Riikide raportid
Der amerikanische Präsident Bill Clinton war auf so ziemlich alles gefasst, als er am 16. November in der Hauptstadt Vietnams Hanoi landete. Der Krieg in Asien, den die Amerikaner "Vietnamkrieg" und die Vietnamesen "Amerikakrieg" nennen, brachte für beide Länder mehr Opfer als Sieg. Bill Clinton konnte diese historische Bürde für ein paar Momente vergessen, als er nach seiner Ankunft das Bad in der Menge suchte. Mehr noch - er konnte seinen ganzen jungenhaften Charme ausspielen, als ein kleiner Junge ihn fragte: "Hello Sir, where do you come from?" Mit einem spitzbübischen Lächeln antwortete er: "Aus Arkansas."
Außer seinem Charme hatte der amerikanische Präsident bei diesem historischen Besuch noch einen anderen Vorteil im Land seiner Gastgeber - als er sich vor acht Jahren in seiner Heimat zur Wahl stellte, war dies eher ein Fluch: Den Wehrdienst hatte er verweigert, den Dienst in Vietnam wollte er nicht antreten, dann doch lieber in Europa studieren. Die Gastgeber in Hanoi gaben ihm deshalb das Prädikat "guter Amerikaner".
Wenn man mit den Vertretern der Konrad-Adenauer-Stiftung durch das geographisch lange und schmale Land fährt, dann muss man sich krampfhaft die historisch Wahrheit, die man aus den Schulbüchern kennt, immer wieder vor Augen führen. So ähnlich, wie die Menschen jetzt mit ihren Fahrrädern und Mopeds in chaotischer Weise die Straßen bevölkern, so ähnlich mögen sie auch ausgesehen haben, als die Kriegsangst in ihren Gesichtern stand, die Männer in den grasgrünen Tropenhelmen, die Frauen in ihren spitzen Hüten. Zwölfjährige Mädchen laufen heute mit fröhlichem Lächeln durch die Straßen, nicht mehr von Napalmgranaten gejagt. Das preisgekrönte Bild, das um die Welt ging, fällt uns allen ein.
Inzwischen habe ich Vietnam vier Mal bereist, und von Anfang an hat mich der vietnamesische Pragmatismus verblüfft. Nicht nur in Ho Chi Minh City (Saigon), auch im Norden in Hanoi hat man den Krieg zwar ideologisch weiter gepflegt, den Feind von damals aber ökonomisch bedenkenlos ins Land gelassen. Während der große Führer Ho Chi Minh entgegen aller vietnamesischen Traditionen und auch entgegen seinem ausdrücklichen Letzten Willen nie beerdigt wurde, hat man sehr schnell oberflächliche Rachegelüste beerdigt. Als 1995 die USA das alte Embargo aufkündigten, war den Vietnamesen sehr schnell eine Investitionssumme in dreistelliger Millionen-Dollar-Höhe sehr willkommen.
Dass Ideologie in der Alltagswirklichkeit so gut wie gar keine Rolle spielt, kann man vielfach feststellen. Der Zerfall der Sowjetunion und des Comecon (RGW) führte keineswegs dazu, sich stärker an den - einzig verbliebenen - großen sozialistischen Bruder China anzulehnen. Im Gegenteil förderte dieser Umstand viel eher den Aufbau intensiver politischer und wirtschaftlicher Beziehungen zum kapitalistischen "Klassenfeind". Vom Riesennachbarn fürchtet man in Vietnam immer noch überrannt zu werden - wenn nicht militärisch, dann wirtschaftlich. Soviel hat man von Globalisierung schon verstanden.
Nichtsdestoweniger sind parallel dazu die Beziehungen zur Volksrepublik ständig erweitert worden: Parteidelegationen, Militärs, Wirtschaftspolitiker und Unternehmer geben sich in Hanoi und Beijing die Klinken in die Hand.
Ein solcher Drahtseilakt kann nur mit einem sehr guten Gespür für das Machbare und ohne Zwang durch Ideologie gelingen.
Bill Clintons Besuch wird gern als historisch apostrophiert, aber im Grunde war die Zeit reif für seine Reise. Der Kommunismus in Vietnam hat ein flexibles Antlitz. Der Generalsekretär der Kommunistischen Partei Le Kha Phieu und Ministerpräsident Pham Van Khai meinen es ernst, wenn sie sagen, dass ihr autoritäres System und die Vereinigten Staaten faire partnerschaftliche Beziehungen - ökonomisch und politisch-philosophisch - pflegen können. An dieser Stelle wird man sehr stark an Nikita Chruschtschow und seine These von der friedlichen Koexistenz erinnert.
Schon George Bush und erst recht der Vietnamkriegsgegner Bill Clinton wollten die Schatten der Vergangenheit überwinden. Auf der außenpolitischen Agenda der Vereinigten Staaten gibt es ja eigentlich nur noch drei ungelöste Fälle: Kuba, Korea und Vietnam.
Der glänzende Rhetoriker Bill Clinton suchte sich mit dem gewohnt sicheren Instinkt den richtigen Platz für seine Rede aus, die Vietnam National University in Hanoi. Als er vor Jahren am Brandenburger Tor redete, kramte er sein Deutsch heraus und sagte. "Alles ist möglich, Berlin ist frei."
Auch für seinen Auftritt vor den vietnamesischen Studenten hatte er sich von seinen Beratern vier vietnamesische Worte aufschreiben lassen, was er auch vor dem Auditorium ganz offen zugab: "Ich versuche das jetzt mal in Ihrer Landessprache zu sagen, wenn ich das in den Sand setze, können sie mich auslachen." Dann folgte Clinton auf vietnamesisch: "Xin chao cac ban." Der intellektuelle Gehalt dieser Worte hält sich in Grenzen, der Applaus der Studenten war dennoch riesig, der amerikanische Präsident sagte schlicht: "Hello, everybody."
Aber auch in den Teilen, die von mehr inhaltlicher Substanz geprägt waren, traf er die Stimmung der Studenten, die ihre Vorlesungen mit einem latenten Hunger nach Wandel besuchen. Er gedachte der unschuldigen Opfer, aber er wollte sich - aus guten Gründen - nicht nur mit Vergangenheitsbewältigung beschäftigen.
Er rief den jungen Vietnamesen zu: "Das Vergangene können wir nicht ändern, nur die Zukunft." Und die Zukunft im Blick, übte er indirekt Kritik. Er meinte die kommunistische Führung des Landes, ohne es zu sagen. Freie Medien, so "Bill Clinton", freie Wahlen und unabhängige Gerichtshöfe seien die Grundlage einer starken Gesellschaft. Bei der Passage "freie Wahlen" hat er weder auf Adam Riese noch auf das Einmaleins in seinem eigenen Land abgehoben.
Die Sympathie, die dem amerikanischen Präsidenten im studentischen Auditorium entgegengebracht wurde, erfuhr er auch bei der gesamten Bevölkerung des Landes.
Jeder Besuch hat wie ein Naturgesetz einen schweißtreibenden Moment für den Secret Service. Was wäre ein Führer eines mächtigen Staates, wenn er nicht einmal viele Hände schütteln könnte. Bill Clinton hatte sich die "Apricot Galery" in der Altstadt von Hanoi ausgesucht - sie liegt an einer Straße, die wie kaum eine andere von Menschen überlaufen ist, Einheimische und Touristen gleichermaßen.
Die frischgebackene Senatorin von New York - noch ein paar Tage First Lady - Hillary und Tochter Chelsea waren mit von der Partie. Der Enthusiasmus war geradezu gigantisch. Gerade das Auftreten der ganzen Familie beeindruckte die Vietnamesen, die in der Familie einen hohen Wert sehen.
Dies könnte eine Momentaufnahme sein, die rasch verfliegt, intime Kenner der vietnamesischen Politikpsychologie sind jedoch der festen Überzeugung, dass die Bevölkerung weit mehr will als die kommunistische Führung: Aussöhnung, nie wieder Selbstisolierung, asiatische Integration, weltoffene Kontakte mit Europa und den Vereinigten Staaten - letztlich sogar Liberalisierung im eigenen Land.
Es gibt keine politische Fortüne ohne Symbolik. Als die Vereinigten Staaten die Normalisierung zu China begannen, war es Henry Kissinger mit seiner Ping-Pong-Diplomatie, der Erfolg hatte. Helmut Kohl fasste sich mit Francois Mitterand an den Gräbern von Verdun an den Händen. Bill Clinton holt die Gebeine einiger amerikanischer Vietnamkrieger nach Hause zurück.
Die amerikanisch-vietnamesischen Beziehungen haben nach dem Besuch eine andere Qualität. Man hat sich die Hände geschüttelt und sich in die Augen gesehen. Dass fünfzig hochkarätige amerikanische Wirtschaftsmanager Mitglieder der Delegation waren, ist dabei kein Schaden.
Und noch einmal ein Querverweis zu China: Schon während des Vietnamkrieges, des Amerikakrieges aus vietnamesischer Sicht, hat sich Ho Chi Minh von Mao Tse-tung nicht gerne helfen lassen. Er hatte stets im Hinterkopf, dass es keinen Sinn macht, die Amerikaner aus dem Land zu vertreiben und sich die Chinesen dafür einzuhandeln. Wenn heute die vietnamesische politische Führung pragmatisch mit den Amerikanern umgeht, dann denkt sie an Ho Chi Minh. Normalität mit Washington heißt Distanz zu Peking.
Ich fahre zurück von Halong und seiner wunderschönen Bucht nach Hanoi. Auf dem Weg beeindruckt wie jeden Tag das Chaos auf den Straßen. Auf Fahrrädern und Mopeds fahren die jungen Mädchen und jungen Männer mit cremeweißen Spitzhüten und grasgrünen Tropenhelmen. Sie werden hoffentlich nie wieder Kriegsangst in ihren Gesichtern haben.
Dr. phil. Peter STAISCH, 1943 in Breslau geboren, studierte Politikwissenschaften, Zeitgeschehen und Staatsrecht und begann 1973 als Radiokorrespondent, wechselte 1978 in die regionale Fernsehredaktion des Südfunk Stuttgart und leitete ab 1979 die Redaktion Innenpolitik. 1981 übernahm er die Redaktion Außenpolitik und Weltspiegel. 1984 wurde er Chefredakteur des NDR Fernsehens in Hamburg, 1987 Amerikakorrespondent der ARD in Washington. Ab 1991 arbeitete er als Stellvertretender Direktor und Fernsehen im NDR. Von 1992 - 1994 war er Chefredakteur des Nachrichtensenders n-tv. Seit 1994 ist er freier Autor und Medienberater. In dieser Funktion war er bereits einige Male für die Konrad-Adenauer-Stiftung im Rahmen ihres Länderprogramms in Vietnam im Einsatz zur Beratung der Vietnam News Agency und von Hanoi TV.
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