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Biometrische Gesichtserkennung in der Polizeiarbeit

kohta Dr. Katja Gelinsky

Fachgespräch über technische und verfassungsrechtliche Machbarkeit

Welche Befugnisse sollte die Polizei haben? Gerade beim Thema biometrische Gesichtserkennung gehen die Meinungen auch zwei Jahre nach dem Pilotprojekt am Bahnhof Berlin Südkreuz weit auseinander.

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Zur Erinnerung: 2017/2018 erprobte die Bundespolizei dort im Auftrag des Bundesinnenministeriums Systeme biometrischer Gesichtserkennung. In den Referentenentwurf für ein neues Bundespolizeigesetz wurde daraufhin eine Regelung zum Einsatz so genannter selbsttätiger Bildaufnahme- und Bildaufzeichnungsgeräte eingefügt, dann aber wieder zurückgezogen. Auch weiterhin stellen sich technische, rechtliche und politische Fragen. In einem von der Konrad-Adenauer-Stiftung organisierten Fachgespräch leuchteten Rechtswissenschaftler und technische Experten aus, was der Gesetzgeber zu bedenken hat, wenn er der Polizei den Einsatz automatisierter Gesichtserkennung ermöglichen will.

Wie konfliktreich die Debatte sei, werde vor dem Hintergrund aktueller Ereignisse deutlich, hob Dr. Peter Fischer Bollin, Leiter der KAS-Hauptabteilung Analyse und Beratung, hervor. Fischer-Bollin verwies auf den jüngsten Fall organisierten Kindesmissbrauchs in Nordrhein-Westfalen, der verdeutliche, dass die Polizei über moderne Instrumente zur Aufklärung von Straftaten und Verhinderung weiterer Verbrechen verfügen müsse. Die entsprechenden gesetzlichen Grundlagen zu schaffen, werde jedoch nicht einfacher in Zeiten, in denen die Diskussion über rassistisch motivierte Polizeigewalt in den Vereinigten Staaten auch nach Deutschland schwappe.

Widerstand des Koalitionspartners

Der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Thorsten Frei bezeichnete es angesichts des Widerstands auch in den Reihen des Koalitionspartners als „außerordentlich schwierig“ die Debatte voranzutreiben, obwohl die Ergebnisse des Pilotprojekts „wirklich überzeugten“. Umso wichtiger sei es, das Vorhaben weiter zu verfolgen und dabei auf rechtliche Grundlagen zu achten, die den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts entsprächen.

Für die Polizei würde der Einsatz biometrischer Gesichtserkennung einen „erheblichen Mehrwert“ bedeuten, hob Leonid Scharf, technischer Projektleiter der Bundespolizei beim Pilotprojekt am Berliner Südkreuz, hervor. Dagegen sei es ein „häufiger Irrglaube“, dass bei der Gesichtserkennung jeder Bürger identifiziert werde. Es finde nur ein Abgleich mit Dateien gesuchter Straftäter statt. „Jeder, der nicht polizeilich gesucht wird, bleibt in der Öffentlichkeit anonym.“ Scharf widersprach auch Kritik, die biometrische Gesichtserkennung sei technisch noch nicht ausgereift. Die Kombination der zwei besten Systeme aus dem Pilotprojekt würde an einem Bahnhof mit 100.000 Fahrgästen am Tag, von denen alle von den Kameras erfasst würden, 0,18 Falschtreffer pro Tag produzieren; in einem Jahr wären es 66 Falschtreffer, erläuterte der Projektleiter. Unter Einsatz der neuesten Technik, die es mittlerweile gebe, verringere sich die Zahl der Falschtreffer, die von den Beamten geprüft und verworfen werden müssten, auf 36 pro Jahr.

Menschliches Erkennungsvermögen wird übertroffen

Zwiespältig war die Bewertung des Informatikprofessors Florian Gallwitz (TH Nürnberg). Ob zwei Bilder die gleiche Person zeigten, lasse sich durch die beste verfügbare Technik zur Gesichtserkennung mittlerweile genauer ermitteln als durch Profis für die Bildauswertung. „Dennoch sind die Systeme bei weitem nicht fehlerfrei und werden es auch nie sein.“ Auch seien die Erkenntnisraten aus dem Pilotprojekt nicht ohne weiteres auf den praktischen Fahndungseinsatz übertragbar. Sowohl die insgesamt hohe Genauigkeit als auch die verbleibenden Ungenauigkeiten sind aus Sicht des Informatikprofessors problematisch. Die Technik eröffne theoretisch die Möglichkeit, ein „umfassendes Überwachungssystem“ zu schaffen. Der Gesetzgeber müsse deshalb jenseits der Debatte über die polizeiliche Gesichtserkennung „dringend regeln, wie diese Technik genutzt werden darf“, mahnte Gallwitz. Er gab außerdem zu bedenken, dass in Zweifelsfällen Personenkontrollen notwendig seien, unter der Annahme, es könne sich tatsächlich um den gesuchten Schwerkriminellen handeln. Ein großer Teil dieser für die Betroffenen belastenden Kontrollen würde dann aber zu Unrecht erfolgen.

Hohe verfassungsrechtliche Hürden

Zur verfassungsrechtlichen Bewertung polizeilicher Gesichtserkennung sagte der Rechtswissenschaftler Dr. Andreas Kulick (derzeit Universität Göttingen), er beobachte einen „sicherheitsrechtlichen Trend zur Personalisierung“, dessen Kontext zu berücksichtigen sei.“ Der Einsatz biometrischer Gesichtserkennung in der Polizeiarbeit sei verfassungsrechtlich möglich, aber besonders grundrechtssensibel. Selbst Nichttreffer seien nach den strengen Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts als Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung zu bewerten, hob der Staatsrechtslehrer Prof. Dr. Klaus Ferdinand Gärditz (Universität Bonn) hervor. Daher seien hohe Anforderungen zu beachten. So seien nach der Karlsruher Rechtsprechung zur automatisierten Kennzeichenerfassung anlasslose und flächendeckende Maßnahmen unzulässig. Bei der automatisierten Gesichtserkennung, sei der Grundrechtseingriff noch intensiver als bei der Erfassung von KFZ-Kennzeichen, da das Gesicht unmittelbarer Ausdruck der eigenen Persönlichkeit sei. Die Maßnahmen im Rahmen polizeilicher Gesichtserkennung müssten auf Straftaten mit erheblichem Gewicht zielen, um verfassungsrechtlich gerechtfertigt werden zu können. Auch für den Diskriminierungsschutz sein hohe Hürden zu beachten. „Zu verhindern ist, dass in – stets unvermeidbaren Fehlererkennungen – Diskriminierungsmuster entstehen, also zum Beispiel bei asiatischen oder schwarzen Gesichtern deutlich mehr Falschtreffer auftauchen“, gab Gärditz zu bedenken.

Erprobungen auf Länderebene

Aber welche politischen Optionen gibt es, das – nicht nur verfassungsrechtlich – anspruchsvolle Vorhaben polizeilicher Gesichtserkennung zu realisieren? Der innenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, Dr. Mathias Middelberg, könnte sich „gut vorstellen, dass auf Länderebene entsprechende Pilotprojekte betrieben werden“. Der Blick richtet sich vor allem auf Sachsen. Dort ist zum 1. Januar 2020 das Polizeirecht reformiert worden. Das neue Polizeivollzugsdienstgesetz sieht zur Verhütung schwerer grenzüberschreitender Kriminalität unter anderem die Möglichkeit vor, „personenbezogene Daten durch den offenen Einsatz technischer Mittel zur Anfertigung von Bildaufzeichnungen des Verkehrs auf öffentlichen Straßen [zu]erheben . . . , um diese automatisiert mit anderen personenbezogenen Daten abzugleichen.“ Die Kameras sollen im Grenzgebiet zu Polen und zur Tschechischen Republik in einem 30-Kilometer-Korridor und an Kriminalitätsschwerpunkten zum Einsatz kommen. Middelberg betonte, „die automatisierte Gesichtserkennung in der Polizeiarbeit ist im bestimmten Rahmen verfassungsrechtlich zulässig und technisch machbar.“ Nun komme es darauf an, bei den Bürgerinnen und Bürgern Überzeugungsarbeit zu leisten. Middelberg erinnerte an die bundesweite Empörung, nachdem eine Frau 2016 in der Berliner U-Bahn eine Treppe hinuntergetreten worden war. Anhand konkreter krimineller Taten, die die Menschen bewegten, müsse man deutlich machen, so der innnenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, „wie wichtig die automatisierte Gesichtserkennung für die Verfolgung und auch für die Verhinderung von schweren Straftaten ist“.

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