Rapports pays
Wa Afrika, Mitarbeiter der Sunday Times, wird an einen geheim gehaltenen Ort gebracht, mitten in der Nacht verhört. Sein Anwalt kann erst Stunden nach der Festnahme zu ihm.
Was sich nach einem typischen Szenario aus vergangenen Apartheid-Zeiten anhört, geschah in Wirklichkeit erst vor ein paar Tagen, knapp drei Wochen nach Ende der Fußball-Weltmeisterschaft. Bisher sind die Hintergründe der Festnahme weitgehend ungeklärt. Erste Betrugsvorwürfe seitens der Polizei konnten nicht bewiesen werden, Ray Hartley, Chefredakteur der Sunday Times, spricht von Einschüchterungstaktik.
Nicht nur wa Afrika und sein Anwalt vermuten politische Gründe hinter der Polizeiaktion, denn der Reporter berichtete schon seit Jahren über ANC-interne Machtkämpfe in der Provinz Mpumalanga und zuletzt auch über finanzielle Unregelmäßigkeiten in höchsten nationalen Polizeikreisen. Eine Gerichtsverhandlung in ein paar Wochen soll weitere Anschuldigungen gegen ihn klären.
Der Zeitpunkt der Festnahme mag Zufall sein, dennoch passt sie ins aktuelle Bild der südafrikanischen Realität unter dem mit erdrückender Mehrheit herrschenden African National Congress (ANC). Sie ist Symptom für eine alle öffentlichen Institutionen durchdringende politische Kaste, die sich mit den eigenen Versäumnissen nicht auseinandersetzen will und stattdessen kritische Medien als Sündenbock identifiziert hat.
So sind Beeinflussungs- und Einschüchterungsversuche von politischer Seite keine Neuheit. Einzelne Politiker, allen voran Jacob Zuma, versuchten in der Vergangenheit mithilfe von turmhohen Schadenersatzklagen gegen unliebsame Berichterstattung vorzugehen, riefen den Presserat an oder beklagten sich beim Ombudsmann der Presse. Die letztgenannten Institutionen wurden zur freiwilligen Selbstkontrolle vor einigen Jahren von den südafrikanischen Medienhäusern selbst eingerichtet. In begründeten Einzelfällen erfolgreich, blieben die Gegenmaßnahmen der Politiker jedoch weitgehend ohne Wirkung auf die kritische Berichterstattung.
Medientribunal soll Berichterstattung objektivieren
Daher einigte sich der ANC auf seinem nationalen Parteitag 2007 in Polokwane, die Möglichkeit eines „unabhängigen“ Medientribunals zu untersuchen, welches Fehlverhalten der Medien in Zukunft verfolgen sollte. Kritiker sahen hierin den Versuch, die Medien generell an die Leine des ANC zu legen, sodass es unmittelbar nach Bekanntwerden der Pläne zu massiven Protesten seitens der Medienhäuser sowie der Zivilgesellschaft kam.
Weitere Schritte hin zu einem Tribunal wurden daher vorerst auf Eis gelegt. Die gewonnene Wahl 2009 sowie die Weltmeisterschaft im Juni dieses Jahres trugen zu einer weiteren Entscheidungsverschiebung über die Frage eines Medientribunals bei.
Dies ist nun vorbei. Die WM ist beendet, dafür steht der kleine Parteitag des ANC im September in Durban an, welcher die erste nationale ANC-Konferenz seit Polokwane sein wird und der Überprüfung der politischen Marschrichtung der Partei sowie der Vorbereitung des nächsten Parteitages 2012 dienen wird. Der Streit um das Medientribunal ist nun wieder voll entbrannt. Hauptvorwurf des ANC ist, dass Presserat und Ombudsmann der Presse ineffektiv arbeiten, da beide Institutionen selbstregulierende Körperschaften der Medien sind und deshalb keine Durchsetzungskraft aufweisen. Und in der Tat gibt es einige Schwachpunkte.
Manche Eingaben von Betroffenen kommen nicht voran, weil zum Beispiel die beteiligten Zeitungen auf Anfragen des Ombudsmanns nicht oder erst sehr spät reagieren. Entschuldigungen für falsche Berichterstattung werden zumeist irgendwo auf hinteren Seiten versteckt, während die Falschmeldung auf der Titelseite war. Dieses international bekannte Problem und andere Schwachstellen könnten jedoch durch eine Stärkung des Selbstregulierungsmechanismus der Presse beseitigt werden. Hier liegt denn auch das Versäumnis der Medien. Anstatt sich nach den Resolutionen von Polokwane und der anschließenden Beruhigung der Lage in trügerischer Sicherheit zu wähnen und nichts zu unternehmen, hätte man die Schwächen selbstinitiativ angehen und beseitigen können. Dann wäre die heutige Situation womöglich vermieden worden und den Argumenten der Regierungspartei von vorneherein der Wind aus den Segeln genommen worden.
Der ANC nutzt nun diese Schwächen im Selbstregulierungsmechanismus der Presse, um seine Vorstellungen zu platzieren. Denn aufgrund dieser Schwächen werde zur Bestrafung von unfairer Berichterstattung durch die Medien ein unabhängiges Gremium benötigt. Eben diese Unabhängigkeit wird durch die Kritiker des Medientribunals stark angezweifelt. Immerhin soll das Tribunal in der bisher angedachten Form durch das vom ANC dominierte Parlament bestellt werden sowie an das Parlament berichten und anschließend entsprechende Strafen verhängen. Ansonsten bleiben die Vorstellungen zum Tribunal relativ nebulös, die Drohkulisse steht jedoch und wirkt.
Gesetzentwurf sieht starke Einschränkungen bei Informationen vor
Als sei damit die Stimmung im Lande nicht bereits aufgeheizt genug, hat der ANC einen Gesetzentwurf auf den Weg gebracht, dessen Auswirkungen noch weit schwerwiegender sein dürften, als das Medientribunal. Würde die sogenannte „Protection of Information Bill“ als Gesetz umgesetzt, würde sie offiziellen Stellen auf allen Regierungsebenen, also auf nationaler Ebene, auf Provinz- und Lokalebene, ja sogar bei halbstaatlichen Unternehmen wie dem nationalen Energieversorger Eskom, erlauben, Dokumente und Informationen als Verschlusssache einzustufen. Voraussetzung für diese Einstufung wäre die Feststellung, dass „nationale Interessen“ oder die „Sicherheit“ der Republik in Gefahr sein könnten.
Die Definition des Begriffs „nationale Interessen“ wird dabei so weit gefasst, dass bei ein wenig Fantasie nahezu alles darunter gefasst werden könnte. So auch zum Beispiel kommerzielle Informationen, wie etwa Ausschreibungen für staatliche Projekte. Ein Feld, in dem es in den letzten Jahren zu einer ganzen Reihe von Skandalen gekommen ist. Eine unabhängige Schiedsstelle für die Entscheidung von zweifelhaften Fällen ist im Entwurf nicht vorgesehen, Widerspruch wäre direkt beim zuständigen Minister einzureichen. Damit nicht genug, sieht der Entwurf scharfe Sanktionen mit langen Gefängnisstrafen für diejenigen vor, die Dokumente unerlaubt weitergeben oder veröffentlichen.
So wird potentiellen Informanten und investigativen Journalisten ebenso wie deren Herausgebern ein erhebliches Drohszenario entgegen gestellt, welches die meisten unter ihnen Mundtot machen dürfte.
So liegt denn auch der Vergleich mit dem Medienrecht Simbabwes nahe. Dort hatte die Regierung im Jahr 2002 den „Access to Information and Privacy Act“ erlassen. Motiviert durch den wachsenden Erfolg der oppositionellen Movement for Democratic Change (MDC), sah sich die regierende Zimbabwe African National Union-Patriotic Front (ZANU-PF) zum Handeln gezwungen. Das Ergebnis war ein Gesetz, in dem die Veröffentlichung von sogenannten „falsehood“ mit bis zu zwei Jahren Gefängnis bestraft werden. Da auch die Definition dieses Begriffs sehr weit gefasst werden kann, brachte das Gesetz kritische Medienstimmen praktisch zum Verstummen.
Wenig verwunderlich also, dass die Gegner des südafrikanischen Gesetzentwurfs ihn denn auch als „Secrecy Bill“, also als Geheimhaltungsgesetzentwurf, bezeichnen. Dabei nutzen die führenden Journalisten des Landes nicht nur ihre eigenen Medien, um gegen die geplante Gesetzesänderung und das Medientribunal mithilfe von massiver Berichterstattung mobil zu machen. Insgesamt 37 Zeitungs-Chefredakteure haben sich zusammengetan und die sogenannte „Auckland Park Declaration“ unterzeichnet. Darin wird die Regierung aufgefordert, von den Plänen Abstand zu nehmen und Meinungsfreiheit sowie den freien Zugang zu Informationen, so wie sie in der Verfassung des Landes vorgesehen sind, zu schützen.
Auch die Oppositionsparteien, allen voran die Democratic Alliance (DA) von Hellen Zille, wehren sich gegen die Pläne des ANC. Sollte es jedoch zu einer Abstimmung im Parlament kommen, wird die Opposition aufgrund ihrer zahlenmäßigen Unterlegenheit keine große Rolle spielen können.
Mittlerweile haben sich über 80 zivilgesellschaftliche Organisationen zu Wort gemeldet und täglich kommen mehr hinzu. Auch sie sehen die Rechte der Südafrikaner gefährdet. Immerhin war Südafrika eines der ersten Länder weltweit, das einen „Access to Information Act“ verabschiedete, in dem festgeschrieben ist, dass jeder Bürger, nicht nur Journalisten, freien Zugang zu behördlichen Informationen haben soll. Bisher wurde dieses Recht in manchen Fällen durch eine simple Verschleppungstaktik der Offiziellen ausgehebelt, aber grundsätzlich war es vorhanden und funktionierte.
Die Entrüstung im Land ist mittlerweile so groß, dass auch internationale Medien auf die Situation aufmerksam geworden sind und über die Pläne des ANC berichten. Eine Entwicklung, die dem Land im Allgemeinen und der Wirtschaft Südafrikas im Besonderen schaden könnte, da sie seinem internationalen Status als Hort der Demokratie und Stabilität auf dem afrikanischen Kontinent nicht gut tun dürfte.
Verfassungsgericht als letzte Instanz wahrscheinlich
Der Druck auf den ANC steigt also und wird auch weiter steigen. Bei aller Sorge um den demokratischen Status des Landes zeigt die Breite der Diskussion aber auch, dass Meinungsfreiheit und andere Grundrechte der liberalen südafrikanischen Verfassung immer noch hochgehalten werden. Sollte es in den nächsten Wochen und Monaten nicht zu einer Entschärfung der Pläne kommen und gangbare Kompromisse gefunden werden, weil die Parlamentsmehrheit des ANC Gesetzentwurf und Medientribunal durchsetzt, dann muss es Südafrikas stärkste demokratische Institution richten. Zivilgesellschaft und Medien werden nicht zögern, das Verfassungsgericht um eine Entscheidung anzurufen. In der Vergangenheit haben dessen Richter eine ganze Reihe von mutigen und unabhängigen Entscheidungen getroffen. Für die demokratische Konsolidierung und das Wohlergehen Südafrikas werden dann wieder solche Entscheidungen nötig sein.