Comptes-rendus d'événement
„Es gibt nicht den einen Fehler“
Fast fünf Jahre dauert die juristische Aufarbeitung der NSU-Mordserie vor dem Oberlandesgericht in München bereits an. Nach zahlreichen Verzögerungen rechnen viele Prozessbeobachter noch in diesem Jahr mit einem Urteil gegen die Hauptangeklagte Beate Zschäpe und vier weitere mutmaßliche Mittäter. Insgesamt zehn Morde, 15 Banküberfälle und zwei Sprengstoffanschläge verübte die Terrorzelle um Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos zwischen 1998 und 2011. Viele Fragen sind bis heute ungeklärt. Wie gelang es dem Terrortrio, trotz Haftbefehl im Jahr 1998 abzutauchen und im Untergrund fast unbehelligt eine Mordserie an zumeist türkischstämmigen Kleinunternehmern zu planen? Wieso hielten Ermittler trotz fehlender Beweise so lange am Tatmotiv „Organisierte Kriminalität“ fest anstatt einen rassistischen Hintergrund in Betracht zu ziehen? Clemens Binninger, zwischen 2002 und 2017 Mitglied des Deutschen Bundestages und einer der führenden Innenpolitiker der Union, hat sich knapp sechs Jahre mit den Straftaten des Nationalsozialistischen Untergrunds befasst. In seiner Rolle als Vorsitzender des zweiten NSU-Untersuchungsausschusses im Deutschen Bundestag und als ehemaliger Polizist kommt er zu dem Schluss: „Beim Thema NSU gibt es den nicht den einen Fehler.“ Eine ganze Reihe von Fehleinschätzungen - seitens der Nachrichtendienste, der Polizei, der Justiz und der Politik - seien der Grund dafür, dass der Zusammenhang zwischen den Morden und Überfällen erst nach dem Fund der Leichen von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos in einem ausgebrannten Wohnmobil in Eisenach und Auftauchen des Bekennervideos erkannt wurde. „Keiner hat diese Mordserie von Anfang an als das erkannt, was sie eigentlich war“, so Binninger am Mittwochabend in Berlin. Waren die Ermittlungsbehörden auf dem rechten Auge blind? Die deutschen Behörden habe die rechtsextreme Szene schon lange im Visier gehabt, fokussierte sich jedoch nur auf rechte Gruppierungen und deren Überwachung. Die Möglichkeit, dass rechtsextreme Gruppen dazu in der Lage sind, systematisch zu töten und Anschläge zu verüben, wurde gar nicht in Betracht gezogen, weil sie keinem bisher bekannten Muster entsprach. „Man hat die Gefahr durch den gewaltbereiten Rechtsextremismus unterschätzt.“ Die Sicherheitsbehörden seien „auf dem rechten Auge betriebsblind“ gewesen, sagt Binninger. Bis heute - nach über 400 Prozesstagen und etlichen Zeugenvernehmungen - bleiben viele Fragen ungeklärt. An keinem der 27 Tatorte (verteilt über acht Bundesländer) konnten DNA-Spuren der drei Haupttäter sichergestellt werden. Zufall oder hatte der NSU noch weitere Unterstützer vor Ort? „Der NSU-Komplex ist noch nicht durchgängig aufgeklärt“, so das Fazit von Clemens Binninger.
Nur noch eine schwache Utopie
Im Dezember vergangenen Jahres erklärte die irakische Regierung den Sieg über die Terrormiliz Islamischer Staat und die vollständige Vertreibung des IS aus dem irakisch-syrischen Grenzgebiet. Zuvor wurde die syrische Stadt Rakka, die als Zentrum des vom IS aufgerufenen Kalifats galt, von kurdisch-geführten Einheiten zurückerobert. Bedeutet der militärische Sieg über den IS in Syrien und im Irak auch ein Ende der Bedrohung durch den islamistischen Terror? Für Peter Neumann, Professor am International Centre for the Study of Radicalisation and Political Violence am renommierten Kings College in London, ist die Gefahr, die vom Islamischen Staat ausgeht, trotz positiver Entwicklungen in den letzten Monaten noch nicht gebannt. Das physische Kalifat gilt inzwischen als besiegt. Durch die massiven Gebietsverluste nach der erfolgreichen Militäroffensive fehle dem IS nicht nur Operationsbasis, sondern auch Trainingsraum für seine Kämpfer. Auch im virtuellen Raum schwinde die Präsenz des IS. Von den anfangs 37 Medienbüros existieren heute nur noch zwei. Wurden noch vor wenigen Jahren täglich neue Videos hochgeladen (z.B. von militärischen Erfolgen oder Hinrichtungen), vergehen jetzt manchmal Tage ohne neue Posts im Netz oder auf den Social-Media-Plattformen. „Der Enthusiasmus der ersten Jahre ist weg“, lautet die Einschätzung von IS-Kenner Peter Neumann. In der dschihadistischen Szene mache sich Desillusionierung breit. Aller positiven Vorzeichen zum Trotz bleibe die Gefahr, die vom Islamischen Staat ausgeht, sehr hoch: „Ein Ende des dschihadistischen Terrorismus ist nicht absehbar“, stellt Neumanns fest. Eine besonders große Gefahr gehe seiner Meinung nach von den knapp 40.000 Rückkehren aus, die seit 2012 ins Kalifat gezogen sind. Er warnt in seinem Vortrag vor der Bildung eines transnationalen Netzwerkes (ähnlich der Entstehungsgeschichte Al-Qaida) bestehend aus gut ausgebildeten und brutalisierten Kämpfern, die in den nächsten Jahren deutlich komplexere Anschläge ausüben könnten, die „professioneller, größer und mit deutlich mehr Opfern“ ausfallen. Wie können sich unsere Sicherheitsbehörden auf dieses Szenario vorbereiten? Peter Neumann sieht in Deutschland keine Defizite in der Prävention, sondern vielmehr bei der Koordinierung der verschiedenen Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern sowie bei der Durchsetzung von Strafmaßnahmen. Nach wie vor würden zu wenige islamistische Straftäter vor Gericht gestellt oder gegebenenfalls abgeschoben. Er fordert weiterhin eine effektivere Vernetzung der Behörden auf europäischer Ebene. Auch wenn Neumann Deutschland nicht im direkten Fokus der Dschihadisten sieht, sei die terroristische Gefahr durch den IS noch immer präsent. „Die Überbleibsel des Konflikts werden und noch viele Jahre beschäftigen“, warnt Neumann.
„Die deutsche Seele hat die RAF noch immer nicht verwunden“
Knapp zwei Jahrzehnte hielt die Rote Armee Fraktion die Bundesrepublik in Atem. Im April 1998 löste sich die RAF mit den Worten "Die Stadtguerilla in Form der RAF ist nun Geschichte“ selbst auf, gesprochen und geschrieben wird über die RAF noch heute. Butz Peters ist einer der führenden RAF-Experten und Autor mehrerer Bücher. Zuletzt erschien im Knaur-Verlag „Hundert Tage: Die RAF-Chronik 1977“. Der Journalist und frühere Moderator der ZDF-Sendung „Aktenzeichen XY … ungelöst“ stellt selbst 20 Jahre nach dem Ende der RAF fest: „Die deutsche Seele hat die RAF noch immer nicht verwunden.“ Mindestens 33 Menschen wurden von der RAF ermordet, mehr als 200 verletzt. Dramatischer Höhepunkt des RAF-Terrors ist das Jahr 1977: Im April wird Generalbundesanwalt Siegfried Buback in seinem Auto erschossen, am 30. Juli wird der Vorstandsvorsitzende der Dresdner Bank Jürgen Ponto getötet und am 5. September Arbeitgeberpräsident Hanns-Martin Schleyer entführt. Schleyer wird noch am Tag der gewaltsamen Befreiung der von RAF und der palästinensischen PFLP gemeinsam entführten Lufthansa-Maschine "Landshut“ von seinen Entführern erschossen. Was unterscheidet den linksextremen Terror der RAF von der Mordserie der NSU oder dem dschihadistischen Terrorismus durch den Islamischen Staat? Für Butz Peters ist es die Tatsache, dass die RAF nicht durch Polizei oder Militär geschlagen wurde, sondern sich selbst von innen heraus aufgelöst hat. Die Grundidee, durch bewaffnete Anschläge, Menschen zu mobilisieren, habe sich nicht durchgesetzt, so die Erkenntnis innerhalb der RAF. "Das Ende dieses Projektes zeigt, dass wir auf diesem Weg nicht durchgekommen sind", lautet der Wortlaut der Erklärung. Die Aufarbeitung des linksextremen RAF-Terrors beschäftigt noch immer die Justiz, „viele kleine Mosaikteile“ wurden und werden noch heute zusammengesetzt, so Autor Butz Peters. Bis heute sei nicht eindeutig klar, wer wie gemordet hat. Von vier Angehörigen der sogenannten „Dritten Generation“ fehlt bis heute jede Spur. Eine Serie von schweren Raubüberfällen wird derzeit mit den drei ehemaligen RAF-Mitgliedern in Verbindung gebracht.
Im Netz des Terrors
In der anschließenden Diskussionsrunde diskutierten Binninger, Neumann und Peters gemeinsam mit dem Publikum vor allem über die Frage, wie sich Anschläge in Zukunft besser verhindern lassen. Gibt es verlässliche Indikatoren dafür, wann jemand zum Terroristen wird? Peter Neumann sieht die Nähe zu einem Netzwerk der direkte Kontakt zu Gleichgesinnten als den entscheidenden Faktor. Die Radikalisierung eines Menschen passiere nicht von heute auf morgen, sondern gehe mit einer langsamen Gewöhnung an Gewalt über einen Zeitraum von vielen Monaten einher. Allein demografische Daten zu Herkunft, Bildung oder Elternhaus auszuwerten, greift nach Meinung von Peter IS-Kenner Neumann zu kurz. Zustimmung gibt es von Clemens Binninger, der anmerkt, dass ein Großteil der RAF-Terroristen aus gutbürgerlichen Familien stammte. Nach Einschätzung des ehemaligen Polizisten Binninger sollten bei den Sicherheitsbehörden spätestens dann die Alarmglocken läuten, wenn Personen völlig vom Radar verschwinden und in den Untergrund gehen wie im Fall Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos. Fast 5.000 Tage war das Trio untergetaucht, nur für 250 bis 300 Tage gäbe es Erkenntnisse seitens der Ermittler. Im Kampf gegen den Terrorismus erlebe der NSU-Experte in Deutschland mitunter eine „organisierte Verantwortungslosigkeit“. Bis zu 40 verschiedene Behörden auf Bund- und Länderebene seien in Deutschland für die Aufklärung und Verhinderung terroristischer Taten zuständig. Diese föderale Sicherheitsstruktur mit „zu vielen Akteuren und zu vielen Zuständigkeiten“ erschwere den effektiven Austausch von Informationen zwischen den einzelnen Behörden. Um Anschläge zu verhindern brauche es nicht mehr Informationen, sondern einen besseren Austausch bereits vorhandener Erkenntnisse über die relevanten Personen in der extremistischen Szene.
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À propos de cette série
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