Reportajes internacionales
Die USA reagieren damit auf frühere Ankündigungen, die Verantwortlichen für die Repressionen und Menschenrechtsverletzungen im Rahmen der Studentenproteste vom Februar und März 2014 zu bestrafen. Bei den Unruhen kamen 43 Menschen ums Leben, es gab mehr als 600 Verletzte und über 3500 Festnahmen. Menschenrechtsorganisationen kritisierten das Vorgehen der venezolanischen Behörden scharf.
Nachdem am 9. Dezember der US-Senat und am 11. Dezember das Repräsentantenhaus den Sanktionen zustimmten, fehlt nun noch das grüne Licht durch US-Präsident Barack Obama. Laut Regierungskreisen wird dieser den Sanktionen „nicht widersprechen“. Der Konflikt in Venezuela zwischen Regierung und Opposition, der das Land spaltet und lahm legt, kann jedoch weiterhin nur „intern und durch Verhandlung“ gelöst werden, so das Weiße Haus. Der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrates sagte gegenüber der Nachrichtenagentur Efe aus, dass die US-Regierung „die Sorgen des US-Kongresses sowie anderer regionaler und internationaler Akteure über die Situation in Venezuela teilt.“
Das Einfrieren von Konten und anderen Vermögenswerten hoher Funktionäre und Angehöriger der venzolanischen Regierung sowie das Verweigern von US-Visa machen deutlich, dass sich die Sanktionen gegen die Verantwortlichen der Repression und Menschenrechtsvergehen richten, die maßgeblich für die Unruhen Anfang des Jahres verantwortlich sind, und nicht in der Breite gegen das venezolanische Volk.
Scharfe Kritik aus Venezuela
Erwartungsgemäß sieht dies der venezolanische Staatspräsident Nicolás Maduro anders. In den Sanktionen sieht er eine Eskalation der „Konfrontation“ beider Länder. Den USA werde es „schlecht ergehen“, so Maduro, der die Vereinigten Staaten dazu aufrief, das „Gleichgewicht wieder herzustellen“. Die Senatoren nannte er „unverschämt“, da diese es wagten, „das Vaterland von Bolívar“ mit Sanktionen zu belegen. Sein Außenminister Rafael Ramírez schlug den gleichen Ton an und warnte gar vor einer internationalen Isolierung Obamas sollte er den Sanktionen zustimmen.
An rhetorisch harsche Attacken aus Caracas hat man sich in Washington mittlerweile gewöhnt. Der Sprecher des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten im Repräsentantenhaus, Ed Royce (Republikaner), sagte im Nachgang der einstimmig angenommenen Resolution, dass man „ein deutliches Zeichen der Unterstützung an alle Venezolaner sendet, die sich nach Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit“ sehnen.
US-Senatoren rufen Staatengemeinschaft zu Sanktionen auf
Senator Roberto Menéndez (Demokrat), der neben der Republikanerin Ileana Ros-Lehtinen treibende Kraft hinter dem Gesetzentwurf war, bat die internationale Gemeinschaft dem Vorbild, der USA zu folgen. „Die Regierungen unserer Hemisphäre und der ganzen Welt sollten sich … solidarisch zeigen und allen venezolanischen Funktionären, die an Menschenrechtsverletzungen beteiligt sind, die Einreise in ihr Land und den Zugang zu ihren Finanzsystemen verweigern“, so der kubastämmige Menéndez, der auch das Ende politischer Verfolgung und die Repression gegen die venezolanischen Oppositionsführer Maria Corina Machado und Leopoldo Lopez einforderte.
Welche Angehörigen der venezolanischen Regierung letztlich auf der Schwarzen Liste landen werden, ist zurzeit offen. Allerdings darf erwartet werden, dass die 27 Personen mit Sanktionen belegt werden, die US-Senator Marco Rubio bereits vor Monaten öffentlich für Menschenrechtsvergehen verantwortlich machte. Die Liste ist gespickt mit namhaften Regierungspolitikern, Militärs und Funktionären im Sicherheitsapparat Venezuelas. Neben der symbolischen Wirkung der Sanktionen treffen Einreiseverbote Venezolaner hart: Immerhin ist Florida das beliebteste Reise- und Auswanderungsziel der Venezolaner– sowohl bei Oppositionellen als auch in Regierungskreisen.
Anfeindungen gegen US-Diplomaten
Mit den Sanktionen setzen die USA ein deutliches Zeichen und erhöhen den Druck auf das Regime. Noch vergangene Woche musste ein US-Diplomat eilig das Land verlassen, nachdem er sich öffentlich unter die Anhänger der Oppositionspolitikerin Maria Corina Machado mischte, die vor dem Gerichtsgebäude auf das Ergebnis der ersten Anhörung warteten. Die international geachtete Machado, der noch im Frühjahr mit einer fadenscheinigen Begründung das Abgeordnetenmandat entzogen wurde, wird der Konspiration bezichtigt. Die venezolanische Regierung bewertete die bloße Präsenz des Amerikaners im Umkreis der Anhörung als Einmischung in die inneren Angelegenheiten des Landes und sparte nicht mit harter Kritik. In seiner wöchentlichen Polit-Fernsehshow schimpfte Parlamentspräsident Diosdado Cabello auf die bekannte polemische Weise und in der linksextremen, regierungstreuen Fernsehsendung „Zurda Kondukta“ wurde gar das persönliche Twitter-Account und Foto des Amerikaners veröffentlicht. Kurz darauf veranlasste die US-Botschaft, die ohnehin bald fällige Ablösung ihres Diplomaten vorzuziehen. Noch in derselben Woche verschärfte die US-Botschaft die Reisewarnungen sowie die Aufenthalts- und Sicherheitsregeln für ihr Botschaftspersonal in Caracas.
Menschenrechtsorganisationen kritisieren Regierung
Venezolanische Menschenrechtsorganisationen schlagen derweil Alarm und vermeldeten jüngst für 2014 ein trauriges Rekordjahr in Sachen Menschenrechtsverletzungen in ihrem Land. Besonders hat die politische Repression zugenommen, was als Reaktion der Regierung auf die politische, wirtschaftliche und soziale Krise gesehen werden darf. Wohl kaum ein anderes Land trifft der Ölpreisverfall so hart wie Venezuela. Schon unter dem verstorbenen Präsidenten Hugo Chavez erkaufte sich die venezolanische Regierung ihre Zustimmung durch soziale Wohltaten, die sie nun nicht mehr finanzieren kann. Während die Bevölkerung unter Hyperinflation, Versorgungsengpässen, hoher Gewaltkriminalität und Repression leidet, hält die Regierung unbeirrbar an dem zum Scheitern verurteilten ökonomischen Modell fest.
Schon jetzt ist Präsident Maduro im Umfragetief. Sollte das Leiden der Bevölkerung in erneuten Großdemonstrationen münden – womöglich diesmal unter Beteiligung der armen Bevölkerungsschichten - so dürfte die Regierung wiederholt mit harter Hand reagieren, da ihr keine anderen Mittel des Machterhalts mehr zur Verfügung stehen. Dass neue Unruhen ausbrechen werden, halten die meisten Beobachter und Analysten der politischen Szene für wahrscheinlich. Ungewiss bleibt hingegen die Folgen, die kaum jemand abzuschätzen vermag. Zwischen Status Quo, internem Machtwechsel, Transformation, bis hin zu allgemeinem Chaos und Anarchie scheint alles möglich. Venezuela stehen für 2015 düstere Zeiten bevor.
Was folgt auf die US-Sanktionen?
Die US-Sanktionen können als weiterer Versuch gesehen werden, die venezolanische Regierung international stärker zu ächten. Auf jeden Fall stellen sie den Fall Venezuela wieder in den Mittelpunkt der internationalen Öffentlichkeit. Vor allem die Verhaftungen und Klagen gegen unliebsame Oppositionelle, allen voran Leopoldo Lopez und Maria Corina Machado, sorgten für internationale Kritik. Unlängst forderte der Hohe Kommissar für Menschenrechte der Vereinten Nationen Zeid Raad Al Hussein sowie der spanische Ministerpräsident Rajoy die Freilassung von Lopez. Möglicherweise ist es nur eine Frage der Zeit, bis weitere Staaten sich diesen Forderungen anschließen werden.
Aus diplomatischen Kreisen sind allseits besorgte Stimmen zu hören, die jedoch noch nicht in einer konzertierten Aktion mündeten. Deutschland kommt eine besondere Rolle zu, da es unter den europäischen Ländern eine Führungsrolle einnimmt. In dem Prozess gegen Leopoldo Lopez wurde auch der Deutschvenezolaner Christian Holdack mitangeklagt, der aufgrund der nun zehn Monate andauernden Untersuchungshaft gesundheitlich schwer angeschlagen sein soll. Den venezolanischen Menschenrechtsorganisationen und Oppositionellen ist weder der Fall Holdack, noch die Wahl eines deutschen Diplomaten zum Vorsitzenden der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen in Genf entgangen. Die organisierte Zivilgesellschaft und die Opposition in Venezuela hoffen, dass Deutschland weiterhin ein deutliches Zeichen zum Schutz der Menschen- und Freiheitsrechte setzt.
Die europäischen Staaten werden wohl nicht den USA folgen und Sanktionen verhängen.. Das Argument, dass Sanktionen wenig bringen, hingegen dem Regime als Vorwand dienen, einen „äußeren Feind“ für die innere Misere verantwortlich zu machen, ist bisher ausschlaggebend. Dennoch werden künftig deutliche Stellungnahmen notwendig werden, um dem venezolanischen Regime die Grenzen aufzuzeigen.
Petrocaribe vor dem Aus: Verliert Venezuela die Unterstützung in Lateinamerika?
Auch in Lateinamerika kann sich die Haltung gegenüber dem venezolanischen Regime künftig verändern. Die Staaten des regionalen Energiebündnis Petrocaribe bereiten sich darauf vor, dass sie künftig keine Erdöllieferungen mehr zum Vorzugspreis erhalten werden. Vor dem Hintergrund des Ölpreisverfalls, der enormen wirtschaftlichen und finanziellen Krise sowie des großen innenpolitischen Drucks dürfte es nicht mehr lange dauern bis die venezolanische Regierung die Erdöllieferungen an befreundete Saaten zurückfahren oder gar einstellen muss. So teilte die staatliche venezolanische Erdölfirma PDVSA dem Premierminister von Belize Dan Barrow bereits mit, dass man nicht mehr in der Lage sei, das zentralamerikanische Land mit Erdöl zu versorgen.
Finanziell ist Venezuela stark angeschlagen. Um mehr liquide Mittel zu erhalten, veräußerte Caracas zudem Schulden, die die Dominikanische Republik bei Venezuela hat, an das US-amerikanische Bankhaus Goldman Sachs. Für die Übernahme der dominikanischen Schuldscheine zahlte Goldman Sachs weniger als die Hälfte des Nominalwertes an Caracas. Aufgrund gravierender Finanzierungsengpässe bzw. einer mangelnden Liquidität hat wird Venezuela den befreundeten Petrocaribe-Staaten die gewohnte Unterstützung aufkündigen müssen. Es wird sich zeigen, ob weitere „Energiebündnisse“, wie das „Abkommen zur Energie-Kooperation von Caracas“ (Bolivien, Paraguay, Uruguay) oder das „Integrale Kooperationsabkommen“ (Argentinien, Kuba), ebenfalls zur Disposition stehen. Sicher ist, dass sich Venezuelas Einfluss mindern wird, je stärker die Öllieferungen zum Vorzugspreis an befreundete Staaten zurückgefahren werden.