Comptes-rendus d'événement
Zu diesem ernüchternden Ergebnis kam der Ägyptenspezialist und beantwortete damit die Frage der Veranstaltung “Armee oder Anarchie? Ägyptens ungewisse Zukunft“. Bereits in der Einleitung machte er deutlich, dass das Verständnis der gegenwärtigen Situation nur dann möglich sei, wenn man sich die Situation des Landes zu Beginn des Jahres 2011 vergegenwärtige. Die euphorische Stimmung des Westens habe seinen authentischen Ausdruck in der Bezeichnung „Arabischer Frühling“ gefunden. Damals hofften sehr viele Menschen hierzulande, dass der Regimewechsel in Tunesien, Libyen und Ägypten zu einem Dominoeffekt führen würde, der wenigstens einen Großteil der 23 Staaten der Arabischen Liga demokratisieren könnte, vor allem deshalb, weil diese Staaten durch signifikante Gemeinsamkeiten gekennzeichnet seien. Dazu gehören Sprache, Kultur und Religion, aber auch, dass diese Gesellschaften sehr jung sind, im Schnitt sind 70 Prozent der Bevölkerung unter 30 Jahre alt.
Nach zwei Jahren ist die Bilanz bedrückend. Nur in drei Staaten gab es einen Regimewechsel, wobei Libyen „ein klarer Fall von Staatsverfall“ darstelle. In Syrien tobe ein blutiger Bürgerkrieg, im Jemen ebenfalls. In den anderen Staaten sei die Situation hingegen unverändert. Der Hauptgrund der Fehleinschätzung sei darin zu suchen, dass der Westen die gewaltigen Diskrepanzen übersehen habe, die die arabischen Staaten kennzeichneten. Die Unterschiede hinsichtlich z.B. der historischen Entwicklung (Fremdherrschaft ja/nein) Einwohnerzahl, Wirtschaftskraft, Einkommen, Internetversorgung und auch der konfessionellen Ausprägung seien gewaltig.
Eine der Hauptursachen des Sturzes des ägyptischen Präsidenten Mubarak sei die fehlende Perspektive der heranwachsenden Generation gewesen. Von den unter 25-jährigen, die mehr als die Hälfte der Bevölkerung ausmachen, sei die Arbeitslosigkeit sehr hoch. Sie hätten kaum eine Chance, an „die Fleischtöpfe“ heran zu kommen. So seien die Forderungen der Demonstranten am Anfang auch eher auf die konkreten Verbesserung ihrer Lebensbedingungen gerichtet gewesen.
Die dann für 2011/12 angesetzten Wahlen brachten einen erdrutschartigen Sieg der Muslimbrüder und der Salafisten, die über 60 Prozent der Stimmen erhielten. In der kurzen Zeit hatten andere Parteien oder Gruppierungen keine Chance, sich inhaltlich und organisatorisch aufzustellen. So erklärt sich der Erfolg der Islamisten vor allem durch die fehlende (Oppositions-) Alternative zum Militär. Kaum an der Macht gingen die Muslimbrüder ohne Rücksicht auf Verluste und mit atemberaubendem Tempo daran, Ägypten mittels Dekreten in einen Gottesstaat zu verwandeln. Sie schafften es so, in kaum einem Jahr ihren gesamten Kredit bei der Bevölkerung zu verspielen. Inzwischen steht der ehemaligen Präsident Mursi vor Gericht und das Militär geht noch härter gegen die Muslimbrüder vor als je zuvor.
Damit ist ein Zustand wieder hergestellt, der Ägypten seit mehr als fünfzig Jahren prägt: die Herrschaft des Militärs. Diese sei aber nicht z.B. mit den Juntas südamerikanischer Ausprägung zu vergleichen. Die ägyptischen Militärs verwandelten sich - zumindest nach außen hin - in Zivilisten, wenn sie Staatsfunktionen übernähmen, hätten gleichwohl kaum eine Vorstellung, wie man einen Staat konzeptionell und programmatisch voranbringen könnte.
Hinsichtlich der zukünftigen Entwicklung zeichnete Prof. Fürtig ein düsteres Bild: Die Zivilgesellschaft sei heillos zerstritten, die wirtschaftlichen Probleme nähmen dramatisch zu und die Muslimbrüder seien gewaltsam in der Untergrund gedrängt. Wie angesichts dieser Lage die angesetzten Wahlen und die anstehende Neufassung der Verfassung durchgeführt werden könne, sei sehr ungewiss, jedenfalls ohne die ordnende Hand der Militärs kaum realistisch.