Der Präsident & sein Dauphin
Mit der Entscheidung von Joseph Kabila im August des Vorjahres nicht mehr für das höchste Amt im Staat zu kandidieren, stellte sich die Frage: Wer wird Dauphin?[1] Die Entscheidung fiel auf Emmanuel Shadary, der seit 2016 als Innenminister der Regierung angehört und Generalsekretär der Regierungspartei PPRD („Parti du Peuple pour la Reconstruction de la Démocratie“) ist. Der 58-Jährige gilt als loyal gegenüber dem Präsidenten und verfügt kaum über eine eigene politische Hausmacht noch über ein starkes Netzwerk im Sicherheitsapparat, die jedoch beide entscheidende Machtfaktoren darstellen. Außerdem hat er wenig Rückhalt in der Bevölkerung, wie bereits im Laufe des Wahlkampfs zu beobachten war und sich jetzt anhand des Wahlergebnisses bestätigte.[2] Shadary ist einer von mehreren Politikern, die seit Mai 2017 auf der Sanktionsliste der Europäischen Union stehen. Ihm wird konkret die Anwendung von massiver Gewalt gegen friedliche Demonstranten sowie die Verhaftung von Oppositionellen vorgeworfen.
Die gespaltene Opposition
Trotz langer Versuche blieb die Opposition bis zum Ende gespalten. Bereits zu Beginn wurde sichergestellt, dass die beiden aussichtreichsten Kandidaten nicht an der Wahl teilnehmen durften, indem sie nicht als offizielle Kandidaten zugelassen wurden. Dabei handelt es sich einerseits um den ehemaligen Vizepräsidenten Jean-Piere Bemba, der aufgrund eines laufenden Verfahrens vor dem Internationalen Strafgerichtshof von der Wahlkommission CENI („Commission Electorale Nationale Indépendante“) ausgeschlossen wurde. Andererseits wurde der ehemalige Gouverneur der Provinz Katanga – Moïse Katumbi – an der Einreise ins Land und damit an der Einreichung der Unterlagen für seine Kandidatur gehindert. Dadurch lichtete sich das Feld der relevanten Bewerber erheblich. In Folge gab es mehrere Treffen der Oppositionsgruppen, die zum Ziel hatten, sich auf einen gemeinsamen Kandidaten zu verständigen.
Mitte November 2018 gelang im schweizerischen Genf ein entsprechender Durchbruch. Jedoch wurde es weder Felix Tshisekedi (Vorsitzender der größten Oppositionspartei UDPS) noch der ehemalige Parlamentspräsident Vitale Kamhere, sondern der Abgeordnete und Geschäftsmann Martin Fayulu. Der Pakt hielt keine 24 Stunden, da Tshisekedi und Kamhere ihre Unterschrift zurückzogen und einige Tage später eine eigene Allianz gründeten. Entgegen den allgemeinen Erwartungen profilierte sich Fayulu im Laufe des Wahlkampfes und entwickelte sich zum Gesicht der Opposition, während Tshisekedi und Kamhere in den Hintergrund gedrängt wurden. Das Regierungslager wurde von der starken Unterstützung in der Bevölkerung für Fayulu überrascht. Die erhöhte Nervosität zeigte sich insbesondere in den letzten beiden Wochen der Kampagnenphase, da es in dem sonst relativ ruhigen Wahlkampf zu einer erheblichen Zunahme der Gewaltanwendung durch die Sicherheitskräfte kam.
Unerwünschte Europäer
Die Regierung in Kinshasa machte von Beginn an sehr klar, dass sie eine Beobachtermission aus Europa bzw. der Europäischen Union nicht akzeptieren wird. Im Gegensatz dazu wurden Beobachter, u.a. der Afrikanischen Union (AU), der „Organisation internationale de la francophonie“ (OIF) sowie der Zentralafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (CEEAC) zugelassen. Das schlechte Verhältnis mit der EU hat eine längere Geschichte, dessen primärer Auslöser die EU-Sanktionen gegen zahlreiche Mitglieder der Führungsriege ist. Die kongolesische Regierung kritisiert die Sanktionen als Symbol des Kolonialismus und den Versuch der ehemaligen Kolonialherren (insbesondere Belgiens) das Land zu unterdrücken. Die Verlängerung der Sanktionen Anfang Dezember wurde daher in den staatlichen Medien entsprechend instrumentalisiert. Den Höhepunkt erreichten die diplomatischen Spannungen am 27. Dezember 2018 als der Botschafter der Europäischen Union des Landes verwiesen wurde.
Überdies lehnte die Regierung mit dem Verweis auf die nationale Souveränität Angebote der internationalen Gemeinschaft ab, die Wahlen und deren Organisation finanziell zu unterstützen. Die Kosten wurden zuletzt auf rund 1,6 Milliarden US-Dollar geschätzt, was etwa 4,5% des Bruttoinlandsprodukts der DR Kongo entspricht.[3]
Umstrittene Wahlmaschinen & erneute Verschiebung
Eines der umstrittensten Themen war der Einsatz von Wahlmaschinen. Sowohl die Opposition als auch Vertreter der Zivilgesellschaft (v.a. der katholischen Kirche) lehnten diese ab, da sie befürchteten, die Maschinen eröffnen Raum für Manipulation. Ein weiterer Kritikpunkt zielte auf die Einsatzfähigkeit der Geräte ab. Ein Bericht der britischen Westminster Foundation identifizierte im Vorfeld zahlreiche Mängel, auf welche die Wahlkommission nur bedingt einging. Außerdem verfügt der Kongo über ein extremes Klima, unter dem die Einsatzfähigkeit in Frage gestellt wurde. So kam es am Wahltag auch zum Ausfall von Maschinen in zahlreichen Wahllokalen.
Die Verteilung verlief in zahlreichen Teilen des Landes chaotisch. Je näher der eigentliche Wahltermin (23. Dezember 2018) rückte, desto klarer wurde, dass die Wahlkommission nicht im Stande sein wird, die rund 70.000 Wahlmaschinen rechtzeitig im ganzen Land auszuliefern.[4] Trotzdem bekräftigte CENI bis einige Tage vor der Wahl die Einhaltung des Zeitplans. Die erneute Verschiebung auf den 30. Dezember 2018 kam aber wenig überraschend. Als Grund nannte der Kommissionsvorsitzende u.a. den Brand in einem Lager in Kinshasa bei dem 10 Tage vor der Wahl 8.000 Wahlmaschinen zerstört wurden sowie das Fehlen von Stimmzetteln. Trotz Protesten der Opposition blieb die Lage bis zum Wahltermin relativ ruhig.
Zuvor wurde in Wahlkreisen der Provinzen Nord-Kivu und Maï-Ndombe der Urnengang auf März 2019 verschoben, obwohl die Vereidigung des neuen Präsidenten bereits im Januar stattfinden soll. Damit wurden rund 1,2 Millionen Kongolesen von der Stimmabgabe ausgeschlossen. Als Gründe wurden von den Behörden die lokale Sicherheitslage sowie Ebola genannt.
Am Wahltag kam es zu zahlreichen Unregelmäßigkeiten. Dazu zählten die verspätete Öffnung von Wahllokalen, defekte Wahlmaschinen und die Stimmabgabe durch Personen ohne Identitätsnachweis.[5] Außerdem wurden Wahlbeobachter teilweise an ihrer Arbeit gehindert. Die Katholische Bischofskonferenz erhöhte kurz vor der geplanten Bekanntgabe des vorläufigen Ergebnisses den Druck auf die Wahlkommission und die Regierung, indem sie behauptete, basierend auf ihrer Wahlbeobachtung den klaren Sieger zu kennen. Ohne diesen beim Namen zu nennen, ist davon auszugehen, dass damit Martin Fayulu gemeint war.
Das Ergebnis: Die doppelte Überraschung
Bereits am Tag nach der Wahl blockierte die Regierung das Internet. Die Bekanntgabe des vorläufigen Ergebnisses wurde vom 6. auf den 9. Januar 2019 verschoben, da laut CENI erst ein Bruchteil der Ergebnislisten (ca. 50%) in der Wahlbehörde eingetroffen sei.
In der Nacht vom 9. auf den 10. Januar 2019 kam es schließlich zu einer unerwarteten Entwicklung als Corneille Nangaa, Vorsitzender der Wahlkommission, bekannt gab, dass der Oppositionskandidat Felix Tshisekedi die Wahl mit 38,57% vor seinem Mitbewerber der anderen Oppositionsbewegung Martin Fayulu (34,8%) und dem Regierungskandidaten Emmanuel Shadary (23,8%) gewonnen hat.[6]
Dieses Ergebnis stellt eine doppelte Überraschung dar: Erstens war kaum von einem Sieg der Opposition ausgegangen worden, da ein Machtverlust für die derzeitige Führung unter
Kabila sowohl politisch als auch wirtschaftich ein massives Risiko bedeutet.[7] Zweitens galt Martin Fayulu als jener Oppositionskandidat, dem die besten Chancen auf den Sieg eingeräumt wurden. Laut einer Umfrage, die wenige Tage vor der Wahl veröffentlicht wurde, führte er mit großem Abstand (mehr als 20%) vor seinen Mitbewerbern Felix Tshisekedi und Emmanuel Shadary.[8] Außerdem galt es als klar, dass mit der Ankündigung der katholischen Kirche einige Tage vor der Ergebnisverkündung, den Namen des Siegers zu kennen, Fayulu gemeint war, obwohl sein Name nie offen genannt wurde. Noch am Tag der Bekanntgabe bestätigte die katholische Bischofskonferenz, dass ihre Resultate (basierend auf ihrer Wahlbeobachtung) nicht mit dem veröffentlichten Ergebnis übereinstimmen.[9] Fayulu und seine Bewegung kritisierten das Ergebnis als Putsch und werfen Tshisekedi eine geheime Vereinbarung mit Präsident Kabila vor.
Schlussfolgerungen
Das Ergebnis der Präsidentenwahl in der DR Kongo ist zweifelsohne eine Überraschung und eine Chance für die Demokratie im zentralafrikanischen Staat. Dennoch erfordert es eine differenzierte Betrachtungsweise und Schlussfolgerung:
- Offensichtlich war der Druck von Seiten der Bevölkerung nach einem (zumindest oberflächlichen) Bruch mit der Ära Kabila so groß, dass die derzeitige Führung eine Einsetzung von Shadary in das Präsidentenamt (etwa mit Hilfe der Sicherheitskräfte) nicht risikieren konnte, da dies eine klare Fortsetzung bedeutet hätte. Folglich kann dies bereits als Fortschritt und positive Entwicklung gewertet werden, da es sich zumindest um eine Teilabgabe der Macht durch Kabila handelt.
- Entscheidend werden in den kommenden Tagen die Reaktionen von Fayulu und seinen Anhängern sein. Außerdem bleibt die Frage, wie sich die beiden politischen Schwergewichte Jean-Piere Bemba und Moïse Katumbi verhalten werden, die Fayulu aktiv unterstützen und selbst Interesse an einer Machtbeteiligung haben.
- Die bereitwillige Akzeptanz des Wahlergebnisses durch die derzeitige Führung sowie der Sieg Tshisekedis, der kurz vor der Wahl noch einen erheblichen Rückstand zu Fayulu aufwies, hinterlässt im Hinblick auf das Ergebnis bei einigen Beobachtern offene Fragen.
- Mittel- und langfristig eröffnet das Wahlergebnis und der Sieg der Opposition die Chance für einen schrittweisen, demokratischen Transformationsprozess in der DR Kongo. Jedoch bleibt abzuwarten, inwieweit eine neue Staatsführung unabhängig vom alten Regime agieren können wird. Die derzeitige Führungsriege rund um das System Kabila reicht tief in die Strukturen des Staates und Widerstand aus diesen Reihen könnte sich als erhebliches Hindernis für die Präsidentschaft von Tshisekedi und die damit verbundenen Hoffnungen erweisen.
- Obwohl von den Medien oft unbeachtet, wurde am 30. Dezember 2018 auch eine neue Nationalversammlung gewählt, die formell über weitreichende Befugnisse verfügt. Sollte die Allianz von Präsident Kabila über eine Mehrheit der Sitze verfügen, kann dies ebenfalls zu einer Einschränkungen des präsidentiellen Spielraums führen.
[1] In der politischen Diskussion wird der Kandidat des Regierungslagers und damit Wunschnachfolger von Kabila - Emmanuel Shadary - als Dauphin bezeichnet. Das Wort wurde ursprünglich in Frankreich als Titel für den Thronfolger des jeweiligen Königs verwendet.
[2] Selbst nach der Nichtzulassung der beiden stärksten Oppositionspolitiker landete er laut einer Umfrage der Congo Research Group im Oktober nur an 3. Stelle.
[3] Laut Weltbank betrug das Bruttoinlandsprodukt der DR Kongo im Jahr 2016 etwas mehr als 38 Milliarden US-Dollar.
[4] Die DR Kongo ist mit einer Fläche von Westeuropa das zweitgrößte Land Afrikas.
[5] Insbesondere die Katholische Kirche agierte als unabhängiger Wahlbeobachter. So kamen über 1000 Langzeitbeobachter sowie 40.000 Kurzzeitbeobachter zum Einsatz, wodurch belastbare Einschätzungen möglich sind.
[6] In der Demokratischen Republik Kongo reicht eine relative Mehrheit der Stimmen für den Sieg bei den Präsidentenwahlen.
[7] Kabila gilt Schätzungen zu Folge mit einem Vermögen von mehreren Milliarden US-Dollar als einer der reichsten Männer Afrikas. Die Familie verfügt über zahlreiche (versteckte) Firmenbeteiligungen und Verwandte sowie Vertraute sitzen an wichtigen und lukrativen Positionen des Staates.
[8] Congo Research Group: http://congoresearchgroup.org/new-crg-berci-ipsos-poll-an-anxious-electorate-demands-change/ (4.1.2019). Obwohl die Ergebnisse solcher Umfragen nicht unreflektiert übernommen werden sollten und Schwankungsbreiten bestehen, spiegeln sie einen gewissen Trend wider.
[9] Der französische Außenminister Jean-Yves Le Drian äußerte Zweifel am offiziellen Ergebnis.
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