Koalitionsverhandlungen und Regierungsbildung
Nachdem GERB-SDS die letzte Parlamentswahl vom 27. Oktober 2024 mit fast 25 % und 69 Parlamentssitzen gewonnen hatte, aber entfernt von der absoluten Mehrheit von 121 Sitzen war, führte sie zunächst Koalitionsverhandlungen mit dem bürgerlichen Bündnis „Demokratisches Bulgarien“ (DB), zu denen später die „Bulgarische Sozialistische Partei - Vereinte Linke“ (BSP-OL) und die Partei „Es gibt so ein Volk“ (ITN) stießen.
Am 5. Januar 2025 brach GERB über eine Pressemitteilung die Gespräche mit DB wegen, wie es hieß, Meinungsverschiedenheiten über die personelle Zusammensetzung der Regierung und die Person des Ministerpräsidenten ab. Man werde die Verhandlungen lediglich mit der BSP-OL und ITN fortsetzen.
Nach dem Ausscheiden von DB als potenziellem Teilnehmer an einer künftigen Regierung hatten die verbleibenden Parteien keine Mehrheit mehr im Parlament, sodass die „Allianz für Rechte und Freiheiten“ (APS) zu den Gesprächen hinzugezogen wurde. Am 14. Januar 2025 erklärte sich die APS bereit, dem Koalitionsabkommen beizutreten und ein Kabinett aus GERB-SDS, der BSP-OL und ITN unter dem Ministerpräsidenten Rossen Scheljaskow (GERB) mitzutragen. Das Kabinett wurde daraufhin am 16. Januar 2025 mit 125 von 240 Stimmen vom Parlament gewählt.
Die Regierung besteht aus 19 Ministern, unter ihnen drei Vize-Ministerpräsidenten von GERB-SDS, der BSP-OL und ITN. GERB-SDS leitet elf Ressorts, die BSP-OL und ITN jeweils vier. Die APS entsendet keine Minister in die Regierung.
In der Opposition befinden sich die liberal-bürgerliche Koalition „Wir setzen den Wandel fort - Demokratisches Bulgarien“ (PP-DB), die nationalistische und russlandfreundliche „Wasraschdane“ (Wiedergeburt), die „Bewegung für Rechte und Freiheiten – Neuanfang“ (DPS-NN) und die populistisch-nationalistische Partei „Moral, Einheit, Ehre“ (METSCH).
Ministerpräsident Rossen Scheljaskow (56) ist Jurist und seit 2009 in verschiedenen politischen Positionen tätig. In den Jahren 2023/24 war er Parlamentspräsident.
In seiner Ansprache dankte der Ministerpräsident nach seiner Wahl dem langjährigen Vorsitzenden von GERB, Bojko Borissow, für seine „staatsmännische Weisheit und politische Weitsicht“, die er bei der Anbahnung und Bildung der Regierung an den Tag gelegt habe und unterstrich, man werde innerhalb eines Monats ein Regierungsprogramm ausarbeiten. Die Regierung werde die Lebensqualität der Menschen in den Vordergrund stellen und sich dabei insbesondere auf die Bereiche Bildung, Gesundheitswesen und die Entwicklung des Arbeitsmarktes konzentrieren. Als wichtige Aufgaben nannte er zudem unter anderem den erfolgreichen Beitritt Bulgariens zur Eurozone sowie die Gewährleistung der Rechtsstaatlichkeit.
Analyse und Ausblick
GERB-SDS ist es gelungen, ein Kabinett aus zumindest formell programmatisch schwer vereinbaren Parteien zu bilden, von denen die meisten in der Vergangenheit nachdrücklich betont haben, niemals zusammenarbeiten zu wollen, sodass sich die Stabilität dieser Konstruktion erst noch bewähren muss. Die „Bulgarische Sozialistische Partei“ ist die Nachfolgerin der alten kommunistischen Partei, führt aber nur noch ein Schattendasein im Vergleich zu den 1990er Jahren, als sie noch groß und mächtig war. Sie hat traditionell Sympathien für Russland und ist in der Vergangenheit nicht unbedingt durch Reformeifer aufgefallen. Zudem hat sie zumindest rhetorisch Bedenken gegen die bulgarische Unterstützung für die Ukraine. Bei ITN ist bereits der exotische Name „Es gibt so ein Volk“ bezeichnend für ihren unkonventionellen und populistischen Politikstil. Die „Allianz für Rechte und Freiheiten“ (APS) wiederum ist ein Flügel der „Bewegung für Rechte und Freiheiten“ (DPS), die vorwiegend die türkische Minderheit vertritt und sich im Sommer 2024 gespalten hat. Sie hat außerhalb der türkischen Wählerschaft in der Gesamtbevölkerung ein schlechtes Image, weil ihre Regierungsbeteiligung in der Vergangenheit mit Korruptionspraktiken in Zusammenhang gebracht wird, die allerdings niemals gerichtsfest bewiesen worden sind.
Die politische Dauerkrise erfordert ungewöhnliche Lösungen und Kompromisse, da sich herausgestellt hat, dass die vielen aufeinanderfolgenden Neuwahlen keine wirklich bedeutenden Verschiebungen im Kräfteverhältnis zwischen den Parteien nach sich ziehen. Die bulgarische Öffentlichkeit, in der sich in den letzten Jahren eine starke Politikverdrossenheit geltend gemacht hat, die ihren Ausdruck in einer niedrigen Wahlbeteiligung findet, dürfte erst einmal aufatmen, dass sie nicht wieder an die Wahlurnen gerufen wird.
Nachdem Bulgarien in den letzten Jahren überwiegend von präsidialen Übergangskabinetten regiert wurde, hat es nun wieder eine parlamentarische Regierung, die wichtige Vorhaben voranbringen und auch die erforderlichen Schritte unter anderem für das Abrufen der Mittel aus der europäischen Aufbau- und Resilienzfazilität, die wegen fehlender Gesetzgebung teilweise auf Eis liegen, unternehmen kann. Vor allem könnte es damit gelungen sein, den Teufelskreis aus ständigen Neuwahlen in Bulgarien zu durchbrechen. Insofern ist das Kabinett bei allen Bedenken und Kritikpunkten, die man haben kann, als möglicher Ausweg aus der politischen Sackgasse letztlich zu begrüßen.
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Auslandsbüro Bulgarien
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