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Sperrfrist: DO, 30.10.08, 19 Uhr
Karl Kardinal Lehmann
Bischof von Mainz
„Lage der christlichen Minderheiten in der Welt“
Statement zur Veranstaltung mit der Konrad Adenauer-Stiftung
am 30. Oktober 2008 im Erbacher Hof in Mainz
Vor einigen Jahren hat die Deutsche Bischofskonferenz die Initiative „Solidarität mit verfolg-ten und bedrängten Christen“ wieder ins Leben gerufen. Die Bischöfe wollen damit die Auf-merksamkeit von Kirchengemeinden und Öffentlichkeit stärker auf die Situation jener Chris-ten lenken, deren Menschenrechte – besonders das Recht der Religionsfreiheit – einge-schränkt und missachtet werden. In jedem Jahr steht eine andere Region im Vordergrund, z.B. Vietnam, verschiedene Länder des Nahen Ostens, China.
I.
Lassen Sie mich in aller Kürze einige grundsätzliche Bemerkungen zum Thema „Christenver-folgung“ machen. Mit diesem Wort verbinden sich bei vielen ja eher Erinnerungen an die Geschichte: an die Steinigung des Stephanus, über die die Apostelgeschichte berichtet (Apg 6,1-8,2); an die Verfolgung unter römischen Kaisern, bevor das Christentum zur offiziell an-erkannten Religion des Imperiums wurde; dann aber auch an das 20. Jahrhundert, in dem eine große Zahl von Christen unter Nationalsozialisten und Kommunisten Unrecht und nicht selten sogar den Tod erdulden musste. Wer sich Berichte aus der letzten Zeit vor Augen hält, kommt jedoch nicht um die Feststellung herum, dass es auch in unseren Tagen an vielen Orten ge-fährlich ist und mit einem hohen Preis verbunden sein kann, sich zum Christentum und seinen Werten zu bekennen und als Christ zu leben. Diese Aktualität von Christenverfolgung wird oft übersehen, manchmal auch verdrängt. In rund 50 Ländern der Welt findet unter Nichtbe-achtung der Religionsfreiheit eine Verfolgung statt. 80 Prozent aller religiös Verfolgten sind nach Angaben der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte Christen.
Nach wie vor gibt es eine Reihe spätkommunistischer Staaten, in denen der christliche Glaube (wie auch andere Religionen) als Form eines falschen oder überholten Bewusstseins angese-hen wird und als Hindernis für eine wirkliche Befreiung gilt. Gläubige werden dort gesell-schaftlich diskriminiert, oft in ihren bürgerlichen Rechten beschnitten, manchmal sogar offen verfolgt. Die Kirche, die sich dem totalitären Staats- und Gesellschaftsverständnis widersetzt, wird in ihrer Freiheit so weit wie möglich eingeschränkt.
Bei einer Bestandsaufnahme dürfen auch jene Länder nicht übersehen werden, in denen das religiöse Bekenntnis zwar grundsätzlich geachtet wird, Christen jedoch, die sich mutig für die Menschenrechte einsetzen und mit der „Option für die Armen“ Ernst machen, an Leib und Leben bedroht werden. Manchmal geht diese Gewalt von Regierungen aus, öfter aber von privaten Gruppen, die den Verlust ihrer Privilegien fürchten. Diese Art von Christen- und Kirchenverfolgung ist vor allem aus Lateinamerika bekannt, wo die Kirche sich in der Folge des Zweiten Vatikanischen Konzils konsequent aus den Verstrickungen mit der Macht zu lösen gesucht hat und dafür unter Bischöfen und Priestern, genauso aber auch unter engagier-ten Laien einen hohen Blutzoll entrichtet hat.
Angewachsen ist in den letzten Jahren vor allem die Bedrohung von Kirchen und Christen in manchen islamisch geprägten Ländern. Hier macht sich ein erstarkender religiöser Fundamen-talismus bemerkbar, der aus dem Wahrheitsanspruch der eigenen Religion einen alleinigen und absoluten Geltungsanspruch in Gesellschaft und Staat ableitet. Islamische Fundamenta-lismen haben in einigen Ländern auf staatlicher Ebene großen Einfluss gewonnen, sodass Christen oftmals durch gesetzliche Diskriminierung zu Bürgern niederen Ranges herabgestuft und an der Ausübung ihres Rechtes auf Religionsfreiheit gehindert werden. Ich verweise auf Länder wie den (Nord-)Sudan oder den Iran, wo gemäß den Strafgesetzbüchern Muslimen, die zum Christentum konvertieren, sogar die Todesstrafe droht. Nicht-muslimischen Bürgern wird die Ausübung ihrer Religion sehr schwer, wenn nicht gar unmöglich gemacht. Ähnlich Besorgnis erregend ist die Situation der Christen in einigen nördlichen Bundesstaaten Nigeri-as, wo vor einigen Jahren die Scharia als staatliches Recht eingeführt wurde. In Saudi-Arabien existiert überhaupt keine Religionsfreiheit. Die sunnitische Ausprägung des Islams ist Staats-religion, andere Religionen dürfen öffentlich nicht praktiziert werden. Über die Situation im Irak werden wir noch hören und sprechen. Ich will nur kurz darauf eingehen.
II.
Schon ein kurzer Blick auf die sehr unterschiedlichen politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, mit denen die Christen in diesen Ländern konfrontiert sind, macht je-doch deutlich, dass sich eine generalisierende Charakterisierung und eine pauschale Beurtei-lung der Situation im Nahen Osten verbieten.
Im Irak leiden die Christen unter dem Chaos, das sich in der Folge der Invasion von 2003 ausgebreitet und zunehmend bürgerkriegsartige Züge angenommen hat, insbesondere unter der Gewalt islamistischer Terroristen. Zudem schreitet in der Gesellschaft eine Islamisierung voran, die Freiheit und Anerkennung der Christen immer weiter aushöhlt. Zahlenangaben sind immer schwierig. Jedenfalls sind die Christen insgesamt im Irak unter fünf Prozent. Die Ka-tholiken sind knapp ein Prozent. Zusehends wird deutlich, dass die ohnehin sehr kleine christ-liche Minderheit – es handelt sich höchstens um zwei Prozent der Gesamtbevölkerung – die-ser Situation nicht lange wird standhalten können. Immer mehr Christen verlassen das Land. 4,5 Millionen Iraker sind inzwischen geflüchtet. Fachleute sprechen von der größten Flücht-lingskatastrophe im Nahen Osten seit 1948. In den ersten fünf Monaten des Jahres 2008 haben ungefähr 3000 Iraker in Deutschland politisches Asyl beantragt. Bereits jetzt stellen die Chris-ten nach vielen Schätzungen 20 Prozent der irakischen Flüchtlinge, die im benachbarten Sy-rien Schutz suchen.
Die meisten Christen im Irak sind Chaldäer, d.h. sie gehören dem mit Rom verbundenen Teil der ost-syrischen Kirche des Ostens an.
Es gibt auch andere Formen der Diskriminierung, z.B. in Ägypten, wo vor allem aus Kopten bestehende christliche Minderheit ca. zehn Prozent der Bevölkerung ausmacht. Hier bestim-men subtile Ausgrenzung und Benachteiligung das Bild. Aufgrund einer islamisch geprägten Gesetzgebung und einer Christen gegenüber unfreundlichen politischen Praxis werden Chris-ten aus vielen Bereichen des öffentlichen Lebens herausgedrängt. Kommunalbehörden stellen Kirchengemeinden Dienstleistungen in Rechnung, die Moscheegemeinden nicht bezahlen müssen. Im Parlament wie in vielen öffentlichen Einrichtungen sind Christen kaum repräsen-tiert. Vielleicht noch gewichtiger ist das gesellschaftliche Klima, das von den Christen als gesellschaftliche Ausgrenzung empfunden wird und sie veranlasst, im Alltag möglichst unauf-fällig aufzutreten. Mit dieser still ertragenen Benachteiligung durch die Mehrheitsgesellschaft verbindet sich ein Rückzug in den schützenden Binnenraum der christlichen Gemeinden und der kirchlichen Einrichtungen.
Für eine solche Minderheitenkirche ist es von großer Bedeutung, dass die Kirchen in Europa immer wieder das Signal aussenden: „Ihr seid nicht vergessen! Wir wissen um Eure Lage. Wir bringen eure Sorgen auch bei uns zu Hause zu Gehör.“ Das Eintreten für bedrängte Glau-bensgeschwister ist eine Aufgabe aller Christen. Deshalb unternehmen wir gemeinsame Rei-sen.
Diese wenigen Schlaglichter zeigen, wie unterschiedlich sich die Lage der Christen z.B. im Nahen Osten darstellt. Generell aber gilt, dass sie unter Druck stehen und deshalb viele ihre Heimatländer verlassen wollen. Die ältesten christlichen Gemeinden stehen mancherorts vor dem Aus. Ohne die Solidarität und die Unterstützung der Schwesterkirchen im Ausland kön-nen die Christen in dieser Region mittelfristig nicht überleben. Solidarität bedeutet für uns im Westen deshalb zum einen, die Glaubensgeschwister beim Gebet nicht zu vergessen und sie der Sorge Gottes anzuempfehlen. Solidarität meint aber auch, sie finanziell bzw. materiell zu unterstützen, wie dies durch die Arbeit der Hilfswerke und alljährlich durch die Kollekten geschieht. Nicht zuletzt heißt Solidarität, die Situation der Christen im Nahen Osten auch hierzulande immer wieder zur Sprache zu bringen (vgl. auch U. Steinbach Hg., Autochthone Christen im Nahen Osten. Zwischen Verfolgungsdruck und Auswanderung, Deutsches Orient Institut, Mitteilungen Band 75/2006, Hamburg 2006).
III.
Ich möchte abschließend noch einmal das Ziel benennen, das wir Bischöfe mit der Initiative „Solidarität mit verfolgten und bedrängten Christen“ verfolgen: Wir wollen Öffentlichkeit herstellen, wir wollen Bewusstsein und Wahrnehmung verändern, und wir wollen schließlich einen Impuls für das Glaubensleben in unseren Gemeinden geben.
Seitdem die Initiative „Solidarität mit verfolgten und bedrängten Christen in unserer Zeit“ der Deutschen Bischofskonferenz wieder aufgenommen worden ist, haben wir eigene Arbeitshil-fen und Veranstaltungen gefördert über Vietnam (2002), Nigeria (2004), Lateinamerika (2005: Kolumbien, Kuba, Guatemale, El Salvadore), Naher Osten (2007) und in diesem Jahr China.
Die Zuwendung zu allen Bedrängten und Gedemütigten, gleich welcher Religion, ist den Christen bleibende Verpflichtung. Aber als Kirche in einem Land, in dem Christen überall in gesicherter Freiheit leben, sind wir auch verpflichtet, den eigenen Glaubensbrüdern und -schwestern, die um des Glaubens willen bedrängt werden, zur Seite zu stehen. Wenn wir zu dieser Solidarität nicht fähig wären, würden wir den eigenen Glauben verraten, und auch un-sere allgemeine, universale Solidarität wäre schal.
Es gibt noch einen weiteren Grund, uns an die bedrängten Mitchristen zu erinnern: Sie können den Gläubigen in unserem Land helfen, sich von der Dramatik des Christlichen neu inspirie-ren zu lassen. Denn die um des Glaubens willen Verfolgten und Diskriminierten zeigen uns in besonderer Weise, was es heißt, als Christ zu leben und demjenigen nachzufolgen, der Ableh-nung bis zum Tod erfahren hat. So gelangen wir in die Mitte des christlichen Glaubens, wie er in den Seligpreisungen bezeugt ist: „Selig, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden, denn ihnen gehört das Himmelreich“ (Mt 5,10).