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Der Wert des menschlichen Lebens im Wandel der Zeit

Werteforum des Bildungszentrums Schloss Wendgräben

Anlässlich der Eröffnung einer neuen Veranstaltungsreihe, die das Bildungszentrum Schloss Wendgräben gemeinsam mit dem Landesarbeitskreis Christlich-Demokratischer Juristen Sachsen-Anhalt (LACDJ) durchführt, referierten Ministerpräsident Prof. Dr. Wolfgang Böhmer sowie der Historiker Prof. Dr. Matthias Tullner (Universität Magdeburg) im Justizzentrum Magdeburg über den Wert menschlichen Lebens. Hochrangige Vertreter der Justiz, darunter Ministerin Prof. Dr. Angela Kolb sowie Winfried Schubert, Präsident des Landesverfassungsgerichts, beteiligten sich an dieser Diskussion.

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v.l.n.r.: Prof. Tullner, MP Prof. Böhmer und H.Stahlknecht.

In ihren Begrüßungsworten wiesen der LACDJ-Vorsitzende Holger Stahlknecht MdL und Dr. Andreas Schulze (Konrad-Adenauer-Stiftung) auf den Wandel dieses Wertes hin. Angesichts von Modernisierung und Globalisierung sowie mit Blick auf aktuelle Gefährdungen durch Extremismus und Terrorismus gibt es tiefgreifende Wandlungen des Rechtssystems. Doch wirken sich diese auch auf die Menschenrechte und auf den Wert menschlichen Lebens aus? Stahlknecht verwies auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, wonach bei einem Terrorangriff mit einem Passagierflugzeug letzteres nicht abgeschossen werden darf, denn kein Leben darf mit einem anderen aufgewogen werden. Zugleich erreicht die Debatte um die Bioethik einen Höhepunkt – besonders hinsichtlich der Stammzellenforschung wird diskutiert, wann menschliches Leben beginnt. Zudem gibt es in anderen Kulturkreisen ganz unterschiedliche Auffassungen von Menschenrechten.

Böhmer: Grundgesetz höchste Stufe der Menschenrechte

Ministerpräsident Prof. Böhmer hob das Grundgesetz als in Deutschland gültige höchste Stufe in der Entwicklung der Menschenrechte hervor: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ heißt es in Artikel 1. In unserer Gesellschaft herrscht Konsens in diesen Werten, die auf christliches Gedankengut zurückgehen. Zugleich verwies Böhmer aber auf die lange Entwicklung des Christentums hin zum höchsten Wert der Menschenwürde – bis in die frühe Neuzeit hinein gab es Religionskriege; auch galt die Todesstrafe bis ins 20. Jahrhundert hinein.

Besonders konzentrierte sich Böhmer auf den Wertewandel am Beispiel der Medizingeschichte: So begann die Familienplanung lange erst nach der Geburt – das Familienoberhaupt konnte selbst entscheiden, ob das Kind angenommen wurde und somit leben durfte. Später entschieden Geburtshelfer: Meist wurde der Tod des Kindes bewusst in Kauf genommen oder gar herbeigeführt, um das Leben der Mutter zu retten. Erst der medizinische Fortschritt machte die Geburt eines Kindes relativ ungefährlich, etwa mittels Kaiserschnitt. Der Ministerpräsident verwies ferner auf die ethische Diskussion im 19. Jahrhundert angesichts der Pockenschutzimpfung sowie auf die Debatten der letzten Jahrzehnte über den Schwangerschaftsabbruch. Der lange in Wittenberg als Facharzt für Gynäkologie und Geburtshilfe tätige Böhmer blickte aus persönlicher Erfahrung auf die seit 1972 in der DDR geltende Regelung des Schwangerschaftsabbruchs nach Fristenlösung: Allein in seiner Klink stieg die Zahl der Abbrüche rapide an.

Tullner: Wert des Menschen hat sich geändert

Der Historiker Prof. Dr. Matthias Tullner stellte dar, wie sich der Wert des Lebens in der Geschichte entwickelt hat und sich im Rechtssystem niederschlug. Er schlug dabei zum einen den Bogen zur christlich-jüdischen Tradition, zum anderen zur griechisch-römischen Antike, aus der sich noch bis heute Werte wiederfinden, etwa der Eid des Hippokrates oder der Olympische Gedanke. Doch wurde das menschliche Leben nicht einheitlich bewertet – so waren etwa die Spartaner bereit, ihr Leben zu opfern. Auch die unterschiedliche Wertung des Lebens im Christentum des Mittelalters oder der frühen Neuzeit sprach Tullner an, beispielsweise bei der Eroberung Südamerikas durch die Spanier.

Erst mit der Aufklärung wurde das starre Menschenbild aufgelöst – es entstand der emanzipierte Mensch, das gebildete und freie Individuum. Fortan erhielt die Debatte um Menschenrechte und Menschenwürde einen immensen Aufschwung, wobei besonders die von Immanuel Kant postulierte Ethik und Moral als Leitbild galt. Aber Kant konnte die Industrialisierung nicht reflektieren. Diese löste die bisherige Lebensstruktur völlig auf, veränderte den Wert des Menschen, schuf den Staat mit seiner Bürokratie, hatte letztlich neue Menschenbilder als Resultat.

Verändertes Menschenbild durch Integration?

Tullner verwies schließlich auf das heutige in Europa vorherrschende Menschenbild. Das menschliche Leben hat in den verschiedenen Kulturen heute eine ganz unterschiedliche Wertigkeit. So ist in einigen afrikanischen Kulturen das geborene Lebewesen erst auf dem Weg zum Menschen, wird erst durch die Initiation zum „fertigen“ Menschen. Angesichts der Globalisierung kommen wir immer stärker in Kontakt mit anderen Kulturen und so stellt sich die Frage, wie wir fremden Kulturen begegnen.

Mit diesem Aspekt sprach Tullner eine zentrale Frage der Integrationspolitik an. Wie soll unsere Gesellschaft mit fremden Kulturen umgehen? Einerseits verdient jede Kultur ihren Respekt und Achtung – andererseits gilt in Deutschland ein Wertekanon und Zuwanderer müssen sich an die geltenden Gesetze halten, die auf unseren Grundwerten basieren.

Hinsichtlich des medizinisch-naturwissenschaftlichen Fortschritts stellt sich die Kernfrage: Dürfen wir alles, was wir können? Haben Wissenschaftler das Recht, Einfluss auf das Leben und auf werdendes Leben zu nehmen, auch wenn dies andere Leben retten kann? Diese Themen, ebenso die Herausforderung durch Terrorismus und die mögliche Einschränkung von Grundrechten, stehen auf der Agenda künftiger Veranstaltungen des Werteforums.

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