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Oberbürgermeister Andreas Ludwig - Begrüßung der Besucher
Oberbürgermeister Andreas Ludwig begrüßt die Gäste und Ehrengäste. Er weist auf die besondere Bedeutung des Kurhauses Bad Kreuznach als Tagungsort hin, besonders im Zusammenhang mit den deutsch-französischen Beziehungen. 1917-18 diente das Kurhaus als Sitz des Großen Hauptquartiers der Reichswehr; von hier aus wurden die großen Feldzüge gegen Frankreich geführt. Hier übergab der Gesandte des Papstes, Nuntius Pacelli, dem Kaiser einen Friedensplan zur Beendigung des Ersten Weltkrieges; der Kaiser lehnte ab. Hier fanden das historische Treffen zwischen Konrad Adenauer und Charles de Gaulle am 26. November 1958 und die entsprechenden 50-jährigen Jubiläumsfeierlichkeiten statt.
Oberbürgermeister Ludwig weist auch auf die Bedeutung der Zivilgesellschaften für die heutigen Beziehungen zwischen Deutschen und Franzosen hin. Die deutsch-französische Zusammenarbeit ist in Bad Kreuznach besonders greifbar. Das beweise das hohe Engagement der Deutsch-Französischen Gesellschaft, der Schulen, der Städtepartnerschaft mit Bourg-en-Bresse und die wirtschaftliche Kooperation mit Michelin und dem französischen Betreiber der Bad Kreuznacher Verkehrsbetriebe. Die heutige Veranstaltung, die geplante Gründung des Deutsch-Französischen Forums e.V. sowie der Austausch mit Colombey-les-deux-Eglises gehen in dieselbe Richtung. In diesem Zusammenhang drückt der Oberbürgermeister vor allem Herrn Professor Henri Ménudier seinen Dank für sein Engagement aus.
Ansprache von Bundestagspräsident Dr. Norbert Lammert
Dr. Norbert Lammert bedankt sich für die Einladung von Frau Julia Klöckner MdB zur heutigen Konferenz. Er freut sich, den Termin am heutigen Tag wahrnehmen zu können, insbesondere nachdem eine Teilnahme am Festakt des 26. Novembers 2008 (50 Jahre Treffen de Gaulle-Adenauer in Bad Kreuznach) aus terminlichen Gründen nicht möglich gewesen sei.
Die deutsch-französischen Beziehungen sind zentral für Europa. Hierin besteht die besondere Relevanz des deutsch-französischen Vertrages vom 22. Januar 1963. Schon Winston Churchill hat unmittelbar nach dem Krieg gesagt, dass es nur eine Zukunft für Europa geben kann, wenn sich Europa organisiere. Die Grundvoraussetzung hierfür sei die deutsch-französische Aussöhnung und Kooperation. Die Weichen in Europa müssten von Deutschland und Frankreich gestellt werden. Eine aktive Rolle Großbritanniens im Prozess der Europäischen Integration indes schloss Winston Churchill aus.
Die Erfüllung der Churchillschen Zukunftsperspektive war alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Die grundlegende Neuordnung des Verhältnisses zwischen Deutschland und Frankreich war für viele, die wie Konrad Adenauer an ihr mitgewirkt haben, zu Beginn vor allem ein Gebot des Verstandes – eine Sache des Herzens war sie deswegen noch nicht. Nach den tragischen Ereignissen der Geschichte war dies auch nicht zu erwarten. Die Freundschaft musste erst der Kooperation folgen, sie musste nachwachsen.
Eine Schlüsselbedeutung kommt in diesem Zusammenhang den persönlichen Begegnungen zu. Sie haben zu einer veränderten Wahrnehmung des Anderen geführt. Nur so konnten die alten, eingeschliffenen (Feind)Bilder überwunden werden. Auch für Adenauer und de Gaulle kommt erst die Einsicht zur Notwendigkeit einer engen Kooperation, und dann das Zusammenwachsen auf menschlicher Ebene. Adenauer und de Gaulle haben 5 Jahre zusammengearbeitet, 100 Briefe geschrieben, sich 40 Mal gesehen und insgesamt 100 Stunden miteinander verbracht.
Für Adenauer war das Scheitern der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG) die größte Niederlage seiner politischen Laufbahn nach 1945. Der Vertrag wurde bereits von Deutschland, Italien und den Benelux-Staaten ratifiziert. Einzig und allein Frankreich, das 1952 die Gründung der EVG vorgeschlagen hatte, brachte den Vertrag im Jahr 1954 vor der Französischen Nationalversammlung zum Fall. Nach dem Scheitern der EVG, durch die auch eine Politische Union geschaffen werden sollte, wurden 1957 die Römischen Verträge unterzeichnet. Adenauer wollte eine politische Einigung Europas und interpretierte die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft stets in diesem Sinne.
Der Bundestagspräsident weist darauf hin, dass das Treffen von Bad Kreuznach auch eines der ersten TV-Ereignisse in Deutschland war. Auch hierdurch erklärt sich die Popularität des Ereignisses. Der Spiegel berichtet von der großen Spannung, mit der die Zuschauer die Pressekonferenz von Bad Kreuznach verfolgt hätten. Die große Frage in Bezug auf die Begegnung Adenauers und de Gaulles in Bad Kreuznach sei, ob es nur zu Absichtserklärungen bezüglich einer engeren Zusammenarbeit oder auch zu deren Umsetzung gekommen sei. Die Antwort müsse lauten: es ist zur Umsetzung gekommen. Der Elysée-Vertrag vom 22. Januar 1963 hat zu einer Vertiefung und Garantie der Kooperation durch die Institutionalisierung derselben geführt, sowohl auf der Ebene der Regierungen, als auch auf der Ebene der Zivilgesellschaften. Die Aktivitäten des Deutsch-Französischen Jugendwerkes sind in diesem Zusammenhang ein gutes Beispiel. Letztes Jahr fanden zwischen jungen Deutschen und Franzosen 11.000 deutsch-französische Begegnungen statt, in denen 200.000 junge Deutsche und Franzosen zusammenkommen sind.
Dr. Norbert Lammert betont, dass der Elysée-Vertrag anfangs alles andere als unumstritten gewesen sei. Besonders von Seiten der so genannten Pro-Atlantiker wurde der Vertrag heftig kritisiert. Sie befürchteten, dass eine zu enge Kooperation mit Frankreich zu Lasten der transatlantischen Beziehungen ginge. Die nachträglich vom Bundestag hinzugefügte Präambel des Elysée-Vertrages ist Ausdruck dieser Befürchtungen.
De Gaulle war von der Präambel enttäuscht und meinte: Verträge seien wie junge Mädchen, sie blühen nur einen Morgen. Adenauer antwortete hierauf: Rosen, und hiervon verstehe er schließlich etwas, überstehen jeden Winter. Letztendlich hat sich die Einschätzung Adenauers bewahrheitet. Wir haben uns an den Elysée-Vertrag gewöhnt, er hat viele Blüten getrieben. Heute versuchen Deutschland und Frankreich, soweit möglich, außenpolitisch mit einer Stimme zu sprechen. Das Europa der 27 wäre ohne den Elysée-Vertrag und ohne die Anstrengungen auf der Ebene der Zivilgesellschaften nicht denkbar gewesen.
Bundestagspräsident Dr. Norbert Lammert schließt seine Rede mit einem Zitat des französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy, das die besonderen Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich verdeutlicht: "Wenn Deutschland und Frankreich streiten, dann dürfen wir es nicht so wie andere tun. Wenn wir streiten, dann nur, um Lösungen zu suchen." (Rede Sarkozy im Rahmen der Karlspreis Verleihung an Bundeskanzlerin Angela Merkel)
Moderierte Diskussion durch Julia Klöckner MdB
Julia Klöckner MdB weist darauf hin, dass die deutsch-französischen Beziehungen eine Sache des Verstandes und der Herzen sind. Aus dem Publikum sammelt sie Fragen an den Bundestagspräsidenten. Im Zentrum steht die Frage des Verhältnisses zwischen Bundeskanzlerin Merkel und dem französischen Präsidenten Sarkozy. Gibt es nur ein persönliches Problem zwischen beiden, oder befinden sich die deutsch-französischen Beziehungen grundsätzlich in einer Krise?
Dr. Norbert Lammert erwidert, dass er keine Krise zwischen Deutschland und Frankreich sieht. Die Beziehungen zwischen Angela Merkel und Nicolas Sarkozy befinden sich in einem ganz normalen Prozess des persönlichen ’Sich-Kennenlernens’. Das war auch bei Adenauer und de Gaulle der Fall. Der Unterschied zu früher ist: auch wenn die Chemie zwischen den Staats- und Regierungschefs nicht stimmt, gibt es standardisierte Verhaltensmuster, die eine Verständigung begünstigen. Divergenzen zwischen Deutschland und Frankreich sind wegen der sehr unterschiedlichen Traditionen und Systeme beider Länder vorprogrammiert, das zeigen vor allem die unterschiedlichen Standpunkte in den Bereichen Klimapolitik und Kernkraft. Das schließt jedoch nicht aus, dass man sich nicht auf eine gemeinsame Vorgehensweise verständigen kann. In Deutschland und Frankreich herrscht stattdessen die Einsicht, dass man sich auf eine gemeinsame Vorgehensweise verständigen muss. Es gilt die alte Weisheit: Nur wenn sich Deutschland und Frankreich verständigen können, gibt es auch eine Chance für eine europäische Regelung. Ebenso gilt der Umkehrschluss: Eine deutsch-französische Einigung wird meistens auch der Kern einer europäischen Regelung.
Vortrag von Professor Dr. Ulrich Lappenküper
Prof. Ulrich Lappenküper geht auf die grundlegenden Ziele der Außenpolitik Adenauers ein. 1949 ist das Ziel Adenauers, die Sicherheit und Souveränität der Bundesrepublik sicherzustellen und die Integration Europas voranzutreiben. Wenn Adenauer die Annäherung an Frankreich sucht, dann vor allem wegen Europa.
Im März 1950 schlägt Adenauer sogar die Idee einer Deutsch-Französischen Union vor. Dieser Plan ist zur damaligen Zeit nicht umzusetzen, da die Beziehungen durch die Vergangenheit noch zu stark belastet sind. Auch Robert Schuman ist anfänglich gegen eine zu rasche Annäherung an Deutschland. Erst als die französische Deutschlandpolitik der Nachkriegszeit nicht erfolgreich ist kommt es zum Paradigmenwechsel, die zur so genannten Schuman-Deklaration vom 9. Mai 1950 und zur Gründung der Montanunion führt. Die Montanunion ist ein multifunktionales Vehikel mit dem vor allem nationale Interessen verfolgt werden, wirtschaftliche ebenso wie sicherheitspolitische. Von Aussöhnung kann Anfang der 50er Jahre noch keine Rede sein.
Als 1958 de Gaulle an die Macht kommt, ist Adenauers Sorge sehr groß: „Wenn Herr de Gaulle kommt, der macht Europa kaputt“, äußert er sich parteiintern. Gleich am Anfang der Regierung de Gaulle werden seine Sorgen bestätigt: Der General kündigt die bis dahin bestehende Atomzusammenarbeit mit Deutschland auf. Nach dem ersten Treffen zwischen Adenauer und de Gaulle am 14. September in Colombey-les-deux-Eglises ist Adenauer vom General tief beeindruckt und ergriffen. Doch nur wenige Tage nach der Begegnung erfährt er, dass de Gaulle in streng geheimen Memoranden an die USA und Großbritannien die Gründung eines Dreierdirektoriums vorschlägt, durch das militärische und vor allem nukleare Fragen der westlichen Welt entschieden werden sollen. Seit dem zweiten Treffen in Bad Kreuznach steht de Gaulle fest an der Seite Adenauers in der Berlin-Krise. Dabei handelt es sich vor allem um Machtkalkül. Adenauer ist begeistert von der neuen Entente Franco-Allemande. Eine zu exklusive deutsch-französiche Bindung wäre aber zulasten des gemeinschaftlichen Europa gegangen. Dennoch stimmt Adenauer der Unterzeichnung des Elysée-Vertrages zu. Er misstraut Kennedy und hat Angst, Frankreich als Verbündeten in der Berlin-Krise zu verlieren. De Gaulle seinerseits will Deutschland durch den Elysée-Vertrag an sich binden, solange Adenauer noch an der Regierung ist.
Sowohl Adenauer als auch de Gaulle unterschätzen den Widerstand gegen den Elysée-Vertrag, der ihnen auch aus den eigenen Reihen entgegenweht. Die nachträglich vom Bundestag verabschiedete Präambel zum Elysée-Vertrag bricht der bilateralen Zusammenarbeit zwischen Adenauer und de Gaulle die Spitze. Bundesaußenminister Gerhard Schröder meint: "Wir unterzeichnen den Vertrag, aber wir wenden ihn nicht an."
Abschließend betont Professor Lappenküper: Die Beziehungen Adenauer-de Gaulle ist keine Liebesheirat sondern ein Zweckbündnis. Seit 1963 ist ein Netz entstanden, das unter souveränen Staaten einzigartig sein dürfte. Aber man darf nicht blauäugig sein. Die Freundschaft darf man nicht historisieren oder als gegeben erachten, für sie muss ständig gearbeitet werden.
Vortrag von Prof. Dr. Henri Ménudier
Professor Henri Ménudier weist auf die besondere Beziehung de Gaulles zu Deutschland hin. De Gaulle ist besonders stark von Deutschland geprägt. Insgesamt fünf Jahre verbringt er als Militär in Deutschland. Während seiner Regierungszeit ist Deutschland das Land, das er am häufigsten besuchen wird. Der Kontakt zu Adenauer ist enger als zu anderen ausländischen Staatsmännern.
In sämtlichen Lebensabschnitten de Gaulles (Schülerzeit, Offizier während des Ersten und Zweiten Weltkrieges, Karriere als Politiker und ab 1958 als Staatsmann) spielt Deutschland eine besondere Rolle. De Gaulle stammt aus einer alten, kleinadligen Familie mit Wurzeln in Deutschland und Irland (ein Großonkel de Gaulles mit dem Familiennamen Kolb stammte aus Deutschland). Der Vater de Gaulles ist Lehrer, die Mutter sehr streng katholisch, die Familie ist eher für den König als für die Republik. Seit seiner Kindheit lernt de Gaulle Deutsch. Später, im Rahmen seiner Offiziersausbildung wird Deutsch Pflichtfach. 1962, während seines Staatsbesuchs in Deutschland, hält de Gaulle 13 Reden auf Deutsch. Er schreibt diese auf Französisch auf und lernt sie auf Deutsch auswendig. Kein anderer Präsident nach de Gaulle hat einen vergleichbaren Bezug zu Deutschland.
Als Führer der Résistance und der französischen Nachkriegsregierung verfolgt de Gaulle in den Jahren 1944-46 eine harte Deutschlandpolitik. Sein Credo: keine zentrale deutsche Regierung, stattdessen autonome deutsche Länder. Die politische Lage in Europa ändert sich mit der Bedrohung durch die Sowjetunion und somit auch die Deutschlandpolitik de Gaulles. Nicht Deutschland, sondern die UdSSR ist nun der Feind. Nach seiner Rückkehr an die Macht am 1. Juni 1958 gibt er Adenauer Zeichen in Richtung einer engeren Kooperation mit Deutschland. Die Ernennung Couve de Murvilles als Botschafter und die Unterzeichnung der Römischen Verträge Anfang 1959 s ind in diesem Zusammenhang zu nennen.
Auch dem Treffen von Bad Kreuznach kommt eine besondere Bedeutung zu. Zum ersten Mal in den internationalen Beziehungen finden regelmäßige Konsultationen zwischen zwei Regierungen statt. Es ist ein Glück für beide Länder, dass es einen Adenauer und einen de Gaulle gegeben hat. Deutschland, Frankreich und Europa sind weitergekommen, auch wenn es manchmal Schwierigkeiten gibt. De Gaulle und Adenauer sind Teil unseres gemeinsamen Erbes. Nur wenn wir wissen woher wir kommen, können wir die Zukunft meistern.
Auch die Beziehungen zwischen den beiden Zivilgesellschaften sind essentiell. In diesem Zusammenhang ist das außergewöhnliche deutsch-französische Engagement der Stadt Bad Kreuznach besonders zu begrüßen.