Zunehmende Politisierung der Kunst von rechts und links
Für den Kunstkritiker der Zeit Hanno Rauterberg stehen diese Beispiele für eine Verschiebung sozialer und kultureller Normen in unserer Gesellschaft. Die neuen Grenzen dessen, was Kunst darf oder soll, würden von rechts wie von links gezogen. Während die neue Rechte die kritischen Künste ablehnt und die Rückbesinnung auf eine vermeintlich ursprüngliche, schöne Kunst herbeisehnt, belegen Kräfte des linken Spektrums die Künste mit Denkverboten und fordern Selbstzensur im Namen der political correctness.
Die Freiheit von Wissenschaft und Kunst als Grundlage unserer Demokratie
Dass über diese Fragen überhaupt wieder diskutiert wird, überraschte die Präsidentin des Deutschen Kulturrates Prof. Dr. Susanne Keuchel. Sie bekräftigte die zunehmenden Politisierung der Künste und verwies auf die Errungenschaft des Artikel 5 im Grundgesetz zur Freiheit von Wissenschaft und Kunst: „Die Künste geben die Möglichkeit mehrperspektivisch zu denken. Sie sind frei, aber müssen nicht neutral sein“, so Prof. Dr. Keuchel.
Ulrich Khuon vom Deutschen Theater Berlin konstatierte, dass sich die Wirklichkeit durchaus in Kunst und Kultur einmischen dürfe. Kritik am Theater ist für den Intendanten nicht nur nachvollziehbar, sondern treibe Diskussionen an, so wie es die Blackfacing-Debatte gezeigt hat. Dennoch sieht Khuon die Gefahr einer politischen Instrumentalisierung der Kunst vor allem von rechts und warnte vor einem völkischen Kulturverständnis. „Europa ist eine Errungenschaft“, unterstrich Khuon. Nicht zuletzt deshalb schloss sich sein Theater der Initiative Die Vielen an, um für Demokratie in Europa einzustehen.
Kultur der Ambiguität
Für Thomas Bauer, Professor der Islamwissenschaft und Arabistik an der Universität Münster, zeichnet sich ein Kunstwerk vor allem durch Polivalenz und Ambiguität aus. Demgegenüber beobachtet er eine wachsende Ambiguitätsintoleranz in unserer Gesellschaft, die zunehmend auf Eindeutigkeit und Zählbarkeit versessen sei. Dass die Maßstäbe für Kunst vermehrt von außen kommen und nicht mehr aus der Kunst heraus, hält Prof. Dr. Bauer für problematisch. „Die Vieldeutigkeit der Welt wächst sich auf eindeutige Urteile aus“. Dabei sage Kunst immer etwas, dass nicht wahr sein muss und ambig bleibt.
Was die Kritik an den Institutionen von Kunst und Kultur bezüglich Geschlechtergerechtigkeit und Diversität angeht, herrschte Einigkeit auf dem Podium. Hier bestehe viel Nachholbedarf. Für Intendant Ulrich Khuon geht es vor allem um den Weg all dieses auszuhandeln. Die Debatte darüber muss jedenfalls weiter geführt werden, jenseits einer cancel culture, jenseits von Befindlichkeiten oder Verboten.
„Alle Versuche Kunst zu definieren oder die letzte Legitimation dafür zu finden, halte ich für falsch“, sagte Prof. Dr. Norbert Lammert zum Abschluss der Diskussion. Deshalb habe er auch ein tiefes Misstrauen gegenüber dem aktuellen Trend in Identitätsfragen die letzte Legitimation dafür zu vermuten. Wenngleich dies eine ganz existenzielle Dimension sei, so Lammert, scheide sie als letzte Instanz aus, „weil es keine einzige und keine eindeutige Identität gibt“.
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