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Von der Kulturrevolution zur modernen Supermacht: Chinas politischer Weg in die Zukunft

de Thomas Awe
Studienfahrt nach Cadenabbia

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Zwei deutsche KAS-Referenten - David Merkle, der sich zur Zeit in Vorbereitung auf seinen Posten in Shanghai als neuer Repräsentant der Stiftung befindet und Thomas Awe, der 10 Jahre lang, von 2005 bis 2016 als KAS-Aussenstellenleiter in Shanghai und Peking arbeitete sowie Ruirui Zhou, eine chinesische Soziologin aus Wuhan/Provinz Hubei, gegenwärtig in Hamburg lehrend und dort als Kolumnistin tätig - stellten in sektoral ausgewählten, inhaltlich aufeinander abgestimmten Vorträgen und Diskussionsrunden den globalen Bedeutungszuwachs der Volksrepublik China auf unterschiedlichen Sektoren dar.

Zentrales Seminarthema war neben der Wandlung der unipolaren, westlich geprägten Hemisphäre unter einst alleiniger Vorherrschaft der USA die Beschreibung einer anderen, fremden und fernen Welt des traditionsreichen, gleichwohl häufig von radikalen und turbulenten historischen Brüchen gekennzeichneten drittgrössten Staates der Erde: China.

Dass das Reich der Mitte eine zunehmend (ge)wichtigere Rolle in der Welt einnehmen wird, steht ausser Zweifel; denn indem dieser wirtschaftliche Koloss sich nahezu schwindelerregend wandelt, ändert sich auch, so oder so, die alte bestehende Ordnung: statt Weltunordnung Weltneuordnung.

Das verunsichert Staaten, Regierungen, Wirtschaftsvertreter, Journalisten, Studenten, Arbeiter und „klein und gross“; nicht nur in China. Wie erklärt man diese historisch einzigartige Machtumschichtung eines vor kurzem noch bitterarmen Volkes, dessen megalomaner „Steuermann“ Mao Zedong sein Reich beinahe an den Rand eines Bürgerkrieges gebracht und durch seine erratischen Politikentscheidungen vermutlich 30 Millionen Tote zu verantworten hat?

Und wie denkt der chinesische Bürger über den Staat, in dem die ihn 1949 gegründete kommunistische Partei ihren fast 100 Millionen Mitgliedern eine Verjüngung und Rückkehr zu alter Macht und Herrlichkeit nicht etwa programmatisch angeboten, sondern quasi per Dekret verordnet hat? Solche und andere Fragen beschäftigten die Tagungsteilnehmer.

In diesem Kontext sollen die auf dem China-Seminar in nahezu perfektem Deutsch frei gesprochenen, insgesamt mehrstündigen Präsentationen der „Gastrednerin“ Frau Zhou besondere Erwähnung finden; denn in subtiler Offenheit und mit bemerkenswertem Mut widmete sie sich in all ihren faszinierenden Beträgen, authentisch und altersbedingt teilweise auch als Zeitzeugin, den Entwicklungsepochen ihres Heimatlandes. Frau Zhou stellte sich den interessierten Fragen der TN und - ein Highlight - berichtete im informellen Rahmen zweier abendlicher Open End - Gesprächskreise nach Beendigung der offiziellen Veranstaltungsteile, ausserhalb des notwendigerweise streng getakteten Programms, eindrucksvoll über die gesellschaftlichen und familiären Herausforderungen in China. Sehr persönlich, sehr offen und auch die weniger schönen Seiten nicht aussparend. Allen Beteiligten, Rednerin und Zuhörern, öffnete sich dadurch ein sonst gerade bei sensiblen Chinathemen eher verschlossener, intimer Frageraum, in dem die facettenreiche Lebenswirklichkeit im Reich der Mitte hinter der KP-Propaganda, den internationalen Verlautbarungen und Medienfilterblasen in China, aber auch in Deutschland ungeschminkter und ungefilterter ersichtlich wurde. Die Teilnahme einer interkulturell reflektierenden Chinesin, in beiden Welten akademisch zu Hause und weiterbildungserfahren, an einem politischen Seminar über China - gewöhnlich sprechen auf den meisten sino-deutschen Veranstaltungen entweder exklusiv Deutsche über China oder andernorts ausschliesslich Chinesen über Deutschland - kann deshalb nicht hoch genug veranschlagt werden.

Viele Einzeldarstellungen des Seminarverlaufs beschäftigten sich mit den historischen (Ursprung und Geschichte Chinas, Maoismus) und akuten (Taiwanfrage, Nordkorea, Uiguren-Problematik) Aspekten der buchstäblich ausserordentlichen Rückkehr des Reiches der Mitte auf die Weltbühne. Und dazu der Paradoxie eines lange Zeit unvorhergesehen Wiederaufstiegs der VR bei gleichzeitig schwindendem Machtverlust Amerikas als einzige Supermacht.

In dem Mass, in dem die militärische Kluft zwischen China und den Vereinigten Staaten immer enger und gleichzeitig eine weitere Entfremdung zwischen Washington und den westlichen Verbündeten immer möglicher wird, sieht Peking die Gunst der Stunde und wird - so der Eindruck jüngster Vorkommnisse um Taiwan und im Südchinesischen Meer sowie beispielsweise im Vorfeld der US-Präsidentenvereidigung 1/2025 - die Möglichkeit machtpolitisch irreversibler , gleichwohl lautloser Einflussnahme nicht vernachlässigen wollen.

David Merkle veranschaulichte in diesem Zusammenhang sehr übersichtlich die unterschiedlichen Einflusssphären der Volksrepublik im internationalen Vergleich, und berichtete auch während anderer Seminarteile als profunder, praxiserfahrener Chinakenner der Szene - er war zwischenzeitlich bei der Bank of China in Frankfurt beschäftigt - von seiner differenzierten Wahrnehmung chinesischer Entwicklungstrends in Deutschland.

China mitdenken! Dies „Mantra“ zog sich wie ein roter Faden durch das gesamte Seminar. Faktenwissen allein reicht nicht aus, um neben den ungeheuren raumzeitlichen Dimensionen des riesigen Landes, das auf 10 Millionen qkm, in die Deutschland fast 30mal hineinpassen würde, alle Topografien der Erde beherbergt und spannungsgeladene Staatsgrenzen mit 14 anderen Ländern teilt, die sich mythisch immer von Neuem selbstvergewissernde „Einmaligkeit“ Chinas zu begreifen. Und zu versuchen, die unterschiedlichen Zeitläufen stets angepasste Herrschafts-Adaption und das Prestigedenken der Pekinger Obrigkeit zu verstehen. Allein die letzte Kaiserdynastie der Qing (nebenbei: eine Fremdherrschaft der Mandschu), 1644-1912, entsprach in ihrer Dauer, übertragen auf westliche Massstäbe, der Zeit vom Westfälischen Frieden bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges.

Verstehen heisst nicht automatisch Einverständnis, bleibt aber fuer eine vergleichende Einordnung der festlandchinesischen Entwicklung und die dortigen ideologischen Selbstbehauptungsdiskurse eines sogenannten Sozialismus mit chinesischen Besonderheiten unerlässlich. Auch hier versuchte das Seminar, komprimiert und soweit in 4 Tagen überhaupt möglich, der heterogenen Teilnehmerschaft mit sehr unterschiedlichen Vorkenntnissen und Interessen nicht nur reines Faktenwissen zu vermitteln, sondern auch den skeptisch-kritischen Blick hinter die offensichtlichen Kulissen eines vordergründig höchst erfolgreichen Wirtschafts- und Gesellschaftsmodells zu schärfen.

Im subjektiven Empfinden vieler Beobachter ist China nach wie vor unvorstellbar, liegt exotisch weit weg im „Fernen“ Osten, in sich ruhend und für uns scheinbar unbeweglich, ohne dass wir darüber nachdenken, dass sich auch riesige Dinge manchmal schnell und völlig überraschend bewegen und verändern können.

Wir projizieren unsere ganz persönlichen Gefühle, Hoffnungen und auch Sorgen auf die grosse weisse Leinwand China. Widerspiegelung eigener, wechselnder Befindlichkeiten.

Immer erneut tauchte deshalb im Seminar die Frage auf, warum es so schwer ist, China „wirklich“ zu verstehen. Denn das politische System der Volksrepublik ist irreführend, wenn man es auf wenige uns geläufige Begriffe (die in der politischen KP-Rhetorik oftmals eine ganz andere Bedeutung haben) reduziert.

Die Diskreditierung des ursprünglichen Marxismus nach der historisch einzigartigen kommunistischen Konversion einer leninistisch geprägten Kaderpartei zum Kapitalismus hat ideologische Leerstellen und Widersprüche entstehen lassen, die nun durch übersteigerten National- und Traditionalismus gefüllt werden. Es ist nicht ohne Ironie, dass in einem Land, in dem der Konfuzianismus jahrzehntelang auf das Erbittertste bekämpft wurde, nun genau dieser zur ideologischen, inneren Erneuerung der Nation beitragen soll.

Doch offensichtlich hat die chinesische Führung, die sich manchmal in nur losem Verhältnis zur historischen Wahrheit befindet, damit wenig Probleme - wie überhaupt die Fähigkeit, unaufgeloeste Widersprüche unbekümmert nebeneinander stehen zu lassen, eine Eigenart chinesischer Dialektik zu sein scheint. Die Kommunistische Partei oszilliert immer stärker zwischen dem wachsenden Anspruch partikularer Interessen der Bevölkerung und einer zunehmenden kybernetischen Totalisierung des Staates und seiner Menschen.

Der früher so erfolgreiche Deal der Partei: „Wirtschaftlicher Reichtum gegen politische Botmäßigkeit“ stimmt mit der Realität nicht mehr überein.

Eine weitere, geradezu weltweite Schwierigkeit, China hinter die Kulissen eines neuen Grossmachtchauvinismus zu schauen, besteht im „schlechten Gewissen“ vieler Staaten, die heutigen aggressiven Dominanzansprueche Pekings auf die unrühmliche kolonalistische eigene Vergangenheit, nämlich des Westens, zu dem hier auch die USA und Japan gezählt werden, zurückzuführen - und so den Blick auf die gelegentlich frappierende Ähnlichkeit gegenwärtiger Machtausdehnung der Volksrepublik selbst zu verstellen. Peking beherrscht die Wiederaneignung der Vergangenheit unter gewandelten Vorzeichen für die Zukunft wie kaum eine andere Nation. Doch auch China droht die Gefahr der imperialen Überdehnung und eines neuerlichen Abstiegs; die KP weiss das, und tut alles, um es zu verhindern.

Konfuzius wird die Warnung zugeschrieben, dass der, der nicht über die ferne Zukunft nachdenkt, dies schon in naher Zukunft bereuen könnte.

Das passte auch auf die sino-deutsche KAS-Konferenz in Cadenabbia und die in 4 Tagen durch drei Vortragende aus Deutschland und China inhaltlich stets abgewandelte, aber im Kern immer identische Botschaft: dass es sich nicht nur akademisch lohnt, Chinas politischen Weg nachzuverfolgen und teleskopisch in die Zukunft, so ungewiss diese auch sein mag, zu verlängern, da wir über kurz oder lang mit heute vielfach noch unerwarteten Fragen und Problemen, im Grossen und im Kleinen, konfrontiert werden, die unsere weitgehend diffuse Meinung zum modernen China in eine klarere Haltung gegenüber einem Gesellschaftssystem anderen Typs verwandeln wird. Ein Gesellschaftssystem, das nicht wir geformt haben, das jedoch umgekehrt längst begonnen hat, die Welt nach eigener, autoritärer Fasson zu verändern. Wir haben es nur nicht rechtzeitig bemerkt. Die international lang gehegte Illusion - Wandel durch Handel, d.h. ökonomische Zugewinngemeinschaft bei ideologischer Gütertrennung - hat sich als Farce entlarvt und ausgedient. China ist vom passiven Mitspieler zum dominanten Mitgestalter globaler - und, ob wir wollen oder nicht: auch uns betreffender - Politik geworden.

Allerdings heisst China kennen nicht automatisch China können. Doch frei nach Alexander von Humboldt, der einst klagte, dass er besonders die Weltanschauung derjenigen fürchte, die die Welt nie angeschaut hätten, können wir nach dieser fachlich hervorragend konzipierten, organisatorisch effizient vorbereiteten und vor Ort durch die Referenten/Referentin und Seminarassistenz sorgsam begleiteten Seminarveranstaltung in Cadenabbia feststellen: wir haben China angeschaut; intensiv, kritisch, authentisch. Möglicherweise besteht deshalb der grösste Erfolg der Tagung im bleibenden Eindruck der Veranstalter, dass die meisten Seminarteilnehmer über viele Mosaiksteine besseren Verstehens von einem indifferenten Vor- zum informierteren Nachurteil gelangen konnten. Das wäre ein weiterer guter Schritt auf einem ohnehin unbeendbaren Weg; denn China wird uns immer beschäftigen.

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