Strategie oder Chaos?
Das außenpolitische Vorgehen Präsident Trumps lässt viele Beobachter ratlos zurück, die versuchen, eine Strategie zu erkennen. Geht es ihm nur um „Deals“? Eine Neupositionierung der USA in der Welt? Die Überwindung der Nachkriegsordnung? Ein Erklärungsmuster ist die „Madman-Theorie“: Gegner und Partner werden im Unklaren gelassen, wie der US-Präsident auf welche Herausforderung reagieren wird, welche Entscheidungen oder Maximalforderungen er in den Raum stellt. Selbst extreme Reaktionen bleiben dabei auf dem Verhandlungstisch und Unvorhersehbarkeit wird zum politischen Verhandlungsmittel und -stil gleichermaßen.
Dieses Muster zeigt sich in den Verhandlungen über die Beendigung des Ukraine-Konflikts. Empfänger ist allerdings nicht der Aggressor Russland, sondern die Ukraine. Am vergangenen Freitag ließen Trump und sein Vizepräsident Vance ihre Verhandlungen mit dem ukrainischen Präsidenten platzen, nachdem sich dieser im Oval Office vermeintlich nicht dankbar genug gezeigt hatte für die amerikanische Hilfe im Krieg. Die Folge war eine Pause in der militärischen und geheimdienstlichen Unterstützung durch die USA.
Ukrainische Bemühungen, die Gespräche wieder in Gang zu bekommen, führten zu einem Lob des US-Präsidenten: In seiner Rede vor dem Kongress sagte er, er sei dankbar für einen Brief Selenskyjs, in dem es heißt, die Ukraine sei bereit, unter Trumps starker Führung an einer Friedenslösung zu arbeiten. Außerdem habe sich die Ukraine bereit gezeigt, ein Abkommen über den Abbau seltener Erden zu unterzeichnen. Es sei an der Zeit, das Töten und diesen „sinnlosen Krieg“ zu beenden. Wenn man Kriege beenden wolle, müsse man mit beiden Seiten sprechen, so Trump. Trumps Sicherheitsberater Waltz hatte am Mittwoch in Washington dazu erklärt, man werde wohl „sehr bald“ zu einem Abschluss mit der Ukraine kommen, womit der Wiederaufnahme auch geheimdienstlicher Zusammenarbeit nichts mehr im Wege stehe.
Bislang nähert sich der US-Präsident öffentlich allerdings vor allem russischen Positionen an, während langjährige Verbündete wie die Ukraine und die NATO-Staaten im Unklaren gelassen werden, wie das amerikanische Engagement in Zukunft aussehen soll. Ein langjähriger Berater Trumps aus dem Nationalen Sicherheitsrat äußerte Verständnis dafür, dass die Ukraine und die Europäer verunsichert darüber seien, wie Washington Putin im Kontext dieser Verhandlungen „umgarne“. Um dies zu verstehen, müsse man Trumps Blick auf China mit einpreisen: Sollte es gelingen, durch welche Manöver auch immer, Moskau wieder stärker an die USA zu binden, erhoffe man sich dadurch eine Schwächung Chinas, das aus Trumps Sicht der Hauptgegner der USA ist.
In jedem Falle haben die turbulenten Geschehnisse der vergangenen Tage Zweifel und Verunsicherung gleichermaßen verstärkt.
Reaktionen auf den Streit im Oval Office
Hoffnungsfroh gab sich John Herbst vom Atlantic Council, US-Botschafter in der Ukraine unter Präsident Bush. In seiner Rede vor dem Kongress – wenige Tage nach dem Streit im Oval Office – habe Trump Signale gegeben, das Sparring mit Selenskyj könne zum Ende kommen. So habe Trump gesagt, der gescheiterte Abzug aus Afghanistan habe den russischen Präsidenten Putin motiviert, die Ukraine anzugreifen: „Dies war eine indirekte Art und Weise zu sagen, dass Putin für den Beginn des Krieges gegen die Ukraine und für Russlands massive Eskalation im Februar 2022 verantwortlich war - eine willkommene Verbesserung gegenüber seiner seltsamen Anschuldigung Anfang des Monats, dass Selenskyj irgendwie für diesen Krieg verantwortlich sei.“
So positive Aussichten gab es in den Tagen zuvor kaum. Der konservative Kommentator Marc Thiesen gab in der Washington Post dem ukrainischen Präsidenten die Schuld an der Eskalation. Dessen „Dickköpfigkeit“ habe der Ukraine massiv geschadet: „Warum um alles in der Welt hatte sich Selenskyj dafür entschieden, Trumps Aussagen vor der ganzen Welt zu überprüfen, anstatt hinter verschlossenen Türen über die Weisheit eines Waffenstillstands zu diskutieren?“ Im Moment scheine Selenskyj nicht in der Lage zu sein, die Beziehungen seines Landes zu Trump zu managen. Trump könne großmütig sein und habe den Weg zur Versöhnung klar gemacht: „Wenn Selenskyj sich entschuldigt, wird Trump ihn zur Unterzeichnung des Mineralienpakts ins Weiße Haus einladen und alles ist vergeben.“
In der New York Times kritisierte der konservative Analyst David French dagegen das Verhalten des amerikanischen Präsidenten: „Präsident Trump richtet für Amerika einen Schaden an, dessen Behebung eine Generation oder länger dauern könnte. Die nächste Wahl kann nicht reparieren, was Trump kaputt macht. Und die übernächste auch nicht.“ Trump haben den wichtigsten strategischen Partnern eine Lektion erteilt, die sie nicht so schnell vergessen werden: Amerika könne und werde die Seiten wechseln. „Es ist außerordentlich schwierig - wenn nicht gar unmöglich -, unter diesen Umständen eine nachhaltige Verteidigungsstrategie zu entwickeln. Es ist unmöglich, eine nachhaltige Handelspolitik zu betreiben. Und es ist unmöglich, irgendeine Form von nachhaltiger Diplomatie zu betreiben.“
Laut Frederick Kempe, Präsident des Atlantic Councils, sehen sich Selenskyj und Europa den ersten Konturen der Trump-Weltordnung gegenüber. Gleichzeitig schrieb er, er sei noch nicht bereit, sich in die Parade der Experten einzureihen, die den Untergang der Ukraine, das Ende des transatlantischen Bündnisses oder den Beginn eines amerikanischen „starken Mannes“ verkündeten. Er sei nicht bereit zu akzeptieren, dass die Vereinigten Staaten die Ukraine in ihrem existenziellen Kampf im Stich lassen: „Bei einer freien Ukraine ging es immer um mehr als die Ukraine, so wie es bei einem freien West-Berlin während des Kalten Krieges immer um mehr als Deutschland ging.“ Wenn die Ukraine scheitere, sei alles, was die Vereinigten Staaten im Zweiten Weltkrieg und im Kalten Krieg erreicht haben, um eine freiere, wohlhabendere, sicherere und demokratischere Welt zu schaffen, in Frage gestellt. Trump liebe es, Kritiker, die ihn unterschätzten, zu verwirren: „Bleibt zu hoffen, dass der ,ahistorische‘ Präsident den historischen Moment ergreift.“
Kori Schake vom American Enterprise Institute schrieb: „Es war ein verheerender Tag für die Vereinigten Staaten von Amerika. Ein beschämender Tag. Ein Tag, der das Vertrauen von Amerikas Freunden erschüttert und unseren Feinden hilft.“ Die Ukraine werde ohne die USA einen anderen Krieg führen müssen. Es werde mehr Zerstörung und mehr zivile Opfer geben. Aber die Ukraine habe sich als unglaublich widerstandsfähig und erfinderisch erwiesen, als sie Russland fast bis zum Stillstand bekämpft habe. Man solle nicht daran zweifeln, dass sie Wege finden werde, die vielen Schwachstellen Russlands auszunutzen. „Es wird zu Amerikas bleibender Schande sein, dass wir dabei nicht helfen werden.“
Der Nobelpreisträger Paul Krugman schrieb in seinem Newsletter, es sei jetzt an den Europäern, die Ukraine zu retten. Europa habe die Kapazitäten dafür: „Die Europäische Union und das Vereinigte Königreich haben zusammen das Zehnfache des russischen BIP. Die europäische Hilfe für die Ukraine übersteigt seit langem die Hilfe der USA, und Europa könnte den amerikanischen Anteil leicht ersetzen.“ In der Anfangsphase des Krieges leisteten die USA den größten Teil der Militärhilfe, aber selbst dieser Abstand habe sich stark verringert. Es komme auf den politischen Willen an: „Europa sollte keine Angst vor Donald Trump haben. Wenn es die Demokratie in der Ukraine retten will, kann es das.“
Langfristige Folgen für Europa und die Ukraine
Trumps früherer Sicherheitsberater John Bolton appellierte im Wall Street Journal an Mitarbeiter und Parteifreunde des Präsidenten, seine Aufmerksamkeit auf andere Ziele als die NATO zu lenken. Der Trump-Vance-Selenskyj-Crash habe gezeigt, dass die NATO auf „wackeligen Füßen“ stehe. Es könne unter den Trump-Beratern noch genügend Anhänger der Allianz geben, die den Kurs ändern könnten. Eine Möglichkeit: „Die Befürworter des Bündnisses sollten Trump davon überzeugen, sich auf seine wohlbekannte Verachtung für die Europäische Union zu konzentrieren und damit die Angriffe auf die NATO zu mildern.“ Trumps Abneigung gegen die EU spiegele europäische Schwäche und unzureichende Verteidigungsausgaben wider, ebenso wie seine Kritik an Handelsbedingungen, die von früheren US-Regierungen ausgehandelt worden seien.
„Trump und Vance räumen mit außenpolitischen Illusionen auf“ schrieb der Kolumnist Ross Douthat in der New York Times. Er identifizierte drei „Täuschungen“: Dass die USA in der Lage seien, sich weiterhin als Hegemon weltweit zu engagieren, dass die europäischen Alliierten starke und gleichberechtigte Partner seien und dass die Ukraine mit genügend Unterstützung Russland zurückwerfen und NATO-Mitglied werden könne. „Es ist sinnvoll, offener über unbequeme Realitäten zu sprechen“, so Douthat. Die Welt sei nicht mehr, wie sie in den Jahren 2000 oder 2012 war. Ein Waffenstillstand, den die Trump-Regierung mit Russland aushandeln könne, werde sich möglicherweise gar nicht so sehr von einem Ergebnis unterscheiden, das sich unter einem demokratischen Präsidenten entwickelt hätte.
„Kann die Ukraine-Krise Europa weniger abhängig von den Vereinigten Staaten machen?“ fragt William Drozdiak vom Wilson Center. Seine Beobachtung: „Die Uneinigkeit unter den europäischen Staats- und Regierungschefs hat gezeigt, dass sie immer noch nicht bereit sind, ihre wiederholten Versprechen zu erfüllen, die Verantwortung für die Sicherheit ihres Kontinents zu übernehmen.“ Jede größere europäische Verteidigungsanstrengung werde Hunderte von Milliarden Euro an neuen Investitionen erfordern. Das könne unpopuläre Entscheidungen zur Kürzung der Sozialausgaben nach sich ziehen. Nichtsdestotrotz weckt das wachsende Gefühl, dass sich die Trump-Regierung zurückziehen wird, bei vielen Regierungen das Bewusstsein, dass sie ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen müssen. Der französische Präsident Macron setze sich seit langem für eine größere strategische Autonomie Europas ein und sei optimistisch, in Friedrich Merz einen neuen Partner gefunden zu haben. Eine Lösung könne sein, dass Europa die erforderlichen Opfer bringe, um der strategische Partner zu werden, den Amerika in Zukunft brauchen werde.
Mike Watson vom Hudson Institute analysiert, Europas „Freifahrt“ gehe zu Ende. „Die Tragödie besteht darin, dass die Aktionen des Trump-Teams den verantwortungsbewusstesten Europäern am meisten schaden könnten.“ Die Mittel- und Osteuropäer seien viel näher an Russland dran, so dass ihr Sicherheitsumfeld nie auch nur annähernd so gemütlich gewesen sei. Der große Nachzügler sei „wie immer“ Deutschland. Der voraussichtliche Bundeskanzler Friedrich Merz sei sich der Notwendigkeit bewusst. Aber er könne keine Regierung ohne Partner bilden, und keiner seiner Partner werde wahrscheinlich in Verteidigungsfragen eine große Hilfe sein. „Die Ironie des europäischen Dilemmas besteht darin, dass das Trump-Team eher bereit sein wird, zur Verteidigung Europas beizutragen, wenn Europa verantwortungsbewusst handelt. Aber um das zu tun, müssen sie schnell entscheiden, welche anderen Ziele sie aufgeben wollen“, so Watson.
Steven Karl Pifer, US-Botschafter in der Ukraine unter Präsident Clinton, fordert im Bulletin of the Atomic Scientists Europäer und Ukrainer auf, über einen Plan B nachzudenken: „Die europäischen Länder verfügen über die finanziellen Mittel und den entsprechenden politischen Willen, brauchen aber Zeit, um ihre militärischen Fähigkeiten auszubauen. Kiew verfügt über eine große, kampferprobte Armee, die seit drei Jahren nicht nur das eigene Land, sondern ganz Europa gegen Putins neoimperialistische Aggression verteidigt.“ Die Europäer sollten darum eingefrorene Guthaben der russischen Zentralbank beschlagnahmen und diese Gelder in einen Fonds zur Unterstützung der Verteidigung und des Wiederaufbaus der Ukraine einzahlen.
Europa stehe in Trumps Schuld, argumentiert Edward Lucas vom Center for European Policy Analysis, denn: „Echte Veränderungen finden meist dann statt, wenn die Menschen Angst haben oder wütend sind. Gut.“ Der Test für jede Veränderung seien Taten, nicht Worte. Es gehe darum, der Ukraine Geld und Waffen zu geben, die sie brauche, um sich selbst zu verteidigen. „Je stärker die militärische Position der Ukraine ist, desto schwieriger wird es für die US-Regierung sein, die Kiewer Führung zu einem Waffenstillstand zu ungünstigen Bedingungen zu drängen.“ Die europäischen NATO- und EU-Länder müssten auch ihre eigene Sicherheit von Grund auf neu überdenken. Wo bleibe die Luft- und Raketenabwehr? Was ist mit der Wehrpflicht? Wie bekomme man einen glaubwürdigen nuklearen Schutzschirm? Wie weit könne man sich auf amerikanische Waffen verlassen? Auf all diese Fragen gebe es Antworten; sie hätten einen hohen Preis und gefährliche Verzögerungen. Die Europäer würden sich an höhere Steuern gewöhnen müssen, einen niedrigeren Lebensstandard und weniger großzügige öffentliche Dienstleistungen. Politiker müssten erklären, warum die Opfer notwendig seien, und sie müssten dies glaubwürdig und integer tun, so Lucas: „Wie der verstorbene Adlai Stevenson sagte, reicht es nicht aus, für seine Werte zu kämpfen, man muss ihnen auch gerecht werden.“
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