In seiner Begrüßungsansprache am Abend betonte der Vorsitzende der Konrad-Adenauer-Stiftung, Prof. Dr. Norbert Lammert, die Aktualität dieser Veranstaltung, indem er zunächst an ein anderes Datum, nämlich an die Unterzeichnung der Charta von Paris am 21. November 1990 erinnerte. Auch damals habe man, so Lammert, eine Zeitenwende empfunden. In der Charta von Paris einigten sich die Teilnehmerstaaten – darunter Deutschland, die USA und die Sowjetunion – auf die Prinzipien der künftigen Zusammenarbeit. Dies schloss ein: die Achtung der Menschenrechte, die Unverletzlichkeit der Grenzen sowie das Recht der Nationen auf freie Bündniswahl. Am Ende des Jahres 2022 wissen wir, dass Putins Russland nicht bereit ist, diese Prinzipien zu achten. Vor diesem Hintergrund ginge es darum, die Erinnerung an die Gründung der EGKS als Friedensprojekt mit einem Blick auf die aktuelle Situation zu verbinden.
Die Konferenz war am Vormittag durch Frau Bärbel Bergerhoff-Wodopia, Mitglied des Vorstands der RAG-Stiftung, die die Durchführung der Konferenz an einem historisch passenden Ort, auf dem Gelände der Zeche Zollverein durch ihre Förderung mit ermöglicht hat, eröffnet worden. In ihrem Grußwort hob sie die besondere Rolle der Montanindustrie für die deutsch-französischen Beziehungen hervor. Gerade heute sei es wichtig, die Gründung der EGKS zu würdigen sowie den Geist, aus dem heraus sie entstand. Kohle und Stahl seien die verbindenden Elemente für die deutsch-französische Aussöhnung nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs gewesen. Bergerhoff-Wodopia würdigte außerdem den Deutschen Steinkohlebergbau und dessen Bedeutung als Vorreiter für technische, soziale und wirtschaftliche Errungenschaften. Für die Konrad-Adenauer-Stiftung unterstrich Dr. Michael Borchard, Leiter Wissenschaftliche Dienste/Archiv für Christlich-Demokratische Politik, die Rolle der „Gründerväter Europas“ Robert Schuman und Konrad Adenauer, die gemeinsam die Gründungsidee der Montanunion – Friede durch Vertiefung der Wirtschaftsbeziehungen – voranbrachten. Borchard verdeutlichte, dass die Form, in der die EGKS ins Leben gerufen wurde – als weltweit erste supranationale Vereinigung – im Grunde eine Revolution war und dass sich in der Grundanlage der EGKS alle Elemente befunden hätten, die später die Entwicklung der Europäischen Union geprägt hätten, von den Vorläufern von Kommission und Parlament bis hin zu den Prinzipien der Vertiefung und Erweiterung.
Der erste Teil der Fachkonferenz widmete sich der Gründung der EGKS und der wirtschafts- und energiepolitischen Dimension des europäischen Integrationsprozesses. Dr. Katja Seidel von der University of Westminster schilderte den Lebensweg Robert Schumans. Auch wenn Jean Monnet der eigentliche Vater des Schuman-Plans war, habe Schuman das politische Risiko auf sich genommen und den Plan auf der französischen Seite durchgesetzt. Von großer Bedeutung dafür, dass dies gelang, seien transnationale christlich-demokratische Netzwerke gewesen. Prof. Dr. Jürgen Elvert, Universität zu Köln, unterstrich, dass die Bereitschaft aller Beteiligten zum Kompromiss und der Verzicht auf Maximalforderungen dazu geführt hatten, dass der EGKS-Vertrag 1951 unterzeichnet werden konnte. Über die Finalität des europäischen Integrationsprozesses, der damals begründet wurde, bestehe allerdings nach wie vor kein Konsens, dies sei ein großes Problem auch in der Kommunikation gegenüber den Bürgern Europas. So schwierig diese Diskussion sei, so schwer sei ein Schiff steuerbar, dass seinen Kurs nicht kenne. Prof. Dr. Franz-Josef Wodopia von der Technischen Hochschule Georg Agricola Bochum berichtete anschließend „aus der Sicht eines Zeitzeugen“ über die Rolle des Beratenden Ausschusses in der Geschichte der EGKS. Durch die Kooperation der Sozialpartner im Beratenden Ausschuss sei es gelungen, so Wodopias These, die wirtschaftlichen und sozialen Probleme der Nachkriegszeit zu überwinden. Prof. Dr. Charles Barthel vom Nationalarchiv Luxemburg beschrieb die Bedeutung der EGKS für das industriell geprägte Großherzogtum Luxemburg in den 1950er Jahren – ein in Deutschland eher unbekannter Aspekt der Geschichte der europäischen Integration.
Im zweiten Panel ging es um die Entwicklung der Kohleregionen Nordrhein-Westfalen und Saarland in der frühen Bundesrepublik. Der Vortrag von Prof. Dr. Rainer Hudemann, Universität des Saarlandes, wurde in Abwesenheit Hudemanns vorgelesen. Im Mittelpunkt stand die These, dass die Wirtschafts- und Währungsunion mit Frankreich dem Saargebiet nach dem Zweiten Weltkrieg erhebliche Vorteile einbrachte, das habe sich besonders auch im Montanbereich gezeigt, wo hohe Leistungen für Familien eingeführt wurden. Zum Kern der französischen Politik habe eine zunehmende Europa-Orientierung gehört, dies traf sich mit den Plänen Schumans. Über Konrad Adenauer, Ludwig Erhard und das Management der Ruhrkohlenkrise 1958–1963 sprach anschließend Dr. Holger Löttel von der Stiftung Bundeskanzler-Adenauer-Haus in Rhöndorf. Ab Mitte der 1950er Jahre hätten Adenauer und Erhard die Weichen für die Liberalisierung des Energiemarktes in der Bundesrepublik gestellt. Öl erwies sich nach und nach als kostengünstige Alternative zur Kohle und erschien überdies als der „sauberere“ Energieträger. In der Kohlekrise ab 1958 zeigten sich jedoch die grundsätzlichen politischen Differenzen zwischen Adenauer und Erhard. Während für den Kanzler, der schon seit den frühen Jahren seiner politischen Karriere einen Bezug zum Kohlebergbau gehabt habe, Kohlepolitik zugleich Standort- und Industriepolitik war, ging es Erhard eher um die Durchsetzung ordnungspolitischer Prinzipien, d.h. er wollte den Energiesektor vor allem marktkonform gestalten. Auch Dr. Jürgen Peter Schmied vom Haus der Geschichte Nordrhein-Westfalens in Düsseldorf sprach in seinem Vortrag über die Bedeutung der Montanindustrie und die Kohlepolitik der NRW-Regierungen von Karl Arnold bis Franz Meyers vom „Trend zum billigen Erdöl“ ab Ende der 1950er Jahre. In beiden Vorträgen wurde deutlich, dass wirtschaftliche Faktoren stets Reaktionen der Politik nach sich zogen – dass die politischen Gestaltungsmöglichkeiten mit anderen Worten stark von den Geschehnissen auf dem Weltmarkt bestimmt wurden.
Nach dem Blick auf die Anfangsjahre der Europäischen Integration ging es in der Fachkonferenz um die Bedeutung der Energiepolitik in der jüngeren Geschichte der deutsch-französischen Beziehungen. PD Dr. Henning Türk vom ZZF Potsdam sprach über die bundesdeutsche Energiepolitik im Wandel von der Bonner zur Berliner Republik. Der Ölpreisschock 1973 war, so Türk, der Auslöser dafür, dass in der Bundesrepublik zum ersten Mal der Versuch unternommen wurde, eine kohärente Energiepolitik zu betreiben. Zuvor hätte sich Energiepolitik in einer Reihe von einzelnen Maßnahmen für die unterschiedlichen Energieträger erschöpft. Ab Mitte der 1970er Jahre rückte dann das Thema Energiesparen auf die Agenda und seit den 1980er Jahren gerieten immer stärker die ökologischen Folgen der Energiepolitik in den Blick. Dies führte im letzten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts zu einer zunehmenden Bevorzugung von Erdgas und man sah in der Bundesrepublik vor allem die russische Erdgasförderung als großes Potential – mit den bekannten Folgen. Prof. Dr. Hans Stark von der Sorbonne Université in Paris widmete sich im Anschluss dem Thema der Nutzung der zivilen Atomenergie in Deutschland und Frankreich, wobei er vor allem die Gegensätze betonte. Deutlich wurde dabei, dass die französische Energiepolitik seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs stets von dem Bestreben nach größtmöglicher nationaler Autonomie gekennzeichnet war, hier zeigen sich auch strukturelle Gemeinsamkeiten mit der französischen Sicherheitspolitik. Aufgrund der Angst vor einer atomaren Auseinandersetzung der Supermächte sei die Nutzung der Kernkraft in der Bundesrepublik dagegen von Anfang an mit starken Ängsten verbunden gewesen. Deutschlands Ansehen in der Welt habe in den letzten Jahren gelitten, so Stark in der anschließenden Diskussion, und dies nicht zuletzt aufgrund der politischen Naivität gegenüber Russland. In der aktuellen Situation und in den kommenden Jahren liege eine Unterstützung der Ukraine aber auch der Moldau im unmittelbaren geopolitischen Interesse der (West-)Europäer. Dies betreffe auch die Energieversorgung, die zurzeit systematisch von Russland zerstört wird. Auch vor diesem Hintergrund sei der deutsche Atomausstieg ein Fehler.
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