Comptes-rendus d'événement
Beim Politischen Salon des Politischen Bildungsforums Brandenburg, der vom 9. bis 12. Juli 2015 nun schon zum vierten Mal am Sommersitz von Konrad Adenauer in Cadenabbia am Comer See in Italien stattfand, standen in diesem Jahr der 25. Jahrestag der deutschen Wiedervereinigung und die €-Krise im Mittelpunkt der Diskussionen mit den Referenten Vera Lengsfeld, Stephan Raabe und Karl-Georg Wellmann MdB.
Eine ungeheure Erfolgsgeschichte
Bei hochsommerlichen Temperaturen trafen sich 22 Teilnehmer, um im wunderschönen Cadenabbia über aktuelle politische Herausforderungen in Deutschland und Europa nachzudenken und dabei den politischen Zusammenhängen auf den Grund zu gehen. Am ersten Tag berichtete zunächst die DDR-Oppositionelle und ehemalige Bundestagsabgeordnete der Grünen und der CDU, Vera Lengsfeld, aus ihrem „Tagebuch der friedlichen Revolution und Wiedervereinigung“: wie unter dem Dach der evangelischen Kirche sich die Bürgerrechtsbewegung in der DDR entwickeln konnte, wie aus dem Geist der Reform in der Sowjetunion und dem Geist der Freiheit in Polen der Protest sich auch in der DDR ausbreitete, wie aus der Demonstrationsparole „Wir sind das Volk“ der Ruf „Wir sind ein Volk“ wurde und schließlich wie über die Währungsunion die Wiedervereinigung der beiden Deutschlande erreicht wurde. Eine friedliche Revolution, eine ungeheure Erfolgsgeschichte und enorme Leistung der Deutschen, auf die wir stolz sein können, so das Fazit von Vera Lengsfeld.
Doch wie ist die Bilanz der deutschen Einheit aus heutiger Perspektive? Auch der Berliner CDU-Außenpolitiker Karl-Georg Wellmann sieht Deutschland auf einem guten Weg. Im wirtschaftlichen Mittelstand etwa, bei der Wissenschaft, dem Rentenniveau und hinsichtlich der Lebenserwartung sieht er Erfolge, Probleme allerdings, was die Industrie und die immer noch relativ hohe Arbeitslosigkeit im Osten angeht. Und tatsächlich: laut dem Glücksatlas für Deutschland surft die Bevölkerung auf einer Glückswelle, wenngleich die Menschen im Westen doch noch etwas glücklicher seien als im Osten (FAZ vom 9.10.2014).
Probleme und Unterschiede Unterschätzt
Anhand der der Thesen des Mainzer Historikers Andreas Röder, Vorstandsmitglied der Adenauer-Stiftung, und des letzten Berichts der Bundesregierung zur Deutschen Einheit von 2014 wurde die an sich positive Einschätzung kritisch überprüft. Röder hatte in einem Aufsatz von zwei Fehleinschätzungen bei der Wiedervereinigung gesprochen: zum einen habe man die Probleme bei der wirtschaftlichen Entwicklung des Osten stark unterschätzt und zum anderen auch die politisch kulturellen und mentalen Unterschiede in der Bevölkerung. Dieser Unterschied wurde politisch in Bezug auf die Rolle der SED/PDS/Linkspartei in Deutschland diskutiert: sie sei eine Randgruppierung, die ständig an Basis verloren habe, meinte Vera Lengsfeld; sie sei jedenfalls im Osten eine Volkspartei, die die Politik dort maßgeblich mit bestimme meinte dagegen der Leiter des Politischen Salons und Vertreter der KAS in Brandenburg Stephan Raabe. Ob die Linkspartei auch auf Bundesebene nach der nächsten Bundestagswahl die Politik als Regierungspartei mit gestalten werde, darüber gingen die Meinungen auseinander. Der Bundestagsabgeordnete Karl-Georg Wellmann hält das jedenfalls für wenig wahrscheinlich.
Neben der politischen Landschaft ist die konfessionelle in Ost und West ganz unterschiedlich geprägt: Während im Westen die Christen zwei Drittel ausmachen, stellen die Christen im Osten kaum ein Viertel der Bevölkerung, in den Stammländern der Reformation nicht einmal mehr ein Fünftel, ein religiös-kultureller Abbruch sondergleichen in einem Staat, dessen Verfassung auf das Bewusstsein der Verantwortung vor Gott baut und dessen Grundprinzipien maßgeblich durch die christliche Sozialethik beeinflusst wurden.
Blühende Landschaften und Entwicklungsbedarf
Schaut man auf den Bericht der Bundesregierung zur Deutschen Einheit, ergibt sich ein nochmal differenzierteres Bild: Die Kenntnis über die Diktatur der DDR und die Friedliche Revolution ist durchaus verbesserungswürdig wie auch der Umgang mit den Opfern des Systems, die Transformation der Nationalen Volksarmee in die Bundeswehr ist gelungen, die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit beachtlich gestiegen, aber trotz aller Anstrengungen und Finanztransfers weit hinter dem der alten oder „gebrauchten“ Bundesländer, wie ein Teilnehmer es begrifflich fasste, zurück, so dass die Wirtschaftskraft das Lebensniveau im Osten noch immer nicht finanzieren kann und Transfers weiter notwendig sind. Seit 2013 gibt es zwar wieder einen positiven Saldo in Bezug auf die Zu- und Abwanderung im Osten, dennoch ist dort aber ein beschleunigter Alterungsprozess der Gesellschaft im Gange.
Das Fazit: Die von Helmut Kohl versprochenen blühenden Landschaften gibt es tatsächlich in den Ländern der aufgelösten DDR, aber es bleibt auch noch einiges zu tun auf dem Weg der Einheit, der wirtschaftlichen Entwicklung und Annäherung der Lebensverhältnisse.
Die €-Krise – Chronologie, Ursachen und Wirkungen
Am zweiten Tag ging es im Politischen Salon in der Villa über dem Comer See um die €-Krise. Zwar werden in den Talkshows die Meinungen und Deinungen darüber intensiv ausgetauscht, gibt es mehr oder weniger verständliche Betroffenheiten und Reaktionen, aber die verschiedenen Wahrnehmungen, politischen Versprechen und Einschätzungen sind mit der Wirklichkeit der Fakten, die die eigentlichen Probleme in den Blick rücken, in Verbindung zu setzen. Wenn etwa Vertreter des linken politischen Spektrums einen Schuldenschnitt für Griechenland für dringlich halten, ist angesichts des faktischen Schuldenmoratoriums für Griechenland in den nächsten fünf bis acht Jahren und der relativ geringen Zinsbelastung zu fragen, wieso ein solcher Verzicht gerade jetzt notwendig sein soll.
In einem ersten Schritt wurde die Chronologie der Finanz- und Euro-Krise rekapituliert, also wie das Drama sich entwickelt hat von den Anfängen in der US-Immobilienkrise 2007 über die Bankenrettung 2008, die Rettungsprogramme für die Euro-Staaten Griechenland, Irland, Portugal und Zypern mit den „Rettungsschirmen“ der zeitlich befristeten „Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF)“ 2010 und dem dauerhaften „Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM)“ 2012 bis hin zur Politik der Europäischen Zentralbank und der Zahlungsunfähigkeit Griechenlands mit einem Blick auf die Gewinner und Verlierer der Krise (siehe PDF Chronologie der €-Krise).
In einem zweiten Schritt wurden die Ursachen und Folgen €-Krise benannt und einzelne Aspekte geklärt: das Versprechen und die Regeln der Stabilität, die Realität einer Politik auf Pump, die ausufernden Staatsdefizite und Staatsschulden als Folge, Griechenlands erschwindelter €-Beitritt und Weg in den Schuldenabgrund, das griechische Sparprogramm, die unterschiedlichen Perspektiven der griechischen Regierung und des Internationalen Währungsfonds, der Vorwurf bzw. die Rechtfertigung, Deutschland verdiene doch an den Hilfskrediten, die Frage, ob die €-Krise einer Ausnahmesituation geschuldet oder ein Normalzustand sei, die EZB-Politik des lockeren Geldes und der Staatsfinanzierung, die Haftungsrisiken für Deutschland und die eigene Schuldenlast, der neue Stabilitäts- und Wachstumspakt, das Ziel, mehr Wachstum und Arbeit zu schaffen durch den Euro, die Folgen und Lösungsmöglichkeiten der Krise, der Grexit gegenüber einem dritten Hilfsprogramm und schließlich die Lehren aus der Tragödie (siehe PDF Die €-Krise).
Dass es so, wie es bisher war, nicht weiter gehen könne, war in der Diskussion schnell Konsens, aber in welche Richtung die Lösung zu suchen sei: in einer forcierten Vertiefung der Einheit in einer Finanz-, Wirtschaft- und Sozialunion, also in einem Bundesstaat, oder doch in einem Staatenbund mit stärker eigenständiger nationaler Verantwortung oder zunächst in einer Rückkehr zu den Grundlagen der EU und €-Zone in der Beachtung und Durchsetzung der Verträge oder in einer noch stärkeren Differenzierung eines Europas verschiedener Geschwindigkeiten, darüber gab es eine lebhafte und kontroverse Diskussion. Wie auch immer: Eine Besinnung auf die grundlegenden Ziele und Verpflichtungen der Union tut not. Ohne Verbindlichkeit bei der Einhaltung der Verpflichtungen wird die Union ihre zweifelsohne großen Errungenschaften nicht bewahren und ihre Ziele nicht erreichen können.
Ein neuer Kalter Krieg?!
Während die €-Krise viele Kräfte absorbiert und die Gestaltungsmacht der EU teilweise lähmt, steht die Gemeinschaft im Inneren (Großbritannien) wie nach außen (USA/TTIP, Naher Osten, China etc.) vor weiteren großen Herausforderungen. Dazu gehört in der Verbindung mit der Nato ganz dringlich die Auseinandersetzung mit Russland und mit dem von Russland in der Ukraine geführten unerklärten Krieg. In einer nüchternen Bewertung der Lage gab der Ukraine-Berichterstatter der CDU/CSU-Fraktion im Auswärtigen Ausschutz des Bundestages, Karl-Georg Wellmann, dem von Russland die Einreise verweigert wird, einen Einblick in die Zusammenhänge. Krieg und neue Grenzziehung (Krim) zu ignorieren und die Ukraine der Einflusssphäre Russlands zuzuordnen hieße, die Büchse der Pandora zu öffnen in Europa. Deshalb seien Sanktionen gegen Russland und die Unterstützung für die Ukraine notwendig. Andererseits sei es aber ebenso notwendig, auch die russische Position wahrzunehmen und einen realistischen Weg der Konfliktbeilegung einzuschlagen, der Russland wieder zur Zusammenarbeit motiviert und der Ukraine möglichst freie Entwicklungschancen lässt. Aber, so die Einschätzung des Außenpolitikers, im Moment hätten wir leider so etwas wie einen neuen Kalten Krieg verbunden mit dem alten Denken in Einflussbereichen, die voneinander abzugrenzen seien, statt sie miteinander in einem System wirtschaftlicher und politischer Kooperation zu verbinden.
Weiter so? Über politische Beteiligung und Herausforderungen in Deutschland
In der abschließenden Diskussion am dritten Tag ging es politischen Aufgaben in Deutschland. Probleme gibt es mit dem anhaltenden Aufbau Ost, der €-Krise, Ostpolitik, der Zuwanderung und dem Flüchtlingsstrom, der Energiepolitik und der demographischen Entwicklung und vielem anderen zu Hauf. Gleichzeitig sei aber eine relativ verbreitete Abstinenz gerade der Bürgerlichen von der Politik zu beklagen. Die Politikführung auf Sicht lasse weiterreichende Perspektiven und ambitionierte Reformen in den Hintergrund treten. Die Nivellierung politischer Unterschiede auch durch die Große Koalition bedingt und die Okkupation des Politischen durch Parteifunktionäre und Mandatsträger machten Politik für viele uninteressant und unzugänglich. Andererseits habe gerade in einer pluralistischen Demokratie jedes Volk eben die Politiker, die es verdiene, solange die Bürger es einer immer öfter kleinen Zahl von Engagierten überließen, die Politik zu dirigieren. Gleichwohl seien die Wohlfahrt und damit auch die relative Zufriedenheit in Deutschland doch so groß, dass mit einem stärkeren politischen Engagement kaum zu rechnen sei.
Rot-Rot-Grün verhindern bei den nächsten Bundestagswahlen, das sei wichtig, stellte Vera Lengsfeld schließlich fest. Darüber werden die betreffenden Parteien und Wähler bei der Bundestagswahl 2017 entscheiden. Über Kurz oder Lang wird es einen politischen Wechsel so oder so geben. Im Vergleich mit anderen Staaten um uns herum gehe es uns recht gut. Doch das sei kein Grund, sich darauf auszuruhen. Die Politik ist immer wieder neu herausgefordert, die Geschicke mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich zu gestalten. Je mehr Menschen sich dieser Aufgabe stellen, umso besser.
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