Als das Bremer Landesamt für Verfassungsschutz am 18. April dieses Jahres in einer E-Mail über die Veröffentlichung des Verfassungsschutzberichtes 2022 informierte, war klar, dass die Bremer „Schlapphüte“ ihrem Spitznamen mal wieder alle Ehre bereiteten. Eine Behörde, die tagtäglich mit sensiblen Daten umgeht, müsste den Unterschied zwischen „Kopie“ und „Blindkopie“ kennen, so dass nicht jeder Empfänger die ansehnliche Liste der E-Mail-Adressaten des Verfassungsschutzes mitlesen kann. Dabei ist Vertrauen für den „Verfassungsschutz“ fundamental, gerade ihm darf ein solcher Fauxpas nicht passieren.
Freilich hatte das Bremer Landesamt bereits am 8. Juli 2022 sowie am 18. Juni 2021 den gleichen Fehler gemacht. Auch damals informierte es über die Vorlage des Verfassungsschutzberichtes für das jeweilige Vorjahr und offenbarte, dass Datenschutz für die Bremer Behörde anscheinend ein Fremdwort ist, denn die Empfänger konnten auch 2021 und 2022 direkt sehen, wer im Verteiler des Verfassungsschutzes ist und (vielleicht noch interessanter) wer nicht.
Die Charakterisierung als „Geheimdienst“ bekommt so in Bremen eine ganz eigene Note. Doch diese Datenschutzverstöße, wahrscheinlich betreffen sie nicht nur die vergangenen drei Jahre, sind bis zum heutigen Tag weder beim Bremer Landesamt für Verfassungsschutz noch in der Behörde, die den Verfassungsschutz kontrollieren soll – die senatorische Verwaltung für Inneres – aufgefallen. Eine Entschuldigung bei den Betroffenen blieb aus.
Das Landesamt für Verfassungsschutz ist dem Senator für Inneres, Ulrich Mäurer (SPD), unterstellt. Es sammelt Informationen über verfassungsfeindliche Bestrebungen im Land Bremen, informiert die Öffentlichkeit und legt dazu im Auftrag des Innensenators den jährlich erscheinenden Verfassungsschutzbericht vor. Verfassungsschutzberichte werden bisweilen durchgeblättert, gelesen werden sie selten. Wer die Bremer Verfassungsschutzberichte tatsächlich liest, stellt zahlreiche Leerstellen beim Linksextremismus fest. Während beim Rechtsextremismus zu Recht die ganze Breite des Phänomens beleuchtet wird (Parteien, parteiunabhängige bzw. parteiungebundene Strukturen, weitgehend unstrukturiertes Personenpotential, gewaltorientierter Rechtsextremismus), findet auf der anderen Seite des politischen Spektrums schon seit mehreren Jahren eine Konzentration auf den gewaltorientierten Linksextremismus statt.
Dabei betont das Landesamt selbst: „Vielfach bereiten jedoch auch Bestrebungen im nicht-gewaltorientierten Extremismus erst das Umfeld für andere, die Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzung unterstützen oder befürworten; auch diese müssen daher intensiv in den Blick genommen werden“. Das geschieht zwar beim Rechtsextremismus, aber gerade beim Linksextremismus nicht. Wenn bei der Bekämpfung von Links- und Rechtsextremismus unterschiedliche Maßstäbe angelegt werden, untergräbt das die Glaubwürdigkeit demokratischer Institutionen. Und das Bild, das der Bremer Verfassungsschutz vom linken Extremismus zeichnet, ist nicht nur unvollständig und schief, es führt auch zu falschen Schlussfolgerungen.
Fakt ist: So arbeitet weder das Bundesamt noch eines der übrigen 15 Landesämter für Verfassungsschutz in Deutschland. Dort werden neben den gewaltorientierten Linksextremisten stets auch, um nur ein paar Beispiele zu nennen, „Nicht gewaltorientierte dogmatische Linksextremisten“ (Bund, Sachsen-Anhalt), „Nicht gewaltbereite Linksextremisten und linksextremistische Parteien“ (Berlin), „Dogmatische Linksextremisten“ (Brandenburg, Schleswig-Holstein), „Orthodoxe Kommunisten und andere revolutionäre Marxisten“ (Hamburg), „Dogmatische Linksextremisten“ (Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz) „Marxisten-Leninisten und andere revolutionäre Marxisten“ (Niedersachsen) oder „Orthodoxe linksextremistische Parteien und Organisationen“ (Sachsen) erfasst. Die konkreten Bezeichnungen variieren von Bundesland zu Bundesland. Aber überall wird das komplette Spektrum des Linksextremismus unter die Lupe genommen – nur in Bremen nicht.
Welcher Anteil des Linksextremismus im Zwei-Städte-Staat ausgeblendet bleibt, ist unklar, weil die Zahlen in Bremen (als einzigem Bundesland) nicht erfasst werden. Einen Anhaltspunkt erhält man anhand einer Analyse des Anteils der nicht gewaltorientierten Linksextremisten an der Gesamtzahl der Linksextremisten in den anderen Ländern sowie beim Bund. Für die beiden zurückliegenden Jahre 2021 und 2022 liegt dieser Anteil zwischen ca. 25 Prozent (Hamburg) und ca. 80 Prozent (Saarland). Die übrigen Bundesländer bewegen sich dazwischen. Ein Trend, dass z.B. die Zahl der gewaltorientierten Linksextremisten in Stadtstaaten überwiegt, in Flächenstaaten aber geringer ausfällt, lässt sich nicht feststellen. Während es in Sachsen im Berichtszeitraum deutlich mehr gewaltorientierte Linksextremisten gibt (zwischen 61 und 73 Prozent), sind diese in Berlin in der Minderheit (zwischen 23 und 25 Prozent). Vom Bundesamt für Verfassungsschutz wird der Anteil des nicht gewaltorientierten Linksextremismus mit ca. 70 Prozent angegeben. Orientiert man sich an der anderen Hansestadt, an Hamburg, und damit an der unteren Grenze, ist die Zahl der Linksextremisten in Bremen um etwa ein Viertel zu niedrig veranschlagt.
Konkret heißt das: Zunächst einmal bleibt der dogmatisch orientierte, parteiförmig organisierte Linksextremismus außen vor. Die Deutsche Kommunistische Partei (DKP), für die der „Klassenkampf“ weiterhin aktuell ist, um den „Sozialismus als erste Phase der kommunistischen Gesellschaftsformation“ zu erreichen, betont auch über drei Jahrzehnte nach dem Untergang der DDR-Diktatur noch ihre Verbundenheit mit der SED. Die Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD), maoistisch-stalinistisch ausgerichtet, zielt auf eine klassenlose Gesellschaft. Sowohl MLPD als auch DKP sind seit vielen Jahren in Bremen präsent, nicht zuletzt bei linksextremistisch beeinflussten Kundgebungen oder Demonstrationen. Aber weder deren Aktivitäten noch deren Mitgliederstärke werden vom Bremer Verfassungsschutzbericht dokumentiert.
Kein anderes Landesamt – vom Bundesamt ganz zu schweigen – blendet die beiden linksextremistischen Parteien und die übrigen nicht gewaltorientierten „Linksextremist:innen“, so wie es in Bremen geschieht, gänzlich aus. Es ist kein Zufall, dass lediglich im ebenfalls bis Frühjahr 2023 rot-grün-rot regierten Berlin die linksextremistischen Bestrebungen von DKP und MLPD im Einzelnen auch nicht dargestellt wurden, dort aber zumindest das Personenpotenzial der Parteien registriert wurde. Dass es auch „dogmatische Kommunist:innen“ gibt, wird im Bremer Verfassungsschutzbericht kurz erwähnt, aber nicht weiter ausgeführt. Offenbar ist dem Verfassungsschutz korrektes Gendern wichtiger, als die Bestrebungen gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung korrekt zu dokumentieren – jedenfalls wenn es um den Linksextremismus geht.
Die „Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend“ (SDAJ) ist zwar eigenständig, versteht sich aber als Nachwuchsverband der DKP, so wie es sich bei „Rebell“ um die Jugendorganisation der MLPD handelt. Die SDAJ Bremen hat eine Gruppe mit der SDAJ Oldenburg gebildet und zeigte 2021 Präsenz vor Ort, z.B. anlässlich des Ostermarsches, des Klimastreiks in Bremen oder anlässlich einer Solidaritätsaktion für die DKP zur Bundestagswahl. Im Zentrum der Kritik stand das „kapitalistische Ausbeutersystem“, gegen das man seine Rechte erkämpfen müsse. Im Jahr 2022 war „Rebell“ verschiedentlich aktiv, etwa im Rahmen einer Veranstaltung zur Bremer Räterepublik. Zudem beharrte der Jugendverband auf der Beteiligung von „Kommunisten“ an der 1. Mai-Kundgebung in Bremen.
Auch jenseits der linksextremistischen Parteien bzw. ihrer Jugendorganisationen weist der Verfassungsschutzbericht auffällige Lücken auf. Die Rote Antifa Bremen, die 2021 sogar mit der DKP gemeinsam agierte, erst 2022 geriet man miteinander in Streit und löste das Bündnis auf, nahm an mehreren Kundgebungen in Bremen und umzu teil, bis zum Bruch zusammen mit den „Genoss*Innen der DKP Bremen“. Die Rote Antifa Bremen betonte, dass man sich weiterhin als „Kommunist*Innen“ verstehe und rief zu Protesten gegen „Corona-Spaziergänge“ auf: „Antifa bleibt Handarbeit“. Darüber wie auch über das Rote Frauenkomitee Bremen erfährt der Leser vom Bremer Verfassungsschutz nichts. Dabei verteilte das Rote Frauenkomitee 2021 und 2022 in Bremen Flugblätter oder demonstrierte in den vergangenen Jahren anlässlich des Internationalen Frauentags in Bremerhaven. Angesichts der Pandemie beklagte es: „Das Land befindet sich im Ausnahmezustand, den die Herrschenden verordnet haben. (…) Nicht Corona ist der Auslöser dieser Krise, sondern dieses System selbst.“ Die Lösung sieht das Rote Frauenkomitee in einer „revolutionären Frauenbewegung, die sich mit unseren Klassenschwestern und -brüdern vereint und den Kampf um die Rekonstitution der Kommunistischen Partei vorantreibt“. Die Bundestagswahl im September 2021 bezeichnete das Rote Frauenkomitee in einem Boykottaufruf als „Wahlzirkus“ und als „Theater“, um zu schlussfolgern: „Die Rebellion ist gerechtfertigt!“
All diese Parteien bzw. Gruppierungen – hinzuzufügen wären z.B. auch die „Sozialistische Alternative“ (SAV) sowie die „Antikapitalistische Linke“ (AKL) – sind in Bremen aktiv, verfolgen verfassungsfeindliche Bestrebungen und haben mit der Demokratie „nichts am Hut“, aber im Bremer Verfassungsschutzbericht sucht man sie vergebens. Dass dieser über die extremistischen Bestrebungen „umfassend Auskunft“ gibt, wie Innensenator Mäurer gerne betont, ist mit Blick auf den Linksextremismus ein Ammenmärchen. Die linke Variante des politischen Extremismus wird teilweise gar nicht zur Kenntnis genommen, bewusst kleingerechnet oder verharmlost. Von „größtmöglicher Transparenz“, die das Landesamt für Verfassungsschutz verspricht, kann keine Rede sein. Als „Frühwarnsystem“ vermag ein solcher Verfassungsschutz erst recht nicht zu fungieren.
Dass der Verfassungsschutz keine unabhängige Institution, sondern dem Innensenator unterstellt ist, stellt so lange kein Hindernis dar, als die Feststellung verfassungsfeindlicher Aktivitäten ohne Ansehen der Partei/Gruppierung/Person sowie ohne Berücksichtigung politischer Opportunitäten erfolgt. Davon kann in Bremen keine Rede (mehr) sein. Der Verfassungsschutz ist längst ein politisches Instrument in Händen von SPD-Innensenator Ulrich Mäurer. Das führt dazu, dass manchmal genauer und manchmal weniger genau hingeschaut wird. Bei vielen Linksextremisten wird weniger genau hingesehen; bei der Partei „Die Linke“ – seit zwei Legislaturperioden Mehrheitsbeschaffer für Rot/Grün in Bremen – wird weggesehen.
So ist die alljährliche Gedenkfeier für die Kämpfer der Bremer Räterepublik, die vom 10. Januar bis zum 4. Februar 1919 währte, ein Stelldichein des Bremer Linksextremismus, das der Vernetzung der „Szene“ dient. Mit von der Partie waren am 6. Februar 2022 neben der gewaltorientierten Roten Hilfe u.a. die DKP, die MLPD, der Jugendverband „Rebell“, die Bremer „Antikapitalistische Linke“ (AKL) sowie die „Sozialistische Alternative“ (SAV). Und mittendrin – in offizieller Mission – „DIE LINKE, Landesverband Bremen“. Dass sich der aktuelle Bremer Verfassungsschutzbericht darüber ausschweigt, liegt neben der Beteiligung der linken Regierungspartei am Hauptredner der Veranstaltung: Ernesto Harder. Der DGB-Chef Bremen-Elbe-Weser ist wie Innensenator Mäurer SPD-Mitglied.
Offenbar hatte es im Vorfeld der Gedenkfeier Bedenken gegeben, dass die offene Kooperation mit Linksextremisten auffallen könnte. Das wollte sich aber die MLPD, die ebenfalls eine Rednerin stellte, nicht bieten lassen: „Bei der Vorbereitung der heutigen Veranstaltung wurde der Vorschlag gemacht, im Unterschied zu früheren Jahren, die Parteizugehörigkeit der Rednerinnen und Redner wegzulassen. Mir wurde vorgeschlagen, dass ich für ‚Together we are Bremen‘ spreche – und nicht als Vertreterin der MLPD. (…) Wie kann es sein, dass es ausgerechnet beim Rätegedenken nicht gewollt ist, den Namen von Revolutionären (sic), Kommunistischen (sic) und marxistisch-leninistischen Parteien zu nennen?“, empörte sich Lena Salomon von der MLPD über die Verschleierungstaktik.
Dass gemeinsame Aktionen mit dem gewaltorientierten Linksextremismus für Teile der Bremer Linken völlig unproblematisch sind, zeigt auch das „Bremer Bündnis gegen Krieg und Aufrüstung“, das in Folge des russischen Angriffs auf die Ukraine 2022 gegründet wurde und gegen die „Militarisierung Deutschlands“ Position bezog. Daran beteiligten sich die linksjugend Links der Weser, die linksjugend Landesarbeitskreis (LAK) „Klassenkampf“, die „Sozialistische Alternative“ (SAV) Bremen und die „Kämpfende Jugend“. Letztere gehört zu den gewaltorientierten linksextremistischen Organisationen. Sie möchte „dieses System stürzen (…) und den alten Staat zerschlagen“. Wahlen und Reformen werden als „bürgerlicher Nonsens“ bezeichnet, der demokratische Rechtsstaat müsse überwunden werden. Die „Kämpfende Jugend“ zielt auf eine gewaltsame Revolution und sieht in der „Diktatur des Proletariats“ den erstrebenswerten Übergang zur „klassenlosen Gesellschaft“.
Anlässlich einer Solidaritätsaktion mit italienischen Gewerkschaftern schrieb das Bündnis am 27. Juli 2022: „Wir waren gestern mit den Genoss*innen von @soli_groepel und weiteren Gruppen beim italienischen Konsulat in Bremen, um die Freilassung der italienischen Genoss*innen zu fordern. Ganz nebenbei ist das Konsulat auf dem Gelände von OHB, einem Rüstungsunternehmen, das vor allem Frontex ausstattet. Der Konsul ist der Chef von OHB selbst!“ Dazu muss man „ganz nebenbei“ wissen, dass in der Nacht vom 31. Dezember 2021 zum 1. Januar 2022 auf das Weltraumunternehmen OHB ein Brandanschlag verübt wurde, bei dem ein Sachschaden in sechsstelliger Höhe verursacht und die Gefährdung von Menschenleben in Kauf genommen wurde. Angesichts dieser Vorgeschichte ist der feixende Tonfall des „Bremer Bündnisses gegen Krieg und Aufrüstung“ geradezu abstoßend. Ob das Bündnis einer „rechten“ Parteijugend mit gewaltorientierten Rechtsextremisten im Verfassungsschutzbericht ebenso unerwähnt bliebe, wie das Bündnis der linksjugend mit der „Kämpfenden Jugend“ in Bremen, erscheint schwer vorstellbar.
Der LAK „Klassenkampf“ trat zwar im Oktober 2022 aus der linksjugend aus, konnte aber wenige Monate zuvor unter dem Dach der Jugendorganisation der Linkspartei seinen Gewaltphantasien noch freien Lauf lassen. Im März 2022 erläuterte der LAK „Klassenkampf“, was er unter „sozialistischer Befreiung“ verstehe – nämlich „die Zerschlagung des Patriarchats, der Marktwirtschaft, der Klassengesellschaft und des bürgerlichen Staats. Unser Ziel ist der Kommunismus“. Das offenbart, was unter dem Dach der Bremer linksjugend an politischen Positionen konsensfähig war und ist, aber vom Verfassungsschutz bewusst ignoriert wird.
Die „Basisgruppe Antifaschismus“ ist dem Verfassungsschutz zufolge „seit mehreren Jahren eine der aktivsten gewaltorientierten linksextremistischen Gruppierungen in Bremen“. Sie heißt Brandanschläge wie den in der Silvesternacht auf OHB gut und bekundet Sympathie mit den Tätern. „Damit“, argumentiert das Landesamt für Verfassungsschutz, „schafft sie ein Klima, in dem die Begehung von Brandanschlägen toleriert und ermöglicht wird“ Für den Landesverband der Linken in Bremen stellt das offenkundig keinen Grund dar, nicht miteinander zu kooperieren. Die „Basisgruppe Antifaschismus“ initiierte, wie der Verfassungsschutz betont, das „Bremer Bündnis gegen Preissteigerungen“, dem sich z.B. auch die gewaltorientierte „Interventionistische Linke“ und der Landesverband der Bremer Linken anschlossen. Anna Fischer, Landessprecherin der Linken, rief zur Teilnahme an der „Kundgebung des Bremer Bündnisses gegen Preissteigerungen“ am 16. Juli 2022 in Bremen-Vegesack auf. Sie forderte „politischen Druck auch von der Straße“.
An der Kundgebung nahm mit Maja Tegeler eine prominente Bürgerschaftsabgeordnete der Linken teil, die auch Mitglied im Bundesvorstand der Linkspartei ist. Außerdem war die Linke u.a. durch Doris Achelwilm vertreten, in der vergangenen Legislaturperiode noch für die Linke im Deutschen Bundestag, zuvor Landessprecherin ihrer Partei, die in einem Redebeitrag einen „heißen Herbst“ ankündigte. Auf welchem Niveau sich die Veranstaltung z.T. bewegte, zeigen zwei Transparente. Die gewaltorientierte „Basisgruppe Antifaschismus“ forderte: „Alles für Alle. Staat. Kapital. Preise. Scheiße“. Und Achelwilm stand hinter einem Transparent, das „Bonzen, Bullen und Brofite“ (sic!) für „verzichtbar“ erklärte, indes „Nudeln, Wohnen und Heizen“ als „unverzichtbar“ bezeichnete – „sonst gehen wir halt Plündern!“ Was wäre eigentlich gewesen, wenn die Populisten und Extremisten der AfD Plünderungen angedroht hätten, wäre das ebenfalls stillschweigend hingenommen worden?
Bei der Kundgebung am 16. Juli wurde auch für die linksextremistische „Sozialistische Alternative“ (SAV) als Teil der „Antikapitalistischen Linken“ (AKL) geworben, die einen „grundsätzlichen Systemwechsel“ fordert. Für die trotzkistische SAV sind „Klassenkämpfe“ unabdingbar. Schließlich war das „Rote Frauenkomitee Bremen“ vertreten, das in einem Flugblatt „einen kostenlosen Nahverkehr, Abschaffung der Mehrwertsteuer und Stromkostenübernahme“ forderte, aber vor allem „die kriegstreiberische deutsche Regierung unter der Führung des Gangsters Olaf Scholz“ kritisierte. Das Sondervermögen über 100 Mrd. Euro diene dazu, „die Angriffskapazitäten der imperialistischen deutschen Armee zu erhöhen“. Das „Rote Frauenkomitee“ rief zum „Widerstand“ auf: „Klasse gegen Klasse“ und „Krieg dem Krieg“.
Während der Bremer Verfassungsschutz einerseits kein Wort über die Kooperation des Landesverbands der Linken mit der „Basisgruppe Antifaschismus“ im Rahmen des „Bremer Bündnisses gegen Preissteigerungen“ verliert, schwadroniert er andererseits, dass die gewaltorientierten Linksextremisten mit solchen Bündnissen „Anschluss an die bürgerliche Mitte der Gesellschaft zu erlangen“ versuchten. Es mutet schon merkwürdig an: Die Beteiligung der Linken wird unter den Teppich gekehrt und zugleich eine Nähe zwischen gewaltorientiertem Linksextremismus und „bürgerlicher Mitte“ insinuiert. Das stellt die Wirklichkeit geradezu auf den Kopf. Nein, nicht die „Mitte“ war hier involviert, sondern es handelte sich um eine linke Veranstaltung, die erneut offenbarte, dass die Bremer Linke und andere linke Initiativen eine Abgrenzung zum gewaltorientierten Linksextremismus für überflüssig halten.
Dies zeigt sich auch in der Causa „Emily Laquer“. Die Vertreterin der gewaltorientierten „Interventionistischen Linken“ hat sich nie von den schweren gewalttätigen Angriffen von Linksextremisten auf die Polizei beim G20-Gipfel 2017 in Hamburg distanziert, sondern ihr taktisches Verhältnis zur Gewalt offenbart. „Ich will in einer Linken sein, die undogmatisch ist. Wir wollen immer prüfen, welches der gerade strategisch richtige Weg ist. (…) Wenn man es ernst meint mit der Vision des guten Lebens für alle, muss man auch etwas dafür riskieren. Das funktioniert nicht, wenn sich alle immer nur an die Regeln halten“, erklärte Laquer im Vorfeld des G20-Gipfels bei „Zeit-Online“. Nachdem es zu schweren gewaltsamen Ausschreitungen beim G20-Gipfel gekommen war, schrieb sie in einem Kommentar der taz: „Wie käme ich also dazu, Menschen das Recht abzusprechen, sich zu wehren und sich aufzulehnen? Ihnen vorzuschreiben, auf welche Weise sie ihrer Wut und Empörung Ausdruck verleihen dürfen? Vor wem muss ich mich rechtfertigen, wenn in Hamburg irgendwer eine Scheibe einwirft? (…) Und deshalb muss ich immer wieder auf die Gewaltfrage antworten: Nein, ich unterwerfe mich nicht. Nein, ich distanziere mich nicht. Ich weigere mich, harmlos zu sein“.
Das schreckte die Abgeordneten der Linksfraktion in der Bremischen Bürgerschaft keineswegs ab. Sie ließen sich im Mai 2022 von der „phantastischen @EmilyLaquer“ weiterbilden, twitterte die Fraktionsvorsitzende Sofia Leonidakis und veröffentlichte ein Foto von der Veranstaltung, an der auch der Co-Fraktionsvorsitzende Nelson Janßen teilgenommen hatte. Dieser rechtfertigte die „Weiterbildung“ durch Laquer auf Kosten der Steuerzahler gegenüber dem Weser-Kurier: „Wir haben sie nicht als politische Beraterin, sondern als Medientrainerin beschäftigt“. Sonderlich erfolgreich kann das Medientraining indes nicht gewesen sein, ist die Aussage von Janßen doch entlarvend: Für den Fraktionsvorsitzenden der Bremer Linken stellt also Medientraining durch eine bundesweit bekannte Vertreterin des gewaltorientierten(!) Linksextremismus(!) kein Problem dar. Es sagt viel aus über die Bremer Linke, dass sie den Schulterschluss mit dem gewaltorientierten Linksextremismus übt und diesen salonfähig machen möchte.
Und wie reagierte der Bremer Verfassungsschutz? Während dieser die eingangs erwähnten Aussagen Laquers aus der taz und/oder der „Zeit“ in den Verfassungsschutzberichten der Jahre 2017, 2018, 2019, 2020 und 2021 zu Recht ausführlich zitierte (wiewohl es gar keinen Bremen-Bezug gab), sucht man den Namen Emily Laquer im Verfassungsschutzbericht 2022 vergeblich. Also ausgerechnet in dem Jahr, in dem Laquer tatsächlich in Bremen aktiv wurde und führende Vertreter der mitregierenden Linken beriet und schulte, verzichteten die Bremer „Schlapphüte“ – selten war diese Bezeichnung treffender – auf eine Einordnung von Laquers fragwürdigem Verhältnis zur Gewalt. Ein Verfassungsschutz, der seine Berichte nach Faktenlage und Sachstand verfasst – und nicht nach politischer Opportunität –, hätte anders reagiert. Verfassungsschutz auf Abwegen.
Als zum Internationalen Frauentag im März dieses Jahres die Gruppe „Feministischer Streik Bremen“ zu einer Kundgebung aufrief, beteiligte sich auch die Bremer Linke. Die bereits erwähnten Doris Achelwilm und Maja Tegeler präsentierten mitten auf dem Bremer Marktplatz ein Transparent mit der Aufschrift: „Queer-Feminismus ist Klassenkampf“. Ob Bürgermeister Andreas Bovenschulte (SPD) mal aus dem Rathausfenster geschaut hat, was sein Koalitionspartner da fordert? Hier ist nicht der Ort für eine Auseinandersetzung mit „Queer-Feminismus“. Wer allerdings für den „Klassenkampf“ Partei ergreift, stellt sich selbst außerhalb des Verfassungsbogens. „Klassenkampf“ und parlamentarische Demokratie schließen einander aus. Mehrmals verweist der Verfassungsschutz bei seiner Einschätzung von Gruppierungen als linksextremistisch auch auf deren Befürwortung des „Klassenkampfs“, zielt dieser doch auf einen Umsturz der bestehenden „Klassenherrschaft“ – gemeint ist die Demokratie des Grundgesetzes.
Dass der linke Bürgerschaftsabgeordnete Olaf Zimmer, der angesichts von Brandanschlägen auf Streifenwagen einmal das Wort „flambieren“ verwendete, beim Bürgerschaftswahlkampf 2023 von der trotzkistischen „Sozialistischen Alternative“ (SAV) unterstützt wurde, für die der „Klassenkampf“ unverzichtbar ist, passt in dieses Bild. Aber man kann jetzt schon eine Prognose für den Bremer Verfassungsschutzbericht 2023 geben, der im nächsten Jahr vorgelegt wird: Wenn Vertreter der Bremer Linken zum „Klassenkampf“ aufrufen, hält sich der Verfassungsschutz Augen, Ohren und Mund zu. Wie bei den drei Affen: Nichts sehen, nichts hören und nichts sagen.
Drei Kritikpunkte sind anzuführen. 1. Trotz – oder vielleicht gerade wegen – eines pragmatischen Regierungskurses der linken Senatorinnen Kristina Vogt und Claudia Bernhard gibt es bei der Bremer Linken keine grundsätzliche Abgrenzung zum Linksextremismus. Dies fällt deshalb kaum auf, weil viele linksextremistische Parteien und Gruppen – nicht mehr so stark wie früher, aber weiterhin ein politischer Faktor – im Bremer Verfassungsschutzbericht schon lange keine Erwähnung mehr finden. Wer eine klare Distanzierung vom Rechtsextremismus fordert, diese aber gegenüber dem Linksextremismus vermissen lässt, agiert verräterisch.
2. Selbst vor einer Zusammenarbeit mit mehreren gewaltorientierten linksextremistischen Organisationen, die vom Verfassungsschutz immerhin (noch) beobachtet werden, schreckt die Linke nicht zurück. Bedenkt man, dass diese Partei mit fast allen gewaltorientierten linksextremistischen Gruppierungen in Bremen (der „Interventionistischen Linken“, der „Basisgruppe Antifaschismus“, der „Kämpfenden Jugend“ und der „Roten Hilfe“) entweder in Bündnissen kooperiert oder sonst wie zusammenarbeitet, liegt eine Frage an die Bremer Koalitionspartner auf der Hand, welche die offene Flanke, die große Lebenslüge von SPD und Grünen offenbart: Verhalten sich so Demokraten?
3. Dieser Kurs wird von führenden Vertretern des Landesverbands der „Linken“ unterstützt. Es sind also nicht nur einzelne, gleichsam „einfache“ Mitglieder, die die Nähe zu linksextremistischen Vereinigungen oder sogar zu gewaltorientierten Linksextremisten suchen und mit diesen paktieren, sondern in den vergangenen Jahren waren es Fraktionsvorsitzende, Parteivorsitzende (offiziell Landessprecher), Direktkandidaten zur Bundestagswahl, Landes- oder Bundesvorstandsmitglieder, also jene führenden Kräfte, welche den Kurs einer Partei und Fraktion wesentlich mitbestimmen und diese repräsentieren. Doch im Verfassungsschutzbericht ist davon nichts zu lesen. Die Institution, die als Verfassungsschutz bezeichnet wird, scheint in Bremen eine zweite Aufgabe zu übernehmen, von der im Verfassungsschutzgesetz keine Rede ist: die Regierung zu schützen.
Innensenator Mäurer hatte frühzeitig für die politische Instrumentalisierung des Verfassungsschutzes die Weichen gestellt. Am 2. Juli 2008 teilte er unter Berufung auf das Landesamt für Verfassungsschutz mit, dass es „keine Anhaltspunkte“ mehr für Aktivitäten der Linkspartei „gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung“ gebe. Merkwürdig daran war allerdings, dass ebenjenes Landesamt erst wenige Tage zuvor im Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2007 (vorgelegt im Juni 2008) zu ganz anderen Ergebnissen gekommen war. Dort wurden die „Anhaltspunkte“ für die verfassungsfeindlichen Bestrebungen der Partei „Die Linke“ im Einzelnen dargelegt. So würden zum Beispiel „offen extremistische Strukturen“ in der Linkspartei „geduldet und gefördert“. Darüber hinaus betonte das Landesamt für Verfassungsschutz sogar: „Zu beobachten ist in Bremen auch die Zusammenarbeit zwischen Organisationen, die der verbotenen ‚PKK‘ nahe stehen, mit der Partei ‚Die Linke‘“. Die Erkenntnisse des Verfassungsschutzes widersprachen also diametral der Position des Innensenators. Dieser hatte innerhalb kürzester Zeit den Verfassungsschutz „auf Linie“ gebracht und verdeutlicht, dass seine Entscheidung nicht auf sachlichen Gründen beruhte, wie er vorgab, sondern politisch motiviert war.
Mithin reduzierte sich die Zahl der Linksextremisten in Bremen im nächsten Verfassungsschutzbericht 2008 (vorgelegt am 19. Juni 2009) von 1110 auf 740, weil „Die Linke“ schlichtweg rausgestrichen wurde. Und so ging das in den folgenden Jahren weiter. 2012 reduzierte sich die Zahl der Linksextremisten auf 390, da die „Deutsche Kommunistische Partei“ (DKP), die Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands“ (MLPD), die „Sozialistische Alternative“ (SAV), die „Freie Arbeiterinnen und Arbeiter Union“ (FAU) sowie der „Arbeiterbund für den Wiederaufbau der KPD“ (KPD-AB) unerwähnt blieben. Sie existierten zwar nach wie vor, seien „in ihren Aktivitäten aber kaum wahrnehmbar“, schrieb der Verfassungsschutz – eine Einschätzung, die jeden überraschen musste, der das linksextreme Demonstrationsgeschehen verfolgte und auch sonst mit offenen Augen in Bremen unterwegs war.
Im Fokus standen fortan die gewaltorientierten Autonomen und die „Rote Hilfe“. Schließlich verzeichnete der Verfassungsschutzbericht 2015 eine Halbierung der gewaltorientierten Linksextremisten von 400 auf 200, als „Autonome Szene“ und „Rote Hilfe“ nicht mehr gesondert ausgewiesen wurden. Damit war jene Größenordnung erreicht, die seither Gültigkeit beansprucht. Bis 2022 (mit 240 gewaltorientierten Linksextremisten) gab es nur geringfügige Zunahmen. Der phänomenale Rückgang bei der Zahl der Linksextremisten in Bremen um etwa das Fünffache hat also auch damit zu tun, dass sie – zwar schwächer, aber bis zum heutigen Tag aktiv und präsent, wie die für 2021 und 2022 geschilderten Fälle belegen – einfach aus der Statistik entfernt wurden. Es ist der Bremer Weg der Linksextremismusbekämpfung.
Dabei fällt auf, dass Innensenator Mäurer in den Jahren, in denen Bürgerschaftswahlen stattfanden, ein besonderes Interesse für das Landesamt für Verfassungsschutz entwickelte. Die Bremer Verfassungsschutzberichte erschienen in den vergangenen 15 Jahren durchweg im Sommer, meist im Juni oder Juli, 2012 sogar erst im August. Nur in Wahljahren – die Bürgerschaftswahlen wurden in dieser Zeit stets im Mai durchgeführt – lagen die Verfassungsschutzberichte merkwürdigerweise schon im Frühjahr vor: am 15. April 2011 (Wahl am 22. Mai 2011), am 14. April 2015 (Wahl am 10. Mai 2015), am 24. April 2019 (Wahl am 26. Mai 2019) sowie am 13. April 2023 (Wahl am 14. Mai 2023). Das ist nicht verboten, lässt aber tief blicken. Denn der Amtseid, den die Bremer Senatoren ablegen, kennt keine besonderen „Amtspflichten“ vor den Wahlen zur Bremischen Bürgerschaft, er gilt für die gesamte Legislaturperiode. Mithin sollte man annehmen, dass die Unterrichtung der Öffentlichkeit über verfassungsfeindliche Bestrebungen genauso ernsthaft und frühzeitig erfolgt, wenn im Land Bremen kein Wahlkampf stattfindet. Falsch gedacht.
Der Vorwurf, dass der Bremer Verfassungsschutz politisch instrumentalisiert wird, bestätigt sich im Rechtsextremismusteil des aktuellen Jahresberichts auf kuriose Art und Weise. Der rechtsextremistische „III. Weg“, heißt es dort, habe in Bremen bislang keine Strukturen gebildet, aber schon Flugblätter verteilt. Die Partei wird zu Recht als rassistisch und fremdenfeindlich charakterisiert. Aber die Argumentation des Verfassungsschutzes fällt stellenweise unfreiwillig komisch aus: „So veröffentlichten Mitglieder des ‚III. Weg‘ auf ihrer Internetseite einen Beitrag, in dem sie ihre bundesweite Kampagne ‚Die wahre Krise ist das System‘ am Beispiel einer angeblich seit Jahren in Bremen verfehlten Bildungspolitik bewarben.“ Wieso „angeblich“? Dass die Bremer Bildungspolitik seit Jahren verfehlt ist, würden die meisten Bremerinnen und Bremer unterschreiben. Mit Rechtsextremismus hat das nichts zu tun. Bei Bildungsvergleichen belegt Bremen regelmäßig hintere Plätze, wenn nicht sogar weit abgeschlagen den letzten Rang.
Vor der Bürgerschaftswahl im Mai 2023 veröffentlichte der Weser-Kurier eine Infratest-Dimap-Umfrage, wonach 75 Prozent der Bremerinnen und Bremer mit der Schul- und Bildungspolitik „eher unzufrieden“ waren. „Eher zufrieden“ äußerten sich lediglich 17 Prozent. In keinem anderen Politikbereich war die Unzufriedenheit größer und die Zufriedenheit kleiner. Auch die Bewertung von Bildungssenatorin Sascha Aulepp (SPD) fiel niederschmetternd aus. Nur 14 Prozent der Bremerinnen und Bremer sagten, sie seien mit deren politischer Arbeit „eher zufrieden“ – von allen Senatoren der schlechteste Wert. Aber wie schlecht muss es um die SPD-Senatorin tatsächlich bestellt sein, dass ein – offenkundig übereifriger und politisch motivierter – Referent beim Verfassungsschutz glaubt, ihre Politik selbst vor rechtsextremer Propaganda verteidigen zu müssen? Wie dem auch sei, mit Bewertungen der Bremer Politik überschreitet das Landesamt für Verfassungsschutz klar seine Kompetenzen. Einschätzungen über gelungene oder verfehlte politische Maßnahmen gehören nicht zu den Aufgaben des Verfassungsschutzes und haben in einem Verfassungsschutzbericht nichts zu suchen. Das weiß die Bremer Innenbehörde ganz genau, aber kurz vor der Bürgerschaftswahl übersah man das wohl gerne.
Bei den Beratungs- und Präventionsangeboten in Bremen setzt sich die Einseitigkeit fort. Bemühungen, junge Leute vor dem Abgleiten in den Linksextremismus zu bewahren, werden im Zwei-Städte-Staat als unnötig angesehen. Die vorhandenen Angebote richten sich ausschließlich an „Betroffene, Ratsuchende und Interessierte zu den Themengebieten Rechtsextremismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit sowie islamistischer Extremismus und antimuslimischer Rassismus“, wie es im aktuellen Verfassungsschutzbericht über das „Demokratiezentrum Land Bremen“ heißt, das der Sozialsenatorin zugeordnet ist. Daneben existiert das Beratungsnetzwerk „ADERO“ (bis 2021 „kitab“), welches die Auseinandersetzung mit religiös begründetem Extremismus in den Mittelpunkt stellt. „KODEX“, das „Kompetenzzentrum für Deradikalisierung und Extremismusprävention“, angesiedelt beim Innensenator, ergänzt das Angebot des Demokratiezentrums. Es konzentriert sich auf die „Arbeit mit bereits stark radikalisierten Personen aus den Bereichen des gewaltorientierten Islamismus sowie des gewaltorientierten Rechtsextremismus.“
Darüber hinaus existieren die zum Demokratiezentrum gehörenden Initiativen: „Sichtwechsel“, die „Ausstiegs- und Distanzierungsberatung im Bereich Rechtsextremismus für das Land Bremen“, die Beratungsstelle „soliport – Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt solidarisch beraten“, die „Fachstelle Rechtsextremismus und Familie“ sowie das „Mobile Beratungsteam gegen Rechtsextremismus Bremen und Bremerhaven“. Letzteres gibt ganz offen zu verstehen, wo es ein großes Problem sieht: „Mit Vorträgen und Diskussionen, bei Fortbildungen und mit unseren Veröffentlichungen sensibilisieren wir für Entwicklungen, die das demokratische Miteinander gefährden – nicht zuletzt auch in der so genannten Mitte der Gesellschaft“. Gefährdungen des demokratischen Verfassungsstaates durch den Linksextremismus erscheinen dem „Demokratiezentrum Land Bremen“ nicht einmal als erwähnenswert. Offensichtlich schätzt man die Gefahr, die aus der „so genannten Mitte der Gesellschaft“ herrührt, als wesentlich größer ein.
Angebote zum Ausstieg für Linksextremisten sucht man denn auch in Bremen vergebens! So gibt es im Zwei-Städte-Staat zwar zahlreiche Beratungsprogramme, aber kein einziges beschäftigt sich mit dem immerhin quantitativ zumindest zweitstärksten Phänomenbereich. Dass Bremen hier geradezu „blank“ ist, hat vor allem mit der rot-grün-roten Regierung zu tun. Dabei wäre Hilfe beim Ausstieg aus der Ideologie des Linksextremismus längst überfällig. Aber es fehlt schlichtweg am politischen Willen des linken Senats, den Linksextremismus überhaupt als Extremismus anzuerkennen (wenn er nicht gerade gewaltorientiert ist) und mit der gebotenen Härte in die Schranken zu verweisen – als gäbe es Hass und Hetze nur bei Rechtsextremisten und Islamisten.
Als sich im Herbst 2020 linksextremistische Anschläge auf Polizeireviere und Streifenwagen häuften, verständigten sich die Parteivorsitzenden von SPD, Grünen und Linken lediglich auf eine wenige Zeilen umfassende gemeinsame Erklärung, in der man sich von der Gewalt distanzierte. Wiewohl es ein Bekennerschreiben auf einer linksextremistischen Internetplattform gab, konnte sich Rot-Grün-Rot weder einen Hinweis auf eine Verortung der Täter im politischen Koordinatensystem noch gar explizite Kritik am Linksextremismus abringen.
Im Koalitionsvertrag von Rot-Grün-Rot, der im Juli 2023 unterschrieben wurde, sucht man das Wort Linksextremismus vergeblich. Sagen wir es mit der größtmöglichen Zurückhaltung: Die Bremerinnen und Bremer werden vom Senat hinsichtlich des Linksextremismus für dumm und dämlich verkauft.
Und der Bremer Verfassungsschutz, mit dem sich der Kreis schließen soll? Völlig abstrus ist es, dass aus den beiden letzten Bremer Verfassungsschutzberichten zwar die personelle Stärke der Salafisten (510 bzw. 470) hervorgeht, aber weder die der Linksextremisten noch die der Rechtsextremisten. Die (unverändert gebliebenen) Zahlen, die für 2021 und 2022 kursieren – 190 Rechtsextremisten und 240 (gewaltorientierte) Linksextremisten –, stammen aus den Pressekonferenzen des Innensenators und des Leiters des Landesamtes für Verfassungsschutz bzw. aus den Pressemitteilungen der Behörde des Innern, aber im jeweiligen Verfassungsschutzbericht selbst sind sie gar nicht enthalten! Freilich, welche Funktion soll ein Verfassungsschutzbericht haben, wenn nicht die auch über die Stärkenverhältnisse des politischen Extremismus zu informieren? In Bremen reicht es anscheinend, dass ein – Publicity-affiner – Innensenator die Zahlen vor der Presse präsentiert, ob sie dann im Verfassungsschutzbericht wirklich angeführt sind, wo sie eigentlich hingehören, scheint zweitrangig zu sein.
Während in der vergangenen Dekade bis 2020 der Verfassungsschutz im Anhang seines Berichts stets eine Übersicht des Personenpotenzials extremistischer Gruppierungen anführte, fehlt dieses Schaubild für 2021 und 2022. Offenbar ist das in Bremen erst nach Drucklegung der beiden Jahresberichte aufgefallen, so dass inzwischen jeweils ein Nachtrag mit der Mitgliederstärke ins Netz gestellt wurde. Die Behörde machte sich nicht einmal die Mühe, auf der Homepage die unvollständigen Verfassungsschutzberichte für 2021 und 2022 durch zwei neue PDFs zu ersetzen. Und wer in den vergangenen beiden Jahren beim Landesamt für Verfassungsschutz um die Zusendung der Bremer Verfassungsschutzberichte für 2021 bzw. 2022 bat, der erhielt die unvollständige, gedruckte Version ohne die Zahlen der Links- und der Rechtsextremisten. Ein Zusatzblatt mit den fehlenden Angaben oder zumindest ein Hinweis auf die nachgereichte Übersicht im Internet lag nicht bei.
Dr. Ralf Altenhof ist Politikwissenschaftler, seit 2008 Landesbeauftragter sowie Leiter des Politischen Bildungsforums der Konrad-Adenauer-Stiftung in Bremen und Mitherausgeber des Buches „Politischer Extremismus im Vergleich“.