Wie konnte es so weit kommen? Hintergründe der Präsidentschaftswahlen
Paul Linnarz schilderte zunächst die Voraussetzungen und historischen Hintergründe für die aktuellen Entwicklungen in den USA. Dabei betonte er, dass deren Geschichte als Einwanderungsgesellschaft, die religiöse Prägung sowie der hohe Stellenwert der Freiheit die Staaten stark prägen würden. Deren heterogene Gesellschaft würde vor allem durch einen hohen Verfassungspatriotismus zusammengehalten werden.
Hinsichtlich des Parteiensystems konstatierte Linnarz, dass dieses über die letzten Jahrzehnte in einen Konflikt geraten sei. Die Wahlniederlagen der Demokraten in den 70er/80er Jahren hätten dazu geführt, dass sie unter Bill Clinton weiter in die Mitte gerückt seien. Dies veranschaulichte Linnarz anhand der hohen Investitionen in den Gefängnisbereich und anhand der Law&Order-Politik des demokratischen Präsidenten. Zurzeit könne beobachtet werden, dass mit den demokratischen Präsidentschaftskandidaten wie Sanders versucht werde, wieder ein Stück zurück nach links zu rücken. Bei den Republikanern zeige sich hingegen ein anderes Bild. Marktlibertäre und sozialkonservative Republikaner würden sich seit ca. 2000 nicht mehr so leicht wie noch in den 80er Jahren unter dem Dach der Partei zusammenbringen lassen. Gründe sieht Linnarz in der wachsenden Einwanderungszahl, dem Zuwachs der Städte und dem Gegensatz zwischen liberalen Städten und konservativen ruralen Regionen. Demografischer und wirtschaftlicher Wandel seien grundlegend für die aktuelle Polarisierung des Landes und des Parteiensystems.
Der Trumpismus in einer gespaltenen Nation
Im Anschluss an diese historische Ursachenforschung ordnete Prof. Dr. Manfred Berg die Wahlen in den Kontext des politischen Systems der USA ein. Dabei vertrat er die These, dass das aus dem 18. Jahrhundert stammende System vor dem Hintergrund der heutigen Polarisierung völlig dysfunktional geworden sei. Diese Polarisierung zeige sich in der vergangenen „Lagerwahl“, in einer scharfen Spaltung der USA in eine blaue und eine rote Nation. Die Mobilisierung von Trumps Anhängern zeige, dass man nicht mehr von einer Protestwelle sprechen könne. Dies deute darauf hin, dass Trump mindestens bis zum 20. Januar 2021 der „böse Geist“ der US-Politik bleiben werde. Von daher müsse man mittlerweile vom „Trumpismus“ sprechen, der hemmungslos auf Demagogie und Obstruktion setze. Die Ursachen dafür erkennt Berg ebenso wie Linnarz im demografischen Wandel, in sozioökonomischen Ungleichheiten, Kulturkriegen und den entstehenden medialen Parallelwelten.
Szenarien des Übergangs
Die an die beiden Statements anschließende Fragerunde begann mit einer Einschätzung der Politik des Wahlsiegers Joe Biden. Biden habe von der Gegenmobilisierung gegen Trump profitieren können. Seine Schwerpunkte lagen im Wahlkampf auf der wirtschaftlichen und gesundheitlichen Folgen der Corona-Pandemie, der Wiederherstellung der internationalen Beziehungen der USA sowie auf der Verteidigung und dem Ausbau der Krankenversicherung. Linnarz betonte zudem, dass es um weit mehr gegangen sei als um die Präsidentschaft. Ebenso standen der Senat, das Repräsentantenhaus und die Parlamente der Bundesstaaten zur Wahl. Dies sei ebenfalls entscheidend bspw. für die Klima- und Gesundheitspolitik, da diese wesentlich Sache der Bundesstaaten seien.
Zur Diskussion wurde auch die Frage gestellt, was passieren würde, wenn Donald Trump das Weiße Haus nicht verlassen würde. Nach Berg seien viele Szenarien denkbar. Zum einen könnten die Gerichte den Ausgang der Wahl entscheidend beeinflussen. Zum anderen werde im Augenblick ein Szenario diskutiert, in dem die Wahlleute bei Nichtanerkennung der Wahlergebnisse von den bundesstaatlichen Parlamenten bestimmt werden könnten. Dadurch müsste im schlimmsten Falle der Kongress entscheiden, welche Wahlleute stimmberechtigt seien – und dies unter der Leitung von Mike Pence. Des Weiteren würde ohne eine Mehrheit für einen Kandidaten die Wahl an das Repräsentantenhaus fallen, wobei jeder Staat zwei Stimmen bekäme. Dies würde ebenfalls eine Mehrheit für die Republikaner bedeuten. Dennoch erscheinen diese Szenarien angesichts des doch eindeutigen Vorsprunges Bidens eher als unwahrscheinlich.
Experiment gescheitert? Reformbedarf und Reformhoffnung
Angesichts dieser Szenarien wurde die Frage gestellt, ob es möglich wäre, das politische System grundsätzlich zu reformieren? Sowohl Linnarz als auch Berg halten eine solche Reform für sehr unwahrscheinlich, da die Hürden dafür sehr hoch seien. Kleine Staaten würden keiner Reform zustimmen, die ihren Einfluss auf Bundesebene mindern würde.
Angesichts dieser geringen Reformbereitschaft stellte sich abschließend die Frage, ob das amerikanische Experiment nach vier Jahren Trump gescheitert sei. Berg betonte, dass man nicht von einem Scheitern sprechen könne, aber wies auf das dysfunktionale politische System hin, das sich so leicht nicht reformieren lassen würde. Das sei kein Problem der Einsicht, sondern eine Machtfrage. Die Republikaner wollten als strukturelle Minderheitspartei das Wahlrecht und das Wahlsystem so gestalten, dass es sie gegen Mehrheiten immunisiere. Linnarz unterstrich, dass die USA in ihrer Komplexität gesehen werden müssten und sich nicht zu sehr auf einzelne Faktoren fokussiert werden solle. Die Vereinigten Staaten stünden vor enormen Herausforderungen, doch wenn es ein Land gebe, dass sich diesen Herausforderungen gewachsen zeigen könne, dann seien es die USA.
Freiburg, den 11. November 2020
Stefan Schubert
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