Comptes-rendus d'événement
Das Hauptthema des Abends erläuterte Otto Kallscheuer anhand seiner fünf Thesen, die er in seinem 2009 erschienenen Buch „Zur Zukunft des Abendlandes“ ausführlich vorgestellt hat. Zunächst grenzte der Wissenschaftler die Konzepte von „Abendland“ und „Westen“ ab. Dabei verwies er auf die systempolitische Rolle des ersten Begriffs, der in den Zeiten des Kalten Krieges für die Differenzierung zwischen dem kapitalistischen Westen und dem kollektivorganisierten Osten Europas diente. Die Verbindung des Abendlandes und des Westens war Kallscheuer zufolge „auch ein Ergebnis des politischen Genies Adenauers“.
Die politischen und kulturellen Bruchlinien innerhalb des europäischen Kontinents fanden sich jedoch nicht nur in der Nachkriegszeit wieder, sondern seien tief in der Geschichte Europas verankert. Schon in der Antike, so Otto Kallscheuer, findet man die Wurzeln der intra-europäischen Konflikte der modernen Geschichte. Das sind die Bruchlinien zwischen dem Osten und Westen sowie zwischen dem Norden und Süden Europas, die sich in den Kollisionen der Altgriechen und der Barbaren im vorchristlichen Zeitalter spiegelten. Später ist es der Antagonismus des Oströmischen und des Lateinischen Christentums. Mit dem Auftreten des Islams in Europa sind es interreligiöse Konflikte, die eine immer größere Rolle auf dem Kontinent spielen. Die interkonfessionellen Widersprüche zwischen dem protestantischen Norden und dem katholischen Süden bleiben aber präsent.
Von diesen traditionellen religiösen, kulturellen und politischen Differenzen geprägt, braucht das Europa der Gegenwart eine vereinigende Idee, eine gemeinsame politisch-institutionelle Grundlage. So eine Rolle könnte die Europäische Union übernehmen, in der Kallscheuer eine „legitime Verkörperung des Abendlandes“ sieht.