Der politische Wechsel blieb aus. Die traditionellen Parteien Parti socialiste (PS) und Les Républicains (LR) konnten alle Regionen in Zentralfrankreich behaupten. Nur in den Überseeregionen Martinique und La Réunion wechselt die Regionalregierung. Hier haben linke Parteienbündnisse die Mehrheit der Wählerstimmen errungen. Die anderen 15 scheidenden Regionalpräsidentinnen und -präsidenten wurden im Amt bestätigt und haben deutlich vom Amtsbonus profitiert. Ihre Arbeit und ihr Einsatz für die jeweilige Region in den vergangenen sechs Jahren wurden von den französischen Wählerinnen und Wählern honoriert. Durch die Wiederwahl fast aller Amtsinhaberinnen und -inhaber unabhängig von der Couleur zeigt sich, dass Persönlichkeiten und weniger die Parteiprogramme im Mittelpunkt der Wahl standen. Trotz dieses klaren Ergebnisses war der Ausgang der Wahlen vielerorts offen. Das zeigte sich daran, dass keine Kandidatin und kein Kandidat im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit errungen hat und dass in vielen Regionen Stichwahlen zwischen bis zu fünf Kandidatinnen und Kandidaten durchgeführt werden mussten.
Überraschend sind zwei Ergebnisse der Regionalwahlen. Zum einen hat der rechts-populistische Rassemblement national (RN) entgegen vieler Befürchtungen stark verloren. Umfragen im Vorfeld hatten dem RN hohe Chancen ausgerechnet, erstmals eine französische Region zu gewinnen. Zum anderen hat die Wahlbeteiligung in beiden Wahlgängen einen Negativrekord erreicht. Beim zweiten Wahlgang betrug sie nur 35 Prozent. Die Parteien haben es trotz intensiver Bemühungen nicht geschafft, für die Wahl zu mobilisieren. Das wirft ernste Fragen über die Repräsentativität der Wahl und die lokale französische Demokratie auf.
Abschneiden der Parteien
Wahldebakel für das Regierungsbündnis LREM/ Modem
Die Regierungspartei von Emmanuel Macron La République en Marche (LREM) und ihr Bündnispartner Mouvement démocratique (Modem) sind bei den Regionalwahlen gescheitert. LREM konnte keine einzige Region in Zentralfrankreich für sich entscheiden. Besonders schmerzhaft war dies in Regionen, in denen hochrangige und bekannte Politikerinnen und Politiker angetreten sind. Im Norden Frankreichs, in Hauts-de-France, hat LREM gleich fünf Ministerinnen und Minister für die Wahl aufgestellt, die es dann aber nicht einmal in den zweiten Wahlgang geschafft haben. Im Westen, in Pays-de-la-Loire (François de Rugy) und in Centre-Val de Loire (Marc Fesneau), sowie im Osten, in Grand Est (Brigitte Klinkert), haben die Ministerin und Minister nur jeweils den letzten Platz bei der Stichwahl belegt. Lediglich in der Überseeregion Guadeloupe wurde der Regionalpräsident Ary Chalus, gemeinsamer Kandidat von LREM und der regionalen Partei Guadeloupe unie, solidaire et responsable, im Amt bestätigt.
Die öffentlichen Reaktionen der Partei zum Wahldebakel sind verhalten. Der Parteivorsitzende Stanislas Guerini spricht von einer Enttäuschung für die Regierung. Präsident Macron und der Premierminister Castex haben sich kaum zum desaströsen Ergebnis für LREM geäußert. Der Präsident ließ verlautbaren, dass die Regionalwahlen keine nationalen Folgen haben werden und er den Premierminister nicht austauschen werde. Damit reagierte er auf Forderungen nach einer Regierungsumbildung, wie sie häufig nach Wahlen in Frankreich erfolgt. Stattdessen bemüht sich der Präsident andere Themen auf die Agenda zu setzen, wie er mit einem Besuch im Renault-Werk in Douai am Morgen nach der Wahl deutlich machte.
Das Scheitern von LREM bei den Regionalwahlen zeigt, dass die Partei weiterhin schlecht auf lokaler und regionaler Ebene verankert ist. Die Strategie von LREM, die Regionalwahlen zu einer nationalen Wahl zu machen, die Rechtspopulisten als Hauptgegner aufzubauen und die traditionellen Parteien wie LR und PS zu schwächen, ist nicht aufgegangen. Der Einsatz vieler Ministerinnen und Minister hat nicht zum Erfolg geführt. Auch das Bemühen um Allianzen mit dem bürgerlich-konservativen Lager gegen die Rechtspopulisten war erfolglos. Nichtsdestotrotz hat das Ergebnis vermutlich wenig Auswirkungen auf die Popularität von Emmanuel Macron und die nationale Ebene.
Freude über Wahlsieg im bürgerlich-konservativen Lager
Der Gewinner des Wahlabends ist das bürgerlich-konservative Lager. Es hat die von ihr angeführten sieben Regionen in Zentralfrankreich behauptet. Die Kandidatinnen und Kandidaten haben sehr gute Ergebnisse eingefahren. Die Präsidentschaftsanwärterin und -anwärter Valérie Pécresse (46 Prozent in Île-de-France), Xavier Bertrand (52 Prozent in Hauts-de-France), Laurent Wauquiez (55 Prozent in Auvergne-Rhône-Alpes) gehen gestärkt aus dieser Wahl hervor. Im Fokus stand vor allem die Region Provence-Alpes-Côte d’Azur (PACA), in der der Rechtspopulist Thierry Mariani in den Umfragen vorne lag. Der amtierende Regionalpräsident Renaud Muselier hat den engen Zweikampf gegen Mariani mit Hilfe eines breiten Bündnisses ohne Beteiligung der Linken mit einem deutlichen Ergebnis von 57 Prozent für sich entschieden.
Die Freude am Wahlabend war groß bei den Républicains. In PACA und in Hauts-de-France beglückwünschten sich die Kandidaten, dem rechtspopulistischen RN Einhalt geboten zu haben. Christian Jacob (Parteivorsitzender): „Die Rechte ist heute Abend mehr denn je auf den Beinen. Wir sind jetzt eindeutig die einzige alternative Kraft“.[1] Der wiedergewählte Regionalpräsident von Hauts-de-France Xavier Bertrand brachte sich mit einer staatsmännischen, an ganz Frankreich gerichteten, Rede am Wahlabend als Kandidat für die Präsidentschaftswahlen in Stellung. Auch der Vorsitzende der LR-Fraktion im Senat Bruno Retailleau machte deutlich, dass LR die Fähigkeit habe, einen dritten Spieler in den Kampf ums Präsidentenamt neben Emmanuel Macron und Marine Le Pen einzubringen.
Das gute Abschneiden der Républicains bei den Regionalwahlen hat gezeigt, dass die Partei in den Regionen wie auch den Kommunen stark verankert ist. Auf nationaler Ebene fehlt es ihnen bisher noch an Einigkeit und Stärke – vor allem mit Blick auf einen Präsidentschaftskandidaten. Seit dem schlechten Ergebnis bei den Präsidentschaftswahlen 2017 schrumpft und fragmentiert sich die Partei. Ob mit dem Rückenwind aus den Regionalwahlen den LR eine Renaissance des bürgerlich-konservativen Lagers gelingen kann, werden die kommenden Monate zeigen.
Das linke Lager geht gestärkt hervor
Das linke Lager, zu dem die gemäßigten Linken der Parti socialiste (PS), die französischen Grünen Europe Ecologie-les Verts (EELV) sowie die linkspopulistische Partei La France insoumise (LFI) und verschiedene Kleinstparteien gehören, konnte sich in den Wahlen behaupten. Dem PS ist es gelungen die fünf Regionen Nouvelle-Aquitaine, Occitanie, Bretagne, Centre-Val de Loire und Bourgogne-Franche-Comté in Zentralfrankreich zu verteidigen. Nur in der Bretagne hat der PS nicht die absolute Mehrheit im Regionalrat erreicht und regiert fortan mit den Grünen. In Occitanie hat die PS-Kandidatin Carole Delga mit 58 Prozent sogar das beste Ergebnis aller Regionen erhalten. In den Überseeregionen Martinique und La Réunion kommt es zu einem Regierungswechsel zugunsten von linken regionalen Bündnissen. Die französischen Grünen haben weniger gut als ihrerseits erhofft abgeschnitten. Sie hatten sich die Mehrheit in der Region Pays de la Loire ausgerechnet. Der grüne Kandidat Matthieu Orphelin kam dort mit einem sehr guten Ergebnis von 35 Prozent jedoch nur auf den zweiten Platz.
Am Wahlabend verkündet der PS-Parteivorsitzende Olivier Faure, dass die Linke zurück ist und dass es an den Sozialisten ist, die französische Linke zu einen. Die ehemalige sozialistische Ministerin Najat Vallaud-Belkacem sieht ein Neuaufleben der Links-Rechts-Spaltung in der französischen Politik. Seit dem schlechten Ergebnis der Sozialisten bei den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2017 ist das linke Lager zerstritten. Auch bei den Regionalwahlen ist es kaum gelungen, geeint aufzutreten. Nur in wenigen Regionen wie zum Beispiel Auvergne-Rhône-Alpes oder Île-de-France haben die linken Parteien ein gemeinsames Bündnis gebildet. Bereits kurz nach der Wahl beanspruchten der PS und die Grünen jeweils für sich, das linke Lager im Präsidentschaftswahlkampf anführen zu wollen. Der Erfolg bei den Regionalwahlen hat bisher nicht zu mehr Einigkeit im linken Lager geführt.
Wahlschlappe für die Rechtspopulisten
Der Rassemblement National unter der Führung von Marine Le Pen hat eine herbe Wahlniederlage erlitten. Entgegen den Umfragen ist es ihm nicht gelungen, eine oder mehrere Regionen zu gewinnen. Vielmehr schneidet die Partei sogar schlechter ab als bei den letzten Regionalwahlen im Jahr 2015. Sie ist zwar weiterhin in allen Regionen in Zentralfrankreich vertreten, büßt aber 30 Prozent ihrer Regionalräte ein. Besonders schwer wiegt die Niederlage in der Hochburg des RN in Hauts-de-France. Der RN-Kandidat Sébastien Chenu erreicht mit 25,6 Prozent nur die Hälfte der Stimmen des Wahlgewinners Xavier Bertrand und ist damit weit abgeschlagen. Bei den Regionalwahlen 2015 hatte Marine Le Pen hier noch 42 Prozent geholt. Auch in der südlichen Region PACA ist die Wahlschlappe groß. Der gemäßigte RN-Kandidat Thierry Mariani, der in den Umfragen vorne lag, wurde deutlich vom bürgerlich-konservativen Kandidaten Renaud Muselier geschlagen. In ihrer ersten Reaktion prangert Marine Le Pen eine schlechte Organisation der Wahlen durch das Innenministerium und zu wenig Information über die Wahlen an. Sie macht die mangelnde Wahlbeteiligung für die Niederlage des RN verantwortlich und beschreibt eine tiefe Krise der lokalen Demokratie. Parteiintern wachsen die Zweifel an Le Pen‘s Strategie der „Entteufelung“ der Partei. In vielen Regionen sind gemäßigte Spitzenkandidaten angetreten, ehemalige Politiker anderer Parteien wie Thierry Mariani (Ex-LR) haben aber keinen Sieg errungen. Am 3. und 4. Juli 2021 findet in Perpignan der Parteikongress des Rassemblement National statt. Auch wenn Marine Le Pen sicherlich als Parteivorsitzende bestätigt wird, wird es wohl eine hitzige Debatte über die Ausrichtung der Partei für die Präsidentschaftswahlen geben. Die Wahlschlappe des RN lässt sich vor allem darauf zurückführen, dass er seine Kernwählerschaft bei den Jungen und bei den Protestwählerinnen und -wählern nicht ausreichend mobilisieren konnte. Es ist möglich, dass die Protestwählerinnen und -wähler im RN keine Alternative mehr zu den etablierten Parteien sehen – als Folge der Entdiabolisierung der Partei –, und daher nicht zur Wahl gegangen sind. Gleichzeitig scheint sich das Wahlverhalten der RN-Wähler zu normalisieren. In der Vergangenheit ist es dem RN häufig gelungen, seine Wähler über die Maße zu mobilisieren.
Negativrekord bei der Wahlbeteiligung
Die große Überraschung bei den Regionalwahlen war die extrem niedrige Wahlbeteiligung. Nur 34,69 Prozent der Französinnen und Franzosen sind wählen gegangen. Trotz der Aufrufe von allen Parteien nach dem ersten Wahlgang, die Stimme abzugeben, und trotz der Kampagne „Allez voter“ des Innenministers sind zwei Drittel der Wahl ferngeblieben. Im Vergleich zur letzten Regionalwahl im Jahr 2015 sank die Wahlbeteiligung damit um ein Viertel. Das ist ein Negativrekord in der Geschichte der Fünften Republik, der Sorgen bereitet und Fragen nach der Repräsentativität der Ergebnisse aufwirft.
Die Wahlenthaltung betrifft alle Parteien gleichermaßen. Ein entscheidender Faktor für die Bereitschaft wählen zu gehen war das Alter. Die Enthaltung war besonders hoch bei den jungen Erwachsenen zwischen 18 und 35 Jahren. Analysen zum zweiten Wahlgang zeigen, dass 79 Prozent dieser Altersklassen nicht wählen gegangen sind. Insbesondere die Wählerschaft der Links- und Rechtspopulisten, die viele Protestwählerinnen und -wähler vereint, hat sich enthalten. Es gibt auch nur wenig Unterschiede zwischen den Regionen. Die Region Grand Est hält hierbei den traurigen Rekord von 70 Prozent Wahlenthaltung. Korsika fällt mit 41,8 Prozent aus der Reihe, unterscheidet sich aber aufgrund seines Sonderstatus und der Bedeutung der regionalen Politik maßgeblich von den Regionen Zentralfrankreichs.
Die Gründe für die geringe Wahlbeteiligung sind vielfältig. Umfragen am Wahlabend ergaben, dass zwei Motive dominierten: 27 Prozent der Nichtwählerinnen und -wähler gaben an aus Unzufriedenheit und als ein Zeichen des Protests nicht wählen gegangen zu sein. 23 Prozent nahmen wegen mangelnden Interesses nicht an der Wahl teil.
Es gibt einige Ansatzpunkte dafür, beide Motive besser zu verstehen. Die Unzufriedenheit der Nichtwählerinnen und -wähler mit dem Wahlangebot beweist einmal mehr, dass das Vertrauen in die Politik und in die Parteien geschwächt ist. Auch Präsident Macron hat die Erwartungen für einen echten Politikwechsel nicht erfüllt. In diesem Stimmungskontext sind auch die Gelbwesten-Proteste entstanden. Neu ist, dass der rechtspopulistische RN die Protestwählerinnen und -wähler nicht mobilisieren konnte.
Das fehlende Interesse an der Wahl mag daran liegen, dass der politische Einfluss der Regionen nicht sehr groß ist. Die regionalen Gebietskörperschaften verwalten die regionale Wirtschafts- und Kulturförderung, kümmern sich um den öffentlichen Verkehr, verteilen EU-Fördermitteln und sind für die Berufsausbildung und die weiterführenden Schulen zuständig – nicht gerade ein machtvolles Portfolio. Dazu kommt, dass der Wahlkampf sich hauptsächlich um das Thema Sicherheit drehte, bei dem die Regionen aber keinerlei Kompetenzen haben. Auch der Zeitpunkt der Wahl trug nicht dazu bei, mehr Menschen an die Urne zu bringen. Die Lockerungen nach dem pandemiebedingten Lockdown haben die Französinnen und Franzosen eher für Ausflüge, Restaurantsbesuche etc. genutzt. Zugleich könnte der in der Corona-Pandemie eingeschränkte klassische Wahlkampf und die Sorge vor Ansteckung Wählerinnen und Wähler bewogen haben, nicht zur Wahl zu gehen.
Eine Alternative zum Besuch des Wahlbüros, zum Beispiel digital oder per Brief zu wählen, gab es nicht. Ein weiterer Punkt für das mangelnde Interesse an der Wahl ist fehlende Information. Medien berichteten, dass 16 Prozent der Wahlberechtigten ihre Wahlunterlagen nicht erhalten haben. Die französische Post, der Paketdienst Adrexo sowie der französische Innenminister Gérald Darmanin sind dafür in die Kritik geraten und müssen sich rechtfertigen.
Ausblick auf die Präsidentschaftswahlen 2022
Die Regionalwahlen haben überraschend zu keinem politischen Wechsel in Zentralfrankreich geführt. Alle Amtsinhaberinnen und -inhaber wurden bestätigt. Die zentrale Botschaft an die Parteien liefert die extrem niedrige Wahlbeteiligung. Keine Partei konnte ihr Wählerpotenzial abrufen. Alle werden in den kommenden Wochen über Strategien nachdenken müssen, wie sie ihre Wählerinnen und Wähler besser mobilisieren können.
Vielfach werden die Regionalwahlen als Zwischenwahlen und Stimmungstest für die Präsidentschaftswahlen im kommenden Jahr verstanden. Das ist nur bedingt richtig. Bis zu den Wahlen sind es noch zehn Monate. Auch sind die Kandidatinnen und Kandidaten des bürgerlich-konservativen und linken Lagers noch nicht gekürt. Die aktuellen Prognosen, die ein Duell von Emmanuel Macron und Marine Le Pen vorhersehen, sind daher mit Vorsicht zu betrachten.
Der Erfolg des bürgerlich-konservativen Lagers bei den Regionalwahlen bringt dennoch neue Dynamik in den bevorstehenden Präsidentschaftswahlkampf. Gelingt es LR den Aufwind zu nutzen und sich nicht an der Frage der Präsidentschaftskandidatin oder -kandidaten zu zerreiben, haben sie gute Chancen in einen Dreikampf mit Emmanuel Macron und Marine Le Pen einzutreten. Die Regionalwahlen haben drei Präsidentschaftsanwärterin und -anwärtern einen Schub gegeben: Xavier Bertrand, der noch am Wahlabend seine Ambitionen deutlich gemacht hat, Valérie Pécresse und Laurent Wauquiez. Die ersten beiden sind aus der Partei ausgetreten, erhoffen sich aber als Kandidaten eines geeinten bürgerlich-konservativen Lagers aufgestellt zu werden. Weitere Kandidaturen, z.B. vom ehemaligen EU-Kommissar Michael Barnier, sind denkbar. Der Parteivorsitzende Jacob erklärte am Tag nach den Wahlen, dass die Kandidatenkür im November 2021 stattfinden soll. Die erste Herausforderung wird sein, geschlossen mit einem gemeinsamen Kandidaten anzutreten und das bürgerlich-konservative Lager nicht zu spalten. Die Parteizentrale hofft auf eine gütliche Einigung zwischen den Bewerberinnen und Bewerbern und möchte eine Vorwahl vermeiden, die die Zerrissenheit der Républicains befördern könnte.
Das Scheitern der Regierungspartei bei den Regionalwahlen scheint nur sehr begrenzt negative Auswirkungen auf die Chancen für eine Wiederwahl von Emmanuel Macron zu haben. Bei der Präsidentschaftswahl entscheiden sich die Franzosen und Französinnen in einer Direktwahl in erster Linie für eine Persönlichkeit. Derzeit verzeichnet der Präsident bessere Umfragewerte als seine Amtsvorgänger zu diesem Zeitpunkt vor der Wahl. Seit den Lockerungen des pandemiebedingten Lockdowns steigen seine Werte zudem. Macron präsentiert sich als Macher und treibt seine Agenda weiter voran, bemüht das Debakel der Regionalwahlen in den Hintergrund zu rücken. Er führt seine Tour de France in den Regionen weiter, bei der er „den Puls Frankreichs messen“ möchte. Auch sein großes Projekt der Rentenreform möchte er noch vor Ende seiner fünfjährigen Amtszeit durchbringen. Bei den Präsidentschaftswahlen kann er sicherlich auch mit einem Amtsbonus rechnen, zudem wird er die französische EU-Ratspräsidentschaft nutzen wollen, um sich als europäischer Staatsmann zu präsentieren. Nichtsdestotrotz sind seine Chancen davon abhängig, wie gut er mit Teilen der bürgerlich-konservativen Vertreter verhandelt und welche Allianzen er bilden kann. Schließlich geht es nicht nur um die Präsidentschaftswahl: Bei einem Wahlsieg benötigt er auch eine Mehrheit bei den direkt darauffolgenden Parlamentswahlen. Bedingung für den Erfolg von Emmanuel Macron ist auch, wie glaubwürdig er vermittelt, dass er als einziger das Schreckgespenst einer rechtspopulistischen Präsidentin verhindern kann. In dieser Frage wird es vermutlich zu einem Wettstreit mit dem noch zu kürenden LR-Präsidentschaftskandidaten kommen. Le Pens Chancen steigen wiederum, wenn mehr Wechselstimmung im Land herrscht. Dem linken Lager werden auch nach den Regionalwahlen kaum Chancen eingeräumt, weil es aktuell auf nationaler Ebene zu zerstritten ist. Die kommenden Monate werden zeigen, wie die Parteien mit ihren Kandidaten in den Präsidentschaftswahlkampf starten werden. In einem sind sie sich einig: Die Überzeugung der Menschen im Land zu stärken, damit sie am politischen Prozess teilnehmen, und die Mobilisierung der eigenen Wählerschaft hat Priorität.