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Neue EU-Sanktionen gegen Belarus bei schweren Menschenrechtsverstößen "sehr wahrscheinlich"

Interview mit Dr. Oliver Ernst, Experte für Demokratie und Menschenrechte der Konrad-Adenauer-Stiftung Berlin

Angesichts der Zuspitzung der Menschenrechtslage in Belarus wird viel spekuliert, ob im Fall eines harten „Crackdowns“ seitens des Westens mit neuen Sanktionen zu rechnen wäre. Dr. Oliver Ernst analysiert im Gespräch, wie wahrscheinlich dies wäre - und kommt zu einem klaren Ergebnis

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KAS Belarus: Angesichts der Zuspitzung der Menschenrechtslage in Belarus wird viel spekuliert, ob im Fall eines harten „Crackdowns“ seitens des Westens mit neuen Sanktionen zu rechnen wäre. Die EU plant die Einführung eines Regimes der „Global Human Rights Sanctions“. Für wie wahrscheinlich halten Sie, dass die EU bei schweren Menschenrechtsverletzungen sogenannte „smarte“ Sanktionen gegen Belarus verhängen könnte?

Dr. Oliver Ernst: Die erstmals 2004 von der EU gegen Belarus verhängten Menschenrechtssanktionen wurden 2016 aufgehoben, ohne dass sich relevante Verbesserungen der Menschenrechtslage ergeben hatten. Ein erneutes Sanktionsregime könnte hingegen schon sehr bald über Belarus verhängt werden, da die EU derzeit an neuen Regeln arbeitet, die gezielte Menschenrechtssanktionen gegen Individuen und Institutionen vorsehen. Als schwere Menschenrechtsverstöße gelten dabei neben Genozid oder außergerichtlichen Hinrichtungen auch Verfolgung aus religiösen, ethnischen und politischen Gründen oder Folter.

 

KAS Belarus: Was wird neu sein am künftigen EU-Sanktionsregime?
Dr. Ernst: Neu ist, dass es nicht auf gesamte Staaten abzielt. Damit soll der alte Konflikt zwischen wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Interessen auf der einen und dem Anliegen des Schutzes der Menschenrechte auf der anderen Seite gemindert werden. Auch beinhaltet der neue Sanktions-Ansatz eine Komponente, die auf die „Verhaltensänderung“ der gezielt sanktionierten Individuen und Institutionen abzielt. Dadurch ergibt sich die Möglichkeit, die entsprechenden Listungen so lange beizubehalten, bis überprüfbare Belege für eine Abkehr von menschenrechtsfeindlichen Verhaltensweisen vorgelegt werden. Es ist davon auszugehen, dass die EU die künftigen Listungen für gezielte Sanktionen einerseits nach aktueller Relevanz, andererseits nach (menschenrechts-)politischen Prioritätensetzungen vornehmen wird.

 

KAS Belarus: Von welcher Art Sanktionen wäre dann die Rede?
Dr. Ernst: Die beiden wichtigsten Mittel werden Reiseverbote in der EU/im Schengenraum und das Einfrieren von Vermögen in der EU sein. Daher werden vor allem Individuen und Institutionen mit „smarten“ Sanktionen belegt werden, bei denen davon ausgegangen werden kann, dass die Sanktionen sie tatsächlich treffen und eine potentielle Wirkung entfalten können.

 

KAS Belarus: Das neue Sanktionsregime ist auch ein Thema im Rahmen der deutschen Ratspräsidentschaft. Wann ist mit der Umsetzung zu rechnen und wie schnell könnte dies dann Personen aus Belarus betreffen?

Dr. Ernst: Ich möchte nicht zu viel spekulieren. Ich erwarte eine Listung frühestens zum Ende der deutschen Ratspräsidentschaft, realistischer aber erst im Jahr 2021. Die zeitliche Dimension ist derzeit unklar. In der EU werden jeweils jährlich die Sanktionen geprüft und ggf. verlängert. Im Vereinigten Königreich ist das neue Regime auf eine dreijährige Phase angelegt. Vermutlich wird die EU eher die Ein-Jahres-Frist beibehalten, da diese eine hohe Flexibilität bietet, auch De-Listungen unkompliziert vorzunehmen.

KAS Belarus: Was ist grundsätzlich Ihre Einschätzung gemessen an internationalen Erfahrungen: Funktionieren Sanktionen?

Dr. Ernst: Eindeutig ja, wenn sie einen nachhaltigen Druck aufbauen, wie bspw. im Falle der Magnitsky-Sanktionen 2018 gegen zwei türkische Minister (Justiz- und Inneres). Der in der Türkei inhaftierte amerikanische Pastor Brunson wurde innerhalb kurzer Zeit von den türkischen Behörden freigelassen und konnte in die USA zurückkehren. Das in Rede stehende Instrument smarter, gezielter Sanktionen wird ja in der EU neu eingeführt, daher wird dieses Regime erst nach einigen Jahren hinsichtlich seiner Wirksamkeit evaluiert werden können. In den USA ist es seit 2012 als „Magnitsky-Act“, bzw. seit 2016 („Global Magnitsky Act“) in Kraft. Die USA üben aber aufgrund ihrer politischen Kraft einen erheblich größeren Druck im Hintergrund des Sanktionsregimes aus. Daher ist der Erfolg, der gegen die beiden türkischen Minister verhängten Sanktionen, zwar ein interessantes Beispiel, aber schwierig auf die EU-Sanktionspolitik übertragbar.



KAS Belarus: Wie stark steht die „Magnitsky“-Gesetzgebung aktuell Pate für die Überlegungen in der EU?

Dr. Ernst: Die Fokussierung auf den Fall Magnitsky ist auch in der EU sehr stark. Eine Listung von Personen, die in den Fall in verantwortlicher Position verwickelt sind, ist in der EU - vergleichbar mit den UK Sanktionen vom 6. Juli 2020 - nicht unwahrscheinlich.
 


KAS Belarus: Herzlichen Dank für das Gespräch!

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