Rapports pays
General Michel Aoun folgt damit auf Michel Sleiman, dessen Amtszeit im Mai 2014 ausgelaufen war. Aoun ist nunmehr in den Baabda Palast, den Amtssitz der libanesischen Präsidenten zurückgekehrt, aus welchem er am 13. Oktober 1990 als damaliges de facto Staatsoberhaupt, durch Angriffe syrischer Artillerie und Luftwaffe zunächst in die französische Botschaft und anschließend ins französische Exil geflüchtet war.
Der Weg zur Wahl des neuen libanesischen Staatspräsidenten war jedoch ein steiniger. In 45 zuvor abgehaltenen Wahlversuchen konnte sich das Parlament nicht auf einen neuen Präsidenten einigen. Allerdings sind in den meisten Parlamentssitzungen ordnungsgemäße Wahlgänge gar nicht zustande gekommen weil in der Regel die Partei General Aouns (Free Patriotic Movement/FPM) und die mit ihm verbündete Hisbollah, sowie weitere syrienfreundliche Parteien die Parlamentssitzungen boykottierten und damit das notwendige Quorum nicht zustande kam.
Formal betrachtet ist General Aoun gestern zum ersten Mal als Kandidat zur Wahl angetreten, denn in den Wahlversuchen zuvor waren stets andere Kandidaten (u.a. Samir Geagea, Lebanese Forces, Sulayman Frangieh, Marada) im Rennen. Aoun hatte stets versichert, erst dann offiziell als Kandidat anzutreten, wenn seine Wahl als Präsident auch gesichert sei. Bei der gestrigen Wahl war diese Mehrheit schon vor ihrem Beginn gesichert.
Allerdings ist Aoun nicht mit der überwältigenden Mehrheit, die er und seine Anhänger erwartet hatten gewählt worden. Obgleich sein Rivale Sulayman Frangieh ihm entgegenkam und seine Anhänger aufforderte leere Stimmzettel abzugeben, benötigte Aoun vier Wahlgänge. Zwei Wahlgänge waren ungültig weil mehr Stimmen abgegeben wurden als Abgeordnete anwesend waren. Im vierten Wahlgang wurden schließlich die Abgeordneten persönlich, einzeln nach vorne zitiert, um ihre Stimme abzugeben. Obgleich Aoun letztlich mit 83 Stimmen zum libanesischen Präsidenten gewählt wurde, kam es zu weiteren Kuriositäten da einzelne Stimmen für eine bekannte libanesische Sängerin, Zorba the Greek und die libanesische Zedernrevolution abgegeben wurden. Dies dürfte als sich artikulierender Widerstand gegen die Wahl des umstrittenen Generals zu werten sein, der spätestens bei der anstehenden Regierungsbildung wieder aufleben und diese erschweren dürfte.
Wie kam es zur Mehrheit für Aoun?
Als wahrer „Königsmacher“ ist Saad Hariri, der Sohn des im Jahr 2005 ermordeten Premierministers Rafik Hariri anzusehen. Nachdem er zunächst den Kandidaten der Allianz „14. März“ Samir Geagea, dann Sulayman Frangieh in der Präsidentschaftskandidatur unterstützte, verkündete er am 20. Oktober 2016, dass seine Partei ‚Mustaqbal‘ (Future Movement) bei einem weiteren Wahlgang Michel Aoun unterstützen werde. Dies ist deswegen besonders bemerkenswert, weil er mit diesem Schritt seine Partei als Teil der anti-syrischen 14. März-Bewegung an die Seite der pro-syrischen Hisbollah sowie der damit verbündeten Partei Aouns, der „Free Patriotic Movement“ stellte. Hariri bezeichnete diesen Schritt auch als Opfer um den Libanon, seine Bevölkerung und das Taif-Abkommen zu retten und zu schützen, die daniederliegende Wirtschaft durch Stabilität auf staatlicher Seite wieder anzukurbeln und schließlich die Neutralität des Libanons in der Syrienfrage zu gewährleisten.
Zwar ist es nun Angelegenheit des Präsidenten einen künftigen Premierminister auszuwählen und ihn mit der Regierungsbildung zu betrauen. Es gilt allerdings als sicher, dass dies Saad Hariri sein wird.
Die englischsprachige libanesische Tageszeitung “The Daily Star” beschreibt Michel Aoun (oft auch „der General“ genannt) als den „kontroversen Führer der sich weigerte aufzugeben“(31. Oktober 2016). Seine Karriere ist gezeichnet von Gewalt, Unnachgiebigkeit und breitem Zuspruch der Bevölkerung. Michel Aoun ist kein Vertreter des durch Familienklans gekennzeichneten politischen Establishments des Libanon; geboren 1933 in Beirut als maronitischer Christ, studierte er an der Militärakademie in Beirut und wurde mit 48 Jahren jüngster Oberbefehlshaber der libanesischen Armee. Im Bürgerkrieg kämpfte er gegen die pro-syrischen Schiiten, Drusen und palästinensische Einheiten. 1988 und 1990 bereitete er zudem die Kämpfe gegen die Syrische Armee und die Libanesische Miliz vor. Beide Kämpfe liefen für ihn nicht erfolgreich und führten zudem zu tausenden syrischen und libanesischen Toten, darunter auch viele Zivilisten. Nach seiner Flucht vor der syrischen Armee verbrachte er 14 Jahre in Frankreich im Exil. Nach seiner Rückkehr in den Libanon im Mai 2005, wenige Monate nach dem Abzug der syrischen Truppen, wurde Aoun politisch aktiv und konnte in den Parlamentswahlen 2009 den größten christlichen Block bilden. Ungewöhnlich waren vor allem seine Allianzen mit den pro-syrischen Parteien. Aoun ist bekannt für seine harten und unnachgiebigen Positionen bei Themen der nationalen Einheit, Souveränität und Rechten der Christen in der öffentlichen Verwaltung sowie für seine den Zweck heiligende Zielstrebigkeit.
Ausblick
In seiner Antrittsrede gab Präsident Aoun ein klares Bekenntnis zum Taif-Abkommen (Abkommen, welches zur Beendung des libanesischen Bürgerkrieges abgeschlossen wurde und im Wesentlichen eine auf den vorhandenen Konfessionen basierende Machtverteilung vorsieht) sowie zur Rolle der libanesischen Streitkräften als die Gesellschaft integrierendes Organ ab. Er hob die Bedeutung eines neuen Parlamentswahlgesetzes hervor, welches zumindest teilweise die Verhältniswahl im Libanon einführen soll. Weitere Schwerpunkte sollen die Bekämpfung von Terrorismus und die Rückkehr der syrischen Flüchtlinge in ihre Heimat sein. Letztlich soll die wirtschaftliche Lage des Libanon stabilisiert werden.
Zwar ist nunmehr mit großen Schwierigkeiten bei der Regierungsbildung durch einen designierten Premierminister (wahrscheinlich Saad Hariri) zu rechnen, da alle Rivalitäten und unterschiedlichen Vorstellungen erneut auf den Verhandlungstisch kommen werden. Insbesondere dürfte mit weitergehenden Forderungen der Hisbollah zu rechnen sein, bei welchem dem bisher parteipolitisch verbündeten Aoun wenig Spielraum eingeräumt wird. Obgleich er verkündet hat, ein Präsident für alle Libanesen sein zu wollen, bleibt abzuwarten, ob er dies auch realisieren kann.
Dennoch ist die Wahl eines Staatspräsidenten positiv für das Land zu werten. Das beinahe zweieinhalbjährige Vakuum ist damit beendet. Die Verfassungsorgane und damit der Staat werden in Ihrer Funktion gar ihrer Existenz gestärkt. Eine solche Stabilität ist für die Bewältigung der für den kleinen Libanon bedrohlichen Flüchtlingskrise und angesichts des stetigen Niedergangs der Wirtschaft auch dringend vonnöten.