensonge.“ (Wer den Frieden will, will auch eine Übertragung der Souveränität auf die Vereinigten Staaten von Europa. Alles andere ist eine Lüge.) folgten.
Beide Europäer, Adenauer und Schumann, standen dann schließlich 1949 in Regierungsverantwortung. Zu dieser Zeit bedeuteten Kohle und Stahl immer auch Macht. Espenschied weiter: „Es bestand ein Ungleichgewicht in der Verteilung der Vorkommen. Während Frankreich über genügend Eisenerz zur Stahlherstellung verfügte, verfügte Deutschland über ausreichende Kohlevorkommen zur Befeuerung der Hochöfen. Jean Monnet, Leiter des französischen Planungsamts, würde bei der europäischen Verständigung eine große Rolle spielen. „Er will mit Deutschland zusammenarbeiten und verfolgt die Idee eines gemeinsamen Marktes für Kohle und Stahl als ‚Nukleus einer zukünftigen europäischen Föderation‘.“, so hieß es weiter. Sein Papier war Ende April 1950 fertiggestellt und ging später - nach der historischen Pressekonferenz Schumans am 9. Mai 1950 - als so genannter Schumann-Plan in die Geschichte ein.
Diesem folgend wurde im Jahr darauf die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl EGKS – oft auch Montanunion genannt – gegründet. Die Gründerstaaten Deutschland, Frankreich, Italien und die Benelux-Länder regelten hier fortan unabhängig von ihren Staaten die Angelegenheiten der Montanindustrie. „So wurde das hierfür installierte Kontrollorgan, die so genannte Hohe Behörde, die erste supranationale Institution Europas. Historisch folgten dann die Römischen Verträge 1958 mit der Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und der EURATOM, die erste EG-Erweiterung 1973 sowie die erste direkte Europawahl 1979, führte Espenschied aus. „Jedoch wich die anfängliche Zuversicht bald. In Europa wurde Integration mit angezogener Handbremse vollzogen, niemand wollte Kompetenzen an die europäische Ebene abtreten“. So erarbeitete der Kommunist, Antifaschist und überzeugte europäische Föderalist Altiero Spinelli einen Plan, „den so genannten Spinelli-Bericht, der vorsah Kompetenzen zum Beispiel an den Ministerrat abzugeben“. 1981 erfolgte dann die Erweiterung der EG auf zehn Mitgliedsstaaten, 1982 kamen schließlich noch Portugal und Spanien hinzu. Unter anderem die Wiedervereinigung Deutschlands, so die Erklärung Espenschieds, machten eine Vertiefung und Festigung des EG-Vertrags notwendig, „was 1993 im Vertrag von Maastricht mündete“.
Mit heute 19 EU-Staaten, der Einführung der Gemeinschaftswährung und dem politischen Status quo eines „Europas der 28“, sei die Europäische Union heute ein weltweit einzigartiges Gebilde. 65 Jahre Europa bedeuteten daher vor allem, dass wir uns in Europa seit 65 Jahren in einem Prozess befänden, lautete die Einschätzung Espenschieds. Und er spannte einen historischen Bogen: „Die Frage ist, ob wir ein Europa der Bürger oder ein Europa der alten Diplomatie der Nationalstaaten haben wollen. Die Gründungsväter wären mit der Supranationalität sicher einverstanden. Und wollen wir Europa richtig bauen, dann macht es nur Sinn, wenn es ein demokratisches Europa, ein Europa der Bürger ist“, beschloss er seinen DOKULIVE-Vortrag.
Dr. Stephan Koppelberg, Leiter der regionalen Vertretung der EU-Kommission in Bonn, richtete den Blick unter der Fragestellung „Würdige Erben? Die neue Kommission Juncker und ihre Herausforderungen“ in die Gegenwart der Europäischen Union. Die institutionellen Neuerungen der Kommission Juncker seine, so Koppelberg, ein enormer Fortschritt: „Früher wurde das Amt des Kommissionspräsidenten hinter verschlossenen Türen verhandelt. Im Vorfeld der letzten Europawahl gab es sogar einen richtigen Wahlkampf“. Das System eines Spitzenkandidaten wird sich nach seiner Einschätzung nicht mehr rückgängig machen lassen und bedeute zudem mehr Demokratie für Europa.
Die Europäische Union, vor allem aber die EU-Kommission als Exekutive, könne in erster Linie in wirtschaftlicher Hinsicht etwas erreichen: „Juncker möchte, dass sich die EU nicht mehr mit Kleinkram befasst, sondern beispielsweise mit Fragen des Freihandelsabkommens mit den USA und der europäischen Außenpolitik. Neu sei auch die Schaffung von derzeit sieben Posten der Vizepräsidenten der EU-Kommission, für die Juncker diverse Kompetenzen abgetreten hat und die ihn in hinsichtlich spezifischer und ressorteigener Fragestellungen vertreten. „Sie arbeiten ihm nun in projektspezifischen Teams von Kommissarinnen und Kommissaren zu, woraus auch eine erhöhte Transparenz und eine gleichzeitige Konzentration der Tätigkeiten folgt“, erläuterte der Kommissionsvertreter. Ja, die Kommission Juncker sei ein Neustart für Europa und Juncker ein würdiger Erbe der Gründungsväter, meinte Koppelberg.
Die ehemalige Bundestags- und Europaabgeordnete Dr. h.c. Doris Pack beschrieb ihre Erfahrungen eines Vierteljahrhunderts politischer Arbeit. Zum Thema „Europas Zukunft !? – die (Schlüssel) Rolle des Europäischen Parlaments im Europäischen Einigungsprozess“ merkte sie an, dass die Tätigkeit des Europäischen Parlaments oft zu komplex sei: „Wir könnten es leichter haben, wenn wir es uns leichter machten, indem wir alles etwas stringenter gestalten würden“.
Wenn ein Parlament ein Fünf-Prozent-Hürde bräuchte, dann das europäische, da man sich sonst durch Abgeordnete kleinster Parteien verzettele, so Dr. Pack. Dennoch sei stets eine starke pro-europäische Fraktion gesichert, bei der auch über die politischen Grenzen hinweg zusammengearbeitet werde gegen die Europakritiker und -gegner. Das vielbeschworene Demokratiedefizit gäbe es indes nicht, im Gegenteil: „Es bestehen ja keine Regierungen oder Kabinette, denen der Einzelne gegenüber verpflichtet ist, sondern nur frei gewählte Abgeordnete, die ausschließlich sich selbst gegenüber verantwortlich sind“. Daher sei das Arbeiten im EU-Parlament „ein unwahrscheinlich demokratisches“, hielt die frühere EU-Politikerin fest. Sicher läge es in der Natur des Parlaments auch Gesetzgebungskompetenzen haben zu wollen, aber das Initiativrecht habe man seitens der EU-Parlamentarier bewusst nie eingefordert, „damit dieses nicht in der Folge auch dem Ministerrat zugesprochen werden würde“.
Abschließend bedauerte Dr. Pack, dass es in der europäischen Öffentlichkeit nicht mehr den Wunsch zu geben scheine, „dass Europa blühen möge“. Und weiter: „Heute sind wir in der Situation, dass wir wieder etwas Neues finden müssen, um die jungen Menschen zu überzeugen, dass wir Europa brauchen! Europa ist immer jedes Engagement wert!“.
Das abschließend von Richard Stock, Direktor des Centre européen Robert Schumann CERS, moderierte Podiumsgespräch vertiefte vor allem aktuelle Aspekte der EU-Politik. „Das Erbe der Gründungsväter ist schwer zu verstehen und schwer zu vermitteln, aber wir müssen uns diese Mühe machen!“, leitete Stock die Runde ein.
Mit Blick auf die Ukrainekrise begründete Dr. Doris Pack die Notwendigkeit, „als NATO-Mitglied gerüstet zu sein“. Es gäbe für Deutschland keine Tabus mehr oder Gründe, sich nicht zu engagieren, „natürlich nicht kopflos“. Die Bedrohung durch den Terrorismus in Europa bewertete Ingo Espenschied als „Chance auf eine Rückbesinnung auf das, was uns in Europa ausmacht und auf welchen Werten wir fußen“. Vor allem in wirtschaftlicher Hinsicht könnte die EU, betonte Dr. Stephan Koppelberg, viel erreichen und bewegen. „Mit Blick auf den Mangel an einer gemeinsamen europäischen Außen- und Sicherheitspolitik jedoch nur wenig beispielsweise in der Ukrainekrise“.
„Auf die Herausforderungen der Staatenvielfalt zu reagieren, ist die große Aufgabe Europas! Die großen Herausforderungen vor denen Europa steht, machen eine Weiterentwicklung der Zuarbeit und der Konsensbildung erforderlich“, schloss Karl-Heinz B. van Lier.