Comptes-rendus d'événement
„Oberflächliche Gelassenheit“ im Umgang mit Terror in Deutschland?
Am 19. Dezember 2016 fuhr ein Tunesier mit einem LKW in eine Menschenmenge auf dem Berliner Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche. Zwölf Menschen starben dabei, inklusive des polnischen Speditionsfahrers, 55 wurden verletzt. Der islamistische Terroranschlag ist der letzte einer Reihe von Gewalttaten in Deutschland, eine Serie, die ganz Europa erfasste: Brüssel, Nizza, Paris, um nur einige zu nennen. Und doch scheinen die Deutschen anders reagiert zu haben, ohne Entsetzen oder Pathos, mit einer „oberflächlichen Gelassenheit“, findet Tanit Koch, Chefredakteurin der Bild-Zeitung. Oberflächlich? Ja, denn die Zahl der beantragten Waffenscheine sei auf Rekordhöhe, argumentiert sie.
Zwischen öffentlicher Anteilnahme und Rückkehr in den Alltag
Historiker Michael Wolffsohn sieht keinen Gleichmut bei den Menschen: „Der Alltag geht weiter, aber im Kopf haben die Menschen die Befürchtungen.“ Das Blumen- und Kerzenmeer am Anschlagsort und die Trauerbekundungen in den Sozialen Medien sprechen eine andere Sprache. Doch das reicht vielleicht nicht. Für Koch steht fest, dass wir die Anteilnahme öffentlich leben müssten, denn „auch Anteilnahme schweißt zusammen wie ein WM-Sieg.“ Vor allem dürfe den Tätern nicht zu viel Raum gegeben werden. Die Bild-Chefin hat eine einfache Erklärung für die reduzierte Berichterstattung über Opfer: „Kein Journalist berichtet gerne über menschliches Leid.“ Wolffsohn sieht noch ein weiteres Problem. Wer über Opfer schreibt, müsse auch zu einer Täterdiskussion kommen. Doch es gebe „eine öffentliche Furchtsamkeit, das Problem zu benennen“: ein islamistischer Täter aus einem islamischen Umfeld.
Grund genug für die Konrad-Adenauer-Stiftung, auf einer internationalen Fachkonferenz drei islamistische Terrororganisationen zu diskutieren: Al-Qaida, den sogenannten „Islamischen Staat“ (IS) und Hisbollah. Alle haben unterschiedliche Potenziale und Schwerpunkte – ein Akteur aber dürfte dieses Jahr besonders gefährlich werden.
Von den Lokalgrößen Hisbollah und al-Qaida…
Während die Hisbollah für Israel eine nach wie vor größere Bedrohung ist, stellt sie für die innere Sicherheit in Europa eine eher geringe Gefahr dar, vor allem im direkten Vergleich zu al-Qaida und dem IS. Sie verdiene zwar international durch Drogenhandel, Geldwäsche und Waffenschmuggel. Ihr primärer Fokus liege momentan aber in Syrien, berichtet Matthew Levitt vom Washington Institute for Near East Policy. Sollten Strafverfolgungsbehörden ihre Machenschaften jedoch gefährden oder Sicherheitsdienste ihr Personal angreifen, reagiere die Hisbollah weltweit mit Attentaten oder Entführungen.
In Syrien ist auch die Terrororganisation Dschabhat Fatah asch-Scham aktiv. Sie nannte sich ursprünglich al-Nusra-Front, gab aber im Juli 2016 offiziell ihre Trennung von al-Qaida bekannt. Sie gilt jedoch weiterhin als al-Qaidas Präsenz in Syrien, mit knapp 10.000 Mann unter Waffen, sagt Dr. Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Und während al-Qaida in Afghanistan auch die nächsten zwanzig Jahre noch Juniorpartner der Taliban sein dürfte, hätte die Organisation „in Syrien die Chance, sich durchzusetzen“, so der Wissenschaftler.
Auch im Jemen sei al-Qaida aktiv und dort „tief verwurzelt in der Gesellschaft“. Dennoch könne diese Gruppierung „kreative Anschläge auf die Luftfahrt“ durchführen, warnt Steinberg. Aber es fehle ihr an europäischen und afrikanischen Freiwilligen, „die sind alle zu ISIS gegangen“, so der Nahostexperte. „Mit diesen beiden Organisationen werden wir es lange zu tun haben“, prognostiziert Steinberg.
... zur erhöhten Terrorgefahr durch den Islamischen Staat
Damit wären wir bei der größten Bedrohung: dem sogenannten Islamischen Staat. Dessen „globale Expansion ist gescheitert“, fasst Dr. Hans-Jakob Schindler den territorialen Niedergang der Terrormiliz zusammen. Der Koordinator des ISIL (Da'esh), Al-Qaida and Taliban Monitoring Teams beim UN-Sicherheitsrat befasst sich intensiv mit den Terrororganisationen und sagt, dass sich der Charakter und die Art und Weise, wie der IS momentan agiert, ändern werden. Mit dem Staatsgebiet kamen 70 bis 80 Prozent der Einnahmen aus Mieten und Steuern sowie dem Verkauf von Öl und geraubten Antiquitäten. Doch in den kommenden zwölf Monaten werde sich die Finanzierung grundlegend wandeln, hin zu einem „al-Qaida-Stil“, ist sich Schindler sicher: Die Spenden aus dem Ausland würden voraussichtlich zunehmen, Kidnapping und das Erpressen von Lösegeld werden ihm zufolge im Vordergrund stehen. Und damit seien besonders Journalisten in den Kampfgebieten gefährdet. Beinahe wichtiger noch: Die Terrorgefahr werde sich noch stärker nach außen verlagern, auf die Nachbarstaaten, „aber auch nach Europa und international“, so Schindler. Steinberg macht sich vor allem wegen der IS-Anhänger Sorgen, Probleme könnten ihre Radikalität und Opferbereitschaft sowie die große Anzahl bereiten.
„Ob ein Anschlag stattfindet, ist eine Frage von Tatgelegenheiten“
Schindler erwartet jedoch keine außerordentliche Welle von Rückkehrern aus den Kampfgebieten in Syrien und im Irak, „so viele kommen nicht mehr“: Viele von ihnen seien bereits zurück in ihrer europäischen Heimat. Diejenigen, die nun noch im „Kalifat“ seien, würden vom IS an einer Ausreise gehindert, fürchteten eine Festnahme bei der Einreise oder würden voraussichtlich in den kommenden Monaten im Kampf sterben. Einen beständigen, kleinen Strom von Rückreisenden werde es jedoch geben, meint Schindler, und auf diese wenigen müsse man achten.
Trotz dieser Entwicklung mahnt Jens Koch zu Besonnenheit. Er leitet im Bundesministerium des Inneren die Arbeitsgruppe Internationaler Terrorismus und Extremismus – und hat großes Vertrauen in die Arbeit der Sicherheitskräfte. Er sieht aktuell keine erhöhte Gefahr: Zwar müsse man die momentan 619 islamistischen Gefährder in Deutschland stärker überwachen, so Koch. An die sich linear entwickelnde Bedrohungslage passten sich die Sicherheitsdienste aber an. „Ob ein Anschlag stattfindet, ist eine Frage von Tatgelegenheiten“, und „Europa ist ein einheitlicher Gefahrenraum“, fasst Koch die Lage zusammen, Steinberg widerspricht: Der IS habe eindeutig England, Frankreich und Deutschland zu Zielen erklärt. Es gebe durchaus nationale Gefahrenräume, betont er.
Disruption, Division, Deradikalisierung – und Integration
Um der Terrorgefahr zu begegnen sind im Grunde drei Maßnahmen möglich, die Professor Shlomo Shpiro vom Begin-Sadat Center for Strategic Studies zusammenfasst: Disruption, also taktisch aufzuklären und die Terroristen aus dem Verkehr zu ziehen; Division, das heißt bestehende, nicht so radikale Gruppierungen in Terror-Organisationen zu unterstützen, um die Gefährlicheren zu schwächen, und schließlich Deradikalisierung. Doch gerade der letzte Teil werde in Europa und auch den USA vernachlässigt. „Wir legen zu wenig Aufmerksamkeit darauf, was in Gefängnissen passiert“, warnt Shpiro. Dabei weisen die meisten Täter eine kriminelle Vergangenheit auf, diese sei ein fruchtbarer Grund für Radikalität. Die Islamisten würden den jungen Kleinganoven eine Zugehörigkeit bieten – und geldwerte Vorteile, so Shpiro. Und im „Medienkrieg“ sei es schließlich wichtig, Terrorinhalte online auszuschließen. Ein solches Vorgehen funktioniere auch beim Kampf gegen Kinderpornografie.
Auch in den Sozialen Netzwerken verbreiten Islamisten ihre Propaganda. Doch ein vollständiger Lösch-Automatismus sei kaum umsetzbar, sagt Dr. Erin Marie Saltman von Facebook. Wie soll beispielsweise ein Filter herausfinden, dass Aktivisten in einem Posting terroristische Inhalte verdammen? Zudem bestehe islamistische Propaganda häufig aus sehr positiver Sprache, und „vieles davon ist nicht illegal“, betont Saltman. Deshalb verlasse sich Facebook sehr stark auf die Nutzer, um Inhalte zu markieren. Zudem arbeite man gemeinsam mit Partnern an Gegen-Narrativen.
Michael Wolffsohn wies noch auf eine gesellschaftliche Dimension hin. Ihm zufolge sei die islamische Diaspora der Raum, in dem Terroristen Deckung finden, eine Art ziviles Schutzschild. Zwar seien 90 Prozent der Muslime in Deutschland strikt gegen muslimischen Terror, doch die anderen zehn Prozent reichten bereits aus für die Zwecke der Islamisten. Der Historiker, der sich in seiner Nachbarschaft stark für Integration engagiert, kritisiert die fehlende Willkommenskultur in England oder Frankreich: Eine der wirksamsten Maßnahmen sei eine gelingende Integration von Flüchtlingen und Migranten.
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À propos de cette série
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