Comptes-rendus d'événement
Über Bildungspolitik wird in Deutschland seit langem äußerst kontrovers gestritten. Sie ist eine Domäne der Bundesländer und spielt von daher vor allem in der Landespolitik eine bedeutende Rolle, wie aktuell in Brandenburg, zumal eine Vielzahl von Bürgern über ihre Kinder mit den Auswirkungen der Bildungspolitik ganz konkret konfrontiert werden: mit dieser und jener Bildungsreform (Inklusion, G 8/G 6), mit Lehrermangel und Stundenausfall, besseren und schlechteren Schulen etc. Wenn über Bildungspolitik diskutiert wird, geht es deshalb häufig um Schulformen und -reformen, um Strukturen und den Einsatz von Mitteln.
Der neuseeländische Erziehungswissenschaftler John Hattie, der an der Univierstät Melbourne lehrt, hat mit seinen Forschungen einen anderen Weg beschritten und damit - zumindest in Fachkreisen - für größeres Aufsehen gesorgt, obgleich er eigentlich gar nicht so sehr Neues vorbringt. Auf der Grundlage von über 50.000 Untersuchungen im englischsprachigen Raum, das ist das Besondere an dieser Forschung, hat Hattie herausgefiltert, welche Faktoren für gute Schülerleistungen maßgeblich sind. Seine Ergebnisse sind durchaus dazu angetan, manche schulpolitische Debatte zu relativieren. Denn nach Hattie kommt es gar nicht so sehr auf die Schulform, die Klassengröße oder die Lehrmethoden an.
„It’s the teacher, stupid“ (Es ist der Lehrer, Dummkopf), also vor allem das konkrete Lehrverhalten, dass neben den drei wesentlichen Grundvoraussetzungen, den kognitiven Grundfähigkeiten (Intelligenz), dem sozialen Hintergrund (Familie) und dem Vorwissen für gute Lernleistungen eine wichtige Bedeutung hat. Wenn dem so ist, werden Strukturdebatten zwar nicht obsolet, aber es verschieben sich die Gewichte. Zu Fragen wäre dann, in welcher Weise die vor- und außerschulischen Grundvoraussetzungen besser gefördert und die schulischen Lehrkräfte kontinuierlich begleitet und trainiert werden. Wieso sind eigentlich bei verschiedenen pädagogischen Formaten regelmäßige Supervisionen und Trainings bis hin zum Coaching verpflichtend, nur bei Lehrern nicht, die unsere Kinder tagtäglich unterrichten? Den Lehrer bekommt der Schüler vor die Nase gesetzt, die Frage der Qualität seines Unterrichts ist oft ein wohlgehütetes Tabu. Wie kann also besser in die Qualitätsentwicklung des Unterrichts investiert werden, in die ständige begleitende Reflexion der Lehr- und Lernstrategien, der pädagogischen Einstellungen, des Lernklimas und der curricularen Programme und Materialien?
Ziel für Lehrkräfte müsse es nach Hattie sein, sich immer wieder in die Lernenden hineinzuversetzen, den Lernprozess auch mit den Augen der Lernenden zu analysieren und möglichst transparent, eben sichtbar zu machen. Wenn der Lehrer den Lernprozess durch die Augen des Lernenden versuche zu sehen, sei das ein exzellenter Beginn.
Entscheidend sei es, die kognitive Tiefenstruktur der Schüler mit dem Unterricht zu erreichen und anzuregen. Dabei komme es gar nicht so sehr auf die jeweils angewendete Methode an, sondern auf den zielgerichteten effektiven Einsatz von Methoden. Wichtiger als die Methodenfrage, die wohl tatsächlich überschätzt wird, sei die Qualität des Unterrichts, also ob die eingesetzte Methode zum Erreichen des Lernzieles führt.
Über diese und andere Aspekte der Forschungen von John Hattie referierte und diskutierte Ulrich Steffens, Direktor am hessischen Landesschulamt in Wiesbaden, am 2. Juli 2014 im Rahmen von zwei Fachgesprächen des Politischen Bildungsforums Brandenburg in Potsdam und Königs Wusterhausen zum Thema „Erfolgreich lernen! Was gehört zu einem guten Unterricht?“ mit Teilnehmern, die ganz überwiegend aus dem schulischen und pädagogischen Bereich kamen. Dabei räumte er auch mit manchen Fehlinterpretationen auf. So sei es etwa ein Missverständnis, wenn die FAZ z.B. titelte „Frontalunterricht macht klug“ (5.12.2012). Nach den Ergebnissen von Hattie sei der hergebrachte Frontalunterricht nicht besser oder schlechter als reformpädagogische Konzepte.
Als mögliche Handlungsperspektiven nannte Steffens die Professionalisierung (Lehrerbildung und -fortbildung), die Konzentration auf die Basisdimensionen guten Unterrichts, die stärkere Investition in die fachdidaktische Kompetenz der Lehrenden, die Förderung evaluativer Lehr- und Lernhaltungen und die Priorisierung von Maßnahmen und Reformen auf den Unterricht. Letzteres käme häufig viel zu kurz, Innovationen im Schulwesen seien oft zu kurzfristig getaktet, überfrachtet, fragmentiert, inkohärent und unkoordiniert.
Genügend Stoff, nicht nur um sich als Lehrer für den eigenen Unterricht anregen zu lassen, sondern auch, um über eine gute Bildungspolitik nachzudenken, ein Feld, das ehemals zu den Kerngebieten christdemokratischer Politik gehörte und durch namhafte Kultusminister wie Bernhard Vogel, Hanna Renate Laurien oder Hans Maier beackert wurde. Heute sind noch vier von 16 Kultus- oder Bildungsministern in Deutschland Christdemokraten: Ludwig Spaenle in Bayern, Boris Rhein in Hessen, Brunhild Kurth in Sachsen und Hartmut Möllring in Sachsen-Anhalt.
Dass es auf diesem Gebiet auch in Brandenburg so manche Beschwerden gibt, wurde in der Diskussion deutlich, bei der die Forschungsergebnisse von Hattie auch mit der eigenen Schulrealität in Beziehung gesetzt wurde. Da wurden Überforderungen beklagt, durch eine Inklusionsreform, die Einbeziehung von Kindern mit Behinderungen in den „normalen“ Unterricht, die von nicht wenigen als übers Knie gebrochen und autoritär durchgesetzt empfunden wird. Da wurden die Probleme zur Sprache gebracht, wenn drei bis vier disparate Schülergruppen in einer Klasse von einem Lehrer unterrichtet werden müssen, wenn familiäre Erziehungsdefizite zunehmend auch die Schule beeinträchtigen, wenn wenig hilfreiche Lernmethoden „von oben“ propagiert würden, wie die Anlautmethode beim Lesenlernen. Da wurde über die Ausbildung, die Auswahl, Beratung und Fortbildung von Lehrern diskutiert und natürlich auch über Strukturen und Ressourcen für eine gute Schulbildung.
Am Ende stand jedoch eine positive Schlussfolgerung, denn Hatties Befunde sind in einer pädagogisch-praktischen Perspektive durchaus erfreulich und anregend. Vor allem lohnt es sich danach, in das pädagogische Personal zu investieren, das Lehrerhandeln und die Voraussetzungen dazu in den Mittelpunkt zu rücken, wenn es so stark auf das Lehrerverhalten ankommt, wie Hattie darlegt.
PS: Die Präsentation von Ulrich Steffens finden Sie auf dieser Seite; eine Zusammenfassung der Ergebnisse von John Hattie durch Prof. Klaus Zierer erscheint demnächst als Handreichung der Konrad-Adenauer-Stiftung.