Rapports pays
Schon bevor Lagarde sicher
sein konnte, daß ihre Kandidatur erfolgreich sein würde, hatten
heftige Spekulationen, wer ihr im Amt des Wirtschafts- und
Finanzministers nachfolgen würde, die politische Szene beherrscht.
Die besten Aussichten wurden dabei drei Politikern eingeräumt:
- Valérie Pécresse, Ministerin für Hochschulausbildung und Forschung,
- Bruno Le Maire, Minister für Landwirtschaft, und
- François Baroin, Budgetminister
durchgesetzten Projekt der Hochschulreform erworben. Le Maire ist
einer der engsten Berater von Präsident Sarkozy und gilt als einer der
klügsten Köpfe des Kabinetts. Insbesondere als strategischer Denker
des Wahlkampfteams von Präsident Sarkozy spielt er eine
entscheidende Rolle. Und Baroin wird allseits geschätzt wegen seiner
effizienten Amtsführung und eines Parcours ohne Fehler. Außerdem
ist er einer der Exponenten der „Chiracisten“ im Kabinett.
Nach allem, was nach außen gedrungen ist, muß der Kampf dieser
drei Aspiranten um das Amt des Wirtschafts- und Finanzministers
besonders heftig gewesen sein. Gewonnen hat François Baroin, er
wurde neuer Wirtschafts- und Finanzminister. Wie zu hören ist,
hat er offenbar besonders hoch gepokert. Er drohte mit dem
Ausscheiden aus dem Kabinett, wenn er nicht Wirtschafts- und
Finanzminister werden würde. Sarkozy und Fillon wollten den treuen
Chiracisten wohl nicht verlieren und die wichtige Strömung der
Anhänger von Präsident Chirac innerhalb der UMP nicht verprellen.
Mit der Entscheidung für Baroin stieß Sarkozy aber seinen engen
Vertrauten Bruno Le Maire vor den Kopf, der sich große Hoffnungen
gemacht hatte und dies auch deutlich zu erkennen gab. Wie berichtet
wurde, hatte ihm Sarkozy das Ministerium sogar bereits zugesagt,
dann aber doch anders entschieden (ähnliches war wohl vor einiger Zeit auch schon bei der „Nicht-Ernennung von Jean-Louis Borloo
zum Premierminister geschehen).
Le Maire wurde als Trostpflaster das Budgetministerium angeboten,
was er aber ablehnte. Bruno Le Maire bleibt Agrarminister.
Damit war der Weg frei für Valérie Pécresse, ins Budgetministerium
zu wechseln. Außerdem übernimmt sie, wie schon Baroin, auch das
Amt des Regierungssprechers. Das Budgetministerium war früher
einmal ein Teil des Wirtschafts- und Finanzministerium. Es wurde
aber vor einiger Zeit vom Wirtschafts- und Finanzministerium
abgetrennt und ist seitdem ein eigenständiges, „vollwertiges“
Ministerium.
Präsident Sarkozy und Premierminister Fillon nutzen die notwendig
gewordene Regierungsumbildung, um eine Reihe weiterer
Umbesetzungen und einige zusätzliche Neubesetzungen
vorzunehmen. Sie versuchen damit, ihre „Mannschaftsaufstellung“ für
den im Herbst beginnenden Wahlkampf zu verbessern.
Einen weiteren Sprung in seiner politischen Laufbahn hat Laurent
Wauquiez gemacht. Mag sein Ausscheiden als Staatssekretär
zuständig für Europäische Angelegenheiten für Europa und auch
speziell für Deutschland ein Verlust sein, so ist seine Ernennung zum
Minister für Hochschulausbildung und Forschung doch eine
„Beförderung“. Denn das Ministerium ist ein „vollwertiges“
Ministerium. Wohl selten hat ein französischer Politiker so viele
verschiedene Regierungsämter innerhalb von so kurzer Zeit
ausgeübt. Mit dem neuen Amt übernimmt Wauquiez das vierte Amt in
der französischen Regierung innerhalb von vier Jahren.
Die „Beförderung“ von Wauquiez hat vielfach um so mehr überrascht,
als er vor einigen Wochen mit seiner Kritik am „Assistanat“ (zu
großzügige Zuwendungen an Sozialhilfeempfänger) noch heftige
Kritik, auch aus den eigenen Reihen (einschl. Matignon und Elysée)
einstecken mußte. In der Öffentlichkeit kam sein Vorstoß indes gut
an, was sicher seiner Ernennung zum Minister förderlich war.
Alle, die Wauquiez als Europa-Staatssekretär und als den deutsch-französischen Beziehungen besonders zugeneigtes Regierungsmitglied besonders schätzten, waren dann doch ein wenig
enttäuscht, als der Name seines Nachfolgers im Amt des
Staatssekretärs für Europäische Angelegenheiten bekannt wurde.
Jean Leonetti ist von Hause aus Kardiologe. Seit 1995 Bürgermeister
von Antibes, dann Député. Ihm wurde bereits früher das Amt des
Gesundheitsministers zugetraut. Auf diesem Gebiet hat er auch
bisher als Député einige Erfolge vorzuweisen. Als Mitglied des Parti Radical und 1. stellv. Vorsitzender der UMP-Fraktion in der Assemblée unterstützt er die Kandidatur von Präsident Sarkozy im Jahre 2012 und ist gegen eine eigene, „zentristische“
Kandidatur, insbesondere jene von Jean-Louis Borloo.
Er war bereits Stellvertreter im UMP-Fraktionsvorsitz von Jean-François Copé, war aber mit seiner Bewerbung als Nachfolger von
Copé gegen den „Copé-treuen“ Christian Jacob gescheitert.
Für Präsident Sarkozy dürfte also vor allem die wichtige Rolle, die
Leonetti in dem Parti Radical einnimmt, ausschlaggebend für dessen
Berufung als Europaminister gewesen sein.
Im übrigen gibt es kein Ministerium, das in den letzten Jahren einen
derart häufigen Leitungswechsel hinnehmen mußte. Jean Leonetti ist
der fünfte Staatssekretär zuständig für Europäische Angelegenheiten
seit dem Jahr 2007.
Neuer Minister der „Fonction publique“ wurde der Zentrist und
ehemalige Bayrou-Anhänger François Sauvadet. Er ersetzt Georges
Tron, der wegen eines Gerichtsverfahrens aus dem Kabinett
ausscheiden mußte. Marc Laffineur wurde zum Staatssekretär für die Veteranen
ernannt. David Douillet, Goldmedaillengewinner als Judoka (Schwergewicht),
übernimmt das neu geschaffene Amt des Staatssekretärs zuständig
für die Franzosen im Ausland, d.h. er soll die zahlreichen im
Ausland lebenden Franzosen im Präsidentenwahlkampf 2012
mobilisieren.
Claude Greff, bekannt für ihr Engagement für Familien und soziale
Fragen wird Staatssekretärin für Familien im Ministerium von
Roselyne Bachelot (Ministre des Solidarités et de la Cohésion
sociale).
Thierry Mariani wird vom Staatssekretär zum Minister befördert,
bleibt aber weiter im selben Ministerium (Transport).
Präsident Sarkozy hat damit sein „Wahlkampfkabinett“ für den
Präsidentenwahlkampf 2012 zusammengestellt. Bei der
Regierungsumbildung wurden die „Chiracisten“ und die Zentristen
gestärkt. Vor allem Leonetti dürfte eine wichtige Rolle dabei spielen,
die Wirkungen der erwarteten Kandidatur von Borloo einzudämmen.
Die neue Zusammensetzung des Kabinetts dürfte auch dazu
beitragen, die Konkurrenz innerhalb der nachrückenden Generation
(Fillon, Copé, Baroin, Le Maire, evtl. auch Wauquiez) etwas
auszutarieren.