Wer ist Wahlsieger, wer ist Wahlverlierer?
Frenetischer Jubel begleitete den sozialistischen Ministerpräsidenten Pedro Sánchez (PSOE) und die Vorsitzende der neuen linken Wahlplattform Sumar, Yolanda Díaz, bei ihrer Ankunft in ihren jeweiligen Parteizentralen in der Wahlnacht. Insbesondere bei der PSOE feierte man drei Ergebnisse: den Zugewinn von zwei Mandaten resp. 968.771 Stimmen, die Verhinderung der absoluten Mehrheit von PP und VOX sowie die Aussicht, dass nur Sánchez mit der PSOE eine realistische Option auf eine Regierungsbildung hat.
Von diesen Ergebnissen profitiert auch Sumar, obwohl diese Gruppierung zu den Hauptverlierern zählt. Im Vergleich zum Wahlergebnis 2019 ihrer Vorgängerorganisation Unidas Podemos verlor Sumar 7 Mandate bzw. 727.541 Stimmen und erreichte nur Platz 4 hinter VOX.
Die Mitte-Rechts-Partei Partido Popular (PP) hat die absolute Mehrheit im Senat und 3.044.800 Stimmen , d.h. 48 Mandate im Abgeordnetenhaus hinzugwonnen. Die PP hat die regierende PSOE mit 14 Mandaten Vorsprung deutlich auf Platz 2 verwiesen.
Trotzdem ist die PP nicht nur Wahlgewinner, sondern zugleich sowohl gefühlter als auch tatsächlicher Wahlverlierer. Gefühlt, weil nahezu alle Umfragen über Wochen konstant 15 – 20 Mandate mehr vorhersagten als dann tatsächlich erreicht wurden, und tatsächlicher Verlierer, weil die PP mit VOX die absolute Mehrheit verfehlt hat. Damit kann sie weder eine Regierung mit VOX oder eine andere Art von Regierung bilden, weil sie faktisch über keine weiteren Koalitionspartner verfügt.
Es hat eine Wählerwanderung von ca. 1 Mio. Stimmen von VOX zur PP gegeben. Rückhalt hat VOX vor allem dort verloren, wo sie stark geworden war: Im ländlichen Raum. Aufgrund des Wahlsystems (D´Hondt) gab es bei VOX überdurchschnittlich viele „verlorene“ Stimmen, die nicht zu einem Mandat geführt haben.
Wahlverlierer sind auch die separatistischen Parteien in Katalonien ERC (minus 6 Mandate, 411.976 Stimmen) und JxCat (minus 1 Mandat, 137.591 Stimmen). Damit hat die Unabhängigkeitsbewegung (independentismo) keine politische Mehrheit mehr in Katalonien. Diese Parteien können sich gleichwohl als Gewinner fühlen, weil Ministerpräsident Sánchez für eine Regierungsbildung zwingend auf ihre Stimmen angewiesen ist. Sánchez muss sogar im Unterschied zur abgelaufenen Legislaturperiode zusätzlich auf die Unterstützung von JxCat hoffen, der Partei von Carles Puigdemont, dem ehemaligen Anführer des Aufruhrs von 2017, der unmittelbar vor der Aufhebung seiner Immunität steht und dem ein Haftbefehl droht.
Im Baskenland haben die nationalistischen Parteien PNV und EH Bildu den Platz an der Spitze getauscht. PNV verlor 1 Mandat und 10.322 Stimmen, während EHBildu 1 Mandat bzw. 55.741 Stimmen hinzugewinnen konnte. Auch diese Parteien muss Sánchez überzeugen, ihn zum Ministerpräsidenten zu wählen.
Das Wahlergebnis stärkt die beiden großen Parteien PP und PSOE, die ihren Anteil von 49% in 2019 auf nunmehr 63% steigern konnten - auf Kosten der kleineren, extremen und populistischen Parteien VOX und Sumar. Damit stemmt sich Spanien gegen den Trend in den europäischen Ländern, in denen früher dominierende große Parteien schwächer werden oder gar zu verschwinden drohen und von neuen Parteien bzw. Bewegungen ersetzt werden.
Trotz des ungünstigen Wahlzeitpunktes mitten im Sommer und in den Ferien hat die spanische Wählerschaft ein hohes Verantwortungsbewusstsein bewiesen. Die Wahlbeteiligung von 70% liegt im Durchschnitt aller früheren Wahlen.
Bis eine Woche vor Wahltermin wurden täglich Umfrageergebnisse veröffentlicht. Weitgehend unisono sah man die PP deutlich stärker und die PSOE deutlich schwächer. Bei diesen Wahlen wiederholte sich, was bei Wahlen in anderen Ländern zu beobachten ist: dass Umfragen immer weniger die tatsächliche Lage widerspiegeln. Noch am Wahlabend entbrannte eine Diskussion darüber, wie es zu der signifikanten Fehleinschätzung kommen konnte und wie Wahlkampftstrategen mit diesem Defizit umgehen können.
Wesentliche Einflussfaktoren für den Wahlausgang
In der Rückschau muss man die Regional- und Kommunalwahlen vom 28. Mai d.J. als die eigentliche Denkzettel-Wahl für die Regierung Sánchez bewerten. Dort ist vor allem der Koalitionspartner Podemos abgestraft worden, der weitgehend von der politischen Landkarte verschwunden ist. Die PSOE hatte wenig verloren, VOX verbesserte sich von 3,5 % auf 7 % und die PP war sprunghaft um 8,9 % auf 31,5 % angestiegen. Im Fokus standen die Abwahl des „Sanchismo“, Synonym für einen autoritären Führungsstil, für Pakte mit Separatisten oder für gesellschaftspolitische Projkete für Minderheiten, die von der Mehrheit der Bevölkerung nicht akzeptiert wurden. Damit war der politische Preis für eine als schlecht empfundene Regierungsleistung faktisch bezahlt.
Der strategische Fehler im Wahlkampf des PP-Herausforderers Feijóo bestand in der Rückschau in der nachvollziehbaren Erwartung, nach dem gleichen Konzept auch die Nationalwahl bestreiten zu können. Die zeitliche Nähe sprach auch dafür: Welcher Wähler ändert in nur 8 Wochen seine Meinung bzw. korrigiert seine politische Entscheidung?
Tatsächlich schaffte es der gewiefte Taktiker Sánchez, die Nationalwahl auf ein bipolares Plebiszit über „Fortschritt oder Rückschritt“ zuzuspitzen, Angst vor VOX zu schüren und damit die PP-Kampagne von PP und VOX gegen den „Sanchismo“ wie einen Bumerang gegen PP und VOX zu richten und den Sanchismo als Rettungsanker gegen einen „Rechtsruck“ darzustellen.
Die PP erreichte nicht mehr Mandate, weil sie über ihr Anti-Sanchismo-Leitthema hinaus die eigene Programmatik als politische Alternative zu wenig herausstellte. Und VOX hat mit seiner Wahlkampfaussage, im Falle seiner Regierungsbeteiligung die separatistischen Parteien in Katalonien als illegal erklären zu wollen, dort die PSOE massiv gestärkt und die linksgerichtete Wählerschaft gegen sich mobilisiert.
Umgekehrt führten die konstant guten Umfragewerte für die PP offenbar zu einer Demobilisierung im eigenen Lager. Hinzu kam, dass der Parteivorsitzende Feijóo mit seinen wiederholten Hinweisen, die PP könne ca. 160 Mandate, vielleicht sogar die absolute Mehrheit von 176 Mandaten erreichen, die Messlatte zu hoch gesetzt hat. Diese Perspektive verstärkte wiederum die Mobilisierung der gegnerischen Wählerschaft.
Feijóo hatte das einzige TV-Duell mit Sánchez deutlich gewonnen. Dies überraschte die meisten, galt doch Sánchez als TV-erfahrener und eloquenter als der vermeintlich drögere, auf großer Bühne nicht vergleichbar erfahrene „Provinzpolitiker“ Feijóo. Mit diesem Erfolg im Rücken spielte Feijóo auf „Halten“. Das Nicht-Erscheinen beim symbolträchtigen TV-Wahlkampfduell mit den drei größten Konkurrenten PSOE, Sumar und VOX wurde damit begründet, dass es „nichts mehr zu gewinnen gäbe“. Was nicht beachtet wurde war, dass es aber viel zu verlieren gab. Was letztlich geschehen ist. Diese im Sport riskante Strategie führte auch in diesem Fall nicht zum Erfolg.
Eher wirkungslos oder unentschlossen reagierte Feijóo auf ein entschlossenes negative campaigning der Linken in der Schlusswoche, das gezielt z.B. mit einem 28 Jahre alten Fotos mit einem Drogenhändler auf einem Boot auf die Diskreditierung seiner Glaubwürdigkeit zielte.
Inwieweit Feijóos Linie gegenüber VOX Stimmen gekostet hat, muss noch detaillierter untersucht werden, da sich ein widersprüchliches Bild ergibt. Auf den ersten Blick vermittelte die Marschrichtung, dass nach den Regional- und Kommunalwahlen jede lokale und regionale PPFührung selbst über die Form ihrer Zusammenarbeit mit VOX entscheiden könne, im Ergebnis den Eindruck mangelnder Positionierung und eines Zick-Zack-Kurses. Die Wahlergebnisse in jenen Autonomen Regionen, in denen PP mit VOX eine Regierung gebildet hat oder eine engere Form der Zusammenarbeit eingegangen ist, zeigen indes durchgehend eine Stärkung der PP und Verluste von VOX.
Vorrangig in deutschen Medien konnte man nach den von PP und VOX gewonnenen Kommunal- und Regionalwahlen Begriffe wie „Rechtsruck“, „rechte Welle“, gar „rechten Tsunami“ lesen. Diese Charakterisierung verdeckt mehr als sie erhellt. Denn ein „Ruck“ insinuiert etwas Plötzliches, Kurzfristiges. Eine Welle entfaltet auch nur kurzfristig eine Kraft und versandet wieder. Beides passt nicht zur politischen Lage in Spanien.
Vielleicht hat nur etwas genuin Demokratisches stattgefunden. In den Kommunal- und Regionalwahlen attestierte eine große Mehrheit der Linksregierung unter Sánchez eine schlechte Regierungsleistung. Viele Spanierinnen und Spanier empfanden die ideologisierte Gesellschaftspolitik eher als polarisierend und spaltend, weniger als Fortschritt. Die Mehrzahl der Frauen bevorzugt einen kooperativen Feminismus und lehnte den bevormundenden konfrontativen Feminismus insbesondere von Unidas Podemos ab. Es baute sich Widerstand gegen die ständigen Eingriffe des Staates in das Erziehungsrecht der Eltern in der Bildungspolitik auf. Gute makroökonomische Daten passten häufig nicht mit den finanziellen Sorgen vieler Menschen im Alltag zusammen. Die Mietpreisbremse verschärfte die Lage auf dem Wohnungsmarkt eher als sie zu verbessern. Viele Sozialprogramme sind schuldenfinanziert (Näheres vgl. KAS-Länderbericht zu den Kommunal- und Regionalwahlen).
In den Nationalwahlen vom 23 Juli passierte auch etwas genuin Demokratisches. Die Wäherschaft platzierte Alberto Nuñez Feijóo und die PP an erste Stelle, nicht Pedro Sánchez und die PSOE. Sie bremste den Aufstieg der rechtspopulistischen VOX und der linkspopulistischen Sumar. Und sie wies die Separatisten Kataloniens deutlich in die Schranken. Das ist die Ausgangslage für die Koalitionsoptionen.
Eine realistische Koalitionsoption nur für die Wahlverlierer
Im Ergebnis existiert eine Pattsituation zwischen einem linken und einem rechten Flügel. Die erforderliche Sitzzahl für eine absolute Mehrheit liegt bei 176.
Der Wahlsieger PP hat faktisch keine Möglichkeit, eine Regierung zu bilden. Für eine Koalition Mitte-Rechts kämen nur VOX und UPN/Coalición Canarias infrage, was jedoch mit 172 Mandaten rechnerisch nicht reicht. Die PP steckt in dem strategischen Dilemma, dass ihr aus weltanschaulichen Gründen keine weiteren Koalitionspartner zur Verfügung stehen.
Für die sozialistische PSOE ist die Lage strategisch besser, da sie bereit ist, mit allen linksgerichteten und nationalistischen Kräften zu paktieren. 1 Die bisherige Koalition aus PSOE und Unidas Podemos/ Sumar kommt zusammen nur auf 152 Mandate. Diese Zahl erhöht sich mit den Stimmen von BNG, PNV, ERC und Bildu auf 170, nur einen mehr als die politischen Konkurrenten. Im zweiten Durchgang des Investiturverfahrens könnte sich somit Pedro Sánchez mit einfacher Mehrheit (mehr Ja- als Nein-Stimmen) wählen lassen, falls sich die separatistische Junts per Catalunya von Carles Puigdemont enthält.
Die aus deutscher Sicht naheliegende Option einer Großen Koalition, oder zumindest der Anerkennung der meist gewählten Liste, in diesem Falle der PP durch PSOE, ist in der gegenwärtigen politischen Lage nicht denkbar. Der PP-Vorsitzende Feijóo hat der PSOE Gespräche mit dem Hinweis angeboten, dass die beiden großen staatstragenden Parteien in dieser Lage Verantwortung übernehmen müssten und in einer faktischen Patt-Situation nicht den Separatisten eine überproportional große Verhandlungs- bis hin zu einer erpresserischen Macht zubilligen dürften. Dieses Angebot bleibt bei der PSOE und vor allem bei Sánchez ungehört.
Nach allgemeinen Maßstäben hätte der Wahlverlierer Sánchez dem Wahlgewinner Feijóo gratulieren und ihm das Recht zur ersten Verhandlungsführung zubilligen müssen, so wie es Armin Laschet in Richtung Olaf Scholz oder Franziska Giffey in Richtung Kai Wegener in Berlin nach guter demokratischer Tradition umgesetzt hatten. Aber Pedro Sánchez ist anders. Er hatte bereits in der vergangenen Legislaturperiode bei Verhandlungen und Abkommen den Separatisten und Splittergruppen den Vorzug vor der PP gegeben. Sein Wahlkampf war auf maximale Polarisierung ausgerichtet, als ob die PP außerhalb des demokratischen Spektrums stünde. Wenn Sánchez eine Chance zum persönlichen Machterhalt sieht, wird er sie nutzen, auch wenn er einen hohen politischen Preis bezahlen muss.
Ein weiteres Paradoxon dieses komplexen Wahlergebnisses besteht darin, dass die Separatisten vor allem in Katalonien massiv an politischen Rückhalt verloren, zugleich aber an politischem Einfluss gewonnen haben. Entsprechend selbstbewusst wurden die Preise für eine Unterstützung von Pedro Sánchez genannt: ein Unabhängigkeitsreferendum und die Amnestie für die Aufrührer von 2017.
Bei all diesen Varianten spielt VOX keine Rolle mehr. Dieses Ergebnis steht im scharfen Kontrast zur Vorberichterstattung und zum Wahlkampf, in dem VOX zur vermeintlich zentralen politischen Kraft erhoben worden war.
Ausblick
Das sogenannte Investiturverfahren verläuft in festgelegten Phasen:
Am 17. August werden die Cortes, also die Abgeordnetenkammer (Congreso) und der Senat (Senado) konstituiert. An diesem Tag wird das Kräfteverhältnis und die Koalitionsfähigkeit der verschiedenen politischen Kräfte darüber entscheiden, welche Partei den Vorsitz und relevante Posten in den einflussreichen Vorständen beider Kammern erhält. Ab dem darauffolgenden Tag, sobald beide Kammern ordentlich konstituiert sind, lädt König Felipe VI aussichtsreiche Kandidaten für ein Amtseinsetzungsverfahren, also Wahlgewinner Alberto Núñez Feijóo oder Pedro Sánchez, zum Gespräch ein.
Es gibt kein festgesetztes Datum, bis wann dieser Schritt abgeschlossen sein muss. Allerdings beginnt 15 Tage nach der Konstitution der Cortes die offizielle Legislaturperiode mit einer Eröffnungssitzung, der der König beiwohnt. Der vom König bestimmte Kandidat hat eine Rede vor der Abgeordnetenkammer zu halten. Am darauffolgenden Tag findet die erste Abstimmung über eine Amtseinführung des Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten statt, für die er die absolute Mehrheit benötigt.
Für den Fall, dass der Kandidat keine absolute Mehrheit auf sich vereinigen kann, findet 48 Stunden danach eine weitere Abstimmung statt, bei der die einfache Mehrheit ausreicht. Gelingt es dem Kandidaten auch im zweiten Durchgang nicht, eine einfache Mehrheit auf sich zu vereinigen, kann das Amtseinsetzungsverfahren mit einem neuen Kandidaten wiederholt werden. Steht zwei Monate nach dem ersten Wahlgang kein Ministerpräsident fest, muss der König das Parlament auflösen und Neuwahlen ausrufen, die 47 Tage danach stattzufinden haben.
In diesen Tagen versuchen sich alle Kandidaten, aber auch die dazugehörigen Parteien in Stellung zu bringen. Der Wahlgewinner Feijóo wird sich nach eigenem Bekunden „aus staatspolitischer Verantwortung der Investitur stellen, obwohl er faktisch keine Mehrheit hat. Pedro Sánchez beobachtet zunächst, wird das Scheitern Feijóos abwarten und dann selbst antreten.
Überall ist alles in Bewegung: Innerhalb der Parteien, innerhalb der Blöcke und selbstredend zwischen den Blöcken. In der PP beginnt zwar noch keine Personaldebatte über Feijóo, wohl aber eine Diskussion über den richtigen Umgang mit VOX. Und umgekehrt macht VOX die PP für den Wahlausgang verantwortlich. Die stolze ehemalige Bewegung Unidas Podemos fühlt sich von Yolanda Díaz und ihrem neuen Linksbündnis gedemütigt und droht bereits mit der eigenen „Autonomie“ ihrer fünf Abgeordneten in einer neuen Regierung Sánchez. Aber auch das Linksbündnis Sumar ist nicht homogen, sondern besteht aus 6 nationalen und 14 regionalen Parteien. Die separatistischen Parteien in Katalonien sind weit entfernt davon, ihre massiven Stimmenverluste mit Demut und Selbstkritik zu reflektieren. Sie fallen im Gegensatz damit auf, ihre „Preise“ für die Unterstützung von Sánchez hochzusetzen. In dem Ansinnen, nicht an das Gesamtspanien zu denken, sondern die schwierige Lage für die maximale Durchsetzung ihrer Partikularinteressen zu missbrauchen, gleichen sie den baskischen nationalistischen Parteien.
Am wahrscheinlichsten ist eine Linksregierung mit PSOE, Sumar und vielen Splitterparteien. Ein prominenter PSOE-Politiker hatte bereits die vergangene Linksregierung als „Frankenstein-Regierung“ bezeichnet. Nun steht „Frankenstein 2.0“ ante portas. Wie lange diese politisch angesichts der immensen innen- und außenpolitischen Herausforderungen durchhalten wird, ist völlig offen. Spanien steht eine politisch schwierige Zeit bevor.
Anhang
Das Parteiensystem Spaniens befindet sich in einem dynamischen Wandel, der sich durch das Wahlergebnis vom vergangenen Sonntag sowohl beschleunigt als auch Richtungen verändert. Um den komplexen Prozess der Koalitionsbildung und der dahinter liegenden Debatte besser verstehen zu können, werfen wir im folgenden Schlaglichter auf die beteiligten Akteure, insbesondere auf die kleineren nationalistischen und separatistischen Parteien, die das berühmte Zünglein an der Waage sind.
PP: Bitterer Sieg ohne klare Machtoption
Die PP hat ein ungewöhnliches und ungewöhnlich erfolgreiches Jahr hinter sich. Noch vor 14 Monaten war sie intern zerstritten, ihre Führung umstritten und deshalb demoskopisch mit ca. 22% an einem Tiefpunkt angelangt.
Mit der Übernahme des Parteivorsitzes durch Alberto Nuñez Feijóo konsolidierte sich die PP sehr schnell. Feijóo brachte die Erfahrung als Ministerpräsident Galiziens mit vier absoluten Mehrheiten mit. Vom Typus her ausgleichend, integrierte er auch differierende Strömungen und Politikstile, wie sie exemplarisch durch die sehr offensiv auftretende Ministerpräsidentin der Autonomen Region Madrid, Isabel Ayuso und dem eher integrierend agierenden Ministerpräsidenten der bevölkerungsreichsten Autonomen Region Andalusien, Juanma Moreno, verkörpert werden.
Beachtliche Wahlerfolge einten die Partei. Im Juni 2022 gewann die PP die absolute Mehrheit in Andalusien. Die Regional- und Kommunalwahlen am 28. Mai d. J. spülte die PP in 2/3 aller Regionen Spaniens an die Macht. Bei den Nationalwahlen holte die PP die absolute Mehrheit im Senat und avancierte zur mit Abstand stärksten Kraft in den Cortes.
Die lang ersehnte Übernahme der Macht auf Landesebene war zum Greifen nahe. Dass dies nun höchstwahrscheinlich nicht gelingt, stellt die Parteiführung vor beachtliche Probleme. Aus der Enttäuschung können schnell Personaldebatten erwachsen. Eine fundierte Ursachenanalyse erfolgt derzeit (noch) nicht, weil man zu sehr in die aktuellen Regierungsbildungsdebatten eingebunden ist.
Programmatisch ist die Partei eine Partei der Mitte mit liberalen, wertkonservativ geprägten Politikangeboten. Gesellschafts- und sozialpolitisch ist die PP auf der Höhe der Zeit und des Zeitgeistes. Die Wahlkampfrhetorik, den Sánchismo abschaffen zu wollen, hat den falschen Eindruck erweckt, die Partei wolle wieder zu alten, vormodernen Zeiten zurück. Es suggeriert, dass es in der PP keine zeitgemäße Sozial- und Frauenpolitik, keine liberale Gesellschafspolitik, keine moderne Wirtschaftspolitik etc. gäbe. Die Wahlprogramme der jüngsten Wahlen, aber auch das Regierungshandeln mit absoluten Mehrheiten von PP-Regierungen in Andalusien oder Madrid zeigen das Bild einer klassischen Volkspartei der Mitte, mit starken liberalen und wertkonservativen Zügen, zugleich aber einer Offenheit für neue gesellschaftlichen Entwicklungen. Eine Analyse der PP als Partei wird in einer separaten Studie vorgenommen.
Das häufig kommunizierte Ziel Feijóos bestand und besteht darin, die PP als Kraft der Mitte zu stärken. Die zentrale Botschaft lautete, dass sowohl gemäßigte Sozialisten als auch enttäuschte VOX-Wähler eine politische Heimat in der PP finden könnten. Die Wählerschaft der in dieser Wahl endgültig verschwundenen liberalen Partei Ciudadanos ist überwiegend zur PP gewechselt.
VOX: Zwischen Fundamentalopposition und Koalitionsgesprächen
VOX ist eine national-konservative, rechtspopulistische Partei, die rechts von der Partido Popular steht. Sie entstand 2013, also zu einer Zeit, in der die PP-Regierung Rajoys harte Wirtschafts- und Finanzreformen aufgrund der Wirtschafts- und Finanzkrise umsetzen musste. Sie erstarkte 2017 als Gegenbewegung zur katalanischen Unabhängigkeitsbewegung, deren Ausrufung einer verfassungswidrigen einseitigen Unabhängigkeit Kataloniens von Spanien im Oktober 2017 scheiterte.
VOX tritt für die Beibehaltung der Monarchie, die Abschaffung der Autonomen Gemeinschaften und die Etablierung eines unitarischen Einheitsstaates (in etwa vergleichbar zu Frankeich oder Großbritannien) ein. Sie vertritt (ultra-) konservative katholische Werte, stellt die Familie in den Mittelpunkt, lehnt die LGTBQ-Bewegung und die Förderung einer ideologisierten Identitätspolitik ab. Negatives Aufsehen erregte VOX mit seinem Ansinnen, in den Koalitionsvereinbarungen die geschlechtsspezifische Gewalt durch den Begriff der innerfamiliären Gewalt zu ersetzen. Mehr als ein semantisches Problem sehen die politischen Gegner hierin den Nachweis, dass VOX weiterhin machistisch sei und die Gewalt von Männern gegen Frauen verharmlose. VOX prangert ferner die Massenlegalisierung von illegalen Einwanderern ab. In der Wirtschaftspolitik fordert VOX Erleichterungen für die Wirtschaft und niedrigere Steuerbelastungen für Firmen und Bürger.
Damit wird VOX im spanischen Parteiensystem generell als rechtsextrem bezeichnet, weil die Partei am rechten Rand des Parteiensystems steht. Prüft man Programmatik, Politik und Diskurs von VOX am Maßstab des Bundesamtes für Verfassungsschutz, was extremistisch sei, ist VOX derzeit weder totalitär noch faschistisch noch wird die Änderung der Demokratie Spaniens angestrebt (der Umgang mit Separatisten ist grenzwertig). Insbesondere die Radikalisierung im jüngsten Wahlkampf gibt indes Anlass zur Sorge, dass sich rassistische Ressentiments verfestigen.
Als Mitglied der Europäischen Konservativen und Reformer im Europäischen Parlament vertritt VOX moderat euroskeptische Positionen, die sich in erster Linie auf das Kompetenzgefüge in der EU beziehen. Die Partei fordert bspw., dass die nationale Souveränität nicht durch Mehrheitsentscheidungen auf EU-Ebene unterminiert werden dürften, verlangt jedoch bisher weder einen Austritt aus der EU, noch aus dem Euro. Folglich kann VOX bspw. nicht mit dem rechtsradikalen Flügel der AfD oder der französischen Rassemblement National verglichen werden, die beide in der weiter rechts-außen stehenden Fraktion „Identität und Demokratie“ im Europäischen Parlament organisiert sind und weitergehendere EU-Exit-Strategien fahren.
VOX ist der größte Verlierer der Nationalwahlen vom 23 Juli, obwohl sie ihren Stimmenanteil noch bei den Kommunal- und Regionalwahlen nur 8 Wochen zuvor von 3,5 auf ca. 7% verdoppeln konnte. Die Rechtspopulisten haben keinerlei Einfluss auf die Regierungsbildung, besitzen kein Blockadepotential und konnten nur 33 ihrer vormals 52 Abgeordneten konsolidieren. Damit verloren sie spanienweit über 600.000 Stimmen und 19 Mandate. VOX zeigt keine Reue für ihre überspitzte Wahlkampfstrategie und beschuldigt im Nachhinein die PP, die mitterechts-gerichtete Wählerschaft demobilisiert zu haben. VOX wirft der PP zudem vor, aufgrund des Versuches, die Stimmen aller mitte-rechts-gerichteten Wähler auf sich vereinigen zu wollen („nützliche Stimme“ bzw. „voto últil“), einen gravierenden strategischen Fehler begangen zu haben, der VOX und PP zusammen die absolute Mehrheit kostete. Demnach hätte ein verfeinertes Abstimmungsverhalten in Albacete, Sevilla, Tarragona, Burgos und den Balearen VOX fünf weitere Abgeordnetenmandate beschert, womit PP und VOX zusammen mit UPN und Coalición Canarias (wobei Coalición Canarias jedoch eine Zusammenarbeit mit VOX ablehnt) die absolute Mehrheit erreicht hätten.
PP-VOX: Ein widersprüchliches Verhältnis
Seit jeher stellte sich der strategische Umgang der PP mit VOX kompliziert dar und bedarf einer vielschichtigen Abwägung. Nicht nur stammen einige der VOX-Gründer aus der PP, sondern auch die Wählerschaft speist sich aus vielen ehemaligen PP-Wählern.
PP-Parteichef Feijóo gab die Prämisse aus, dass die PP in den Autonomen Gemeinschaften und auf Kommunalebene jeweils selbst entscheiden müsse, ob sie mit VOX kollaborieren wolle oder nicht.
Letztendlich traf die PP nach den Regional- und Kommunalwahlen vom 28. Mai in rund 135 Kommunen Absprachen mit VOX. Das entspricht ca. 1,8 % der 8131 Kommunen. In 26 Städten mit mehr als 30.000 Einwohnern, darunter fünf wichtige Provinzhauptstädte (Valladolid, Burgos, Toledo, Guadalajara, Ciudad Real) wurden feste Regierungskoalitionen vereinbart.
In den Autonomen Gemeinschaften Valencia und Extremadura musste die PP VOX an der Regionalregierung beteiligen, wobei dies in Valencia rasch und reibungslos geschah, aber in Extremadura viel öffentlichkeitswirksamen Streit mit sich brachte. In der Estremadura ist es zu einer formellen Regierungskoalition PP-VOX gekommen. Das 9-köpfige Kabinett von Ministerpräsidentin Maria Guardiola ist mit 6 Frauen besetzt, das Gleichstellungsthema ist bei ihr angesiedelt, gleichsam Chefsache und VOX hat die Zuständigkeit für Wald und ländliches Leben erhalten. Bei allem Respekt für diese Themen zeigt sich, dass die PP keinen sozialen Rückbau plant und VOX zur politischen Bedeutungslosigkeit runterverhandelt hat. Das Regierungshandeln gilt es nun genau zu beobachten.
In Madrid und La Rioja war dies aufgrund absoluter Mehrheiten der PP nicht notwendig. Auf den Balearen stimmte die PP für Gabriel Le Senne (VOX) als Parlamentspräsidenten und für ein 110-Punkte-Programm, wofür VOX im Gegenzug auf eine Regierungsbeteiligung verzichtete. In Kantabrien war die PP nicht auf VOX angewiesen, weil sich die kantabrische Regionalpartei PRC enthielt, um eine Regierungsbeteiligung von VOX zu verhindern. Für das Modell, wonach jeweils die meistgewählte Liste von PP und PSOE ohne Beteiligung der Links- und Rechtspopulisten regieren solle, wirbt PP-Vorsitzender Feijóo schon seit langem immer wieder, Ministerpräsident Sánchez lehnt dies jedoch ab.
Offen sind die Regierungsbildungen in den Regionen Murcia und Aragón. Auch hier hätten es die Sozialisten in der Hand, die Regierungsbeteiligung von VOX zu verhindern. Sánchez benötigte aber die PP-VOX-Regierungsbildungen zur Untermauerung seiner polarisierten Wahlkampfstrategie.
PP und VOX haben ein gespanntes Verhältnis zueinander. Man mag sich persönlich nicht, VOX wird seitens der PP als ein abtrünniges Familienmitglied betrachtet. Die PP-Parteiführung hat das Ziel, VOX wieder überflüssig zu machen.
Aus Sicht der PP-Führung wird die Wählerschaft von VOX und PP als identisch und VOX-Wähler als Protestwähler angesehen, die zurückgewonnen werden können und müssen. Mit einer Mischung aus Selbstbewusstsein und Gelassenheit wurden die Themen aufgegriffen, die aus PP-Sicht die Bürgerschaft bewegten, völlig unabhängig davon, ob VOX die gleichen Themen hervorhebt. Über Monate ignorierte die PP die VOX gerade zu und vermied es, in jedem Interview auf diese Partei einzugehen. Mit dem Begriff „Brandmauer“ kann die PP nichts anfangen. Sie hält ihn sogar für problematisch, weil er auch die Protestwähler brandmarkt, die man für die PP zurückgewinnen möchte. In der PP-Leitung arbeitet man daran, dass analog zu den liberalen Ciudadanos, die faktisch komplett zur PP gewechselt sind, auch VOX perspektivisch von der politischen Landkarte verschwindet.
Dass VOX so stark verloren hat, ist zuallererst das Verdienst der PP. Die Wählerwanderung von ca. 1 Mio. Stimmen von VOX zur PP ist hierfür ein deutlicher Beleg. Eine Wählerwanderung von ca. 10 % gemäßigter PSOE-Wähler war vorhergesagt, hat sich aber letztlich nicht ereignet. Die Ankündigung von VOX, im Falle der Mitregierung die separatistischen Parteien als illegal erklären lassen zu wollen, hatte der PSOE insbesondere in Katalonien erhebliche Stimmengewinne beschert.
PSOE: Regierungsoption trotz Wahlverlust
In der PSOE haben sich erhebliche Widerstände namhafter, ehemals maßgeblicher Ministerinnen und Minister, Staatsratsmitglieder, regionaler Parteivorsitzender oder Regionalpräsidenten gegen Pedro Sánchez aufgebaut.2 Auch auf eine Unterstützung durch den parteiübergreifend weithin respektierten ehemaligen Ministerpräsidenten Felipe González (PSOE) wartete Sánchez bis zuletzt vergeblich. Bücher mit dem Titel „Caudillo Sánchez“ oder ein Videofilm „El Autócrata“, alle von PSOE-Vertretern publiziert, offenbart die Hauptkritik: dass Sánchez die PSOE über die Jahre von der Mitte hin weg zu Linken radikalisiert und die innerparteiliche Demokratie weitgehend abgeschafft habe. Sánchez bewege sich auf den Spuren lateinamerikanischer autoritärer Parteiführer.
Dass Sánchez eine solch weitreichende Entscheidung wie das Vorziehen nationaler Wahlen ohne jede Konsultation mit Spitzengremien, betroffenen Ministerpräsidenten, geschweige denn der Parteibasis quasi alleine getroffen hat, spricht Bände. Ebenso spricht Bände, dass die Kritiker faktisch ohne Macht und Einfluss sind. Sánchez hat sich die PSOE zu seinem persönlichen Herrschaftsinstrument umgebaut. Sein Umgang mit den Institutionen, in denen er Gefolgsleute platzierte, die im Alleingang erfolgte Kehrtwende in der neuralgischen West-Sahara-Frage oder die Zugeständnisse an die katalanischen Separatisten bis hin zur Wahlkampfstrategie bei den Kommunal- und Regionalwahlen waren intern umstritten, erzeugte aber keinen öffentlich sichtbaren Widerstand.
Neben der Aushöhlung der institutionellen Unabhängigkeit, die die obigen Beispiele zeigen und die im Wahlkampf zurecht von der Opposition thematisiert wurden, waren es vor allem auch identitäre und kollektivistische Themen, die durch den ‚sanchismo‘, hier vor allem angetrieben durch den Koalitionspartner Unidas-Podemos, in den vergangenen vier Jahren forciert wurden. Dazu gehören beispielsweise ein indoktrinierendes, subjektives Gesetzes zur Aufarbeitung der jüngeren spanischen Geschichte (Ley de Historia Memoria), das ohne einen breiten gesellschaftlichen Diskurs verabschiedet wurde und daher bei einem großen Teil der Öffentlichkeit auf Widerstand stößt; ein Transsexuellen-Gesetz, das den Eltern von Minderjährigen ab 16 Jahren in Fragen der Transsexualität das Erziehungsrecht entzieht (Ley Trans); oder ein Sexualstrafrecht, das mehrere Straftatbestände unterschiedlichen Schweregrades in einem einzigen Tatbestand vermengte (Ley del Sí es Sí) und ein widersprüchliches Strafmaß anwandte, was zur Freilassung von über hundert und zur Strafmilderung bei über eintausend teils schweren Sexualstraftätern führte. Zumindest dieses letzte Gesetz wurde durch eine Eilreform von PSOE und PP zumindest nachträglich korrigiert, um weitere Freilassungen zu bremsen.
Die Minderheitsregierung zeigte am Ende deutliche Abnutzungserscheinungen, die erklären, warum diese die Wahlen nicht gewinnen konnte.
Gründe für die Resilienz der PSOE und deren Regierungsoption
Die PSOE regierte die vergangenen vier Jahre in einer schwachen Minderheitsregierung mit der linksextremistischen Wahlplattform Unidas-Podemos zusammen (155 von 176 für eine Mehrheit notwendigen Mandaten), deren gemeinsame Legislaturperiode von internen Streitigkeiten (bspw. über einen Austritt aus der NATO oder den Entzug der Unterstützung für die Ukraine) und des unbedingten Machterhalts gekennzeichnet war und die auf punktuelle externe Unterstützung von den sezessionistischen Regionalparteien, allen voran Esquerra Republicana, EH Bildu und Partido Nacionalista Vasco angewiesen war.
Die Konflikte wurden am Ende in erster Linie dem kleineren Koalitionspartner Unidas-Podemos angelastet (31 Abgeordnete, -7 Mandate), während sich die PSOE wider Erwarten bei 122 Abgeordneten (+2 Mandate) stabilisieren konnte. Brauchten die Sozialisten am 10. November 2019 nur 120 Abgeordnete für den Wahlsieg, so reichte es dieses Mal jedoch trotz einer leichten Verbesserung nur für den zweiten Platz. Da die meisten Umfragen allerdings damit rechneten, dass Sánchez deutlich schlechter abschneide, verkaufte er sein Ergebnis in der Wahlnacht trotzdem als Erfolg, zumal er der Einzige ist, der rein rechnerisch eine – wenn auch sehr komplizierte und problematische – Mehrheit auf sich vereinigen könnte (siehe Ausblick).
Einerseits schnitten die Sozialisten in Katalonien viel besser ab, als erwartet und holten mit 19 von 48 Abgeordneten den Wahlsieg in der Autonomen Gemeinschaft und damit einem positiven Saldo von 7 zusätzlichen Mandaten. Sánchez‘ Begnadigung der rechtskräftig verurteilten Anführer des illegalen Unabhängigkeitsreferendums 2017, sowie die Streichung des Aufruhrparagraphen und die von der EU kritisierte Reduktion des Strafmaßes für politische Korruption, die - trotz künftig zu erwartender ernsthafter Konsequenzen für den spanischen Rechtsstaat - ebenfalls den katalanischen Sezessionisten zugutekommt, verhalfen ihm in der Region zu Beliebtheit und einem überraschend guten Ergebnis. Sánchez nimmt für sich in Anspruch, zur vermeintlichen „Aussöhnung“ mit der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung beigetragen zu haben. Tatsächlich erhielten die beiden großen Separatistenparteien ERC und JxCAT zusammen weniger als eine Million Stimmen. Sowohl Esquerra Republicana (ERC) als auch Junts per Catalunya (JxCAT) verkünden jedoch regelmäßig öffentlich, dass sie ihr Ziel einer Unabhängigkeit Kataloniens nicht aufgegeben werden. Die vermeintliche „Versöhnung“ besteht also lediglich darin, dass ERC und JxCAT in der vergangenen Wahlperiode so viele Zugeständnisse erhalten haben, dass sie gegenwärtig ihren Kurs mit diplomatischen Mitteln weiterverfolgen.
Auch im Baskenland, in Navarra und auf den Balearen konnte die PSOE besser abschneiden als erwartet. In den gewichtigen Autonomen Gemeinschaften Madrid (2019: 10, 2023: 11) und Valencia (2019:10, 2023: 11) brach sie nicht wie erwartet ein. Die Mandate der Sozialisten konzentrieren sich heute folglich stärker in bevölkerungsreichen Territorien und Gebieten, die durch regionalistische Parteien gekennzeichnet sind. Sie verlieren indes in der bevölkerungs-und strukturschwachen España Vaciada, allen voran in Andalusien (-4 Mandate), Galizien (-3 Mandate) und Aragón (-2). Insgesamt brach Sánchez nicht so stark ein, wie vorher prognostiziert wurde, weil er einen erheblichen Teil der links-außen-stehenden – größtenteils urbanen Wähler, die 2019 Unidas-Podemos wählten, mobilisieren und abfangen konnte.
Spanienweit erhielt die PSOE 22,7% der Stimmen von ehemaligen Unidas-Podemos-Wählern.
Sánchez hob durch das vorgezogene Wahldatum die laufenden Koalitionsverhandlungen der PP mit VOX auf die nationale Agenda. Die PSOE profitierte dabei gleich mehrfach von der Auseinandersetzung um VOX:
Erstens wird der spanienweite mitte-rechts-gerichtete Block durch eine Aufspaltung in zwei Kräfte aufgrund des geltenden D’Hondt’schen Wahlgesetzes, das gemeinsame Wahllisten prämiert und eine Division bestraft, geschwächt.
Zweitens half die Warnung vor VOX im Sinne eines „Antifaschistischen Aufrufes“ den Sozialisten immer wieder, linksgerichtete Wähler in Spanien zu mobilisieren.
Drittens führte die Debatte um VOX zu dem Ergebnis, die Wählerwanderung von unzufriedenen PSOE-Wähler zur PP aufzuhalten, die eigentlich wechseln wollten, aber VOX ablehnen.
Schließlich kostete die permanente Gleichsetzung von PP und VOX der PP mehrere Mandtate, begünstigt durch die unklare Haltung der PP gegenüber VOX.
Die Wählerinnen und Wähler bestraften in erster Linie nicht den Ministerpräsidenten, sondern den kleineren Koalitionspartner Unidas-Podemos für die Verschleißerscheinungen der Regierungskoalition, was darin zum Ausdruck kommt, dass das linkspopulistische Wahlbündnis Sumar, und damit die Nachfolgerin des vorhergehenden Wahlbündnisses Unidas-Podemos, nur den vierten Platz erreichte (31 Mandate) und sieben Abgeordnete verlor.
Dass die Umfragen die PSOE weit hinten sahen, und die PP zusammen mit VOX weit vorne, dürfte ebenfalls zur Mobilisierung sozialistischer Wähler mitten in der Urlaubszeit beigetragen haben, während der erwartete vermeintlich großzügige Vorsprung ihrer Partei bei PP-Wählern genau die entgegengesetzte Wirkung, nämlich eine Demobilisierung, zur Folge gehabt haben dürfte.
Das sozialliberale, Sánchez-kritische Kollektiv Fernández de los Ríos, an dem auch der oben genannte Nicolás Redondo (PSOE) beteiligt ist, forderte Sánchez dazu auf, den Plan, „eine Regierung zu bilden, die von einem Justizflüchtling wie Puigdemont abhänge“, ad acta zu legen und einen Staatspakt mit der PP zu schließen.
Sumar: Rebranding von Unidas-Podemos funktioniert nur bedingt
Sumar ist ein linkspopulistisches bis linksradikales Wahlbündnis, das aus sechs nationalen und 14 regionalen Parteien besteht. Die wichtigsten Mitgliederparteien sind Movimiento Sumar, Podemos, Izquierda Unida, Más País und verschiedene Verbände von Compromís. Die Spitzenkandidatin des Bündnisses „Sumar“ ist die Stv. Regierungspräsidentin der vergangenen Legislaturperiode, Yolanda Díaz von der Kommunistischen Partei Spaniens. Sie ist zugleich auch Gründungsmitglied und Führerin der Partei „Movimiento Sumar“. „Sumar und „Movimiento Sumar“ wurden beide erst 2023 gegründet.
Das Wählerprofil ist überwiegend urban, nur 10 Abgeordnete konnte die Plattform im ländlichen Raum gewinnen. Sumar ersetzte die Wahlplattform Unidas-Podemos, die von 2020 bis 2023 den kleineren Koalitionspartner der PSOE stellte und aufgrund vielfältiger Streitigkeiten innerhalb der Regierung (bspw. eine öffentliche Forderung des NATO-Austritts während des NATO-Gipfels in Madrid; die Freilassung von Sexualstraftätern nach der Verabschiedung des Gesetzes „Sí es Sí“; usw.) starke Abnutzungserscheinungen zeigte.
Die Kandidatenaufstellung war durch starke Spannungen zwischen IU, Más País und Compromís einerseits, und Podemos andererseits bestimmt. Insbesondere versuchte die Podemos-Vorsitzende Ione Belarra, die umstrittene Gleichstellungsministerin Irene Montero auf die Liste zu bekommen, obwohl diese spanienweit nach der Freilassung von über 100 Sexualstraftätern schwer umstritten war – zumal sie ihr Gesetz bis zur Eilreform von PSOE und PP verteidigte. Auch ihr Lebensgefährte und ex-Parteichef von Podemos, Pablo Iglesias, der Montero 2020 in ihr Amt brachte, was in jeder anderen Partei vermutlich als Vetternwirtschaft kritisiert worden wäre, bleibt ebenfalls im Hintergrund aktiv. Iglesias zeigte sich überzeugt, dass die fünf verbliebenen Mandate, die Podemos im Rahmen von Sumar noch bleiben, der Partei „viel Einfluss bescheren werde“. Auch der Generalsekretär der Kommunistischen Partei Spaniens, Enrique Santiago, ergatterte einen guten Platz auf der Sumar-Liste.
Einige der polemischsten Vorschläge, die Sumar im Wahlkampf äußerte, waren u.a. eine Universalerbschaft von 20.000 EUR für alle 23-Jährigen, weitere progressive Einkommenssteuererhöhungen bis zu einer Höhe von 52% des Bruttolohns; die Pflicht der Autonomen Gemeinschaften, eine Mindesterbschaftssteuer zu verlangen (was einen Eingriff in die Regionalkompetenzendarstellt) sowie der Vorschlag, die Banken zwingen zu wollen, variable Hypotheken auf Wunsch des Kunden jederzeit in feste Laufzeiten umwandeln zu müssen.
Sumar bleibt der wichtigste potentielle Koalitionspartner für Pedro Sánchez, falls es diesem gelingen sollte, tatsächlich ein Amtseinsetzungsverfahren mithilfe aller links-außen-stehenden (Esquerra Republicana, EH Bildu) und rechts-nationalistischen Regionalparteien (Junts per Catalunya, Partido Nacionalista Vasco) zu erreichen, was in den spanischen Medien aufgrund des ungewissen Ausgangs gemeinhin als Regierungsoption „Frankenstein II“ bezeichnet wird.
Nichtsdestotrotz gilt Sumar ebenfalls als Wahlverlierer, auch wenn Yolanda Díaz eine Katastrophe abwenden konnte. Die Plattform kommt nur noch auf 31 Mandate (7 Mandate weniger als Unidas-Podemos (35 Mandate) und Más País (3 Mandate) im Jahr 2019 zusammen) und verliert insgesamt ca. 893.000 Stimmen, die an Pedro Sánchez übergehen. Insgesamt verliert Díaz einen Stimmenanteil von 19% gegenüber dem Ergebnis der Vorgängerplattform und deren Kooperationspartner (Més, Compromís, Más País, etc). aus dem Jahr 2019.
EH-Bildu
Die linksnationalistische und linksextreme EH Bildu wird von dem ehemaligen ETA-Mitglied Arnaldo Otegi geführt. Es ist weitgehender Konsens in Spanien, auch bei den Sozialisten, dass EH Bildu die Nachfolgeorganisation des verbotenen politischen Arms der ETA (Batasuna) ist. Die baskische Terrororganisation ETA ermordete zwischen 1968 und 2010 nachweislich mindestens 853 Menschen in Spanien. EH Bildu hat sich nie von den Morden und den über 2.600 Verletzten, die auf das Konto der ETA gehen, distanziert. EH Bildu verfolgt die Unabhängigkeit des Baskenlandes.
Dank der Enthaltung von EH Bildu konnte Sánchez überhaupt nur das Misstrauensvotum im Sommer 2018 gegen Mariano Rajoy gewinnen. In den vergangenen vier Jahren passierten 80 Gesetzentwürfe der Sánchez-Regierung dank der Mitwirkung von EH Bildu die Abgeordnetenkammer. Dies galt damals als Tabubruch, auch in der PSOE. Die verbliebenen Entscheidungsträger in der PSOE, die sich damit arrangieren konnten, haben diesen Schritt aber mittlerweile assimiliert.
Alberto Núñez Feijóo (PP) kündigte im Wahlkampf an, für den Fall, dass er eine Regierung bilden könne, alle Gesetze, im Rahmen derer EH Bildu in die Verhandlungen eingebunden war, auf ihre Verfassungskonformität hin zu überprüfen und zu versuchen, nachzuvollziehen, welche Gegenleistungen EH Bildu für ihre Enthaltungen/ Zustimmungen jeweils erhalten habe.
Nicht zuletzt weil ETA auch baskische Sozialisten verfolgte und zwölf von ihnen ermordete, war es von 1975 an bis zum November 2019 auch in der PSOE tabu, eine „Normalisierung“ von EH Bildu zuzulassen. Seit 2020 hat EH-Bildu dank der vielfältigen aktiven Parlamentsverhandlungen mit Sánchez auch auf regionaler Ebene im Baskenland und in Navarra an Zustimmung gewonnen. Dabei wächst EH Bildu auch über die traditionelle nationalistische Baskenpartei PNV hinaus, was die PNV ebenfalls unter Druck setzt, immer weitere Forderungen an den Zentralstaat zu stellen.
EH Bildu erzielte am 23. Juli ein starkes Ergebnis und holte 6 Abgeordnetenmandate (fünf im Baskenland und eines in Navarra), was der Partei eine gute Ausgangslage für die Regionalwahlen am 26. Mai 2024 beschert. Erstmals überholt EH Bildu damit die baskischen Nationalisten (PNV). EH Bildu gab sofort nach der Bekanntgabe des Wahlergebnisses bekannt, für eine aktive Zustimmung zu Pedro Sánchez als Regierungschef zur Verfügung zu stehen. Sánchez nahm dieses Angebot umgehend an, was in der historischen Rückschau der PSOE einen neuerlichen Tabubruch darstellt, der jedoch bisher keinen öffentlichen Widerspruch seitens anderer aktiver PSOE-Politiker ausgelöst hat.
Partido Nacionalista Vasco (PNV)
Die Nationalistische Baskenpartei tritt für die langfristige Unabhängigkeit des Baskenlandes ein, lehnt jedoch einen verfassungswidrigen einseitigen Bruch mit Spanien ab und verfolgt ihre Strategie in erster Linie dadurch, ihre Abgeordnetenmandate in der spanischen Abgeordnetenkammer für immer neue Kompetenzübertragungen an die Region zu nutzen. Auf europäischer Ebene trat die PNV 1999 aus der Europäischen Volkspartei aus. Gegenwärtig hält sie einen Europaabgeordneten, der in der Renew-Fraktion sitzt. Die PNV war lange Zeit die hegemoniale Kraft im Baskenland, die zugleich ethnisch-nationalistische, katholisch-konservative und liberale Wählergruppen anspricht. Allerdings erwächst ihr spätestens seit 2019 eine immer ernster zu nehmende Konkurrenz durch die linksnationalistische EH Bildu, die bei diesen Wahlen erstmals dank ihrer Expansion in Navarra ein Abgeordnetenmandat mehr als die PNV gewann. Die PNV ist nicht in Navarra präsent und verlor gegenüber 2019 ein Mandat, womit sie künftig nur noch fünf Abgeordnete im Congreso stellt.
Die PNV paktierte früher sowohl mit der Volkspartei PP (bspw. 1996 zur Amtseinsetzung Aznars) als auch mit den Sozialisten.
Die politischen Interessen der PNV sind jedoch heute in erster Linie ethnisch-nationalistischer Natur. Aufgrund ihres baskisch-internen Wettbewerbs mit EH Bildu um den Protagonismus bei der immer weiterführenden Kompetenzübertragung und Abspaltung von Spanien, aufgrund der anstehenden Regionalwahlen Ende Mai 2024 und aufgrund der Annäherung an die PSOE nach dem Misstrauensvotum 2018 lehnt die PNV eine Zusammenarbeit mit VOX entschieden ab.
So war es nicht überraschend, dass PNV-Parteivorsitzender Andoni Ortuzar nur zwei Tage nach den Wahlen Alberto Núñez Feijóo (PP) anrief, um ihm mitzuteilen, dass er eine Unterstützung Feijóos ablehne, weil dieser „die Schuld für den Einzug von VOX in die Institutionen trage“, weshalb die fünf PNV-Abgeordneten, mit deren Hilfe eine absolute Mehrheit möglich wäre, einer Koalition PP-VOX niemals zustimmen werden. Allerdings ist die PNV bereit, eine weitere Amtsperiode von Pedro Sánchez zu unterstützen.
Esquerra Republicana (ERC)
Die katalanischen Linksrepublikaner, die einen der beiden wichtigsten Protagonisten der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung und des illegalen Referendums vom 1. Oktober 2017 sind und deren Anführer erst rechtskräftig verurteilt und dann im Sommer 2021 von Ministerpräsident Sánchez begnadigt wurden, sind ein weiterer Wahlverlierer, bleiben jedoch relevant. Wurden sie am 10. November 2019 zur stärksten Kraft Kataloniens mit 13 Parlamentsabgeordneten und rund 850.000 Stimmen, fielen sie nun mit sechs Abgeordneten und rund 463.000 Stimmen hinter PSOE und Sumar nach Stimmen auf den dritten Rang zurück.
Dies könnte einerseits an der niedrigen Wahlbeteiligung in Katalonien (65%) sowie an einer niedrigen Mobilisierung der Unabhängigkeitsbewegung liegen. Viele linksrepublikanisch gesinnte Wählerinnen und Wähler entschieden sich taktisch für die PSOE, um VOX zu verhindern. Ein Teil der ERC-Wähler lehnt zudem die Kooperation von ERC mit der PSOE ab, was sich ebenfalls negativ auf ihr Wahlergebnis ausgewirkt haben könnte (zum Zeitpunkt des Abschlusses dieses Artikels lagen noch keine genauen Zahlen zur Wählerwanderung von ERC zur PSOE vor).
Die katalanischen Linksrepublikaner, die die spanische Verfassungsordnung und deren konstitutionelle Monarchie ablehnen, sind ein natürlicher Verhandlungs-, nicht jedoch Koalitionspartner der PSOE. Sie haben indes bereits angekündigt, für „angemessene“ Gegenleistungen einer Amtseinsetzung von Pedro Sánchez zuzustimmen. Damit meint Spitzenkandidat Rufián, dass die PSOE sich bereiterklären solle, „die katalanische Sprache, Kultur, Dienstleistungen, Infrastruktur und Freiheit“ zu verteidigen. Der Preis, den die Sozialisten dieses Mal für eine erfolgreiche Amtseinführung zahlen, müsse seiner Meinung nach wesentlich höher sein als nach den Wahlen vom 10. November 2019. Er ruft dazu auf, die zerstrittenen Partner ERC und JxCAT müssten eine katalanische Einheitsfront gegen Spanien bilden, um aus ihren zusammen 14 Mandaten gegenüber der PSOE den größtmöglichen Vorteil für ihre Region ziehen zu können. Parteichef Oriol Junqueras zeigte sich auf einer gemeinsamen Wahlkampfveranstaltung mit EH Bildu überzeugt, dass es künftig ein zeitgleiches Referendum im Baskenland und in Katalonien geben werde, das beide Regionen in die Unabhängigkeit führe.
Junts per Catalunya: Das (spanienfeindliche) Zünglein an der Waage
Junts per Catalunya (JxCAT) ist eine nach eigenen Angaben transversale, in der Praxis jedoch eher rechtsgerichtete, ethnisch-nationalistische Separatistenpartei, die die unbedingte Unabhängigkeit Kataloniens von Spanien forciert, die einseitige Unabhängigkeit nicht explizit ausschließt und die ethnische Überlegenheit der Katalanen über die Spanier propagiert.
Parteiführer ist nach wie vor Carles Puigdemont, der 2017 nach Brüssel flüchtete, um seiner Strafverfolgung aufgrund der Anstiftung zur Aufruhr aufgrund seiner maßgeblichen Rolle bei der Durchführung der illegalen und verfassungswidrigen Volksabstimmung vom 1. Oktober 2017 zu entgehen. Seitdem führt Puigdemont die Partei aus dem Exil heraus. Seine Auslieferung an Spanien wird gegenwärtig wahrscheinlicher, seit das Gericht der Europäischen Union ihm und zweien seiner Mitstreiter (Toni Comín, Clara Ponsatí) am 5. Juli 2023 die politische Immunität entzogen hat. JxCAT ist das Produkt eines langen Transformationsprozesses von der katalanistisch-bürgerlichen Partei Convergència, deren Untergang im Jahr 2015 aufgrund von Korruptionsskandalen und Strafermittlungen begann und die für die anfängliche Eskalation der Unabhängigkeitsbewegung mitverantwortlich war. JxCAT verliert ebenfalls ein Mandat und kann künftig nur noch sieben Abgeordnete im Congreso stellen.
Die Auszählung der im Ausland abgegebenen Stimmen endet erst am 28. Juli, wobei es zu einzelnen Mandatszuwächsen und -verlusten bei PP, PSOE und ERC kommen kann, was angesichts des hauchdünnen Vorsprungs des Lagers von PSOE, Sumar, ERC, EH Bildu, PNV und BNG (172 Ja-Stimmen vs. 171 Nein-Stimmen von PP, VOX, CC und UPN) noch relevante Strategieänderungen hinsichtlich der Machtarithmetik mit sich bringen könnte.
Nach dem gegenwärtigen Stand jedoch wäre eine Amtseinführung von Pedro Sánchez, obwohl er die Wahlen verloren hat, möglich, wenn er JxCAT überzeugt, sich zu enthalten. Der Preis für eine Enthaltung Puigdemonts dürfte enorm sein. Im Moment fordert er eine gesetzliche Amnestie für alle Strafverfolgten des 1-O sowie ein mit der Zentralregierung paktiertes Unabhängigkeitsreferendum. El Mundo erinnert an die vor einem Jahr aktualisierten Grundprinzipien der Partei, die es sich zur Aufgabe macht, „den spanischen Staat zu ‚brechen‘ und die danach strebt, ‚die Freiheit Kataloniens‘ zu erreichen, indem sie Spanien ‚überrolle‘. Obwohl ein solches Arrangement also begründeterweise die große Gefahr einer weiteren, substanziellen Destabilisierung Spaniens mit sich bringen könnte, zeigt sich Pedro Sánchez siegessicher und glaubt, einen solchen Pakt schließen und eine darauf aufbauende Regierung kontrollieren zu können. Sumar hat bereits öffentlich eingeräumt, mithilfe von Jaume Asens von den Linkspopulisten (En Comú Podem) bereits Verhandlungen mit JxCAT über eine Enthaltung zur Amtseinsetzung von Pedro Sánchez begonnen zu haben.