Elke Schlegel lud uns ein, in ihre Erfahrungen einzutauchen. Neben den 27 Jahren, die sie in der DDR verbrachte, schilderte sie, wie es ihr nach der Ausreise erging. 1958 in Jena geboren, verließ Schlegel 1985 als haftunfähige Insassin des Frauenzuchthauses Hoheneck (Stollberg) ─ freigekauft von der BRD ─ die DDR. Um auf die Ausstellung Bezug zu nehmen, begann Schlegel in ihrer Kindheit.
Von Kindheit an kamen Pakete von Familienmitgliedern aus der BRD. Nicht aber die Geschenke, sondern die Werbetüten westlicher Marken, zum Beispiel mit Pferden und Cowboys seien der Inbegriff der Freiheit für Elke Schlegel gewesen. In der Schule waren weder die Geschenke noch die Tüten gerne gesehen. Wiederholt fiel Schlegel negativ auf und wurde beim Appell getadelt. So zeugte bereits das Zeugnis der fünften Klasse davon, dass der gefestigte politische Standpunkt bei Elke Schlegel nicht vorhanden sei. Sozialistisch gelenkt wurde ihr der Traum Innenarchitektin zu werden nach dem Schulabschluss verwehrt. Sie lernte Hotelfachfrau. Schlegel selbst sagt, sie habe immer einen Freiheitswunsch verspürt und wollte die Welt sehen. Spätestens mit dem Mauerbau 1961 endete ihre Welt dann an den Grenzen der sozialistischen Nachbarstaaten.
In das Bild der DDR habe sie nie gepasst. Wiederholt machte sich ein Gefühl der Frustration breit, aufgrund der Steine, die ihr in dem politischen System in den Weg gelegt wurden. 1983 entschied sich Schlegel, mit ihrem Partner einen Ausreiseantrag zu stellen. Daraufhin bekam sie den PM12, einen Ersatzausweis, ausgestellt. Dieser machte kenntlich, dass die Person entweder asozial oder kriminell sei. Sie wurde bei der Arbeit degradiert, Eheschließung (die Schlegel zur Sicherheit des 1981 unehelich geborenen Kindes vollziehen wollte) oder Wohnungssuche waren unmöglich. Um die Bewilligung des Ausreiseantrages zu beschleunigen, demonstrierte Elke Schlegel in dieser Zeit regelmäßige in dem Regimegegnerring „Weißer Kreis“. Demonstrieren meinte in diesem Fall, still im Kreis zu stehen mit einer Kerze oder einem weißen Band und sich an den Händen zu halten. Infolgedessen wurde sie wiederholt von der Polizei abgeführt. Als sie am 10.12.83, dem Tag der Menschenrechte, erneut demonstrierte, war ihr Bruder Teil der eingesetzten Bereitschaftspolizei. In dem Bewusstsein, dass der Schießbefehl erteilt wurde, schildert Schlegel: „Wenn Bruder und Schwester sich gegenüberstehen, weiß man nicht, was man machen soll“. Heute weiß sie, dass ihr Bruder, der sie an diesem Tag auch verhaftete, Teil der Staatssicherheit war. Nach dieser Begegnung wurde ihr achter Antrag auf Ausreise genehmigt.
Am 28.03.84 wurde Elke Schlegel mit der Begründung der „Klärung eines Sachverhaltes“ verhaftet. Auf die Bitte nach einem Anwalt hin wurde sie ausgelacht, sie habe zu viel Westfernsehen geguckt. In Untersuchungshaft litt Schlegel unter Todesangst, da sie die Ähnlichkeit der Duschen zu den Gaskammern in Buchenwald, einem KZ während der NS-Zeit, wahrnahm. Die tagtägliche Sorge um ihr Kind bewegte Schlegel dann zu einem fünftägigen Hungerstreik. Margot Honecker konnte Kinder von politischen Gefangenen zur Adoption freigeben. Im Falle Schlegels war dies nicht passiert, informierte man sie, als sie noch 37 Kilogramm wog. Letztlich kam Elke Schlegel vor Gericht und wurde zu 18 Monaten Zuchthaus verurteilt. Ihr genehmigter Antrag war zurückgezogen worden, die DDR wollte sie als Häftling an die BRD verkaufen. Die BRD hatte der DDR kurz vorher einen Kredit bewilligt mit der Bedingung, für dieses Geld politische Häftlinge freizukaufen. Für ein lukratives Geschäft habe es an Insassen gefehlt und so wurde Elke Schlegel aufgrund eines Telefongespräches mit der Verwandtschaft im Westen verurteilt.
In dem Frauenzuchthaus Hoheneck angekommen, teilte man Schlegel einem Arbeitskommando zu. Schlegel habe dort gemerkt, dass sie nicht freikommen würde, auch wenn sie keine Schuld traf. Sie sei an diesem Tag in der Hölle angekommen. Täglich sollten innerhalb von acht Stunden 2400 Strumpfhosen pro Frau in Schlegels Arbeitskommando angefertigt werden. Diese Strumpfhosen wurden im Westen verkauft, die DDR machte Gewinne in Milliardenhöhe. Schlegel berichtet, dass sie diese Norm aus gesundheitlichen Gründen nicht habe schaffen können, dies aber auch nicht wollte. In ihrem Verwahrraum saßen 42 Frauen ein, nur fünf aus politischen Gründen. Die Leitung in ihrer Zelle wurde von einer Kindergärtnerin übernommen, die ein Kind totgeschlagen hatte. Später gab es eine Bettennachbarin, die ihren Mann zerhackt hatte. Um keinen Schaden zu nehmen, würde man zur Mitläuferin mutieren, so Elke Schlegel, die sich vorher nie dem System gebeugt hatte. Man lebe in ständiger Angst, so Schlegel. Lehnte man sich gegen die Wärterinnen auf oder machte Fehler, drohte als Strafe im schlimmsten Fall eine Wasserzelle. Schlegel musste in diese Zelle, weil sie mit den weiteren vier politischen Gefangenen „Nur die Gedanken sind frei“ bei einer Essensausgabe summte und sich nicht hinsetzte. In der Zelle drohte Gewalt durch Mitgefangene; als politischer Häftling war man von allen Seiten verhasst.
Als Elke Schlegel dann eines Tages nach einer Blutabnahme (die ebenfalls in die BRD verkauft werden konnte) kollabierte, durfte sie auf Transport gehen, weil Sorge bestand, sie würde verhungern. So stehe es in ihrer Stasiakte. Wäre Sie gestorben, hätte sie nicht mehr für 80.000 Mark an die BRD verkauft werden können, wie es dann 1985 geschah. Über das letzte Jahr zu sprechen, wurde Elke Schlegel untersagt. „Nur weil die Ampel grün ist, heißt das nicht, dass man lebendig ´rüber kommt“, ließen Stasimänner verlauten, bevor sie an der Grenze ausstiegen. Nach der ersten Rast hinter der Grenze fühlte Schlegel sich endlich sicher, wenn auch einsam. Etwas später konnte dann auch ihr Partner freigekauft werden und das gemeinsame Kind durfte ausreisen.
Mit dem Mauerfall 1989 waren Freude und Angst verbunden. Freude, da nun alle Menschen in Freiheit lebten, Angst, weil dies auch die Menschen beinhaltete, die Elke Schlegel misshandelt und verletzt hatten. In den 2000er Jahren kristallisierte sich bei einer Fahrgemeinschaft heraus, dass die Fahrerin Aufseherin in Hoheneck war. Vor Angst und Schock sprang Schlegel damals aus dem Auto heraus und begab sich in Therapie. Als sie 2013 das erste Mal nach Hoheneck zurückkehrte, brach sie an der Wasserzelle zusammen. Bis heute müsse sie mit Verfolgungswahn leben und erklärte „Wenn ich an einem Regal mit Harzer Käse und Marmelade vorbeigehe, wird mir schlecht, ich ziehe keine Strumpfhosen an. Ich werde getriggert.“ Auch bei Ampeln sei sie noch heute besonders vorsichtig.
Die Veranstaltungen klangen jeweils mit einem Kurzfilm aus, in dem zwei weitere Frauen ihre persönlichen Erlebnisse in Hoheneck schilderten. Zum Ende konnten die Schülerinnen und Schüler noch Fragen stellen. Diese Möglichkeit wurde genutzt, um mehr über die familiären Verhältnisse von Elke Schlegel während ihrer Zeit in der DDR, aber besonders danach zu erfahren. Die Haft hätte Elke Schlegel nur durchstehen können, weil sie ihr Kind wiedersehen wollte. Zum Bruder hat sie heute keinen Kontakt mehr. Sie betonte wie systematisch Familien in der DDR gesprengt wurden. Auch über ihre Stasiakte berichtete Schlegel, 1200 Seiten kamen in nur vier Jahren zusammen. Die Frage, die sich Schlegel bis heute nicht erklären kann, ist, wie in so wenig Zeit so viel Inhalt zusammengetragen werden konnte und von welchen Personen diese Informationen geteilt wurden. Zurück bleiben bewegende und eindringliche Bilder.
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