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Zittau: Die Grenzen fallen endgültig

de Dr. Hans-Gert Pöttering

Leseprobe aus "Wir sind zu unserem Glück vereint"

Leseprobe aus der Autobiografie von Dr. Hans-Gert Pöttering "Wir sind zu unserem Glück vereint - Mein europäischer Weg"

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Nach allen Turbulenzen um die Europäische Verfassung endete das Jahr 2007 mit einem,

wie ich es dankbar empfand, historischen Ereignis. Im Gebrauch des Wortes

„historisch“ sollte man zurückhaltend sein, aber der Freitag, der 21. Dezember 2007,

verdient diese Charakterisierung. Es handelte sich um nichts weniger als die Aufhebung

der Grenzkontrollen zwischen Deutschland, Polen und Tschechien. Eingeladen

hatte die Präsidentin des Europäischen Rates, Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Bereits am Vorabend war ich aus Wien kommend mit meiner Delegation auf dem

Flughafen Dresden gelandet, von wo aus wir zum Schlosshotel Althörnitz fuhren, um

dort zu übernachten. Der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister des

Inneren, Peter Altmaier, lud uns zum Abendessen ein. Peter Altmaier war als Abgeordneter

ein von mir sehr geschätzter Kollege und gleichzeitig Präsident der Europa-

Union Deutschland, ein Amt, das ich von 1997 bis 1999 – bis zu meiner Wahl zum

Vorsitzenden der EVP-ED-Fraktion im Europäischen Parlament – auch wahrgenommen

hatte. Peter Altmaier, der seit Oktober 2009 das Amt des Ersten Parlamentarischen

Geschäftsführers der CDU/CSU-Bundestagsfraktion innehatte, bevor er am

22. Mai 2012 zum Bundesumweltminister berufen worden war, war überzeugter Europäer

und hatte in jungen Jahren in der Europäischen Kommission gearbeitet. Im

Schlosshotel Althörnitz übernachteten auch der Präsident des Europäischen Rates,

Ministerpräsident José Sócrates, der aus Lissabon gekommen war, sowie José Manuel

Durão Barroso, der Präsident der Europäischen Kommission, der aus Tallin, der

Hauptstadt Estlands, angereist war, wo die Grenzen zwischen den baltischen Staaten

bereits symbolisch freigegeben worden waren. Am Freitagmorgen traf gegen neun Uhr

die Wagenkolonne der Präsidenten der europäischen Institutionen am Grenzübergang

Zittau-Friedensstraße ein. Dort trafen wir Bundeskanzlerin Angela Merkel, den Ministerpräsidenten

Polens, Donald Tusk, den Ministerpräsidenten Tschechiens, Mirek

Topolánek, Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble, den Innenminister Polens,

Grzegorz Schetyna, Sachsens Ministerpräsidenten Georg Milbradt, außerdem den

tschechischen Innenminister Ivan Langer und den Oberbürgermeister von Zittau,

Arnd Voigt. Weitere Innenminister aus den Bundesländern waren ebenfalls anwesend.

Das Bundespolizeiorchester Berlin spielte die Europahymne, was ich als sehr bewegend

empfand. Vierzig Kinder aus Deutschland und Polen standen mit Luftballons,

die die europäischen Sterne darstellten, im Halbkreis hinter den Vertretern der europäischen

Institutionen und den Regierungschefs. Als die Europahymne endete, wurde

die Grenzschranke durch zwei Bundespolizisten und zwei polnische Grenzschützer

angehoben und geöffnet. Wir klatschten dazu Beifall. Nun gingen wir unter der erhobenen Schranke hindurch und befanden uns auf polnischer Seite in Porajów. Die Kinder

folgten uns und ließen die Luftballons aufsteigen. Welch bewegender

Moment – Luftballons mit den zwölf Sternen, die die Einheit Europas symbolisieren,

stiegen in den deutsch-polnischen Himmel. An einem Mikrofon hielten in dieser Reihenfolge

Angela Merkel, Donald Tusk, José Sócrates und ich kurze Ansprachen.

Mir ging in diesen Minuten viel durch den Kopf. Wer ein Bewusstsein für die

Geschichte und ihre Tragödien, für die Tragödien in den Beziehungen Deutschlands

zu seinen Nachbarn hat, wurde sich bewusst, was in diesen Minuten des 21. Dezembers

2007 geschah. Ich habe versucht, es in meinem kurzen Statement auszudrücken,

in dem ich den 21. Dezember 2007 als einen „glücklichen Tag für Deutschland, Polen

und die Tschechische Republik sowie für alle Länder, zwischen denen die Grenzkontrollen

abgebaut werden“ bezeichnete.

Es war in der Tat ein glücklicher Tag für die Bürgerinnen und Bürger der Europäischen

Union, weil wir jetzt „einen wichtigen und neuen Schritt zur weiteren Einigung

unseres europäischen Kontinents, für die Gemeinschaft der Völker Europas“ gingen.

Durch die Abschaffung der Grenzkontrollen wurde für Millionen von Menschen die

Freizügigkeit als ein Grundprinzip der Union zur erlebbaren Wirklichkeit. Wörtlich

fügte ich hinzu: „Dieses ist das sichtbare Zeichen der Überwindung der ehemaligen Teilungen in Europa

– die Überwindung von Grenzen im Leben und hoffentlich auch immer mehr in

den Köpfen der Menschen. Wir befinden uns hier in Zittau an einem Dreieck der Geschichte.

Hier stoßen drei Grenzen aneinander, die in Jahrhunderten einer bewegten,

oftmals von Kriegen geprägten europäischen Geschichte mehrfach verschoben und dabei

doch immer nur Menschen getrennt haben.“

Auch erinnerte ich an die Außengrenzen, die jetzt verstärkt würden. Dabei dachte ich

insbesondere an die Grenzen zu unseren östlichen Nachbarn, insbesondere an die

Grenze zur Ukraine. Ich forderte dazu auf zu verhindern, dass an diesen Außengrenzen,

hinter denen auch Europäerinnen und Europäer lebten, neue unsichtbare Mauern

entstünden. Ich schloss meinen kurzen Redebeitrag mit den Worten: „Heute ziehen wir in der Europäischen Union einen Schlussstrich unter diese Geschichte der Trennung. Heute ist dieses Dreiländereck zwischen Deutschland, Polen und der

Tschechischen Republik Symbol der Vereinigung und des offenen Austausches zwischen

den Völkern Europas. Die Abschaffung der Grenzkontrollen ist Ausdruck dafür, dass wir

in der Europäischen Union auf einzigartige Weise zusammenleben. Die Abschaffung der

Grenzkontrollen zeigt die Kraft des alten, sich erneuernden Europa. Heute können wir

sagen, wie es so schön in der „Berliner Erklärung“ vom 25. März 2007 formuliert ist: Wir

sind zu unserem Glück vereint.“

Nach dieser beeindruckenden Zeremonie begaben sich Angela Merkel, José Sócrates,

José Manuel Durão Barroso, Donald Tusk, Mirek Topolánek, Georg Milbradt, Arnd

Voigt und ich in das Dienstgebäude und trugen uns in das Goldene Buch der Stadt

Zittau ein. Danach fuhren wir mit Bussen zum polnisch-tschechischen Grenzübergang

Porajów-Hrádek nad Nisou. Dort erwartete uns eine vergleichbare Zeremonie.

Das tschechische Polizeiorchester spielte, und die Ministerpräsidenten Donald Tusk

und Mirek Topolánek zersägten eine auf der Grenzlinie aufgestellte Schranke aus

Holz. Danach gab es Statements von Mirek Topolánek, Donald Tusk und José Manuel

Durão Barroso. Nach einem „Familienfoto“ wurde die Zeremonie abgeschlossen.

Welch bedeutender Tag! In den Generationen vor uns zogen Soldaten über die

Grenzen, die Folge waren Elend, Not, Tod und Krieg. Am 1. September 1939 hatte

Hitler den Zweiten Weltkrieg mit dem Angriff auf Polen begonnen. Er sollte

Deutschland und Europa an den Abgrund führen. Jetzt, 68 Jahre später, konnten sich

Deutsche, Polen und Tschechen frei über die Grenzen bewegen. Polen und Tschechen

sind in Deutschland willkommen und umgekehrt. Technisch war das, was sich am

21. Dezember 2007 zwischen Deutschland, Polen und Tschechien ereignete, die „Erweiterung

des Schengenraums“, benannt nach dem kleinen Städtchen in Luxemburg,

wo das Abkommen von Schengen zur Herstellung der Freizügigkeit im Jahre 1985

beschlossen worden war. Aus diesem Grund war auch als Vertreter des Großherzogtums

Luxemburg, der Europa-Minister Nicolas Schmit, bei den Zeremonien anwesend.

Wann auch immer die Freizügigkeit zwischen den Ländern der Europäischen

Union gefährdet seien sollte, müssen wir diesen Bedrohungen mit aller Kraft widerstehen.

Eine Wiedererrichtung von Grenzen würde zwangsläufig dazu führen, dass auch

wieder neue Grenzen in den Köpfen der Menschen entstehen, und die Tragödien

könnten wieder von vorne beginnen. Barrieren, Mauern und Stacheldraht dürfen in

Europa nie wieder errichtet werden!

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11 de marzo de 2014
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