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Comptes-rendus d'événement

Keine Kassandrarufe

de Dr. Silke Bremer
Professor Ferdinand Kirchhof, Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts, sprach vor 170 Zuhörern in Greifswald über den demographischen Wandel im Spiegel des Verfassungsrechts und diskutierte darüber anschließend mit Justizministerin Kuder und Greifswalder Rechtsprofessoren.

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„Sie werden von mir keine Kassandrarufe hören“, sagte Professor Ferdinand Kirchhof gleich zu Beginn seines Vortrags im Greifswalder Alfried-Krupp-Wissenschaftskolleg. Dort sprach der Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts am 17. Juli auf Einladung der Konrad-Adenauer-Stiftung Mecklenburg-Vorpommern und des „Jungen Kollegs“ des Krupp-Wissenschaftskollegs über den demographischen Wandel im Spiegel des Verfassungsrechts.

Kirchhof führte aus, dass der demographische Wandel zwar tiefschürfende gesellschaftliche Wandlungsprozesse auslösen werde – es gebe jedoch keinen Anlass, deswegen an der Bestandskraft der geltenden Rechtsordnungen oder gar der Verfassung zu zweifeln. Die Probleme im Zuge des steigenden Altersdurchschnitts und der sinkenden Geburtenzahlen seien jedoch „Übergangsprobleme“ und keine „Generalprobleme“. Die Politik habe darauf Antworten zu finden, weniger das Verfassungsrecht.

Zwar könne es in den kommenden Jahren geschehen, dass die Politik sich angesichts der demographischen Entwicklung mit Fragen wie der Generationen- oder Teilhabegerechtigkeit auseinandersetzen müsse. Kirchhof wies allerdings darauf hin, dass dies nur insofern gelte, als sich zunächst abzeichnen müsse, dass die Prognosen wahr werden: „Ich bin skeptisch, dass dies im Falle des demographischen Wandels für alle Vorhersagen gilt.“

So warnte er etwa davor, die Vorhersage der langfristigen Überalterung oder der stetig sinkenden Geburtenzahlen zum Handlungsmaßstab für politische Entscheidungen zu machen. Gleichwohl zeige sich historisch, dass die Politik demokratischer Staaten auf Herausforderungen bislang zwar zumeist spät, aber doch immer rechtzeitig reagiert habe.

Weiter machte Kirchhof am Beispiel der rasanten Bevölkerungsentwicklung in Deutschland in den ersten Nachkriegsjahrzehnten deutlich, dass auch diese „Gegenentwicklung“ zum heutigen demographischen Wandel bereits mit politischen Kursänderungen habe begleitet werden müssen, was im Falle der Bundesrepublik damals auch funktioniert habe. Notwendige Änderungen seien unter dem Handlungsdruck konkreter Herausforderungen stets in die Wege geleitet worden: „Vertrauen Sie nicht in die Verfassung, vertrauen Sie in die Demokratie“, war daher Kirchhofs scherzhaftes Fazit.

Im Hinblick auf konkret zu erwartende Entwicklungen hob Kirchhof hervor, dass mit Verschiebungen innerhalb der Dreigliederung Bund-Länder-Kommunen gerechnet werden müsste. "Die Kommunen werden als Leistungsträger der Daseinsfürsorge an Bedeutung gewinnen und ein höheres Finanzvolumen benötigen." Auch bei den meisten Sozialversicherungen entstehe ein zusätzlicher Bedarf. Zu gravierenden Veränderungen werde es auch im Wirtschafts- und Arbeitsleben kommen, das Arbeitsrecht müsse sich auf Überraschungen einstellen. Aufgrund einer geringeren Eigenmobilität älterer Menschen werde außerdem die Landflucht zunehmen, in gleicher Weise werde es zu einer Konzentration in den Städten und Wohnvorstädten kommen.

Die Verfassung gebe letztlich nur wenige Antworten auf die Demographie-Herausforderung. Relevant sei sie z. B. dort, wo es um die Versorgung des Individuums in seinen persönlichen Lebensumständen gehe. Eine wesentliche Grundlage sei Art. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip, wodurch ein direkter verfassungsrechtlicher Anspruch auf Leistungen zur Sicherung einer menschenwürdigen Existenz begründet werde. Eine weitere verfassungsrechtliche Bedeutung zeige sich bei den Renten- und Gesundheitsleistungen. Aufgrund des Zwangscharakters dieser Versicherungen und des Eigentumsgrundrechts Art 14 GG sei ein Anspruch auf Leistung zumindest dem Grunde nach verfassungsrechtlich abgesichert.

In der anschließenden Podiumsdiskussion kritisierte Prof. Lang eine viel zu geringe Bereitschaft der Politik, sich der Demographie-Herausforderung anzunehmen. Einen wesentlichen Grund sah er in einem vermeintlichen Steuerungsdefizit der parlamentarischen Demokratie: Sie präferiere Tagesoptionen und habe Probleme mit Entscheidungen, deren Bedeutung sich erst in der Zukunft zeige.

Justizministerin Mecklenburg-Vorpommerns Uta-Maria Kuder (CDU) präzisierte die Prognosen Kirchhofs am Beispiel ihres Bundeslandes: Dort schlage der demographische Wandel bekanntermaßen deutlicher früher durch als in anderen Regionen Deutschlands. „Über unser Land heißt es häufig, hier träten die Entwicklungen später ein als anderswo“, sagte Kuder: „Zumindest für dieses Thema gilt dies aber nicht.“ Vielmehr habe die Landespolitik bereits frühzeitig auf die Herausforderungen von Bevölkerungsschwund und Abwanderung reagiert und mit Reformvorhaben – auch im Bereich der Justiz – für eine angemessene Reaktion auf die Entwicklungen gesorgt: „Ich habe den Eindruck, dass die Politik dabei durchaus weiter als im Zyklus einer Wahlperiode denkt“, führte die Ministerin aus.

Prof. Kirchhof unterstrich abschließend erneut die Handlungsfähigkeit der Demokratie: „Die Demokratie wird immer wacher für diese Probleme.“ Die Demokratie greife Probleme auf und löse sie, wenn sie drängten, zugleich sei sie durchaus zur Weitsichtigkeit fähig. Die Politik werde zunehmend für Alterungsprobleme sensibel gemacht. Die Herausforderungen seien zwar äußerst vielfältig und stellten Anfragen nicht nur an Politiker sondern auch an Akteure aus den verschiedensten gesellschaftlichen Bereichen; die demokratische Ordnung biete einen soliden Rahmen, Probleme anzugehen und auch zu lösen.

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