Rapports pays
Zwischen den Jahren 2000 und 2008 stieg die Zahl der Internetnutzer weltweit um mehr als 340 Prozent. Das ist ein massiver Aufwuchs, aber nichts im Vergleich zu den afrikanischen Werten. Hier nahmen die Nutzerzahlen im gleichen Zeitraum um gigantische 1100 Prozent zu. Über 54 Millionen Afrikaner waren im März 2009 online. Eine für Afrika einmalige Erfolgsgeschichte - leider nur auf den ersten Blick. Denn sind weltweit im Durchschnitt ein Viertel aller Menschen im Netz, so sind es in Afrika nur verschwindend wenige: knapp sechs Prozent der Gesamtbevölkerung. Wenn auch die üblichen Verdächtigen wie Armut und Analphabetismus für den geringen Gesamtanteil verantwortlich sind, so zeigen die Wachstumszahlen dennoch eindrucksvoll, dass das afrikanische Bedürfnis nach der Anbindung an das Web massiv ist.
Neben den üblichen Negativfaktoren für die afrikanische Entwicklung spielt beim Thema Internetnutzung auf dem Kontinent aber noch ein weiteres Element eine entscheidende Rolle. Nahezu alle Staaten Sub-Sahara-Afrikas waren bisher von extrem teuren und für interaktive Anwendungen eigentlich ungeeigneten Satellitenverbindungen abhängig. Ausnahme von der Regel: Südafrika. Hier gab es bereits seit einigen Jahren ein Unterseekabel, dessen Kapazität allerdings begrenzt war. Folgen für alle Länder waren extrem teure Verbindungskosten bei sehr niedrigen Bandbreitenkapazitäten. Den Südafrikanern ging es dabei noch recht gut. Immerhin verfügte das Land über einigermaßen stabile DSL-Verbindungen, oder solche, die zumindest als DSL verkauft wurden.
Im Nachbarland Mosambik fühlte und fühlt man sich dagegen in eine digitale Urzeit versetzt. Internetzugang außerhalb eines Internetcafes? Meistens Fehlanzeige. Einfaches Verschicken normaler Word-Dateien? Langwierig wegen äußerst langsamer Verbindungen. Große Datenpakete mit anspruchsvollen multimedialen Inhalten auf den Weg bringen? Vollkommen illusorisch.
Das alles soll sich jetzt ändern. 17.000 Kilometer Unterseeglasfaserkabel der Firma Seacom weisen den Weg in eine digitale Zukunft, in der Süd- und Ostafrika mit Europa, dem Mittleren Osten und Indien verbunden ist. Vorbei die Zeiten, in denen alle auf einen Satelliten zugreifen mussten. 1,28 Tera-Bits pro Sekunde kann das Kabel verarbeiten. Bildlich gesprochen: mit dieser Kapazität könnten etwa 1,6 Millionen Youtube Videos parallel abgespielt werden. Internetradio und Web-TV sind damit ebenso kein Problem mehr, wie Videokonferenzen zwischen Firmen auf unterschiedlichen Kontinenten. Die angeschlossenen Länder rücken ein gewaltiges Stück auf die globalisierte Datenwelt zu. Es steht zu erwarten, dass der Datenaustausch zwischen ihnen und dem Rest der Welt dramatisch zunehmen wird.
Südafrika, Mosambik, Madagaskar, Tansania und Kenia sind über eine Ringstruktur miteinander verbunden und direkt an Seacom gekoppelt. Von Kenia führt ein Unterseekabel mit 640 GB Kapazität direkt nach Marseille in Frankreich. Tansania wird mit Mumbai in Indien ebenfalls über eine 640 GB-Leitung verbunden. Beide Kabel zusammen ergeben die beeindruckende Gesamtleistung. Um küstenferne Metropolen an das neue Netz zu bringen, wurden außerdem Verbindungen in die Städte Nairobi, Johannesburg und Kampala gelegt, sodass neben den ohnehin direkt angeschlossenen Ländern auch Uganda von der neuen Verbindung profitieren kann.
Industrie und Kunden knüpfen hohe Erwartungen an das Projekt
Das Seacom-Kabel gehört sicherlich zu den afrikanischen Vorzeigeprojekten. Nicht nur, weil die Gesamtkosten von 650 Millionen US Dollar komplett privat finanziert wurden, sondern weil das Projekt zu 75 Prozent in afrikanischer Hand liegt.
Wirtschaftsexperten sind sich einig, dass das Kabel einen starken Einfluss auf die Entwicklung der Region haben wird. Die Zahl der Internetnutzer in den angeschlossenen Ländern wird weiter rasant ansteigen, einerseits beflügelt durch höhere Bandbreiten und damit deutlich komfortablere Nutzungsmöglichkeiten, andererseits durch stark sinkende Kosten. Außerdem ist mit mehr Wettbewerb im ohnehin bereits stark umkämpften Telekommunikationsmarkt der Region zu rechnen, da die Betreiber von Seacom Teilkapazitäten an lokale Anbieter weiterverkaufen.
Wie wichtig der lokale und regionale Telekommunikationsmarkt bereits heute ist, zeigt das Beispiel Safarikom. Der größte Mobilfunkanbieter Kenias mit über 10 Millionen Kunden hat vor Kurzem ein Callcenter in Nairobi eröffnet, für dessen Betrieb alleine etwa 1000 Mitarbeiter benötigt werden. Aber auch Firmen anderer Branchen wollen vom Unterseekabel profitieren. Das Erschließen neuer Märkte außerhalb Afrikas durch verbesserte eigene Marketingmöglichkeiten sowie eine gesteigerte Attraktivität der lokalen Anbieter durch nun reibungslose Kommunikation mit potenziellen internationalen Partnern werden von den afrikanischen Wirtschaftsvertretern als stark verbesserte Rahmenbedingungen gepriesen.
Die Endkunden wiederum hoffen, dass die Online-Preise sinken werden. Dies wird in den meisten Ländern in den nächsten Monaten auch passieren. Dort, wo bisher lediglich Satellitenverbindungen angeboten wurden, wird ein deutlicher Preisverfall bei den Verbindungsgebühren zu beobachten sein. Südafrika mit seiner bereits länger existierenden Kabelverbindung wird davon ausgenommen sein. Dort haben die lokalen Anbieter in den letzten beiden Jahren bereits schrittweise ihre Preise gesenkt, um auf die neue Konkurrenz vorbereitet zu sein. Preissenkungen werden daher hier, wenn überhaupt, nur moderat zu verzeichnen sein.
Doch nicht nur in Südafrika wird eine Ernüchterung eintreten. Abgelegene Gebiete wie der Norden Mosambiks werden in absehbarer Zeit kaum von den schnellen Verbindungen profitieren können, denn dazu müssten erst die nationalen Netze ausgebaut werden. Das aber kann viele Jahre dauern und trifft so auf alle Länder der Region zu. So werden erst einmal nur große Zentren wie Dar es Salaam in Tansania profitieren, denn dort ist das Kabel bereits angekommen und seit Ende Juli in Betrieb.
Kabel stellt einen wichtigen Schritt zur Demokratisierung dar
Dennoch bleibt festzuhalten, dass sich die neue Anbindung äußerst positiv auf den Kontinent, seine Wirtschaftsentwicklung aber auch die Demokratisierung auswirken wird. Je mehr Menschen Zugang zum Internet bekommen, je billiger und stabiler die Verbindungen werden, je mehr Möglichkeiten zur Nutzung gegeben sind, desto unaufhaltsamer werden freie Meinungsäußerung und die Verbreitung von kritischer Berichterstattung werden.
Schon jetzt hat Afrika im Bereich des sogenannten Citizen Journalism große Fortschritte gemacht. Die neuen Medien machen, so wie überall auf der Welt, jeden aktiven Nutzer zum Berichterstatter. Blogs, Twitter, Facebook oder Mobilfunk sind von den Regierungen kaum zu kontrollieren und so verwundert es nicht, dass auch Afrikas größte Journalistenkonferenz, Highway Afrika, im vergangenen Jahr das Thema zum Schwerpunkt machte.
Die Afrikaner nutzen die neuen Medien dort, wo sie können und sie tun es kreativ. Vieles läuft dabei über Handys. Während Robert Mugabe nach den simbabwischen Wahlen im März 2008 noch versuchte, die Wahlergebnisse geheim zu halten, hatte die Opposition bereits verlässliche Zahlen. Der Weg dorthin war ebenso einfach wie genial. In Simbabwe werden die ausgezählten Stimmen an jedem Wahllokal sofort per Liste ausgehängt. Die Opposition nutzte zum ersten Mal Mobiltelefone, um die Listen vor Ort zu fotografieren. Die Fotos wurden dann an die MDC-Zentrale geschickt und dort ausgewertet. Nachträgliche Manipulation wurden für die Anhänger Mugabes anschließend umso schwieriger.
In Kenia wurden während der bürgerkriegsähnlichen Unruhen nach den letzten Parlamentswahlen interaktive Landkarten veröffentlicht, in denen Straßensperren militanter Banden eingezeichnet waren und gleichzeitig Hinweise gegeben, wie diese zu umgehen seien. In Südafrika sind Blogger mittlerweile so wichtig geworden, dass sogar renommierte Zeitungen wie der Mail and Guardian die Bürgerjournalisten ansprechen und ihnen ein Forum unter dem Titel „Thought Leaders“ geben.
Auch die Medienentwicklungszusammenarbeit hat das Potenzial erkannt und reagiert inzwischen mit Projekten, in denen Nachwuchsjournalisten auf dem Kontinent der Umgang mit dem eigenen Handy als Reportagegerät vermittelt wird. So entstehen an vielen Standorten Nachrichtenbeiträge, die nur noch per Handyvideo aufgezeichnet werden und einer internationalen Medienkundschaft angeboten werden. Die erreichbare technische Qualität dabei ist zwar erbärmlich, andererseits werden so Inhalte aus Gegenden produziert, in die sich normalerweise kein Kamerateam verirren würde. Das wiederum erzeugt eine Nachrichtenabdeckung, die Missstände aufdecken hilft, welche bisher von den Medien schlicht aus Kapazitätsgründen nicht zur Kenntnis genommen wurden.
Seacom wird diese Entwicklung weiter fördern, ist für sich genommen aber nur ein Schritt hin zu einer gut entwickelten afrikanischen IT-Versorgung. Denn Seacom wird nicht das einzige Projekt dieser Art bleiben. Im kommenden Jahr wird außerdem das Eastern Africa Submarine Cable System an den Start gehen und somit eine Ergänzung zu Seacom auf der Ostseite des Kontinents darstellen. Das West African Cable System wird im Jahr 2011 dazukommen und die Atlantikseite des Kontinents an das Web koppeln. Das westafrikanische Kabel wird dann sogar viermal mehr Kapazität haben als das Seacom Projekt heute.